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Veröffentlicht am 07.06.2020

Spannender Politthriller mit Verschwörungstheorie

Achtzehn
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REZENSION - Macht korrumpiert und lässt die wirklich Mächtigen, das zeigt uns die Menschheitsgeschichte, zum Erhalt ihrer Macht nicht vor Verbrechen bis hin zum Mord zurückschrecken. Dies muss auch der ...

REZENSION - Macht korrumpiert und lässt die wirklich Mächtigen, das zeigt uns die Menschheitsgeschichte, zum Erhalt ihrer Macht nicht vor Verbrechen bis hin zum Mord zurückschrecken. Dies muss auch der freie Journalist Axel Sköld erfahren, der in dem kürzlich bei Bastei Lübbe erschienenen Politthriller „Achtzehn“ des schwedischen Autors Anton Berg (42) einer in Schweden allmächtigen Geheimorganisation auf die Spur kommt.
Axel Sköld, Produzent politisch brisanter Beiträge im schwedischen Radiosender P3, veröffentlicht in einem von der Sendeleitung nicht genehmigten Podcast seine Theorie, sowohl der sozialdemokratische Ministerpräsident Olof Palme, dessen Ermordung im Februar 1986 bis heute nicht aufgeklärt ist, als auch die schwedische Außenministerin (im September 2003 starb Anna Lindh an den Folgen einer Messerattacke in einem Stockholmer Kaufhaus) seien von demselben Täter ermordet worden, den er auf unscharfen Fotos identifiziert zu haben meint. Prompt wird Sköld als Verschwörungstheoretiker abgestempelt und vom Sender fristlos entlassen. Als Journalist ist er damit für alle Medien des Landes „verbrannt“. Nur der todgeweihte Bankier von Scheele erkennt, dass Sköld wohl der Wahrheit auf der Spur ist. Dieser Bankier, von einem nach Aufdeckung der Panama Papers und dem Verlust mehrerer Milliarden „enttäuschten Klienten“ mit Polonium-210 vergiftet – wir erkennen hier die Parallele zum realen Giftmord am Russen Alexander Litwinenko im Jahr 2006 in London –, beauftragt Sköld gegen Zusage eines Millionenhonorars, seine Nachforschungen unbedingt fortzusetzen, und berichtet von einer ihm nur ansatzweise bekannten Gruppe von Wirtschaftsmagnaten, die als wahre Macht im Staat die nur scheinbar Verantwortlichen bis hin zum Ministerpräsidenten wie Marionetten lenkt. Mit Unterstützung eines Historikers entdeckt Sköld, dass dieser Geheimbund, bereits vor über 200 Jahren von achtzehn schwedischen Adligen gegründet, vermutlich schon 1792 für die Ermordung des reformfreudigen Königs Gustav III. verantwortlich war, der die Privilegien des Adels schmälern wollte. Axel Sköld geht diesen Spuren akribisch nach und gerät bald in Todesgefahr, als er seine einstige Jugendliebe, die neue Finanzministerin Lova, vor dem langjährigen Berufskiller dieser „Achtzehn“ zu schützen versucht.
Die Grundidee dieses schwedischen Thrillers, wonach eine Geheimorganisation die wahre Macht im Staat ausübt, ist nicht neu, erinnert sie doch an die Oxen-Reihe (seit 2012) des dänischen Bestseller-Autors Jens Henrik Jensen, worin der traumatisierte Ex-Elitesoldat Niels Oxen gegen den allmächtigen Danehof kämpft. Doch Anton Bergs Romandebüt unterscheidet sich von Jensens fiktiven Psychothrillern vor allem darin, dass „Achtzehn“ historische Fakten der schwedischen Geschichte geschickt mit einer Kriminalhandlung zu einem spannenden Politthriller verbindet und ähnlich einer Verschwörungstheorie dem Leser eine scheinbare Wahrheit vorgaukelt.
Zwar endet das actionreiche und sowohl für Axel Sköld als auch für die junge Finanzministerin lebensbedrohliche Finale für beide glücklich. Doch noch immer ist die Schweden beherrschende Organisation der „Achtzehn“ nicht entlarvt und zerschlagen. Es ist also zu vermuten, dass Autor Anton Berg nach dem Erfolg dieses schon 2018 in Schweden erstveröffentlichten Debüts bereits an einer ebenso mörderisch aufregenden, deshalb lesenswerten Fortsetzung schreibt. Wir dürfen gespannt sein.

Veröffentlicht am 01.06.2020

Informativer, teils spannender und unterhaltsamer Appetitmacher

Namibia
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REZENSION – Mit „Namibia“ setzt Autor Sebastian Fickert (44) die Reihe seiner interessanten Reiseerzählungen fort, die 2007 mit dem Band über Japan begann, gefolgt von Kasachstan (2011), dem Berg Ararat ...

REZENSION – Mit „Namibia“ setzt Autor Sebastian Fickert (44) die Reihe seiner interessanten Reiseerzählungen fort, die 2007 mit dem Band über Japan begann, gefolgt von Kasachstan (2011), dem Berg Ararat (2015) und Ecuador (2017). Etwa alle drei Jahre zieht es den promovierten Juristen, seit 2016 Richter am Oberlandesgericht Bamberg, nur mit dem Notwendigsten ausgerüstet, in ein ihm völlig unbekanntes fernes Land, auf das er sich zuvor durch intensives Studium historischer Quellen und zeitgenössischer Literatur vorbereitet.
Im Sommer 2019 durchquerte er mit Zelt und Geländewagen zwei Wochen lang das südwestafrikanische Namibia durch die Wüste bis zum Atlantik, vom Inselberg Spitzkoppe bis in die Etosha-Pfanne, anfangs in Begleitung seines Bruders, später völlig allein. Er bestieg die Dünen der Namib und aß Apfelkuchen nach deutscher Rezeptur. Die Küstenstadt Swakopmund begeisterte ihn durch die baulichen Relikte aus deutscher Kolonialzeit (1884-1915), die Township Katutura (Windhoek) offenbarte ihm die aktuelle Problematik des erst 1990 in die Unabhängigkeit entlassenen Staates. Begegnungen mit Einwohnern und Wildtieren, der Kontrast von moderner Zivilisation und ursprünglicher Natur blieben dem Reisenden als prägende Erinnerungen.
Gerade die in den Bericht eingestreuten Rückblicke in die wechselvolle Geschichte des Landes und Zitate aus Tagebüchern aus deutscher Kolonialzeit, verknüpft mit seinen persönlichen Eindrücken aus Begegnungen mit Land und Leuten, machen Fickerts Reiseerzählung so interessant und lesenswert. In lockerem, leicht lesbarem Stil geschrieben, humorvoll und mit gelegentlicher Selbstironie, gelingt es dem Autor, das ihm unbekannte afrikanische Land nicht aus oberflächlicher Sicht eines deutschen Touristen nur unvollkommen zu beschreiben, sondern trotz der relativen Kürze seiner nur zweiwöchigen Fahrt dank umfassender Vor- und Nachbereitung und intensiver Eindrücke den Lesern die Komplexität historischer wie neuzeitlicher Probleme aufzuzeigen.
Der Aufprall unterschiedlichster Kulturen, der sich sogar in den schwarzen Townships zeigt, wo die verschiedenen Stämme ihre jeweils voneinander getrennten Wohnviertel haben und Kontakte zwischen den Stämmen vermieden werden, machen eine Lösung alter wie neuer Konflikte kaum lösbar, musste Fickert erfahren. Es geht in Namibia eben nicht nur um den einen Konflikt zwischen Schwarz und Weiß, es gibt nicht nur „die Schwarzen“. Es zeichnet den Autor aus, diese Konflikte an keiner Stelle aus deutscher Sicht werten zu wollen. Er bleibt nur Beobachter, will nicht Richter sein. „Es braucht noch viel Zeit, die Probleme dieses Landes aufzuarbeiten“, äußert sich Fickert später in einem Interview. Aus persönlichen Begegnungen mit Einwohnern sei ihm die Erkenntnis des deutschen Geologen Henno Martin (1910-1998) geblieben: „Die Menschen sind mit komplexen Systemen überfordert. Wir müssen deshalb nachsichtig miteinander sein.“
Allein in der Wildnis habe ihm die Stille und Einsamkeit großen Respekt vor dem Land eingeflößt. Der die deutsche Großstadt gewohnte Autor muss wie Henno Martin erkennen: „Was nutzt schon Ellbogenraum in der grenzenlosen Einsamkeit der Wüste?“ Seine Wahrnehmung sei durch die unmittelbare Nähe zur Natur geschärft worden. Nicht nur seine Erlebnisse mit Wildtieren in ihrer ursprünglichen Lebenswelt blieben ihm in Erinnerung, sondern vor allem die Namib-Wüste und der scharfe Kontrast, wenn der Wüstensand bei Swakopmund in den Atlantik zu fließen scheint, aber auch der dichte Sternenhimmel über unbewohnter Steppe, das warme Licht der untergehenden Sonne und die für Namibia so typische rotbraune Landschaftsfarbe.
Gerade der Eindruck dieser intensiven, warmen Farben bleibt Besuchern Namibias nachhaltig in Erinnerung. Doch genau dies lässt das bei Königshausen & Neumann im Mai veröffentlichte Buch, nur mit wenigen Schwarz-Weiß-Fotos lieblos illustriert, schmerzlich vermissen. Auch ist es dem Leser unmöglich, die Route des Autors zu verfolgen, da die Karte im Anhang leider keinen Routenplan zeigt. Trotz dieser Kritik bleibt Sebastian Fickerts „Namibia“ eine informative, teils spannende und sogar abenteuerliche, in jedem Fall empfehlenswerte Reiseerzählung. Namibia-Kennern holt sie manche Erinnerung wieder ins Gedächtnis, alle anderen lässt sie über einen Besuch des „großen Landes mit wenigen Menschen“ nachdenken.

Veröffentlicht am 01.05.2020

Liebenswerter Krimi oder spannender Liebesroman?

Ich bin ein Laster
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REZENSION – Ist es ein Kriminalroman? Oder doch eine Liebesgeschichte? „Ich bin ein Laster“, der nur 140-seitige Debütroman der kanadischen Schriftstellerin Michelle Winters, ist beides - ein liebevoller ...

REZENSION – Ist es ein Kriminalroman? Oder doch eine Liebesgeschichte? „Ich bin ein Laster“, der nur 140-seitige Debütroman der kanadischen Schriftstellerin Michelle Winters, ist beides - ein liebevoller Kurzkrimi, der zu Recht für die Shortlist des kanadischen Giller Prize 2017 nominiert war. In der tragikomischen Emanzipationsgeschichte geht es um Einschränkung, aber auch um Befreiung, um Liebe und Verlust, um Tradition und Aufbruch also um die Frage wohl eines jeden, was wir sind und was wir sein wollen.
Auch nach 20 Jahren sind Agathe und ihr hünenhafter Holzfäller-Ehemann Réjean noch immer verliebt. Kleine Notlügen wie Réjeans jetziger Aufbruch zum Angelausflug verzeiht man sich. Doch als er nicht zurückkommt und sein geliebter Chevrolet Silverado unverschlossen am Straßenrand gefunden wird, stellt sich die Frage: War es Mord, eine Entführung oder ist Réjean nur weggelaufen? Als nach Wochen der trauernden Agathe das Geld ausgeht, fängt sie in einem Elektroladen zu arbeiten an. Durch ihre dortige Kollegin Debbie lernt sie ein ihr bisher fremdes Leben kennen. Etwas unheimlich wird es, als Autoverkäufer Marzin Bureau, der einzige Freund Réjeans, sie wie ein Stalker zu verfolgen beginnt. Als schließlich der verlorene Ehemann doch wieder auftaucht, muss Agathe sich entscheiden für ihr altes oder ein neues Leben.
„Ich bin ein Laster“ ist eine Geschichte voller Wendungen und Gegensätze. Winters zeigt den Zwiespalt, das Gemeinsame und doch Trennende in der kanadischen Provinz der 1980er Jahre, den Zusammenprall zwischen anglo- und frankophoner Kultur. Während Réjean ausschließlich Französisch spricht, ist Englisch die Muttersprache seines Freundes Martin Bureau. Die alltägliche Vermischung beider Landessprachen führt zum zweisprachigen Kauderwelsch, das auch in der deutschen Übersetzung von Barbara Schaden im originalen Wortlaut reizvoll beibehalten wurde.
Aus Ablehnung gegen die Übermacht amerikanischen Einflusses liebt Réjean seinen Chevrolet Silverado, während ausgerechnet der anglophone Chevrolet-Verkäufer Martin privat und heimlich seinen Ford-Geländewagen fährt. Während für Réjean nichts anderes als frankokanadische Folkmusik aus dem Autoradio kommen darf, liebt Agathe die amerikanische Rock- und Popmusik, in deren lebensfrohe Welt sie sich später von Kollegin Debbie bei nächtlichen Disco-Besuchen gern entführen lässt.
Diese manchmal absurde Welt voller Gegensätze kommt auch in der Dramaturgie des Romans zum Ausdruck. Die einzelnen Kapitel wechseln zwischen Davor und Jetzt, zwischen dem alten und dem neuen Leben. Wir beobachten, wie sich Agathe allmählich aus der Umklammerung befreit, durch die ihr bisheriges Leben eingeengt war. „Es ist doch nie zu spät. Es ist nie zu spät für irgendwas.“
Doch nicht nur Agathe befreit sich aus ihrer provinziellen Enge, wenn auch der letzte Schritt, mit Debbie in die Großstadt zu gehen, ausbleibt. „Ché pas … E could come home asoir.“ Denn während wir Agathes Wandel in wachsende Selbstständigkeit begleiten, löst sich beiläufig auch das mysteriöse Rätsel um das Verschwinden Réjeans. Auch er wird sich schließlich für ein völlig neues Leben entscheiden müssen. Warum Michelle Winters lesenswerte Geschichte mit ihren so liebenswerten Charakteren allerdings auch im Original mit „I am a truck“ betitelt ist, bleibt ein Rätsel.

Veröffentlicht am 25.04.2020

Spannende, wirklichkeitsnah scheinende postnukleare Dystopie

Der Weizen gedeiht im Süden
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REZENSION – „Realitätsnahe Bezüge mit gründlich recherchierten Fakten“ sind ihm besonders wichtig, sagt der unter dem Pseudonym Erik D. Schulz schreibende Arzt über seine Arbeit als Autor. Gleichzeitig ...

REZENSION – „Realitätsnahe Bezüge mit gründlich recherchierten Fakten“ sind ihm besonders wichtig, sagt der unter dem Pseudonym Erik D. Schulz schreibende Arzt über seine Arbeit als Autor. Gleichzeitig geht es ihm um Spannung und Unterhaltung „durch eine intensive, emotionale Zeichnung der Romanfiguren“, verbunden mit „einer Portion Optimismus, der den Leser an die eigenen Stärken glauben lässt“. Dies alles trifft auf seine im März veröffentlichte postnukleare Dystopie „Der Weizen gedeiht im Süden“ zu. Nach vier Jugendromanen hat sich Erik D. Schulz erstmals an einen Roman für Erwachsene herangewagt – und dieses Wagnis ist gelungen.
Nicht nur der 75. Jahrestag des amerikanischen Atombombenabwurfs auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945, sondern erst recht die derzeitigen weltpolitischen Verwerfungen durch autokratische Staatslenker, hier vor allem der Wirtschaftskonflikt zwischen den USA und China, geben diesem Roman, dessen Autor sich in seinem Hauptberuf in der Organisation Internationaler Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges und die Abrüstung atomarer Waffen (IPPNW) engagiert, eine besondere, eine fast erschreckende Aktualität. Denn auch Schulz' Roman beginnt nach einem weltweiten Atomkrieg, der durch einen Wirtschafts- und Cyberkrieg zwischen den USA und China ausgelöst wurde. Das Leben in der nördlichen Hemisphäre ist weitestgehend vernichtet, Europa ist verstrahlt und bei minus 25 Grad mit hüfthoher Schneedecke bedeckt.
In einem mit allem Lebensnotwendigen komfortabel ausgestatteten Riesenbunker in den Schweizer Alpen überleben 300 Menschen. Doch plötzlich ist das Trinkwasser verstrahlt, auf dem unterirdischen, überlebenswichtigen Weizenfeld breitet sich die Getreidepest aus und der zum Psychopathen sich entwickelnde Bunker-Leiter wird immer unberechenbarer. Um dem garantierten Strahlen- und Hungertod zu entkommen, flieht eine kleine Gruppe um den Arzt Oliver Bertram und dessen 14-jährige Tochter Annabel aus dem Bunker und findet nach mehrwöchigem abenteuerlichem und gefährlichem Weg durch die lebensfeindliche Schneewüste Europas und die Hitze Nordafrikas endlich Rettung im Sudan, allerdings nicht ohne vorher noch in einem mit tausenden europäischen Überlebenden überfüllten Flüchtlingslager dem Typhus ausgesetzt zu sein. Dennoch ist der afrikanische Kontinent, die einstige „Wiege der Menschheit“, nun die letzte Hoffnung aller Überlebenden.
Der Autor versteht es, mit seinem Roman die Leser zu packen. Die stellenweise in Einzelheiten gehenden, trotzdem nie langweilenden Schilderungen lassen den Roman absolut authentisch wirken, auch wenn märchenhaft klingt. So überrascht es doch, dass die Flüchtlingsgruppe im zerstörten Locarno nicht nur ein vollgetanktes Kleinflugzeug findet, sondern ihr Anführer sogar einen Flugschein hat, um die Gruppe komfortabel nach Afrika zu bringen. Auch wundert man sich, dass im Laufe der Flucht alle Begleitpersonen um Oliver Bertram ums Leben kommen, aber kein Mitglied seiner neu geformten „Familie“.
Doch sind dies als dramaturgische Mittel nachzusehende Punkte in dem sonst recht wirklichkeitsnah erscheinenden Roman. Dem Autor gelingt es tatsächlich, wie eingangs zitiert, die an sich selbst gestellten Forderungen zu erfüllen: Die Geschichte ist spannend und trotz der tristen Weltuntergangsstimmung noch unterhaltend. Die Figuren sind im Guten wie im Schlechten nachvollziehbar charakterisiert. Abschließend bleibt sogar der vom Autor versprochene Optimismus und tröstliche Hoffnungsschimmer eines möglichen Neuanfangs nach der Katastrophe.

Veröffentlicht am 21.04.2020

Faktenreich, historisch interessant und spannend

Weißes Feuer (Darktown 2)
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REZENSION – Noch spannender und interessanter als der erste Band „Darktown“ (2018) ist der im November im Dumont-Buchverlag veröffentlichte Folgeband „Weißes Feuer“ des amerikanischen Schriftstellers Thomas ...

REZENSION – Noch spannender und interessanter als der erste Band „Darktown“ (2018) ist der im November im Dumont-Buchverlag veröffentlichte Folgeband „Weißes Feuer“ des amerikanischen Schriftstellers Thomas Mullen (46). Wieder geht es um den täglich sichtbaren und unsichtbaren Rassenkonflikt zwischen Schwarzen und Weißen in Atlanta, Hauptstadt des Bundesstaates Georgia, im Nachkriegsjahr 1950 und um die schwierige Arbeit der ersten acht, seit 1948 im Schwarzenviertel „Darktown“ eingesetzten Negro-Polizisten. Im Unterschied zum ersten Band, der die Tage direkt nach Gründung der vom Bürgermeister aus rein politischem Kalkül um Wählerstimmen geschaffenen Polizeieinheit aus nur wenigen Afroamerikanern schildert, sind die acht Darktown-Polizisten inzwischen auch mit Pistolen ausgerüstet, was die Gefahr möglicher rassistischer und persönlicher Konflikte noch erhöht.
Ohnehin ist die Situation der Negro-Cops, wie sie von den Weißen genannt werden, schwierig genug. Einerseits gelten Afroamerikaner grundsätzlich als Bürger zweiter Klasse, andererseits sind diese Uniformträger für die meisten Bewohner Darktowns Autoritätspersonen - allerdings nicht für alle. Denn als Polizisten dem von Weißen bestimmten System zugehörig, werden sie von manchen Schwarzen wiederum nicht anerkannt. So ist auch für den schwarzen Polizisten Lucius Boggs und seinen Partner Tommy Smith, die wir wieder auf ihren nächtlichen Streifengängen sowie in ihrem privaten Alltag auf Schritt und Tritt begleiten, der Polizeidienst eine tägliche Gratwanderung. Doch in diesem zweiten Band der „Darktown“-Trilogie geht es nicht allein nur um Einzelschicksale. Vielmehr beschreibt Mullen in „Weißes Feuer“ die gesellschaftliche Gesamtsituation des Rassismus in den amerikanischen Südstaaten sowie die schrittweisen Veränderungen auch innerhalb der schwarzen Gemeinschaft: Der zwar geringe, aber doch wachsende Wohlstand ist an der steigenden Zahl von Hauskäufen abzulesen. Doch wegen fehlenden Wohnraums in den von Schwarzen bewohnten Wohnvierteln dringen erste Hauskäufer in die von Weißen bewohnten Viertel vor. Dies führt zu neuen Konflikten und letztlich zum Auftritt des Ku-Klux-Klans sowie der noch gewaltbereiteren Nazi-Gruppierung der „Columbianer“.
Autor Thomas Mullen gelingt es großartig, die gesellschaftliche Komplexität des Rassismus in den Südstaaten, dessen Auswirkungen auch heute noch immer präsent sind, in einer spannenden Handlung und in unterschiedlichen Facetten darzustellen. Wir in dieser Thematik eher unerfahrenen Leser lernen viel über das Treiben des Geheimbundes Ku-Klux-Klan und der Nazi-Gruppierungen, die vor Mord an Schwarzen nicht zurückschrecken. Wir erfahren aber auch, dass es nicht nur zwischen Weiß und Schwarz gesellschaftliche Grenzen gibt, sondern auch eine Milieu-Abgrenzung einer gebildeten, wohlhabenderen Oberschicht der Afroamerikaner zur breiten Schicht ungebildeter einfacher Arbeiter.
Bemerkenswert an dieser Darktown-Reihe ist, dass deren Autor ein Amerikaner weißer Hautfarbe ist, blieb doch dieses Thema bislang eher wenigen schwarzen Autoren vorbehalten. Andererseits mag dies aber auch Ursache mangelnder Objektivität in der Charakterisierung seiner Figuren zu sein: Bei Thomas Mullen gibt es nur „gute Schwarze“ und – bis auf zwei Ausnahmen – nur „schlechte Weiße“, allen voran die korrupten und in Verbrechen verstrickten weißen Polizisten. Sieht man aber davon ab, ist der Roman „Weißes Feuer“ trotz seines historischen Faktenreichtums ein leicht lesbarer und überaus spannender Kriminalroman. Er vermittelt seinen Lesern zugleich auf lockere Weise viel Interessantes und Wissenswertes über die Jugendzeit des damals erst 20-jährigen, in Atlanta geborenen und aufgewachsenen Prediger-Sohnes Martin Luther King (1929-1968), der wegen der in Mullens genannten Lebensumstände zum Bürgerrechtler wurde. Auf den letzten Band der Darktown-Trilogie, „Lange Nacht“, darf man gespannt sein.