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Veröffentlicht am 14.05.2020

Nur mäßig spannend, sehr vorhersehbar, zu farblos und voll mit YA-Klischees

More Than This
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Nachdem ich April Dawsons Reihenauftakt "Up All Night" der gleichnamigen Trilogie zwar sehr nett fand, ich aber aufgrund diverser Schwächen nicht vollständig überzeugt wurde, wollte ich der Reihe noch ...

Nachdem ich April Dawsons Reihenauftakt "Up All Night" der gleichnamigen Trilogie zwar sehr nett fand, ich aber aufgrund diverser Schwächen nicht vollständig überzeugt wurde, wollte ich der Reihe noch eine weitere Chance geben. Leider habe ich die Veröffentlichung des zweiten Teils "Next To You" verpasst und musste deshalb gleich mit dem dritten Teil "More Than This" weitermachen, aber da sich die Bücher auch getrennt voneinander lesen lassen, ist das nicht das Problem gewesen. Vielmehr fand ich schade, dass der Abschluss der Trilogie an denselben Schwächen leidet, die ich schon am Auftakt bemängelt habe und mich der dritte Teil der Reihe ebenfalls nicht überzeugen konnte. Auch hier muss mein Urteil deshalb lautet: dieses Buch ist nett, nicht mehr und nicht weniger.

Auch das Cover passt wunderbar zu diesem gewonnenen Eindruck. Zusehen ist wieder Skyline von New York, welches das Setting der Geschichte ist und darüber ein blau-pinker Himmel voller Lichtstreifen und -punkten. Auch wenn das Ergebnis durchaus hübsch anzusehen ist und auch gut zu den Vorgängern passt, halte ich es mit den übertriebenen Effekten und den typischen Farben für ein LYX-Cover, wie es im Buche steht - nett anzusehen aber nichts Besonderes. Auch der Titel passt grundsätzlich gut, hat für mich aber keinen tieferen Sinn oder besonderen Wiedererkennungswert. Wie schon bekannt ist die Geschichte in 41 kurze Kapitel aufgeteilt, welche jeweils aus der Sicht von Grace oder Zayn geschrieben sind.

Erster Satz: "Was war das denn?"

Wir beginnen die Geschichte damit, dass Grace einen erotischen Traum von Zayn, dem draufgängerischen Playboy ihrer Clique hat, der seit einiger Zeit zu ihren engsten Freunden gehört. Auch wenn sie es darauf schiebt, dass sie schon viel zu lange nicht mehr verliebt war, all die Pärchen um sie herum sie wehmütig machen und sie endlich ihren Traummann finden will, kann sie die prickelnde Anziehungskraft bald nicht mehr leugnen, die sich zwischen ihnen entwickelt. Dass alle in Grace und Zayn das perfekte Paar sehen und sie immer mehr erkennt, dass sie doch nicht so verschieden sind, macht die Sache auch nicht leichter. Aber kann sie ihm ihre Gefühle gestehen, wenn es sie ihre Freundschaft kosten könnte...?

Anders als "Up All Night", welches mit einem absoluten Katastrophentag in Taylors Leben, einem spannenden Wiedersehen und der Einführung in eine tolle WG gestartet ist, beginnt dieser Teil aus meiner Sicht eher etwas schleppend. Wir treffen Grace und Zayn, welche wir ja schon aus den anderen Teilen flüchtig kennen, in einer Aneinanderreihung sehr vieler, sehr kurzer Szenen wieder, die manchmal sogar nur eine halbe oder dreiviertel Seite dauern. Gepaart mit den großen Zeitsprüngen, die gleich im ersten Drittel gemacht werden, liest sich der Einstieg etwas abgehackt und ich wurde nicht wirklich in die Geschichte hineingesogen. Dass die Idee nicht unbedingt neu ist, tut dabei das Übrige und ich habe die ersten Kapitel nur halbherzig über mich ergehen lassen. Vielleicht dauert es ja tatsächlich längere Zeit, bis aus Freundschaft mehr wird, aber dann hätte ich mir entweder eine bessere Raffung der verstreichenden Monate oder den Ausbau einiger wichtiger Schlüsselszenen gewünscht. Denn letztere scheint es in der ersten Hälfte der Geschichte fast gar nicht zu geben - Beide Protagonisten leben ihren Alltag, alles läuft sehr glatt und plätschert vor sich hin, bis April Dawson dann die vorhersehbare, große "Ach ja, wir lieben uns"-Karte zieht und für lange Zeit erstmal alles mit Zuckerglasur überzogen wird. Der schleppende Beginn, der nicht ganz wusste, wo er hin will, geht nun in einen ebenso gemütlich vor sich hin plätschernden Mittelteil mit viel Kitsch, "Ich liebe Dich"s auf jeder zweiten Seite und keinem einzigen Widerstand über, der mich des Öfteren mal die Augen hat verdrehen lassen.

Man könnte auch argumentieren, dass man sich durch die Abwesenheit anderer Probleme ganz auf die beiden Protagonisten und ihre Beziehung zueinander, die sich langsam von Freundschaft über prickelnde Anziehungskraft in Richtung Liebe wandelt, konzentrieren kann. Aber auch aus diesem Fokus hat die Autorin meiner Meinung nach zu wenig gemacht. Zwar liest sich die Geschichte, als hätte sich April Dawson alle Mühe gegeben, die Klischees und unseren gewonnenen Eindruck aus den anderen Bänden zu widerlegen - aus dem Partylöwen und Playboy Zayn wird ein sensibler Schriftsteller und aus der schüchternen, zurückhaltenden Grace wird eine kesse, modische Power-Frau. Doch obwohl beide sympathischer und vielseitiger sind, als sie auf den ersten Blick erscheinen, blieben sie für meinen Geschmack ein wenig zu farblos. Und genau das würde ich als das Hauptproblem des Romans bezeichnen: hier bleibt alles zu farblos, zu flach, zu bekannt und zu harmlos. April Dawson schreibt im Nachwort zum Buch, dass sie Schwierigkeiten hatte, die Geschichte zu beenden und bedauerlicherweise merkt man das auch an allen möglichen Ecken und Enden. Hier fehlen mir Esprit, Frische und Kreativität - einfach das gewisse Etwas, das einen Roman anziehend, spannend und interessant macht.

Doch auch wenn mir die Konzeption nicht wirklich gut gefallen hat, hier keine revolutionären neuen Ideen und Handlungskonzepte vorgestellt werden und die Geschichte im Friede-Freude-Eierkuchen-Mittelteil kurzzeitig meine Aufmerksamkeit verloren hat, liest sich der dargestellte WG-Alltag mal wieder flott und spritzig. Auch das Wiedersehen mit Dan, Taylor, Addy und all den anderen hat mir sehr über ein paar Durststrecken hinweg geholfen. Die verrückte Chaos-WG ist mir trotz meiner Kritik sehr ans Herz gewachsen und zu sehen, wie jeder seinen Weg und die große Liebe findet, war wirklich toll. Und trotz dass dieser verrückte Haufen manchmal deutlich jünger wirkte als 30 und ab und zu mal für einen "Echt jetzt?"-Moment sorgte, habe ich mich in ihrer Mitte sehr wohl gefühlt und wäre sofort eingezogen. Dazu trug auch der lockere Schreibstil von April Dawson bei, der immer wieder genügend Humor und Witz mit einfließen lässt, um über Wiederholungen, Längen und die Verwendung von teilweise echt seltsamen Redewendungen und Formulierungen hinwegzutäuschen, die mich ein ums andere Mal verwirrt haben. Und bevor ihr nachschaut - nein, das liegt nicht an der Übersetzung, die Autorin kommt aus Österreich.

Leider kann ich meine Rezension und auch das Buch nicht mit diesem positiven Eindruck beenden. Denn als ich dann schon glaubte, die Autorin lässt die Geschichte gemütlich auf ihr Happy End zutreiben und verzichtet auf ein unnötiges, an den Haaren herbeigezogenes Drama, bevor sie die Protagonisten in ihr wohlverdientes, glitzerndes Und-so-lebten-sie-glücklich-und-zufrieden-bis-an-ihr-Lebensende-Ende schickt, knallt April Dawson uns noch ein total unnötiger Prä-Happy-End-Tiefpunkt um die Ohren, bei dem ich fast vor Frust das Buch an die Wand geschmissen hätte. Die beiden Protagonisten handeln in meinen Augen völlig unglaubwürdig, die Komplikationen wirken konstruiert und wie um das zu überspielen wechselt die Autorin mal schnell das Setting, bevor sie wieder alles in eine Glitzerwolke packt. Als krönender Abschluss folgt dann ein mehrteiliger Prolog aus der Sicht von Daniel, Tylor und Addison, der für Fans der Reihe zwar ein schöner Abschluss ist, aber für mich eindeutig zu tief aus der Kitsch-Kiste gegriffen war.

Auch wenn für eine richtig gute Bewertung in dieser Rezension viel zu oft die Beschreibung "ganz nett" vorkommt, bin ich doch noch gespannt auf den zweiten Teil über Addison und den heißen Nachbarn Drake vom Hottie-Dienstag, der von vielen als der beste Teil der Reihe bezeichnet wurde. Da mir dieser Band noch fehlt, werde ich vielleicht mal noch reinlesen, wenn sich die Gelegenheit ergibt.



Fazit:


"More Than This" ist leider nur mäßig spannend, sehr vorhersehbar, zu farblos und voll mit YA-Klischees - trotz dass die Nebencharaktere und der Schreibstil die Geschichte zu einer netten Abwechslung für Zwischendurch machen, ist sie für mich klar der schlechteste Teil der Reihe.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.04.2020

Viele tolle Ideen stehen offensichtlichen Mängeln gegenüber... schade!

His Dark Materials 3: Das Bernstein-Teleskop
0

Puh, wo fange ich hier bloß an... So sicher ich mir bei der Bewertung der ersten beiden Bände der "His Dark Material"-Reihe von Philip Pullman war (nämlich, dass ich sie nicht besonders mochte), so zwiegespalten ...

Puh, wo fange ich hier bloß an... So sicher ich mir bei der Bewertung der ersten beiden Bände der "His Dark Material"-Reihe von Philip Pullman war (nämlich, dass ich sie nicht besonders mochte), so zwiegespalten bin ich angesichts dieses Finalbands. Wo mir "Der goldene Kompass" zu langweilig war und mir in "Das magische Messer" zu viel passiert, ist in "Das Bernstein-Teleskop" seltsamerweise beides gleichzeitig der Fall: hier treffen detaillierte Weltbeschreibungen auf schnell abgefrühstückte Schlachten, originelle Ideen verpuffen an angestaubter Ideologie und mutige Vorstöße lassen die viel zu oberflächliche Auflösung noch viel unbefriedigender erscheinen. So viele tolle Ideen stehen hier offensichtlichen Mängeln gegenüber, sodass dieser Finalband zugleich mein Lieblingsteil, aber auch klar der schwächste Band der Reihe darstellt.


Doch bevor ich das weiter ausführe, noch ein paar Worte zum Cover. Meine Ausgabe ist Teil eines Dreier-Schubers aus dem Hause Carlsen, der genau wie die andern beiden Bände in dunklem Nachthimmel-Blau mit hellen Sternensprenkeln gehalten ist und ein Motiv zeigt. Auf dem ersten Teil ist die Protagonistin Lyra zusehen, die auf einem Eisbären reitet und auf dem zweiten sieht man einen Jungen, der vermutlich den neuen Protagonisten Will darstellen soll, neben einem Messer. Wer die Person auf dem dritten und letzten Teil darstellen soll und warum hier ein Falke abgebildet ist, erschließt sich mir aber nicht ganz. Das Bernstein-Teleskop oder auch die Libelle der anderen Ausgaben gefallen mir deutlich besser, auch da hier doch alles "Kinderbuch" schreit. Weshalb diese Klassifizierung auf jeden Fall fragwürdig ist, habe ich in meinen Rezensionen zu den anderen beiden Bänden (HIER!) schon erläutert. Auch wenn das junge Alter darauf hindeutet, dass wir es hier mit einem Kinderbuch zu tun haben - ungeschönte Gewalt, blutige Kämpfe, sterbende Protagonisten, mordlustige Kindermobs, grausame Menschenversuche, herumliegende Leichen, abgetrennte Gliedmaßen, Folter, Entführungen, Morde, harter Überlebenskampf und philosophische Ausführungen sprechen eine ganz andere Sprache. In diesem Finalband verwischen die Grenzen mehr denn je und so stellt sich die Frage, was Philip Pullman hier schreiben wollte: ein Kinderbuch, ein Jugendabenteuer oder ein Fantasy-Epos für Erwachsene? Leider ist er aus meiner Sicht in allem drei gescheitert: "Das Bernstein-Teleskop" ist wie seine Vorgänger für ein Kinderbuch zu brutal, für ein Jugendbuch zu kindlich-naiv, kann sich aber auch nicht mit etablierten Fantasy-Klassikern messen...

In der Gestaltung aufgefallen ist mir auch, dass die Kapitelanfänge hier nicht mehr von einer Zeichnung des zentralen Motivs (goldener Kompass, magisches Messer oder Bernstein-Teleskop) geziert werden, sondern von einem passenden Zitat eingeleitet werden. Diese sind vorrangig aus der Bibel, von John Milton oder William Blake, was ein erster Hinweis auf die Richtung der großen Auflösung am Ende geben könnte Eine weitere Auffälligkeit sind die angerissenen Gedankenstrom-artigen Dialogfetzen in Kursivschrift, die an den Enden der ersten Kapiteln Lyras Träume während ihres durch Mrs Coulters in Gefangenschaft verursachten Schlafs ergeben. Bis ich jedoch verstanden habe, dass die kurzen Szenen keine Druckfehler sind, sondern nacheinander gelesen einen zusammenhängenden Dialog wiedergeben, hat es einige Kapitel gebraucht. Zu dieser Verwirrung beigetragen könnte auch haben, dass ich für die ersten 200 Seiten Ewigkeiten gebraucht habe, da der Beginn sich sogar noch schleppender hinzieht als der Auftakt der Reihe (was eine wirkliche Leistung ist, da ich schon geneigt war, dem Beginn von "Der goldene Kompass" einen Orden für den langatmigsten Einstieg aller Zeiten zu verleihen...). Nach dem überstürzten Ende von "Das magische Messer" wird Lyra von ihrer Mutter in einer abgelegenen Höhle gefangen gehalten und ist zum Schlafen gezwungen. Will reist in Begleitung zweier Engel durch Landschaft und Welten, um sie zu finden und hat bis auf ein Treffen mit Iorek Byrnison nichts Aufregendes zu erzählen. Letzterer sucht mit seinen Bären einen neues Ort zum Leben, da die Arktis immer mehr schmilzt (kleiner Seitenhieb auf den Klimawandel übrigens ^^). Auch was die Hexe Serafina Pekkala, Lord Asriel, verschiedene Behörden der Kirche, Polarfüchse und Klippenalben so treiben, erfahren wir ausführlich im ersten Drittel der Geschichte. Dass Mary Malones Entdeckung einer fremden Welt voller intelligenter Antilope-Elefanten-Kreuzungen auf Rädern und das langsam voranschreitende gegenseitige Kennenlernen und Anfreunden beider Lebewesen bald der mit Abstand spannendste Handlungsstrang ist, sagt denke ich alles, was man über den Beginn des großen Finales wissen muss

Genauso unkonventionell und wenig zufriedenstellend wie der Beginn ist das Ende des Buches. Da sich im Laufe der Geschichte eine ordentliche Menge an Fragen, Anspielungen, Geheimnisse und spannender Protagonisten mit irgendwelchen Bestimmungen und Ziele häufen, hatte ich erwartet, eine umfassende Auflösung zu bekommen, die alle rätselhafte Einzelteile der Geschichte geschickt verbindet und endlich Ordnung in die verworrene Handlung bringt. Statt des typischen Show-Downs erhalten wir einen sehr unübersichtlichen Kampf, in der ohne großes Federlesen etwa die Hälfte der wichtigen Protagonisten sterben und von dessen Verlauf und Ausgang wir außer einem zehnseitigen (!!!!) Ausschnitt nichts mitbekommen, und welcher dann in einen langsamen Ausklang mündet, der aber das Versprechen auf eine große Zusammenführung aller Fäden und Lüftung der Geheimnisse nicht einhalten kann.
Insgesamt bleiben ganze Handlungsstränge nur angerissen oder unaufgelöst und es wirkt leider so, als hätte sich der Autor am Ende stark im Zeitplan verzettelt, sodass er den Rest der Geschichte nach 600 Seiten weiteren Rätseln in die verbliebenen 8 quetschen musste. Die Löcher in der Handlung sind beizeiten so groß, dass ein ganzes Schiff hindurchpasst (zum Beispiel das der Gypter, die mit diesem plötzlich in einer bislang unbekannten Welt auftauchen), die Fragezeichen so gewaltig, dass man kein besonderes Teleskop braucht, um sie zu sehen (anders als den Staub, von dem lange keiner wusste, was er darstellt und den plötzlich alle sehen können...), den Ausgang der alles entscheidenden Schlacht erfahren wir nie und die große Prophezeiung auf die sich alles stützt (der Sündenfall - meine eigene an den Haaren herbeigezogene Interpretation dazu findet ihr am Ende meiner Rezension ) kommt am Ende nicht mal mehr vor. Das Geheimnis des Staubs wird zwar teilweise gelüftet, alles um die "dark materials" bleibt jedoch für die vielen Andeutungen und angeblichen Erkenntnisse der Protagonisten zu schwammig. Auch etliche weitere Anspielungen wie zum Beispiel Marys Rolle als "Verführerin", als "Schlange" oder Lyras Bestimmung als neue "Eva" und die Konsequenzen der Seelenwanderung - fast alles, worauf ich gespannt gewartet habe, verläuft zugunsten einer überhasteten und meiner Meinung nach völlig unpassenden Liebesgeschichte zwischen Will und Lyra auf den letzten Seiten im Nichts.

Ja und alles zwischen dem laaaaaangweiligen Anfang und dem wirklich unbefriedigenden Ende war … episch, spannend, vielseitig und definitiv originell, was mich zu meinem in der Einleitung erwähnten Zwiespalt führt. Philip Pullman schreibt von winzigen Menschen mit kurzer Lebensdauer, giftigen Sporen und wütendem Stolz, die auf Libellen reiten und die besten Spione sind. Er denkt sich etliche Parallelwelten aus, von denen einige unserer sehr ähnlich und andere eher fremdartig erscheinen, die aber alle nach den bekannten Theorien von Evolution und Quantenphysik zusammenpassen. Er stellt uns sogar eine neue intelligente Lebensform mit rautenförmigem Skelett, Hörnern, sensiblen Rüsseln und einer Symbiose mit großen Bäumen, deren Samenkapseln sie als Räder verwenden und durch die Prärie düsen, vor (wie kreativ muss man bitte sein, um sich eine Spezies wie die Mulefas auszudenken?!?). Und er stellt sich mutig Fragen wie "Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Was passiert wenn wir sterben? Gibt es einen Gott und wenn ja, wer oder was ist Gott? Was ist der Himmel?". Genau an den Stellen, an denen, an denen andere Fantasy-Romane häufig ungenau werden oder mit großen Gesten ausfaden, setzt er, statt sich schwammig aus der Affäre zu ziehen, zu ausschweifenden Erklärungen an und schickt seine Protagonisten in die Welt der Toten, lässt uns den Tod des Allmächtigen miterleben und klärt das Geheimnis unseres Bewusstseins auf...


Doch auch der Mittelteil ist nicht nur gut - die Kehrseite zu diesen mutigen Thesen und Themen ist nämlich, dass sie meiner Meinung nach in einer Fantasy-Geschichte dieses Formats völlig fehl am Platz sind. Das Ende strotzt nur noch so vor verpackter Lebensphilosophie und überzogener (und bei genauem Nachdenken auch geklauter) "Gott ist tot"-Kirchen-Kritik, sodass der Autor sich hier immer weiter vom Ursprung - einem Kinder-Abenteuer-Fantasy-Buch - wegbewegt. Auch dass seine Protagonisten über Nacht zu Erwachsenen werden, ist keine besonders erfreuliche Entwicklung, die man dem Autor nicht ganz abnimmt. Neben all der tollen neuen Entwicklungen und Ideen kam bei mir immer wieder die Frage auf, warum der Autor dies und jenes nicht schon vorher angebracht oder eingeführt hat. Ein Beispiel: Marys Geschichte (damit meine ich nicht ihr Aufenthalt bei den Mulefas, der zwar überdimensional langgestreckt war, mir aber sehr zugesagt hat, sondern ihre Lebensgeschichte) wird auf den aller letzten Seiten erzählt, wodurch sie sich für mich erst sehr spät profiliert hat. Und so ist es mit vielen Aspekten: etliche Zusammenhänge, Erklärungen, Treffen und Dialoge hätte ich mir zu einem früheren Zeitpunkt der Geschichte gewünscht und wirken mitten im Finale etwas fehl am Platz.

Dass ich es aber trotzdem ohne größere Leseflauten durch die 608 Seiten geschafft habe, habe ich vor allem Philip Pullmans Schreibstil zu verdanken, der für einen Fantasy-Roman überraschend kurz gehalten ist. Es lassen sich kaum ausschweifende Beschreibungen und Erklärungen finden, stattdessen dominieren kurze und prägnante Szenen das Bild. Leider passieren dadurch aber immer wieder viele Dinge gleichzeitig und gerade bei actionreichen Schlüsselszenen kommt es immer wieder vor, dass sich Perspektiven überlappen wie die dargestellten Welten und man ein wenig den Überblick verliert. Zeitweise wirkt die Erzählung wie ein verschickter Fiebertraum, nur um danach wieder auf geregelte Bahnen zu kommen. Immer wieder tauchen wieder sehr berührende und herzergreifende Szenen auf, die danach von schwülstigem Philosophieren und abgedroschenem Kitsch abgelöst werden. Tod, Mord und Hass wechseln sich mit kindlicher Naivität ab und mal wird zur großen High-Fantasy-Schlacht geblasen, nur um dann auf wenigen Seiten alle Probleme zu lösen. Ich habe das Gefühl, dass der Autor selbst nicht genau wusste, was für eine Art Geschichte er hier schreiben will, und somit ist der Leser bei all den vielen Übergängen und Facetten zunehmend überfordert und überfragt, in welche Schublade man diese Geschichte nun packen soll. Im Endeffekt muss ich feststellen, dass keine der bekannten Schubladen und Labels so wirklich passt. Und trotz dass das eigentlich eine großartige Leistung ist, würde auf Philip Pullmans ganz persönlicher Schublade neben "mal was Anderes" auch "aber für mich definitiv zu verrückt" stehen.



Fazit:


Episch, spannend, vielseitig und definitiv originell. aber trotzdem zu verworren, zäh und undurchschaubar, um mich wirklich überzeugen zu können. So bleibt die ganze Reihe für mich nur eine Ansammlung spannender Ideen, die insgesamt aber viel zu viele Schwächen hat, um sich den 1300 Seiten "His Dark Materials" zu stellen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.04.2020

Viele tolle Ideen stehen hier offensichtlichen Mängeln gegenüber ... schade!

His Dark Materials 3: Das Bernstein-Teleskop
0

Puh, wo fange ich hier bloß an... So sicher ich mir bei der Bewertung der ersten beiden Bände der "His Dark Material"-Reihe von Philip Pullman war (nämlich, dass ich sie nicht besonders mochte), so zwiegespalten ...

Puh, wo fange ich hier bloß an... So sicher ich mir bei der Bewertung der ersten beiden Bände der "His Dark Material"-Reihe von Philip Pullman war (nämlich, dass ich sie nicht besonders mochte), so zwiegespalten bin ich angesichts dieses Finalbands. Wo mir "Der goldene Kompass" zu langweilig war und mir in "Das magische Messer" zu viel passiert, ist in "Das Bernstein-Teleskop" seltsamerweise beides gleichzeitig der Fall: hier treffen detaillierte Weltbeschreibungen auf schnell abgefrühstückte Schlachten, originelle Ideen verpuffen an angestaubter Ideologie und mutige Vorstöße lassen die viel zu oberflächliche Auflösung noch viel unbefriedigender erscheinen. So viele tolle Ideen stehen hier offensichtlichen Mängeln gegenüber, sodass dieser Finalband zugleich mein Lieblingsteil, aber auch klar der schwächste Band der Reihe darstellt.


Doch bevor ich das weiter ausführe, noch ein paar Worte zum Cover. Meine Ausgabe ist Teil eines Dreier-Schubers aus dem Hause Carlsen, der genau wie die andern beiden Bände in dunklem Nachthimmel-Blau mit hellen Sternensprenkeln gehalten ist und ein Motiv zeigt. Auf dem ersten Teil ist die Protagonistin Lyra zusehen, die auf einem Eisbären reitet und auf dem zweiten sieht man einen Jungen, der vermutlich den neuen Protagonisten Will darstellen soll, neben einem Messer. Wer die Person auf dem dritten und letzten Teil darstellen soll und warum hier ein Falke abgebildet ist, erschließt sich mir aber nicht ganz. Das Bernstein-Teleskop oder auch die Libelle der anderen Ausgaben gefallen mir deutlich besser, auch da hier doch alles "Kinderbuch" schreit. Weshalb diese Klassifizierung auf jeden Fall fragwürdig ist, habe ich in meinen Rezensionen zu den anderen beiden Bänden (HIER!) schon erläutert. Auch wenn das junge Alter darauf hindeutet, dass wir es hier mit einem Kinderbuch zu tun haben - ungeschönte Gewalt, blutige Kämpfe, sterbende Protagonisten, mordlustige Kindermobs, grausame Menschenversuche, herumliegende Leichen, abgetrennte Gliedmaßen, Folter, Entführungen, Morde, harter Überlebenskampf und philosophische Ausführungen sprechen eine ganz andere Sprache. In diesem Finalband verwischen die Grenzen mehr denn je und so stellt sich die Frage, was Philip Pullman hier schreiben wollte: ein Kinderbuch, ein Jugendabenteuer oder ein Fantasy-Epos für Erwachsene? Leider ist er aus meiner Sicht in allem drei gescheitert: "Das Bernstein-Teleskop" ist wie seine Vorgänger für ein Kinderbuch zu brutal, für ein Jugendbuch zu kindlich-naiv, kann sich aber auch nicht mit etablierten Fantasy-Klassikern messen...

In der Gestaltung aufgefallen ist mir auch, dass die Kapitelanfänge hier nicht mehr von einer Zeichnung des zentralen Motivs (goldener Kompass, magisches Messer oder Bernstein-Teleskop) geziert werden, sondern von einem passenden Zitat eingeleitet werden. Diese sind vorrangig aus der Bibel, von John Milton oder William Blake, was ein erster Hinweis auf die Richtung der großen Auflösung am Ende geben könnte Eine weitere Auffälligkeit sind die angerissenen Gedankenstrom-artigen Dialogfetzen in Kursivschrift, die an den Enden der ersten Kapiteln Lyras Träume während ihres durch Mrs Coulters in Gefangenschaft verursachten Schlafs ergeben. Bis ich jedoch verstanden habe, dass die kurzen Szenen keine Druckfehler sind, sondern nacheinander gelesen einen zusammenhängenden Dialog wiedergeben, hat es einige Kapitel gebraucht. Zu dieser Verwirrung beigetragen könnte auch haben, dass ich für die ersten 200 Seiten Ewigkeiten gebraucht habe, da der Beginn sich sogar noch schleppender hinzieht als der Auftakt der Reihe (was eine wirkliche Leistung ist, da ich schon geneigt war, dem Beginn von "Der goldene Kompass" einen Orden für den langatmigsten Einstieg aller Zeiten zu verleihen...). Nach dem überstürzten Ende von "Das magische Messer" wird Lyra von ihrer Mutter in einer abgelegenen Höhle gefangen gehalten und ist zum Schlafen gezwungen. Will reist in Begleitung zweier Engel durch Landschaft und Welten, um sie zu finden und hat bis auf ein Treffen mit Iorek Byrnison nichts Aufregendes zu erzählen. Letzterer sucht mit seinen Bären einen neues Ort zum Leben, da die Arktis immer mehr schmilzt (kleiner Seitenhieb auf den Klimawandel übrigens ^^). Auch was die Hexe Serafina Pekkala, Lord Asriel, verschiedene Behörden der Kirche, Polarfüchse und Klippenalben so treiben, erfahren wir ausführlich im ersten Drittel der Geschichte. Dass Mary Malones Entdeckung einer fremden Welt voller intelligenter Antilope-Elefanten-Kreuzungen auf Rädern und das langsam voranschreitende gegenseitige Kennenlernen und Anfreunden beider Lebewesen bald der mit Abstand spannendste Handlungsstrang ist, sagt denke ich alles, was man über den Beginn des großen Finales wissen muss

Genauso unkonventionell und wenig zufriedenstellend wie der Beginn ist das Ende des Buches. Da sich im Laufe der Geschichte eine ordentliche Menge an Fragen, Anspielungen, Geheimnisse und spannender Protagonisten mit irgendwelchen Bestimmungen und Ziele häufen, hatte ich erwartet, eine umfassende Auflösung zu bekommen, die alle rätselhafte Einzelteile der Geschichte geschickt verbindet und endlich Ordnung in die verworrene Handlung bringt. Statt des typischen Show-Downs erhalten wir einen sehr unübersichtlichen Kampf, in der ohne großes Federlesen etwa die Hälfte der wichtigen Protagonisten sterben und von dessen Verlauf und Ausgang wir außer einem zehnseitigen (!!!!) Ausschnitt nichts mitbekommen, und welcher dann in einen langsamen Ausklang mündet, der aber das Versprechen auf eine große Zusammenführung aller Fäden und Lüftung der Geheimnisse nicht einhalten kann.
Insgesamt bleiben ganze Handlungsstränge nur angerissen oder unaufgelöst und es wirkt leider so, als hätte sich der Autor am Ende stark im Zeitplan verzettelt, sodass er den Rest der Geschichte nach 600 Seiten weiteren Rätseln in die verbliebenen 8 quetschen musste. Die Löcher in der Handlung sind beizeiten so groß, dass ein ganzes Schiff hindurchpasst (zum Beispiel das der Gypter, die mit diesem plötzlich in einer bislang unbekannten Welt auftauchen), die Fragezeichen so gewaltig, dass man kein besonderes Teleskop braucht, um sie zu sehen (anders als den Staub, von dem lange keiner wusste, was er darstellt und den plötzlich alle sehen können...), den Ausgang der alles entscheidenden Schlacht erfahren wir nie und die große Prophezeiung auf die sich alles stützt (der Sündenfall - meine eigene an den Haaren herbeigezogene Interpretation dazu findet ihr am Ende meiner Rezension ) kommt am Ende nicht mal mehr vor. Das Geheimnis des Staubs wird zwar teilweise gelüftet, alles um die "dark materials" bleibt jedoch für die vielen Andeutungen und angeblichen Erkenntnisse der Protagonisten zu schwammig. Auch etliche weitere Anspielungen wie zum Beispiel Marys Rolle als "Verführerin", als "Schlange" oder Lyras Bestimmung als neue "Eva" und die Konsequenzen der Seelenwanderung - fast alles, worauf ich gespannt gewartet habe, verläuft zugunsten einer überhasteten und meiner Meinung nach völlig unpassenden Liebesgeschichte zwischen Will und Lyra auf den letzten Seiten im Nichts.

Ja und alles zwischen dem laaaaaangweiligen Anfang und dem wirklich unbefriedigenden Ende war … episch, spannend, vielseitig und definitiv originell, was mich zu meinem in der Einleitung erwähnten Zwiespalt führt. Philip Pullman schreibt von winzigen Menschen mit kurzer Lebensdauer, giftigen Sporen und wütendem Stolz, die auf Libellen reiten und die besten Spione sind. Er denkt sich etliche Parallelwelten aus, von denen einige unserer sehr ähnlich und andere eher fremdartig erscheinen, die aber alle nach den bekannten Theorien von Evolution und Quantenphysik zusammenpassen. Er stellt uns sogar eine neue intelligente Lebensform mit rautenförmigem Skelett, Hörnern, sensiblen Rüsseln und einer Symbiose mit großen Bäumen, deren Samenkapseln sie als Räder verwenden und durch die Prärie düsen, vor (wie kreativ muss man bitte sein, um sich eine Spezies wie die Mulefas auszudenken?!?). Und er stellt sich mutig Fragen wie "Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Was passiert wenn wir sterben? Gibt es einen Gott und wenn ja, wer oder was ist Gott? Was ist der Himmel?". Genau an den Stellen, an denen, an denen andere Fantasy-Romane häufig ungenau werden oder mit großen Gesten ausfaden, setzt er, statt sich schwammig aus der Affäre zu ziehen, zu ausschweifenden Erklärungen an und schickt seine Protagonisten in die Welt der Toten, lässt uns den Tod des Allmächtigen miterleben und klärt das Geheimnis unseres Bewusstseins auf...


Doch auch der Mittelteil ist nicht nur gut - die Kehrseite zu diesen mutigen Thesen und Themen ist nämlich, dass sie meiner Meinung nach in einer Fantasy-Geschichte dieses Formats völlig fehl am Platz sind. Das Ende strotzt nur noch so vor verpackter Lebensphilosophie und überzogener (und bei genauem Nachdenken auch geklauter) "Gott ist tot"-Kirchen-Kritik, sodass der Autor sich hier immer weiter vom Ursprung - einem Kinder-Abenteuer-Fantasy-Buch - wegbewegt. Auch dass seine Protagonisten über Nacht zu Erwachsenen werden, ist keine besonders erfreuliche Entwicklung, die man dem Autor nicht ganz abnimmt. Neben all der tollen neuen Entwicklungen und Ideen kam bei mir immer wieder die Frage auf, warum der Autor dies und jenes nicht schon vorher angebracht oder eingeführt hat. Ein Beispiel: Marys Geschichte (damit meine ich nicht ihr Aufenthalt bei den Mulefas, der zwar überdimensional langgestreckt war, mir aber sehr zugesagt hat, sondern ihre Lebensgeschichte) wird auf den aller letzten Seiten erzählt, wodurch sie sich für mich erst sehr spät profiliert hat. Und so ist es mit vielen Aspekten: etliche Zusammenhänge, Erklärungen, Treffen und Dialoge hätte ich mir zu einem früheren Zeitpunkt der Geschichte gewünscht und wirken mitten im Finale etwas fehl am Platz.

Dass ich es aber trotzdem ohne größere Leseflauten durch die 608 Seiten geschafft habe, habe ich vor allem Philip Pullmans Schreibstil zu verdanken, der für einen Fantasy-Roman überraschend kurz gehalten ist. Es lassen sich kaum ausschweifende Beschreibungen und Erklärungen finden, stattdessen dominieren kurze und prägnante Szenen das Bild. Leider passieren dadurch aber immer wieder viele Dinge gleichzeitig und gerade bei actionreichen Schlüsselszenen kommt es immer wieder vor, dass sich Perspektiven überlappen wie die dargestellten Welten und man ein wenig den Überblick verliert. Zeitweise wirkt die Erzählung wie ein verschickter Fiebertraum, nur um danach wieder auf geregelte Bahnen zu kommen. Immer wieder tauchen wieder sehr berührende und herzergreifende Szenen auf, die danach von schwülstigem Philosophieren und abgedroschenem Kitsch abgelöst werden. Tod, Mord und Hass wechseln sich mit kindlicher Naivität ab und mal wird zur großen High-Fantasy-Schlacht geblasen, nur um dann auf wenigen Seiten alle Probleme zu lösen. Ich habe das Gefühl, dass der Autor selbst nicht genau wusste, was für eine Art Geschichte er hier schreiben will, und somit ist der Leser bei all den vielen Übergängen und Facetten zunehmend überfordert und überfragt, in welche Schublade man diese Geschichte nun packen soll. Im Endeffekt muss ich feststellen, dass keine der bekannten Schubladen und Labels so wirklich passt. Und trotz dass das eigentlich eine großartige Leistung ist, würde auf Philip Pullmans ganz persönlicher Schublade neben "mal was Anderes" auch "aber für mich definitiv zu verrückt" stehen.



Fazit:


Episch, spannend, vielseitig und definitiv originell. aber trotzdem zu verworren, zäh und undurchschaubar, um mich wirklich überzeugen zu können. So bleibt die ganze Reihe für mich nur eine Ansammlung spannender Ideen, die insgesamt aber viel zu viele Schwächen hat, um sich den 1300 Seiten "His Dark Materials" zu stellen.

Veröffentlicht am 30.04.2020

Viele tolle Ideen stehen hier offensichtlichen Mängeln gegenüber... schade!

His Dark Materials 3: Das Bernstein-Teleskop
0

Puh, wo fange ich hier bloß an... So sicher ich mir bei der Bewertung der ersten beiden Bände der "His Dark Material"-Reihe von Philip Pullman war (nämlich, dass ich sie nicht besonders mochte), so zwiegespalten ...

Puh, wo fange ich hier bloß an... So sicher ich mir bei der Bewertung der ersten beiden Bände der "His Dark Material"-Reihe von Philip Pullman war (nämlich, dass ich sie nicht besonders mochte), so zwiegespalten bin ich angesichts dieses Finalbands. Wo mir "Der goldene Kompass" zu langweilig war und mir in "Das magische Messer" zu viel passiert, ist in "Das Bernstein-Teleskop" seltsamerweise beides gleichzeitig der Fall: hier treffen detaillierte Weltbeschreibungen auf schnell abgefrühstückte Schlachten, originelle Ideen verpuffen an angestaubter Ideologie und mutige Vorstöße lassen die viel zu oberflächliche Auflösung noch viel unbefriedigender erscheinen. So viele tolle Ideen stehen hier offensichtlichen Mängeln gegenüber, sodass dieser Finalband zugleich mein Lieblingsteil, aber auch klar der schwächste Band der Reihe darstellt.


Doch bevor ich das weiter ausführe, noch ein paar Worte zum Cover. Meine Ausgabe ist Teil eines Dreier-Schubers aus dem Hause Carlsen, der genau wie die andern beiden Bände in dunklem Nachthimmel-Blau mit hellen Sternensprenkeln gehalten ist und ein Motiv zeigt. Auf dem ersten Teil ist die Protagonistin Lyra zusehen, die auf einem Eisbären reitet und auf dem zweiten sieht man einen Jungen, der vermutlich den neuen Protagonisten Will darstellen soll, neben einem Messer. Wer die Person auf dem dritten und letzten Teil darstellen soll und warum hier ein Falke abgebildet ist, erschließt sich mir aber nicht ganz. Das Bernstein-Teleskop oder auch die Libelle der anderen Ausgaben gefallen mir deutlich besser, auch da hier doch alles "Kinderbuch" schreit. Weshalb diese Klassifizierung auf jeden Fall fragwürdig ist, habe ich in meinen Rezensionen zu den anderen beiden Bänden (HIER!) schon erläutert. Auch wenn das junge Alter darauf hindeutet, dass wir es hier mit einem Kinderbuch zu tun haben - ungeschönte Gewalt, blutige Kämpfe, sterbende Protagonisten, mordlustige Kindermobs, grausame Menschenversuche, herumliegende Leichen, abgetrennte Gliedmaßen, Folter, Entführungen, Morde, harter Überlebenskampf und philosophische Ausführungen sprechen eine ganz andere Sprache. In diesem Finalband verwischen die Grenzen mehr denn je und so stellt sich die Frage, was Philip Pullman hier schreiben wollte: ein Kinderbuch, ein Jugendabenteuer oder ein Fantasy-Epos für Erwachsene? Leider ist er aus meiner Sicht in allem drei gescheitert: "Das Bernstein-Teleskop" ist wie seine Vorgänger für ein Kinderbuch zu brutal, für ein Jugendbuch zu kindlich-naiv, kann sich aber auch nicht mit etablierten Fantasy-Klassikern messen...

In der Gestaltung aufgefallen ist mir auch, dass die Kapitelanfänge hier nicht mehr von einer Zeichnung des zentralen Motivs (goldener Kompass, magisches Messer oder Bernstein-Teleskop) geziert werden, sondern von einem passenden Zitat eingeleitet werden. Diese sind vorrangig aus der Bibel, von John Milton oder William Blake, was ein erster Hinweis auf die Richtung der großen Auflösung am Ende geben könnte Eine weitere Auffälligkeit sind die angerissenen Gedankenstrom-artigen Dialogfetzen in Kursivschrift, die an den Enden der ersten Kapiteln Lyras Träume während ihres durch Mrs Coulters in Gefangenschaft verursachten Schlafs ergeben. Bis ich jedoch verstanden habe, dass die kurzen Szenen keine Druckfehler sind, sondern nacheinander gelesen einen zusammenhängenden Dialog wiedergeben, hat es einige Kapitel gebraucht. Zu dieser Verwirrung beigetragen könnte auch haben, dass ich für die ersten 200 Seiten Ewigkeiten gebraucht habe, da der Beginn sich sogar noch schleppender hinzieht als der Auftakt der Reihe (was eine wirkliche Leistung ist, da ich schon geneigt war, dem Beginn von "Der goldene Kompass" einen Orden für den langatmigsten Einstieg aller Zeiten zu verleihen...). Nach dem überstürzten Ende von "Das magische Messer" wird Lyra von ihrer Mutter in einer abgelegenen Höhle gefangen gehalten und ist zum Schlafen gezwungen. Will reist in Begleitung zweier Engel durch Landschaft und Welten, um sie zu finden und hat bis auf ein Treffen mit Iorek Byrnison nichts Aufregendes zu erzählen. Letzterer sucht mit seinen Bären einen neues Ort zum Leben, da die Arktis immer mehr schmilzt (kleiner Seitenhieb auf den Klimawandel übrigens ^^). Auch was die Hexe Serafina Pekkala, Lord Asriel, verschiedene Behörden der Kirche, Polarfüchse und Klippenalben so treiben, erfahren wir ausführlich im ersten Drittel der Geschichte. Dass Mary Malones Entdeckung einer fremden Welt voller intelligenter Antilope-Elefanten-Kreuzungen auf Rädern und das langsam voranschreitende gegenseitige Kennenlernen und Anfreunden beider Lebewesen bald der mit Abstand spannendste Handlungsstrang ist, sagt denke ich alles, was man über den Beginn des großen Finales wissen muss

Genauso unkonventionell und wenig zufriedenstellend wie der Beginn ist das Ende des Buches. Da sich im Laufe der Geschichte eine ordentliche Menge an Fragen, Anspielungen, Geheimnisse und spannender Protagonisten mit irgendwelchen Bestimmungen und Ziele häufen, hatte ich erwartet, eine umfassende Auflösung zu bekommen, die alle rätselhafte Einzelteile der Geschichte geschickt verbindet und endlich Ordnung in die verworrene Handlung bringt. Statt des typischen Show-Downs erhalten wir einen sehr unübersichtlichen Kampf, in der ohne großes Federlesen etwa die Hälfte der wichtigen Protagonisten sterben und von dessen Verlauf und Ausgang wir außer einem zehnseitigen (!!!!) Ausschnitt nichts mitbekommen, und welcher dann in einen langsamen Ausklang mündet, der aber das Versprechen auf eine große Zusammenführung aller Fäden und Lüftung der Geheimnisse nicht einhalten kann.
Insgesamt bleiben ganze Handlungsstränge nur angerissen oder unaufgelöst und es wirkt leider so, als hätte sich der Autor am Ende stark im Zeitplan verzettelt, sodass er den Rest der Geschichte nach 600 Seiten weiteren Rätseln in die verbliebenen 8 quetschen musste. Die Löcher in der Handlung sind beizeiten so groß, dass ein ganzes Schiff hindurchpasst (zum Beispiel das der Gypter, die mit diesem plötzlich in einer bislang unbekannten Welt auftauchen), die Fragezeichen so gewaltig, dass man kein besonderes Teleskop braucht, um sie zu sehen (anders als den Staub, von dem lange keiner wusste, was er darstellt und den plötzlich alle sehen können...), den Ausgang der alles entscheidenden Schlacht erfahren wir nie und die große Prophezeiung auf die sich alles stützt (der Sündenfall - meine eigene an den Haaren herbeigezogene Interpretation dazu findet ihr am Ende meiner Rezension ) kommt am Ende nicht mal mehr vor. Das Geheimnis des Staubs wird zwar teilweise gelüftet, alles um die "dark materials" bleibt jedoch für die vielen Andeutungen und angeblichen Erkenntnisse der Protagonisten zu schwammig. Auch etliche weitere Anspielungen wie zum Beispiel Marys Rolle als "Verführerin", als "Schlange" oder Lyras Bestimmung als neue "Eva" und die Konsequenzen der Seelenwanderung - fast alles, worauf ich gespannt gewartet habe, verläuft zugunsten einer überhasteten und meiner Meinung nach völlig unpassenden Liebesgeschichte zwischen Will und Lyra auf den letzten Seiten im Nichts.

Ja und alles zwischen dem laaaaaangweiligen Anfang und dem wirklich unbefriedigenden Ende war … episch, spannend, vielseitig und definitiv originell, was mich zu meinem in der Einleitung erwähnten Zwiespalt führt. Philip Pullman schreibt von winzigen Menschen mit kurzer Lebensdauer, giftigen Sporen und wütendem Stolz, die auf Libellen reiten und die besten Spione sind. Er denkt sich etliche Parallelwelten aus, von denen einige unserer sehr ähnlich und andere eher fremdartig erscheinen, die aber alle nach den bekannten Theorien von Evolution und Quantenphysik zusammenpassen. Er stellt uns sogar eine neue intelligente Lebensform mit rautenförmigem Skelett, Hörnern, sensiblen Rüsseln und einer Symbiose mit großen Bäumen, deren Samenkapseln sie als Räder verwenden und durch die Prärie düsen, vor (wie kreativ muss man bitte sein, um sich eine Spezies wie die Mulefas auszudenken?!?). Und er stellt sich mutig Fragen wie "Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Was passiert wenn wir sterben? Gibt es einen Gott und wenn ja, wer oder was ist Gott? Was ist der Himmel?". Genau an den Stellen, an denen, an denen andere Fantasy-Romane häufig ungenau werden oder mit großen Gesten ausfaden, setzt er, statt sich schwammig aus der Affäre zu ziehen, zu ausschweifenden Erklärungen an und schickt seine Protagonisten in die Welt der Toten, lässt uns den Tod des Allmächtigen miterleben und klärt das Geheimnis unseres Bewusstseins auf...


Doch auch der Mittelteil ist nicht nur gut - die Kehrseite zu diesen mutigen Thesen und Themen ist nämlich, dass sie meiner Meinung nach in einer Fantasy-Geschichte dieses Formats völlig fehl am Platz sind. Das Ende strotzt nur noch so vor verpackter Lebensphilosophie und überzogener (und bei genauem Nachdenken auch geklauter) "Gott ist tot"-Kirchen-Kritik, sodass der Autor sich hier immer weiter vom Ursprung - einem Kinder-Abenteuer-Fantasy-Buch - wegbewegt. Auch dass seine Protagonisten über Nacht zu Erwachsenen werden, ist keine besonders erfreuliche Entwicklung, die man dem Autor nicht ganz abnimmt. Neben all der tollen neuen Entwicklungen und Ideen kam bei mir immer wieder die Frage auf, warum der Autor dies und jenes nicht schon vorher angebracht oder eingeführt hat. Ein Beispiel: Marys Geschichte (damit meine ich nicht ihr Aufenthalt bei den Mulefas, der zwar überdimensional langgestreckt war, mir aber sehr zugesagt hat, sondern ihre Lebensgeschichte) wird auf den aller letzten Seiten erzählt, wodurch sie sich für mich erst sehr spät profiliert hat. Und so ist es mit vielen Aspekten: etliche Zusammenhänge, Erklärungen, Treffen und Dialoge hätte ich mir zu einem früheren Zeitpunkt der Geschichte gewünscht und wirken mitten im Finale etwas fehl am Platz.

Dass ich es aber trotzdem ohne größere Leseflauten durch die 608 Seiten geschafft habe, habe ich vor allem Philip Pullmans Schreibstil zu verdanken, der für einen Fantasy-Roman überraschend kurz gehalten ist. Es lassen sich kaum ausschweifende Beschreibungen und Erklärungen finden, stattdessen dominieren kurze und prägnante Szenen das Bild. Leider passieren dadurch aber immer wieder viele Dinge gleichzeitig und gerade bei actionreichen Schlüsselszenen kommt es immer wieder vor, dass sich Perspektiven überlappen wie die dargestellten Welten und man ein wenig den Überblick verliert. Zeitweise wirkt die Erzählung wie ein verschickter Fiebertraum, nur um danach wieder auf geregelte Bahnen zu kommen. Immer wieder tauchen wieder sehr berührende und herzergreifende Szenen auf, die danach von schwülstigem Philosophieren und abgedroschenem Kitsch abgelöst werden. Tod, Mord und Hass wechseln sich mit kindlicher Naivität ab und mal wird zur großen High-Fantasy-Schlacht geblasen, nur um dann auf wenigen Seiten alle Probleme zu lösen. Ich habe das Gefühl, dass der Autor selbst nicht genau wusste, was für eine Art Geschichte er hier schreiben will, und somit ist der Leser bei all den vielen Übergängen und Facetten zunehmend überfordert und überfragt, in welche Schublade man diese Geschichte nun packen soll. Im Endeffekt muss ich feststellen, dass keine der bekannten Schubladen und Labels so wirklich passt. Und trotz dass das eigentlich eine großartige Leistung ist, würde auf Philip Pullmans ganz persönlicher Schublade neben "mal was Anderes" auch "aber für mich definitiv zu verrückt" stehen.



Fazit:


Episch, spannend, vielseitig und definitiv originell. aber trotzdem zu verworren, zäh und undurchschaubar, um mich wirklich überzeugen zu können. So bleibt die ganze Reihe für mich nur eine Ansammlung spannender Ideen, die insgesamt aber viel zu viele Schwächen hat, um sich den 1300 Seiten "His Dark Materials" zu stellen.

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Veröffentlicht am 25.04.2020

Seltsam fremdartig, an manchen Stellen verstörend und viele offene Fragen...

His Dark Materials 2: Das Magische Messer
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Die "Goldene Kompass"-Trilogie ist mittlerweile ja ein echter Fantasy-Klassiker, der sogar ein paar Jährchen mehr auf dem Buckel hat als ich. Dass ich erst in diesem Jahr dazu gekommen bin, die Reihe endlich ...

Die "Goldene Kompass"-Trilogie ist mittlerweile ja ein echter Fantasy-Klassiker, der sogar ein paar Jährchen mehr auf dem Buckel hat als ich. Dass ich erst in diesem Jahr dazu gekommen bin, die Reihe endlich anzufangen. auch wenn sie schon seit mehreren Jahren bei mir im Regal steht, sei hier einfach mal unkommentiert dahingestellt Leider musste ich im Januar feststellen, dass ich über die Jahre nicht wirklich etwas verpasst habe, denn "Der goldene Kompass" konnte mich nicht wirklich überzeugen. Da ich die beiden Fortsetzungen "Das magische Messer" und "Das Bernsteinteleskop" jedoch besitze, habe ich mich dazu durchgerungen, der Reihe noch eine weitere Chance zu geben. Und das war eine wirklich gute Entscheidung, denn der zweite Teil holt vieles auf, was der erste versäumt hat, dennoch hat das nette, originelle Fantasy-Abenteuer für mich zu viele Schwächen, um als "die Fantasy-Reihe des Jahrzehnts" bezeichnet werden zu können, wie andere Rezensenten sie bewertet haben.

Meine Ausgabe ist Teil eines Dreier-Schubers aus dem Hause Carlsen, der genau wie die andern beiden Bände in dunklem Nachthimmel-Blau mit hellen Sternensprenkeln gehalten ist und ein Motiv zeigt. Auf dem ersten Teil ist die Protagonistin Lyra zusehen, die auf einem Eisbären reitet. Hier auf dem zweiten sieht man einen Jungen, der vermutlich den neuen Protagonisten Will darstellen soll, neben einem Messer. Auch wenn ich die Gestaltung einheitlich und nett finde, gefallen mir andere Ausgaben viel besser, da hier doch alles "Kinderbuch" schreit. Weshalb diese Klassifizierung auf jeden Fall fragwürdig ist, will ich später nochmal erläutern.

Erster Satz: "Will zog seine Mutter an der Hand und sagte: "Komm weiter, bitte..."

Im Gegensatz zu "Der goldene Kompass", in dem uns Philip Pullman ins kalte Wasser wirft, ohne seine fremdartige Fantasy-Welt in irgendeiner Weise zu erklären und mir somit einen Orden für den langatmigsten Einstieg aller Zeiten verdient hat, beginnt "Das magische Messer" rasanter und in der uns bekannten Welt. Auf den ersten Seiten lernen wir den jungen Will kennen, der sich alleine um seine paranoide und verängstigte Mutter kümmern muss, seit sein Vater vor Jahren auf einer Polarexpedition verschwand. Als jedoch zwielichtige Typen auftauchen, die mehr über das Verschwinden seines Vaters wissen wollen, bleibt ihm nur die Flucht. Durch Zufall findet er ein Fenster zu einer anderen Welt, wo wir dann auch Lyra wieder treffen, die nach dem Durchqueren des von Lord Asriel geschaffenen Portals ebenfalls in der anderen Welt gelandet ist. Bald wird den beiden Kindern klar, dass sie sich vor demselben Feind verstecken und begeben sich gemeinsam auf die Suche nach Wills Vater, der laut Lyras Alethiometer der Schlüssel zum Verständnis der Verschwörung ist...

Nachdem der Autor im ersten Band in eine höchst widersprüchliche, komplexe Welt, die voller innovativer Ideen steckt, sich mir aber leider nicht wirklich erschloss, entführte, spielt die Handlung in dieser Fortsetzung in drei verschiedenen Welten: der bereits bekannten Fantasy-Welt aus dem ersten Teil, der Welt, in der wir leben und eine dritte Version, in der sogenannte "Gespenster" die Lebensenergie aus Erwachsenen heraussaugen und nur leere, willenlose Hüllen und verwaiste Kinder hinterlassen. Durch die verlassenen Straßen, die wilden Kinderbanden und die Überreste magischer Artefakte wirkt auch die neue Welt wie eine postapokalyptische Steampunk-Welt, hier gibt es jedoch Technologien, Alltagsgegenstände und Städte, die mehr an unsere Zivilisation erinnern, als die mittelalterliche Version Oxfords, in der Lyra groß geworden ist. Doch auch wenn ich die neue Welt, in der ein Großteil der Handlung abläuft, besser fassen und begreifen konnte, wurde mein gebildeter Eindruck doch immer wieder von magischen Aspekten oder geschichtlichen Fakten aufgemischt und so blieb das Setting der Geschichte auch im zweiten Teil rätselhaft für mich. Das ist natürlich eine nette Abwechslung zu den ewigen Urban-Fantasy-Reihen, doch im zweiten Teil einer Trilogie erwarte ich mir schon mehr Antworten und ein vollständigeres World Building. Doch auch hier werden immer wieder vorkommende Bezeichnungen oder Besonderheiten erst sehr spät oder nie erklärt und bei genauerem Nachdenken tun sich an jeder Ecke Logiklücken auf.

Ich hatte mir von diesem zweiten Teil endlich Antworten auf viele meiner Fragen erhofft, doch auch nach "Das magische Messer" ist mir immer noch sehr unklar, wer auf welcher Seite steht, wer wen warum finden muss und was die Ziele der einzelnen Protagonisten sind. Im Gegensatz zum ersten Teil, der noch deutlich auf einen Abenteuer-Roman abzielte, ist die Handlung in diesem zweiten Teil deutlich komplexer und der Spannungsbogen durch die verschiedenen Handlungsstränge dichter. Neben Will und Lyra gehen wir mit dem Aeronaut Lee Scorsby auf die Suche nach einem verschollenen Schamanen, erkunden mit der Hexe Serafina Pekkala die neue Welt aus der Luft und lernen die Teilchenphysikerin Mary Malone kennen, die an dunkler Materie forscht, was dem entspricht, was Lyra "Staub" nennt. Trotz interessanter Gedanken zur dunkler Materie und der Evolution und Entwicklung des Bewusstseins des Menschen und neuen Andeutungen zu dem Thema, ist "Staub" auch in "Das magische Messer" eine bleibendes Rätsel, von dem man aber immer noch nicht genau weiß, was er genau ist und was er macht.

Auch was genau das Motiv der Kirche und deren Behörden ist, die entschieden gegen den "Staub" und alle möglichen Varianten desselben vor geht und sich auf einen Krieg vorzubereiten scheint, blieb ein großes Fragezeichen im Konstrukt um die Handlung. Die nicht gerade subtile Kirchenkritik des Autors tut ihr übriges und lässt diese Institution an manchen Stellen unfreiwillig (oder vielleicht doch freiwillig?) komisch wirken. Ein weiteres loses Ende ist das Duo Asriel und Ms Coulter, die beide ihre eigenen Interessen verfolgen und bei denen man sich ebenfalls nicht sicher sein kann, nach welchen Ziele sie streben und auf welchen Seiten sie in dem Konflikt stehen. Das sorgt leider dafür, dass wir sie bald als stereotype Bösewichte wahrnehmen, obwohl sie eigentlich sehr spannend angelegt sind. Allgemein werden Handlungen und Pläne der Protagonisten oft mit vagen Gründen wie Schicksal oder Vorhersehung begründet, die großen Zusammenhänge erschließen sich dem Leser aber noch nicht. Insgesamt blieben mir die Fronten zu sehr verschwommen und die Motive der Handelnden zu unklar, sodass die Handlung zunehmend verworrener erschien.

Dazu kommen einige seltsame Szenen, in denen plötzlich riesige Engel auftauchen, normale Protagonisten prophetische Träume haben oder ein Krieg gegen Gott auf den Tisch kommt (Hallo, haben Sie zu viel Nietzsche gelesen, Herr Pullman?). Trotz der vielen spannenden und einzigartigen Ideen erscheint die Geschichte nicht zuletzt durch seltsam fremdartig, an manchen Stellen verstörend und sorgte für viele Stirnrunzler, die sich zu Längen auswuchsen. Nur hin und wieder konnte mich eine Szenenfolge wirklich packen. Dass ich es aber trotzdem ohne größere Leseflauten durch die 385 Seiten geschafft habe, habe ich vor allem Philip Pullmans Schreibstil zu verdanken, der für einen Fantasy-Roman überraschend kurz gehalten ist. Es lassen sich kaum ausschweifende Beschreibungen und Erklärungen finden, stattdessen dominieren kurze und prägnante Szenen das Bild. Leider passieren dadurch aber immer wieder viele Dinge gleichzeitig und gerade bei actionreichen Schlüsselszenen kommt es immer wieder vor, dass sich Perspektiven überlappen wie die dargestellten Welten und man ein wenig den Überblick verliert.

Auch die beiden Protagonisten konnten mich nicht zu 100% überzeugen. Das lag vor allem daran, dass Lyra und Will einfach sooo jung sind, sodass ich bei vielen ihrer Handlungen oder Gedanken die Verbindung zu ihr nicht wirklich herstellen konnte. Außerdem entwickelte sich die junge, quirlige, mutige Protagonistin nach dem ersten Teil kaum weiter und rückte für Will stark aus dem Rampenlicht, der ihren Platz als Hauptheld einnimmt. Vor allem am Ende erscheint dieser jedoch sehr emotionslos, was aber auch daran liegen könnte, dass der Autor bei seinem Showdown mit hohem Protagonisten-Sterbe-Anteil wie im ersten Teil ziemlich auf die Tube drückt. Zurückgelassen werden wir wieder mit einem miesen Cliffhanger, der mich sofort hat weiterlesen lassen. Denn trotz allem bin ich jetzt sehr gespannt, wie Philip Pullman seine Fäden zusammenlaufen lassen will!

Insgesamt muss ich also leider sagen: Hier fehlen die Epik einer Sarah J Maas, die wundervollen Charaktere einer J. K. Rowling, die Komplexität des Weltenaufbaus eines Tolkiens, die emotionale Spannung einer Jennifer L. Armentrout und der wunderschöne, präzise Stil einer Laini Taylor. Wer sich jetzt vielleicht wundert, mit welchen Autoren ich die Reihe verglichen habe, dem will ich nochmal ganz klar sagen: Die Reihe um "Der goldene Kompass" ist kein Kinderbuch, auch wenn das junge Alter der Protagonistin darauf hindeutet. Ungeschönte, Gewalt, blutige Kämpfe, sterbende Protagonisten, mordlustige Kindermobs, grausame Menschenversuche, herumliegende Leichen, abgetrennte Gliedmaßen, Folter, Entführungen, Morde, harter Überlebenskampf - wir haben es hier mit einem recht düsteren Szenario zu tun, wozu die Perspektive eines Kindes nicht besonders gut passt. Es stellt sich also die Frage, was Philip Pullman hier schreiben wollte: ein Kinderbuch, ein Jugendabenteuer oder ein Fantasy-Epos für Erwachsene? Leider ist er aus meiner Sicht in allem drei gescheitert: "Das magische Messer" ist für ein Kinderbuch zu brutal, für ein Jugendbuch zu kindlich-naiv, kann sich aber auch nicht mit etablierten Fantasy-Klassikern messen...


Fazit:


In diesem zweiten Teil ist die Handlung deutlich komplexer, der Spannungsbogen durch die verschiedenen Handlungssträngen dichter und das Setting greifbarer. Dennoch blieben mir die Fronten zu sehr verschwommen, die Motive der Handelnden zu unklar und die Protagonisten zu blass, sodass die Handlung zunehmend verworrener erschien.

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