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Veröffentlicht am 15.05.2020

Packender Thriller ums Überleben der Menschheit

Leben
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REZENSION – Weltweit starben bis Mitte Mai etwa 300 000 Menschen an Covid-19. Diese Zahl sowie der globale Verlauf der aktuellen Corona-Pandemie und deren Auswirkungen auf Menschen in aller Welt sind es, ...

REZENSION – Weltweit starben bis Mitte Mai etwa 300 000 Menschen an Covid-19. Diese Zahl sowie der globale Verlauf der aktuellen Corona-Pandemie und deren Auswirkungen auf Menschen in aller Welt sind es, die den Wissenschafts- und Umweltthriller „Leben“ von Uwe Laub (49), im April im Heyne-Verlag erschienen, vom Autor ungewollt und völlig überraschend so erschreckend aktuell werden lassen. Denn seinen Roman hatte Laub bereits im Sommer 2019 abgeschlossen, als von Covid-19 noch lange nicht die Rede war.
Das eigentliche Thema des Romans ist deshalb auch nicht ein einzelnes Virus, sondern die grundsätzliche Gefährdung der Spezies Mensch als kleines, wenn auch beherrschendes Glied unseres globalen Ökosystems. Wie das Titelbild des Buches das in einer Sanduhr verrinnende Leben zeigt, geht es in Laubs Roman um nichts Geringeres als das Überleben der Menschheit, das durch das von Wissenschaftlern anhand der Vielzahl bereits ausgestorbener Spezies längst begonnene sechste Massensterben in unserer Erdgeschichte vorausgesagt wird.
Folgerichtig beginnt Laubs ungemein fesselnder Thriller „Leben“ mit dem Tod: Wildtiere verenden in Südafrika zu Tausenden ebenso wie in Europa. Bedrohte Tierarten sterben binnen Tagen aus, andere sind durch das Arten übergreifende Massensterben in ihrer Existenz bedroht. Sogar die Menschheit scheint todgeweiht, wie der junge Pharmareferent Fabian Nowack feststellen muss. Er ist bereits am todbringenden Progerie-Syndrom erkrankt, einem unheilbaren Gen-Defekt, der binnen weniger Wochen weltweit 200 Millionen Todesopfer gefordert hat. Die Jagd nach einem Heilmittel wird zum Kampf ums Überleben.
Zwei Pharmakonzerne stellt der Autor gegenüber: Der eine behauptet, ein wirksames Medikament entwickelt zu haben und verdient Milliarden an der Pflichtimpfung aller Menschen, obwohl Insidern bewusst wird, dass dieses Medikament letztlich doch nicht hilft, sondern nur den Tod hinauszögert. Das Medikament des anderen Konzerns würde tatsächlich heilen, doch dessen Konzernchef vertritt als radikaler Umweltschützer die Ansicht, der Globus vertrage nur eine Milliarde Menschen, weshalb er sein Medikament an entsprechend Auserwählte verteilen lässt und bewusst den Tod der restlichen sieben Milliarden Menschen in Kauf nimmt.
In seinem Thriller verbindet Uwe Laub, der bereits durch seinen Überraschungserfolg „Blow Out“ (2013) und den Bestseller „Sturm“ (2018), der 2019 für den Deutschen Phantastikpreis 2019 nominiert war, sich einen Namen als Autor von Umwelt- und Wissenschaftsthrillern einen Namen gemacht hat, nach mehrjähriger Recherche auf faszinierende Weise wissenschaftliche Fakten und eine überaus spannende Handlung um seinen Protagonisten Fabian Nowack. So tröstlich der fesselnde Spannungsroman auch endet, wirkt seine drängende Botschaft, bedingt durch viele Handlungsdetails zur aktuellen Corona-Lage, momentan umso nachdrücklicher und nachhaltiger. Ob wir Menschen aus der aktuellen Pandemie unsere Lehren ziehen und diese Krise als einmalige Chance zu mehr Klima- und Naturschutz nutzen werden? Der britische Physiker Stephen Hawking (1942-2018) begrenzte die verbleibende Lebensdauer der Menschheit auf nur noch hundert Jahre, sollten wir unsere Lebensweise beibehalten. Schuld sei die stetig wachsende Übervölkerung der Erde durch die Spezies Mensch, dessen Raubbau an der Natur sowie seine schädigenden Eingriffe in das sensible Ökosystem.

Veröffentlicht am 14.05.2020

Zauberhafter Roman mit romantisch-bildhafter Sprache

Offene See
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REZENSION – Ein belletristisch seltener Genuss ist der im März bei Dumont veröffentlichte Roman „Offene See“ des englischen Schriftstellers Benjamin Myers (44), weshalb man dem Verlag zu diesem Glücksgriff ...

REZENSION – Ein belletristisch seltener Genuss ist der im März bei Dumont veröffentlichte Roman „Offene See“ des englischen Schriftstellers Benjamin Myers (44), weshalb man dem Verlag zu diesem Glücksgriff nur gratulieren kann. Es ist vor allem die in romantischen Bildern berauschende Sprache, die diesen ersten in deutscher Übersetzung erschienenen Roman des zuvor schon mehrfach ausgezeichneten Autors so fasziniert und berührt, weshalb auch den Übersetzern Klaus Timmermann und Ulrike Wasel für dieses literarische Erlebnis zu danken ist.
Nicht nur sprachlich, auch in seiner Handlung versetzt uns der Roman „Offene See“ gefühlsmäßig ins Zeitalter der Romantik, als sich im 19. Jahrhundert heranwachsende Kavaliere auf ihre Grand Tour, ihre kulturelle Bildungsreise durch Europa, begaben. „Ich blieb stehen, um meine Feldflasche am Straßenrand an einer Quelle zu füllen, die in einen Steintrog plätscherte, und kam mir vor, als hätte ich ein Gemälde betreten.“ Doch der 16-jährige Robert Appleyard ist weder Kavalier noch lebt er im 19. Jahrhundert. Myers Geschichte spielt in Nordengland im Jahr 1946, also kurz nach Kriegsende. Der 16-jährige Schulabsolvent scheut die Enge seines augenblicklichen Lebenshorizonts und die Schlichtheit seines dörflichen Lebens sowie den allen Männern seiner Familie vorbestimmten grauen und tristen Alltag als Bergarbeiter. Er sehnt sich nach Weite, nach farbenprächtiger Natur, nach dem noch undefinierbaren Neuen, weshalb er sich auf die Wanderung zur offenen See aufmacht.
Doch noch bevor er die offene Küste erreicht, trifft er abseits der Straße auf ein heruntergekommenes Cottage, dessen schon ältere Bewohnerin Dulcie ihn zum Tee einlädt. Aus einem Nachmittag werden Wochen. Robert bringt den verwilderten Garten der alleinstehen Frau, dessen hochgewachsene Hecken die Sicht auf das Meer versperren, wieder in Ordnung. In diesen Sommermonaten wird die unverheiratete Dulcie, die sich nach erlebnisreichen Reisen und abenteuerlichem Leben in die Einsamkeit ihres Cottages zurückgezogen hat, in ihrer burschikosen und unkonventionellen Art zur Lehrmeisterin des jungen und noch unerfahrenen Robert. Nicht selten überrascht sie ihn mit ihren ungewöhnlichen Ansichten zur Lebensführung, mit ihrer drastischen und offenen Art, Dinge beim Namen zu nennen.
Dulcie gibt ihm ungeachtet seiner begrenzten schulischen Bildung die Klassiker der Weltliteratur, Gedichte und Romane, zu lesen, von denen manche wie „Lady Chatterley’s Lover“ von D. H. Lawrence nur zensiert oder unter dem Ladentisch zu bekommen waren. In langen Gesprächen schärft sie Roberts Blick für das Wesentliche im Leben und ermuntert ihn vor allem, seinen Neigungen zu folgen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. „Ich lebte das Leben, das ich leben wollte“, erinnert sich Robert später als alternder Schriftsteller.
Myers Roman „Offene See“ ist eine Lobeshymne auf das wahre Leben und dessen schöne Seiten, auf eine breitgefächerte kulturelle und humanistische Allgemeinbildung. Mit der romantisch-bildhaften und klangvollen Sprache seines zauberhaften Romans gelingt es dem Autor – und den beiden Übersetzern –, ähnlich wie im Falle Robert Appleyards gleichsam Musik und Farbe auch in unseren oft grauen Alltag zu bringen.

Veröffentlicht am 12.05.2020

Eindrucksvoller Aufruf zweier kluger Köpfe

Trotzdem
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REZENSION – Wer sich mit den möglichen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf unsere Gesellschaft beschäftigen will, kann viele Bücher lesen. Empfehlenswerter ist aber die Lektüre des kleinen, im Mai beim ...

REZENSION – Wer sich mit den möglichen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf unsere Gesellschaft beschäftigen will, kann viele Bücher lesen. Empfehlenswerter ist aber die Lektüre des kleinen, im Mai beim Luchterhand-Verlag erschienenen Büchleins „Trotzdem“. Wie schon in ihrem ersten beeindruckenden Gesprächsband über „Die Herzlichkeit der Vernunft“ (2017) überzeugen auch diesmal die beiden Schriftsteller-Juristen Ferdinand von Schirach (56) und Alexander Kluge (88) durch Intellekt, Scharfblick und Weitblick. Das gerade in seiner Kürze und Prägnanz beeindruckende, auf knapp 80 Seiten festgehaltene Gesprächsprotokoll der beiden Juristen beantwortet Fragen von der Rechtmäßigkeit heutiger Einschränkungen bis zur Zukunft Europas.
Das Corona-Virus schafft eine Zeitenwende, vermuten beide Juristen, die Zweierlei möglich macht - „das Strahlende und das Schreckliche“. Das „Schreckliche“ zuerst: Während manche einen „Shutdown unserer Grundrechte“ zu erkennen glauben, bleibt Schirach zuversichtlich: „Wir leben in Demokratien, wir haben eine Gewaltenteilung. Noch immer muss das Parlament entscheiden.“ Doch auch er warnt vor einer „Verfestigung autoritärer Strukturen“, an die sich die Menschen bald gewöhnen könnten, und fordert deshalb zwingend eine zeitliche Befristung jeder Maßnahme, die zudem vier Voraussetzungen erfüllen muss: „Sie muss einen legitimen Zweck verfolgen, geeignet, erforderlich und angemessen sein.“ Würde man zum Beispiel allen Menschen die Fahrerlaubnis entziehen, um Leben zu schützen und Tausende Verkehrstote pro Jahr zu vermeiden, wäre auch dies zwar legitim, aber nicht angemessen.
Doch diese Frage scheint beiden Gesprächspartners eher unwichtig zu sein, weshalb sie sich stattdessen der weitaus interessanteren Frage nach langfristigen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf unsere gesellschaftliche Entwicklung zuwenden. Wie das verheerende Erdbeben von Lissabon im Jahr 1755 die europäischen Völker von ihrem bisherigen Gottesglauben entfernte und dadurch zum beschleunigenden „Katalysator der Aufklärung“ wurde, indem rationales Denken alle den Fortschritt behindernden Strukturen überwand, so kann auch die weltweite Corona-Pandemie unsere Gesellschaft auf einen neuen Weg führen. So könne kein Politiker in Zukunft behaupten, Klimaschutzmaßnahmen seien nicht zu verwirklichen, weil sie zu teuer sind oder die Gesellschaft zu sehr einschränken. „Wir können offenbar alles, wenn Gefahr droht“, folgert Schirach aus dem aktuellen Shutdown.
Ähnlich der amerikanischen Verfassung, die 1787 ungeachtet der weit verbreiteten Sklaverei dennoch das Recht auf Leben und persönliche Freiheit forderte, sollten sich die EU-Staaten eine vorausschauende europäische Verfassung geben - mit dem Anspruch auf eine intakte Umwelt und der klaren Forderung, wirtschaftliche Interessen grundsätzlich den universalen Menschenrechten nachzustellen. Solche Forderungen seien nicht weniger utopisch, als jene der amerikanischen Verfassung.
Dieses kleine, mit seinem grauen Einband so unscheinbare Büchlein „Trotzdem“, nicht einmal 80 Seiten stark, hat es wahrlich in sich: Einerseits ist es ein Protest, sich als Mensch nicht von Pandemie und Einschränkungen unterkriegen zu lassen, sondern an die Zukunft zu glauben. Andererseits ist es nichts weniger als ein eindrucksvoller Aufruf zweier selten kluger Köpfe, den Shutdown als eine einmalige Chance für einen sinnvollen Neuanfang, einen wohl überlegten und zukunftsweisenden Wiederaufbau zu nutzen, statt gedankenlos und allzu bequem die veralteten Strukturen mit ihren längst erkannten Mängeln wieder aufzunehmen.

Veröffentlicht am 13.04.2020

Eine liebevolle Mahnung zur Verständigung

Hineni
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REZENSION – Es ist kein biblischer Text, und doch ist es eine Geschichte aus der Bibel: „Hineni“, der aktuelle Roman des serbischen Schriftstellers Ivan Ivanji (91), schildert – ohne biblischen Pathos, ...

REZENSION – Es ist kein biblischer Text, und doch ist es eine Geschichte aus der Bibel: „Hineni“, der aktuelle Roman des serbischen Schriftstellers Ivan Ivanji (91), schildert – ohne biblischen Pathos, sondern eher augenzwinkernd geschrieben – die modern erzählte Lebensgeschichte Abrahams, der vor 4 000 Jahren auszog, um als „Vater vieler Völker“ im „gelobten Land“ Kanaan alle dort lebenden Stämme zu vereinen, ein eigenes Volk zu gründen und dem einen allmächtigen Gott zu dienen. „Hineni“ ist ein versöhnlicher Roman, geschrieben von einem Überlebenden der KZs Auschwitz und Buchenwald. Der 1929 in Serbien als „zufälliger Jude“ Geborene versteht sich noch heute, Jahrzehnte nach dem Zerfall Jugoslawiens, als Bürger des einst von General Tito zusammengehaltenen Vielvölkerstaates, dessen Dolmetscher Ivanji war. Dies zu wissen, hilft die Botschaft seines lesenswerten Romans zu verstehen.
Ivanji erzählt die Lebensgeschichte Abrahams als historischen Tatsachenroman, hält sich nach Vergleich von Thora, Koran und Bibel – wichtig deshalb auch sein diesbezügliches Nachwort – an überlieferte Fakten, scheut sich allerdings auch nicht, mit fiktiven Zutaten und eigener Interpretation der drei heiligen Schriften eine spannende Geschichte daraus zu machen. Bei ihm ist Abraham ein einfacher Kaufmann in der Handelsstadt Haran. Erst viele Jahre später zieht er als Vasall des politisch modern denkenden Pharaos Amenemhet I. in sein „gelobtes Land“ Kanaan, um die dort von Ägypten unabhängig lebenden Stämme zu vereinen und mit ihnen und eigenen Nachkommen sein eigenes Volk zu gründen. Dass der große Plan Abrahams schon in der nachfolgenden Generation seiner Söhne Ismael und Jakob misslingt, ist eine andere Geschichte.
So ernst dem Autor der Gedanke der Völkerverständigung und des friedlichen Miteinanders auch ist, schildert der Autor seinen Helden Abraham keineswegs als weise, von Gott geleitete biblische Persönlichkeit. Abraham scheint eher oft hilflos, wenn er grübelnd auf dem Flachdach seines Hauses steht und seinem Gott laut „Hineni – Hier bin ich“ zuruft. Dies klingt durchaus nicht als Ausdruck höchster Dienstbereitschaft und ist nicht der Ausruf eines von Gott Berufenen, sondern gleicht eher dem Ausruf Luthers: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen!“ Wie oft zweifelt Abraham an seinem Gott: „Hatte er selbst diesen Gott erfunden, weil er ihn brauchte für die Erfüllung seiner irdischen Vorhaben? …. Mit Sicherheit nicht! Elohim würde es richten. Hoffentlich. Gewiss! Amen!“
In dieser Hilflosigkeit meint Abraham in allen eigenen Gedanken, aber auch in Ratschlägen seiner Vertrauten die Stimme seines Gottes zu hören. Und wenn es ihm nicht gelingt, seinen Willen – also Gottes Willen – bei seinen noch mehrheitlich die heidnischen Gottheiten anbetenden Untertanen durchzusetzen, dann muss eben auch mal ein göttliches Wunder her, bei dem Abraham etwas nachhilft, oder ein paar Geschichten, „die interessanter und daher glaubwürdiger waren als die fade Wirklichkeit“. So fragt ihn Lot nach dem Untergang Sodoms und dem Tod seiner Frau: „Wieso Salzsäule?“ Und Ivanji lässt Abraham antworten: „Was weiß ich. Das klingt doch nach einer guten Geschichte, das werden die Leute sich merken.“
Ivan Ivanjis nachdenklich stimmender Roman „Hineni“ könnte mit seiner Ironie und seinem Witz manchem Bibelgläubigen missfallen. Doch er ist ein ernster Aufruf zur Verständigung zwischen Juden und Arabern als Nachkommen Abrahams, des „Vaters vieler Völker“. Dieser Roman passt als Mahnung ins 75. Jahr der KZ-Befreiung und in die Zeit des Corona-Virus, der doch alle Völker auf Erden gleichermaßen trifft – ohne Ansehen von Rasse und Religion.

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Veröffentlicht am 11.04.2020

Philosophisches Thema, locker und unterhaltsam

Felix und die Quelle des Lebens
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REZENSION – Ist es eine poetische Erzählung, eine zeitgenössische Fabel, ein modernes Märchen? Wie auch immer: „Felix und die Quelle des Lebens“, der achte Band seines 1997 begonnenen „Zyklus des Unsichtbaren“ ...

REZENSION – Ist es eine poetische Erzählung, eine zeitgenössische Fabel, ein modernes Märchen? Wie auch immer: „Felix und die Quelle des Lebens“, der achte Band seines 1997 begonnenen „Zyklus des Unsichtbaren“ des französischen Schriftstellers Eric-Emmanuel Schmitt (60), ist einfach schön zu lesen und macht dem Wortsinn der „Belletristik“ alle Ehre. Schmitt, der 2001 mit „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Korans“ seinen internationalen Durchbruch hatte, verzaubert wohl jeden Leser mit dieser anrührenden und lebensklugen, dabei recht locker und humorvoll geschriebenen Geschichte um den 12-jährigen Felix, der mit seiner aus Senegal stammenden Mutter Fatou in Paris lebt und ihr, die bislang mit ihrer Lebensfreude strahlender Mittelpunkt seines Lebens war, nun in verzweifelter Situation aus tiefster Schwermut hilft.
Die bis vor kurzem noch lebensfrohe Fatou ist Wirtin eines kleinen Cafés, um die sich eine bunt gemischte Schar schrulliger Stammgäste schart, die - wie Fatou und Felix als Schwarze unter Weißen – in ihrem Wesen zur benachteiligten, auch diskriminierten Minderheit gehören, alle aber in Fatous Café Anerkennung und Heimat finden. Da trifft das lesbische Pärchen auf eine Transe, ein verkappter Philosoph auf einen Mann, der ein Wörterbuch auswendig lernt. Fatous Leben scheint soweit wunderbar, bis ihr Traum eines größeren Cafés durch Betrug und Geldgier von Immobilienhaien zerplatzt und die Enttäuschung sie in tiefe Depression stürzen lässt. Fatous vermeintlicher Bruder Bamba aus Senegal, den Felix zu Hilfe ruft, kann nicht helfen. Erst sein Vater, der nach zwölf Jahren unerwartet auftaucht, ahnt die Lösung: Er reist mit Mutter und Sohn in Fatous afrikanisches Heimatdorf - an die „Quelle des Lebens“, wo Fatou auch tatsächlich wieder gesund wird.
In „Felix und die Quelle des Lebens“ geht es nicht um das Elend alleinerziehender Mütter mit Migrationshintergrund, sondern um die Kraft von Herkunft, Abstammung und Familie. Schmitt verbindet völlig Gegensätzliches, Rationales mit Irrationalem, Sichtbares mit Unsichtbarem. Der Autor lässt Welten aufeinander prallen, die kaum gegensätzlicher sein können: Paris und das senegalesische Dorf, medizinische Wissenschaft und die traditionelle Heilkunst der Schamanen Er lässt uns über philosophische Weisheiten und spirituelle Themen nachdenken, die, aus dem Blickwinkel eines Zwölfjährigen geschildert, einfach und plausibel erscheinen.
Letztlich geht es in „Felix und die Quelle des Lebens“ um die Frage, wie wichtig die Vergangenheit eines Menschen für sein gegenwärtiges Leben ist, und dass wir lernen müssen, auch mit negativen Erfahrungen umgehen zu können. Der Autor mahnt uns mit einfachen Worten auf humorvolle und trostreiche Weise, uns zur eigenen Identität, zur eigenen Geschichte und Spiritualität zu bekennen. So fordert uns und Felix der senegalesische Schamane auf, der in Wahrheit aufgeklärter ist, als er sich mit seinem zeremoniellen Äußeren gibt, uns nicht durch den vordergründigen Schein des Materiellen vom tieferen Sinn des Lebens ablenken zu lassen: „Blicke hinter das Sichtbare. Betrachte das Unsichtbare. …. Die unsichtbare Quelle ist überall, immer dort, wo du dich befindest.“ Denn das afrikanische Sprichwort, das Eric-Emmanuel Schmitt seinem Buch vorangestellt hat, weiß: „[Nur] derjenige, der genau hinschaut, sieht sie schließlich.“

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