Profilbild von Ambermoon

Ambermoon

Lesejury Star
offline

Ambermoon ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Ambermoon über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 24.08.2020

Eine fantastische und auch sehr düstere Story, die mich fesseln konnte und zu einem Lesehighlight wurde.

Die Chroniken von Alice - Finsternis im Wunderland
0

Seit zehn Jahren ist Alice in einem düsteren Hospital gefangen. Alle halten sie für verrückt, während sie selbst sich an nichts erinnert. Weder, warum sie sich an diesem grausamen Ort befindet, noch, warum ...

Seit zehn Jahren ist Alice in einem düsteren Hospital gefangen. Alle halten sie für verrückt, während sie selbst sich an nichts erinnert. Weder, warum sie sich an diesem grausamen Ort befindet, noch, warum sie jede Nacht Albträume von einem Mann mit Kaninchenohren quälen. Als ein Feuer im Hospital ausbricht, gelingt Alice endlich die Flucht. An ihrer Seite ist ihr einziger Freund: Hatcher, der geisteskranke Axtmörder aus der Nachbarzelle. Doch nicht nur Alice und Hatcher sind frei. Ein dunkles Wesen, das in den Tiefen des Irrenhauses eingesperrt war, ist ebenfalls entkommen und jagt die beiden. Erst wenn Alice dieses Ungeheuer besiegt, wird sie die Wahrheit über sich herausfinden – und was das weiße Kaninchen ihr angetan hat … (Klappentext)

❁❁❁❁❁

"Ihre Zukunft beinhaltete keine Schmetterlinge und Blumen und Regen, auf den Sonnenschein folgte. Ihre Zukunft watete schleppend durch Ströme aus Blut auf der Suche nach der Quelle."
(S. 292)


Alice zählte 16 Jahre, als sie sich eines Tages mit einer Freundin in die verbotene Alte Stadt begab. Zwei Wochen blieb sie verschwunden und tauchte schließlich verletzt, in blutigen Kleidern und völlig verwirrt auf. Ihre einzige Erinnerung an diese zwei Wochen ist ein furchterregendes weißes Kaninchen, welches ihren Tod wollte. Natürlich glaubte ihr keiner und deshalb ist sie seit diesem Zeitpunkt in einer Irrenanstalt untergebracht.
Mittlerweile sind zehn Jahre vergangen und sie hat mit ihrem Zellennachbarn Hatcher, einem Axt-Mörder, Freundschaft geschlossen.
Dieser ist furchtlos und mutig, solange es sich nicht um ein Monster namens "Jabberwock" handelt. Dieses wird angeblich in den tiefen Kellern der Anstalt gefangen gehalten und trachtet Hatcher nach dem Leben.
Eines Tages bricht in dieser Anstalt ein großes Feuer aus und dadurch gelingt Alice und Hatcher die Flucht. Doch dadurch wurde noch etwas anderes, etwas Bösartiges, befreit.
Die Flucht ist erst der Anfang, doch der Gang durch die Hölle steht erst bevor. Alice beginnt sich nach und nach zu erinnern ... und sie muss sich nicht nur dem weißen Kaninchen stellen.

Während die Originalstory von Lewis Carroll eher in die Phantastik geht und psychedelische und quietschbunte Atmosphäre versprüht, entführt einem diese Adaption eher in das Genre Dark Fantasy.
Hier wird man in ein äußerst düsteres "Wunderland" entführt, welches an ein Mittelalter-Setting erinnert. In eine Stadt in der Armut herrscht und Gewalt an der Tagesordnung steht. Eine Stadt, welche von gefährlichen Unterweltbossen regiert wird und in der niemals die Sonne scheint. Zauberer und grundsätzlich die Magie wurden verbannt und wenn man sich Zauberei bedient ist einem der Tod sicher.
In dieser Stadt werden Frauen als Ware angesehen und diese leben dadurch in ständiger Angst. Wenn man dann auch noch eine Zauberin oder ein anderes Wesen ist, fristet man sein Dasein als Sklavin oder Hure.
Alice ist eine schüchterne und unsichere junge Frau, die sich rasch wieder in die Zelle der Irrenanstalt sehnt, doch auf sie und Hatcher wartet eine wichtige Aufgabe und dabei wird so manches Geheimnis rund um Alice gelüftet.

"Die Straße war mit Toten übersät. Wo sie auch hinschaute, sah Alice Leichen von Männern und Frauen und Kindern. Auch tote Hunde und Pferde und Katzen und so viel Blut, dass sich in der Gasse in der Mitte der Straße ein roter Fluss gebildet hatte."
(S. 289)


Der Schreibstil ist einfach gehalten und so fliegt man, trotz so einiger brutalen und blutigen Szenen, durch das Buch. Und wenn ich sage brutal, dann meine ich brutal.
Dieses Buch kommt definitiv nicht ohne Triggerwarnung aus. Es kommt dabei jedoch nicht zum Äußersten, Szenen werden nicht explizit beschrieben, sondern nur angedeutet, doch es reicht, um Bilder im Kopf entstehen zu lassen.

Es begegnen einem auch viele bekannte "Alice"-Figuren. Sie haben zwar vom Charakter und Aussehen nichts mehr mit den Originalfiguren gemein, aber man erkennt sie sofort wieder, egal ob es die Grinsekatze, die Raupe oder das Kaninchen betrifft. Doch Vorsicht! Hier ist nichts wie es scheint und jeder verfolgt sein eigenes Ziel.
Hinter jeder Ecke und in jedem Häuschen, ja selbst im Irrgarten voller Rosen, lauern Gefahren.

"Alice gefiel sein nachdenklicher Blick ganz und gar nicht. In der Tat wurde ihr ziemlich schnell bewusst, dass sie überhaupt nichts an Grinser mochte - nicht sein rosenbedecktes Haus, nicht sein wissendes Lächeln oder die spekulierende Art, wie er ihre Narbe betrachtete. Sie wollte nicht mit diesem Mann Tee trinken. Sie wollte herausfinden, was sie herausfinden musste, und dann dieses Haus so schnell wie möglich wieder verlassen."
(S. 127)


Was die Autorin aus der Story von Lewis Carroll und seinen Figuren gemacht hat, finde ich einfach großartig.
Vor allem konnte mich Alice begeistern. Im Storyverlauf kann man die Entwicklung dieser anfangs schüchternen und verstörten Alice zu einer selbstbewussten Kämpferin verfolgen. Wie ein Phoenix aus der Asche findet sie, trotz Trauma und Ängsten, ins Leben zurück.
Dabei ist permanent die Spannung spürbar, es kommt zu vielen überraschenden Wendungen und es umgibt einem dabei eine beklemmende und düstere Atmosphäre...mit viel Blut.

"Alice hielt den Tausendfüßler fest im Blick, während er sich von ihnen wegschlängelte. Er verschwand unter einer Tür, die sie bisher noch nicht gesehen hatte, und der Grund, warum sie ihr bisher noch nicht aufgefallen war, lag darin, dass der Türsturz ihr gerade bis unters Knie reichte."
(S. 175)


Fazit:
Hier erwartete mich kein märchenhaftes Wunderland, kein psychedelisch und qietschbuntes Setting und keine lieblichen Figuren, sondern blutiger Dark Fantasy vom Feinsten.
Mich persönlich störten auch die blutigen und brutalen Szenen nur wenig, zartbesaitete LeserInnen sollten jedoch gewarnt sein. Doch meiner Meinung nach hält diese Alice-Adaption gerade aufgrund dessen eine tolle Message für Frauen mit Traumata bereit.
Ich bin auf jeden Fall von dieser Adaption begeistert und fiebere dem zweiten Teil schon entgegen.

© Pink Anemone (inkl. Bilder, Leseprobe, Book-Soundtrack, Autoren-Info und Rezept zum Buch: Nells Hühnerpastete mit Grinsers Geheimzutat)

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 23.08.2020

Abgefahren, witzig und acitonreich

ASH
0

Eigentlich ist die große Zeit der europäischen Superhelden seit dem Ende des Kalten Krieges vorbei. Doch als Anfang 2016 ein blutrünstiges Monster beginnt die Wiener Innenstadt unsicher zu machen, schließen ...

Eigentlich ist die große Zeit der europäischen Superhelden seit dem Ende des Kalten Krieges vorbei. Doch als Anfang 2016 ein blutrünstiges Monster beginnt die Wiener Innenstadt unsicher zu machen, schließen sich einige der wenigen noch aktiven Superwesen zusammen, um die Bedrohung zu stoppen.
CAPTAIN AUSTRIA Jr., Sohn des legendären Führers der „Wiener Wächter“ Captain Austria, die übermenschlich starke Wrestlerin LADY HEUMARKT mit ihrer undurchdringlichen Haut, das sagenumwobene Wasserwesen DONAUWEIBCHEN und der geheimnisvolle BÜROKRAT stellen sich der zuerst unüberwindlich scheinenden Aufgabe. Und machen sich auf die Suche nach dem Monster, nach alten Verbündeten und nicht zuletzt nach Antworten...
(Klappentext)

Der vorliegende Sammelband beinhaltet die ersten vier Einzelcomics mit ihren Nebenstorys und enthält somit 144 Seiten geballte ASH-Ladung. Hier wird der Anfang der neuen WIENER WÄCHTER erzählt - ASH wurde geboren.

In dieser Rezension gehe ich auf alle vier Storys etwas näher ein, mit Erwähnung der verschiedenen IllustratorInnen. Es wird spannend!!

">>Überfall auf junge Frau direkt vor der Karlskirche! Einsatzkräfte halten ein Echsenwesen in Schach, scheinen aber nicht in der Lage, es zu überwältigen!<<
>>Hä?! Woher weiß er das?<<
>>Nojo, der Magister hat so eine Art Radio im Schädel. Damit kann er Funkwellen empfangen, auch den Polizeifunk.<<"


-------

1 "Wiener Blut - Rückkehr der Helden Teil 1

Autor: Harald Havas; Pencils: Andi Paar; Inks: Thomas Aigelsreiter; Colors: Thomas Aigelsreiter, Andi Paar, Frans Stummer

Ein Monster streift seit Kurzem durch Wiens Gassen. Die bevorzugten Opfer sind telefonierende Frauen. Für den Superhelden CAPTAIN AUSTRIA Jr. ist es daher an der Zeit sich endlich mit etwas Größerem als Kleinkriminellen und Patrouillengängen zu widmen. Endlich ist wieder ein wahrer Superheld gefragt, denn die Polizei ist völlig überfordert.
CAPTAIN AUSTRIA Jr. schreitet also hochmotiviert zur Tat und freut sich wie ein Wiener Schnitzel endlich zu zeigen was in ihm steckt.
Das Ganze hat er sich jedoch leichter vorgestellt als es ist, denn dieses Monster scheint eine Art Basilisk zu sein und ist auch noch stärker als er. Wenn ihm seine Superhelden-Kollegin DONAUWEIBCHEN nicht geholfen hätte, würde er nun bei den Fischen liegen und die Superhelden-Karriere hätte geendet, bevor sie überhaupt begonnen hätte. Er muss also zu härteren Bandagen greifen und ruft alle Superhelden Wiens zusammen.
Leider sind das nicht mehr gerade viele. Einzig die alte Freundin seines Vaters LADY HEUMARKT und diese schleppt noch diesen geheimnisvollen BÜROKRATEN an. Ob sie es nun zu viert schaffen dieses Urvieh zur Strecke zu bringen?

"Wiener Blut" dient vor allem erstmal dazu einem die Superhelden vorzustellen und daher kommt es zwar zu einem spannenden Kampf zwischen den Wiener Wächtern und dem Basilisken, doch dieses Biest konnte fliehen und somit endet die Story mit einem riesigen Cliffhanger.

Im Anschluß gibt es einen Kurzcomic mit dem Titel "Lady Heumarkt - Schatten der Vergangenheit". In diesem erfährt man wie diese knallharte, feministische, fluchende und rauchende Catcherin zu dem wurde was sie ist.
(Autor: Harald Havas; Pencils/Inks: Lenny Großkopf; Colors: Verena "Nudl-Monster" Loisel)

---------

2 "Die Macht des Dr. Phobos - Rückkehr der Helden Teil 2"

Autor: Harald Havas; Pencils/Inks: Michael Liberatore, Lenny Großkopf, Andi Paar; Colors: thomas Aigelsreiter, Andi Paar, Lisa Heschl, Frans Stummer; Lettering: Thomas Aigelsreiter

Der Basilisk muss unbedingt gefunden werden und dafür brauchen unsere Helden das voll ausgestattete multifunktionale Hauptquartier "SOCRATES", der einstige Unterschlupf der damaligen WIENER WÄCHTER.
Dafür muss CAPTAIN AUSTRIA Jr. jedoch Kontakt mit seinem Vater aufnehmen, um den Schlüssel von ihm zu bekommen. Der einstige CAPTAIN AUSTRIA ist jedoch in Superhelden-Rente und die Vater-Sohn-Beziehung ist nicht die Beste.
Als ob das nicht schon genug wäre, treibt sich auch noch ein Schurken-Opa in Wien herum. Er nennt sich Dr. Phobos und seine Superkraft ist mentale Manipulierung und diese zieht er aus einem Spazierstock, den er aus der ehemaligen Praxis von Sigmund Freud geklaut hat.
Den Basilisken erwischen die Superhelden zwar nicht, aber trotzdem geht es hier hoch her.

In der anschließenden Nebenstory "Der erste Mann" ist man bei der Entstehung des ersten CAPTAIN AUSTRIA dabei. Gezeichnet im herrlichen Oldschool-Stil inkl. vergilbter Comic-Optik.
(Autor: Harald Havas; Pencils/Inks/Colors: Leo Koller)

-----------

3 "Mission Graz: Alarm für Cap & Co - der Basilisk schlägt wieder  zu

Autor: Harald Havas; Pencils/Inks/Lettering: Jörg Vogeltanz; Colors: Lisa Heschl; Dialektcoach Steirisch/Grazerisch: Leo Lukas

Endlich haben unsere WIENER WÄCHTER eine Spur, wo sich der Basilisk befindet, nämlich in Graz. Also nix wie hin! Doch auch dort entwischt das Monster wieder. Sie benötigen also die Hilfe eines Grazers. Dieser ist niemand Geringeres als der GRÜNE PANTHER, ein Verbündeter des alten CAPTAIN AUSTRIA aus alten Superhero-Zeiten. Seine Superkraft ist ... wie soll man das am besten erklären? Also es sprüht nicht nur Feuer aus seinen Fingern, sondern auch aus seinem Allerwertesten. Wenn man also einen Furz von ihm abbekommt, dann kann es sein, dass man unter Feuer steht und er braucht dafür nicht mal ein Feuerzeug.
Langweilig wird es auch hier nicht und man kommt hinter ein Geheimnis den Basilisken betreffend.

Im anschließenden Kurzcomic "Helden von heute" begegnet man nicht nur dem DONAUWEIBCHEN, sondern auch Falco. In die Vergangenheit der WIENER WÄCHTER wird ebenfalls geblickt und was musste ich da erfahren? Der Walzerkönig war auch einst ein Superheld und Mitglied der WIENER WÄCHTER!! Na wumm!
(Autor: Harald Havas, Pencils: Andi Paar; Inks/Lettering: Thomas Aigelsreiter; Colors: Thomas Aigelsreiter, Andi Paar)

-----------

4 "Das letzte Aufgebot - Entscheidung im Wiener Prater - Der Wiener Rathausmann greift an"

Autor: Harald Havas; Pencils: Andi Paar; Inks/Lettering: Thomas Aigelsreiter; Colors: Thomas Aigelsreiter, Andi Paar, Frans Stummer

Der Basilisk treibt noch immer sein Unwesen! Wie soll man sich da einen Namen als neues Superhelden-Team machen, wenn man dem nicht Herr wird? Da müssen nun größere Geschütze aufgefahren werden und somit betritt ein neuer Superheld die Bühne, bzw. muss dieser aktiviert werden.
Der Häupl (ehemaliger Wiener Bürgermeister) ist darüber gar nicht erfreut und lässt seinen Veltliner schal schmecken. Immerhin wollen die WIENER WÄCHTER den RATHAUSMANN aufwecken.
Diese eiserne Statue ist zwar unverwundbar und ein Gentleman alter Schule, aber auch äußerst patschert (=ungeschickt). Da kann es schon passieren, dass die Reichsbrücke zu Bruch geht.
Mit seiner Hilfe soll es nun endlich zur letzten und alles entscheidenden Schlacht kommen. Schaffen es unsere Superhelden diesmal den Basilisken aus der Welt zu schaffen?

Im Anschluß gibt es diesmal gleich zwei Kurzcomics:

In "Stimmen" wird auf den Werdegang des BÜROKRATEN eingegangen. (Autor: Harald Havas; Pencils/Inks/Lettering: Michael Wittman; Colors: Lisa Heschl)
In "Wellen" hat das DONAUWEIBCHEN die Hauptrolle. (Autor: Harald Havas; Pencils/Inks/Lettering/Colors: Lisa Heschl)

-----------

Diese Sammelband enthält nicht nur Storys, wobei jede von verschiedenen Comic-Zeichnern und -Zeichnerinnen illustriert wurden, sondern auch die unterschiedlichen Cover-Varianten der Einzelhefte, Einblicke in das Making-Of anhand von Skizzen, Entwürfe von Covers und die Entstehung der Austrian Superheroes.

Es ist also ein Schmankerl durch und durch und mir fiel eine Newcomerin ganz besonders ins Auge - Lisa Heschl. Ihren Stil finde ich umwerfend. Ihre Illustrationen wirken teils wie gemalt und mit Airbrushtechnik. Ich bin hin und weg.
Doch mich konnten die Ideen und Storys bereits von Anfang an begeistern. So herrlich anders, so unglaublich atmosphärisch, genial spannend und der Humor kommt auch nicht zu kurz.
Meine Erwartungen wurden übertroffen und ich war gespannt, ob dieses Niveau gehalten werden kann. Achtung Spoiler! - Ja, es kann und es wird.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 17.08.2020

Gelungener Finalband der Trainspotting-Reihe mit typischen Brainfuck-Momenten à la Welsh.

Die Hosen der Toten
0

Beruflich läuft es gar nicht mal schlecht für Mark Renton. Als Manager erfolgreicher DJs reist er um die Welt. Die Kohle stimmt. Warum fühlt es sich trotzdem nicht richtig an? Eine Zufallsbegegnung mit ...

Beruflich läuft es gar nicht mal schlecht für Mark Renton. Als Manager erfolgreicher DJs reist er um die Welt. Die Kohle stimmt. Warum fühlt es sich trotzdem nicht richtig an? Eine Zufallsbegegnung mit seinem einstigen Weggefährten Franco Begbie reißt ihn aus seinem Trott. Verdammt noch mal, das Leben hat doch mehr zu bieten! Bald findet sich Mark in einer Welt wieder, die er längst hinter sich geglaubt hatte: in den dreckigen Straßen einer verachtenswerten schottischen Kleinstadt ... (Klappentext)

✵✵✵✵✵

"Ich bin völlig im Arsch, habs tierisch im Rücken. Ich stehe kurz vor einer ausgewachsenen Panikattacke, und Don Promillo neben mir hört nicht auf zu labern, überträgt seine Panik aufs ganze Flugzeug. Ich glotz konzentriert in meine Zeitschrift, ring nach Luft und bete, dass die Pillen bald wirken."
(S. 11)


Wie im Zitat geht es wohl jedem mal von uns im Leben, doch bei unseren Trainspotting-Jungs aus Edinburgh scheint das nicht nur eine Metapher, sondern der Leitsatz des Lebens zu sein. Wenn es bei denen scheiße läuft, dann richtig und dann hilft auch keine Pille - nicht das sie das nicht versuchen würden.

Die Leith-Jungs sind nun schon lange keine Jungs mehr, sondern mittlerweile Mitte 40. Sie sind zwar erwachsen, doch nicht wirklich reifer und das Leben verläuft auch nicht unbedingt nach Plan, so sehr sie sich das auch einreden.
Mark Renton lebt im sonnigen Kalifornien und jettet MDMA-einschmeißend und koksend als DJ-Manager durch die Weltgeschichte. Doch das hört sich besser an als es ist, denn er muss jeden beschissenen Tag Kindermädchen für seine DJ's spielen, die sich wie verwöhnte Kinder auf Zuckerschock benehmen.
Frank Begbie, ebenfalls in Kalifornien lebend und einst größter Wichser von Edinburgh mit psychopathischen Anlagen, scheint jedoch sein Leben tatsächlich in den Griff bekommen zu haben. Freischaffender Künstler, verheiratet und Vater zweier Töchter. Doch auch bei ihm läuft nicht alles rund. Ein suspendierter Cop hat ihn im Visier und möchte ihm einen Mord anhängen. Ist Begbie wirklich ein anderer geworden und lässt er diese Verleumdung auf sich sitzen, oder schlummert der alte Psychopathen-Begbie noch in ihm?
Simon aka Sick Boy lebt in London und ist dem Pornogeschäft sozusagen treu geblieben. Er betreibt ein Escord-Service, hat einen Sohn, vögelt noch immer wild durch die Gegend und ist auch weiterhin Drogen wie Ecstasy und Koks nicht abgeneigt. Weiters ist er immer noch der egoistische Arsch wie eh und je, mit einer Sensibilität eines Traktorreifens und mit einem Talent anderen das Leben zu versauen.
Spud hat es so richtig scheiße getroffen. Von den Drogen nie weggekommen verdient er sich sein täglich Brot mit Betteln auf Edinburghs Straßen. Als ob es nicht schon schlecht genug für ihn laufen würde, geht er einen Deal ein. Diesmal hat es jedoch nichts mit Drogen zu tun. Ob illegaler Organhandel da besser ist, um an Geld zu kommen?
Wie es der Zufall will treffen die großen Jungs aufeinander, eins führt zum Anderen und schon sitzen alle zusammen wieder gehörig in der Scheiße.
Misstrauen, Drogen, Alkohol und sich gegenseitig übertrumpfen zu wollen macht das Ganze nicht besser und wer diese Buchreihe kennt, kann sich denken was einem hier erwartet.

"Wer zeit seiner Jugend in ner Brühe aus Gumley-Mittelmaß mariniert wurde, einem faden Sud aus Sozialbauten, die so grau in grau sind, dass sie in dieser eintönigen Umgebung nicht mal mehr unangenehm auffallen, aus versnobten, aber trotzdem beschissen aussehenden Bungalows und den Mietskasernen von Dalry, diesem dunklen Gorgie-Tumor am Arsch der Stadt, der is für den Rest seines Lebens von einem nie wieder zu entfernenden Schandfleck moralischer Schwäche gezeichnet." (S 238)

Man liest hier wieder aus verschiedenen Perspektiven und taucht so in das Leben der jeweiligen Protagonisten ein. Im Verlauf trifft man auf alte Bekannte, wie z.B. Mikey Forrester, Terry oder Carl Ewart aka N-Sign, die manche eventuell aus "Klebstoff" kennen.
Die Jungs sind, wie schon erwähnt, erwachsener geworden, jedoch kein bisschen weiser. Sie stolpern von einem Kackhaufen in den nächsten. Zunächst jeder in seinen eigenen, bis sich die einzelnen Handlungsstränge im Verlauf zu einem großen Haufen Scheiße verbinden in dem alle bis zum Hals drinstecken. Alles ins Laufen gebracht durch einen kleinen Dominostein, der zu einer Kettenreaktion führt.
Die Jungs haben, wie immer, ihre ganz eigene Art mit Problemen umzugehen, zu agieren und zu reagieren, denn Leith-Jungs bleiben Leith-Jungs. Dabei kommt es zu einigen überraschenden Wendungen und natürlich zu spannenden und vor allem auch skurrilen Szenen.

"...für die guten Dinge scheinst du immer weniger Zeit zu haben, denn ständig hast du irgendnen Scheiß am Hals, also gehst du dazu über, dich nen feuchten Kehricht um den Kack anderer Leute zu kümmern - der überrollt dich nämlich, wenn du ihm zu viel Platz einräumst - du lehnst dich zurück und glotzt POP IDOL - natürlich mit ironischer Distanz, nicht geizend mit überheblicher Kritik und höhnischer Verachtung - aber gelegentlich, nur gelegentlich, reicht das nicht, um diese komische überwältigende Stille zu übertönen, und plötzlich hörst du es, dieses leise Zischen im Hintergrund - das ist das Geräusch deiner verpuffenden Lebensenergie..." (s. 20)

Dies ist der finale Band der Trainspotting-Reihe rund um die Leith-Jungs Renton, Sickboy, Begbie und Spud. Genau als solches sollte dieses Buch auch gelesen werden, denn für Trainspotting-Neueinsteiger ist es nicht geeignet.
Als ich erfuhr, dass dieses Buch erscheint, habe ich sogleich die gesamten Bände dieser Reihe aus meinem Regal gekramt und gönnte mir einen ReRead. Diesmal in chronologischer Reihenfolge und dieses Leseerlebnis war absolut abgefahren und kann ich nur empfehlen (im Anschluß folgt die chronolog. Reihenfolge).
Nicht nur weil man auf diese Art die Jungs von ihrer Jugend an begleitet, ihnen beim Erwachsenwerden (oder auch Nicht-Erwachsenwerden) zusieht und dadurch einen intensiveren Bezug zu deren Lebensgeschichte erhält, sondern den Autor Irvine Welsh beim schriftstellerischen Wachsen zusehen kann.
Wie auch die Leith-Jungs wurde der Autor "erwachsen" ohne dabei seinen speziellen Schreib- und Erzählstil zu verlieren.

"Flankiert von seinem medizinischen Team, bestehend aus Youssef und Enan, bemüht er sich fieberhaft, in dieser letzten Wendung der grauenvollen Geschehnisse der vergangenen Tage einen Sinn zu erkennen, aus diesem Armageddon seines Lebens eine Erkenntnis zu gewinnen. Er versucht den Wendepunkt zu finden, jenen Moment, ab dem alles den Bach runterging."
(S. 266)


Wer bereits Bücher von Irvine Welsh gelesen hat weiß, dass es bei ihm keinesfalls zimperlich zugeht. Derbe Sprache, manchmal im typischen Gossen-Slang, gepaart mit Gesellschafts- und Sozialkritik. Hier wird einem die Gesellschaft in ihrer derbsten und auch direktesten Form vor Augen geführt, daher sind hier Sexismus und Political Incorrectness ebenso enthalten, wie auch Drogenkonsum und Sex. Gleichzeitig lässt einem so manche Situationskomik schmunzeln oder böse grinsen, während sich einem zwischen den Zeilen eine unglaubliche Tiefe im literarischen Hochgenuss offenbart.
Es erwartet einem hier also eine wahre Gefühlsachterbahn, welche sich durch Ekel, Empörung, Lachen und gespanntes Luftanhalten in der Mimik abzeichnet. Bei einer Szene verdrückte ich sogar ein paar Krokodilstränen, obwohl ich alles andere als nah am Wasser gebaut bin.
Übrigens hat hier der Übersetzer Stephan Glietsch wieder einmal hervorragende Arbeit geleistet.

Wie immer bei Welsh spielt auch hier Musik eine wichtige Rolle und man taucht in eine Story ein, die einem mit Songs umspült, die einem nicht nur in die Techno-Szene der 2000er, sondern auch in die 80er und 90er entführt.

Fazit:
Es hat Spaß gemacht mit den Jungs wieder durch die Straßen zu ziehen und ihnen dabei zuzusehen, wie sie sich immer tiefer in die Scheiße reiten. Natürlich gibt es auch hier wieder die typischen Brainfuck-Momente à la Welsh.
Es ist für mich also ein würdiges und gelungenes Finale der Trainspotting-Reihe, welches ich in kürzester Zeit verschlang. Doch Welsh wäre nicht Welsh, wenn er sich am Ende nicht doch eine kleine Hintertür offen gelassen hätte. Man darf also durchaus gespannt sein, ob und wann die ein oder andere Trainspotting-Figur in einem zukünftigen Welsh-Roman ihren Auftritt hat, oder ob es nicht doch irgendwann einen 5. Band der Reihe gibt. Ich persönlich hätte nichts dagegen.

© Pink Anemone (inkl. Book-Soundtrack, Leseprobe, Bilder und ausführlicher Autoren-Info)

Chronologische Reihenfolge:

"Skagboys" (2013)
"Trainspotting" (1996)
"Porno" (2004)
"Kurzer Abstecher" (2017) Eine Begbie-Story, welche auch unabhängig gelesen werden kann
"Die Hosen der Toten" (2020)


  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 29.07.2020

Ein spannendes Leseabenteuer mit vielen Rätseln für Kinder, die mehr wollen als nur lesen.

Die Legende der Star Runner - Timmi Tobbsons erstes Rätselabenteuer
0

Die rätselhafte Spur einer jahrhundertealten Familienlegende soll Timmi, Lilli und Marvin dabei helfen, einen Freund aus großer Not zu retten. Ihnen bleiben nur vierundzwanzig Stunden, um ein längst vergessenes ...

Die rätselhafte Spur einer jahrhundertealten Familienlegende soll Timmi, Lilli und Marvin dabei helfen, einen Freund aus großer Not zu retten. Ihnen bleiben nur vierundzwanzig Stunden, um ein längst vergessenes Piratenschiff aufzuspüren, das vor langer Zeit innerhalbder Mauern ihrer Heimatstadt spurlos verschwand. Von den dreien unbemerkt, weckt ihre Suche eine mystische dunkle Kraft, die das größte Geheimnis des berüchtigten Schiffes auch heute noch mit allen Mitteln schützen will. Der Name des Schiffes lautet: Star Runner.
Bist du eine Spürnase? ...
(Klappentext)

☠☠☠☠☠

">>Das ist eine wichtige Lektion fürs Leben: Wenn du alle Probleme auf einmal lösen willst, wirst du erdrückt von der Herausforderung. Nimmst du aber eines nach dem anderen an, hast du eine gute Chance, durchzukommen.<<"
(S. 76)


Timmis beste Freundin Lilli ist ganz aus dem Häuschen. Ihr Opa erzählte ihr von einem längst vergessenen Piratenschatz, welcher sich in ihrer Stadt befinden soll. Mit von der Partie ist auch Marvin und die drei begeben sich sogleich zu Lillis Opa, um mehr darüber zu erfahren. Dieser händigt ihnen einen Schlüssel aus, der für die Schatztruhe des Piraten Lotterlulu bestimmt ist.
Wo sich das damalige Schiff dieses Piraten befindet, müssen sie jedoch selbst herausfinden. Doch wie sollen sie das nur anstellen, wo das Schiff doch schon seit 1755 verschollen ist und es bisher niemand geschafft hat es zu finden?
Und so verbringen die drei Freunde die Sommerferien nicht im Freibad, sondern begeben sich auf eine abenteuerliche Schatzjagd auf der sie viele Rätsel lösen müssen.

Dieses Buch ist kein normales Kinderbuch, sondern ein Buch voller Abenteuer und Rätsel.
Die LeserInnen müssen dabei den drei Protagonisten tatkräftig zur Seite stehen und die Rätsel lösen, um hinter das ein oder andere Geheimnis zu kommen, oder Wege zu finden, um voranzukommen.
Dies sind meist Bilderrätsel, was bedeutet, dass man sehr genau lesen muss, um dann bei den Illustrationen auf die Suche zu gehen. Das ist nicht immer ganz einfach, denn man muss nicht nur genau lesen, sondern auch genau schauen und kombinieren.

">>Ganz allein fühl ich mich leer.
Ansonsten aber eher schwer.
Fühl ich mich leer, bleibe ich still stehen.
Fühl ich mich schwer, will ich gern gehen.
Doch wenn ich gehe, dann fließt meistens Blut.
Nur wenn ich still stehe, sind die Zeiten gut.<<"
(S. 12)


Dadurch lernen Kinder bewusst zu lesen und ebenso zu kombinieren und das auf sehr unterhaltsame Art und Weise, denn die Abenteuer kommen hierbei nicht zu kurz.
Man schleicht hier z.B. mit den Figuren in ein Archiv, studiert die alte Stadtkarte, betritt eine alte Seemanns-Kathedrale, die einige Überraschungen bereithält, man zündet Dynamit, taucht um sein Leben und noch vieles mehr. Langweilig wird einem hier also ganz und gar nicht.

Die Protagonisten sind authentisch und gut ausgearbeitet.
Da hätten wir Timmi, aus dessen Perspektive man liest. Er ist Asthmatiker und der Taktiker der Gruppe. Lilli ist das einzige Mädchen, jedoch auch die Mutigste und sie hat die Zügel fest in der Hand. Marvin ist Timmis bester Frend, pummelig, irrsinnig gescheit und er liebt Tiere über alles.
Der Schreibstil ist kindgerecht und flüssig und die Story enthält die ein oder andere überraschende Wendung.

">>Wieso kommt da Licht raus?<<, flüsterte Marvin.
Wir schalteten die Taschenlampe ab.
>>Weil wir dort unten nicht alleine sein werden, was auch immer dort auf uns wartet<<, antwortete ich.
Wir legten uns flach auf den Boden und hoben die Klappe gerade weit genug, um nach unten zu spähen. Den Anblick würden wir nie vergessen."
(S. 127)


Die Rätsel selbst sind nicht immer ganz einfach, doch am Ende des Buches stehen die Lösungen, falls einem der Knopf so gar nicht aufgehen sollte. Um es jedoch nicht allzu einfach zu gestalten, sind diese Lösungen in Spiegelschrift. Man sollte also einen kleinen Handspiegel parat haben.
Weiters benötigt man Bleistift, Radiergummi, ein Lineal und einen Zirkel. Dies wäre dann also der Inhalt des Survival-Pakets, welches man benötigt und dan kann das Lesen und Rätseln auch schon beginnen.

Fazit:
Dieses Buch ist ein Geschenk für meinen 10-jährigen Neffen, welcher sich nicht lange auf eine Geschichte konzentrieren kann und nicht unbedingt gerne liest ... außer es handelt sich um Comics oder Bücher die mehr zu bieten haben.
Die Reihe des Kleinen Bösen Buchs hat er z.B. verschlungen und das Lesen hat ihm unheimlich viel Spaß gemacht. Daher bin ich immer auf der Suche nach Kinderbüchern dieser Art. Mit diesem Buch schein ich endlich wieder genau so ein Buch gefunden zu haben.
Ich bin zwar keine 10 Jahre, habe mich übrigens aber trotzdem beim Lesen und Rätseln köstlich amüsiert.

Die Meinung meines Neffen werde ich Euch natürlich nicht vorenthalten und ich bin selbst schon gespannt, wie es ihm gefallen wird.

© Pink Anemone (inkl. Bilder, Buchtrailer, Link zur Timmi Tobbson-Seite und Autoren- u. Illustratoren-Info)

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 12.05.2020

Bildgewaltig, mitreißend, atmosphärisch und ans Herz gehend.

Suleika öffnet die Augen
0

Suleika ist eine tatarische Bäuerin. Eingeschüchtert und rechtlos lebt die Mutter von vier im Säuglingsalter gestorbenen Kindern auf dem Hof ihres viel älteren Mannes. Ihr Weg zu sich selbst führt durch ...

Suleika ist eine tatarische Bäuerin. Eingeschüchtert und rechtlos lebt die Mutter von vier im Säuglingsalter gestorbenen Kindern auf dem Hof ihres viel älteren Mannes. Ihr Weg zu sich selbst führt durch die Hölle, das Sibirien der von Stalin Ausgesiedelten. Ein anrührendes und meisterhaftes Debüt, das in 21 Sprachen übersetzt ist... (Klappentext)

☭☭☭☭☭


"Hunderte, Tausende Familien fuhren in endlosen Schlittenzügen durch die Weiten des Roten Tatariens. Vor ihnen lag ein noch viel längerer Weg. Wohin er führte, wussten weder sie noch ihre Begleiter. Klar war nur eines. Es ging sehr weit fort."
(S. 157)



Suleika ist eine junge Frau, welche im Russland der 30er Jahre ein karges Leben führt. Mit fünfzehn wurde sie an einen viel älteren Mann verheiratet, ist nun mit einer bösartigen Schwiegermutter "gesegnet" und schuftet sie von Früh bis Spät und trotzdem ist es nie gut genug. Ihre vier Kinder musste sie alle bereits im Säuglingsalter begraben und daran ist sie selbst schuld, wenn es nach ihrer Schwiegermutter geht. Sie leidet still und kämpft sich durch dieses Leben.
Man könnte meinen es könne für Suleika nicht noch schlimmer werden, als der Rote Terror über sie hereinbricht. Dieser führt schließlich zur Enteignung ihres Hofes und ihr Mann wird getötet. Suleika wird mit anderen in das unwirtliche Sibirien deportiert, um dieses Gebiet für Stalin urbar zu machen.

Dieser historische Roman erstreckt sich über zwei Jahrzehnte und erzählt von dem entbehrungsreichen Leben tatarischer Bauern, den Verbrechen Stalins an diesen Bauern und somit der Entkulakisierung und Urbarmachung der Taiga. Dies alles aus der Sicht einer Betroffenen - Suleika, welche ich von der ersten Seite an ins Herz schloß.


"Der Schnee fährt ihr schmerzhaft ins Gesicht, dringt in Nase und Mund. Suleika hebt den Kopf und schüttelt ihn ab. Da liegt sie am Boden, sieht das Schlittenende davonfahren und das Schneegestöber ringsum dichter werden."
(S. 25)



Wie erwähnt umfasst die Story zwei Jahrzehnte und ist in vier große Kapitel unterteilt.
Es beginnt mit dem Einblick in das Leben einer Bäuerin und man ist dabei, als Suleika bis zur Erschöpfung arbeitet, von ihrer Schwiegermutter tagein und tagaus drangsaliert und von ihrem Mann geschlagen wird. Trotzdem bezeichnet sie ihn als "guten Mann". Doch schon hier erkennt man wie stark sie eigentlich ist.

Der 2. Teil behandelt die Deportation und die lange Reise, welche ein halbes Jahr dauert. Hier erhält man auch Einblick in die Sicht von Ignatow - Rotarmist der roten Arbeiter- und Bauernarmee und Mörder von Suleikas Mann. Dieser wird abkommandiert, um den Zug mit der menschlichen Fracht nach Sibirien zu begleiten und schließlich mit diesen in der Einöde zurückgelassen wird.
Hier beginnt dann das dritte Kapitel, welches das Überleben im Nordosten Sibiriens beleuchtet. Der Überlebenskampf mit dem harten Winter und wie im Nichts der Einöde eine Siedlung entsteht.
Im vierten Teil ist aus der Siedlung mit windigen Baracken bereits ein kleines Dorf entstanden. Das Leben ist hart und entbehrungsreich aber die Menschen haben sich damit arrangiert. Doch nun reichen die Krallen des 2. Weltkrieges auch in das abgelegene sibirische Dorf. Am Ende öffnet Suleika wie so oft ihre Augen und beginnt endlich zu sehen.


"Der frische Geruch der großen Wasserfläche und der herbe Duft der Taiga von Fichten, Kiefern, Lärchen und aromatischen Kräutern steigen ihm in die Nase. Es ist also wahr: Er, Iwan Ignatow, sitzt hier in Sibirien."
(S. 256)



Die russischen Schriftsteller haben eine ganz spezielle Art zu erzählen - ruhig, kämpferisch und dennoch immer mit dieser leisen Melancholie.
Dostojewski, Tolstoi und Gogol, um nur drei meiner Favoriten zu erwähnen, schafften es mich für russische Literatur und somit auch für russische Geschichte zu begeistern. In diese Liste reiht sich nun auch die junge Schriftstellerin Gusel Jachina.
Auch sie lässt das Leben russischer Bauern lebendig werden. Auch sie thematisiert ein Unrecht, was an diesen begangen wurde und auch sie hat diese ruhige, melancholisch-russische Erzählweise inne.
Doch während die oben genannten Herrschaften oft ausufernd und langatmig erzählen, sich teilweise in Nebensächlichkeiten verlieren und es dadurch zu der ein oder anderen Länge kommt (welche ich jedoch auch durchaus genießen kann), schreibt Jachina zwar ebenso mit Liebe zum Detail, jedoch in schlichter Sprache, fesselnd und vor allem atmosphärisch.


"Der gesägte Kalender an dem Stamm neben dem Ausgang ist eine Erfindung von Konstantin Arnoldowitsch. Mitte August begonnen, sind September, Oktober, November, Dezember, Januar und sogar Februar mit fester Hand in das Holz eingeritzt. Ab März werden die Schnitte unregelmäßig und sind kaum noch zu erkennen. Der April ist gar nicht mehr vermerkt. Das ist inzwischen auch gleichgültig, wahrscheinlich ist er bereits zu Ende."
(S. 340)



Begleitet von unglaublicher Sprachgewalt, Atmosphäre und viel Gefühl, taucht man in eine Welt ein, die so anders als die unsrige ist. In eine Zeit, welche bereits lange in der Vergangenheit liegt und eine historische Begebenheit aufleben lässt, die schon vergessen zu sein schien.Fiktion verwoben mit der Geschichte der Großmutter der Autorin.

Fazit:
Bildgewaltig, mitreißend, atmosphärisch und ans Herz gehend, sind die ersten Worte, die mir nach dem Zuklappen des Buches durch den Kopf gehen.
Innerhalb kürzester Zeit habe ich diesen Roman verschlungen, der mir Einblick in die russische Geschichte und in eine Zeit ermöglichte, welche ich nie bewusst verfolgte.
Ich habe mit Suleika gelitten, gefroren und gehungert und trotzdem hätte ich noch ewig darin versinken können.

Am Ende möchte ich Euch ein Zitat der Autorin nicht vorenthalten, welche in diesem Buch die Geschichte ihrer Großmutter niedergeschrieben hat.


">>Wir alle wissen viel zu wenig über unsere Großmütter und Urgroßmütter, über diese >schweigende Generation<. Sie haben etwas verschwiegen und vor uns verheimlicht, haben im Gefängnis gesessen oder waren in der Verbannung, oder sie selbst haben andere ins Lager gesteckt, in die Verbannung geschickt oder erschossen ... Unsere Verbindung zu den früheren Generationen ist durchbrochen, sie ist abgerissen.<<"
(Gusel Jachina)



© Pink Anemone (inkl. Book-Soundtrack, Leseprobe und Autoren-Info)

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere