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Veröffentlicht am 31.05.2020

Kraftvolle Geschichte über das Anderssein

Der Gesang der Flusskrebse
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1969, Barkley Cove: Chase Andrews, stadtbekannter Frauenschwarm, wird tot aufgefunden. Die ersten Spuren deuten auf ein Gewaltverbrechen hin. Doch wer hat ihn ermordet? Die Bewohner des kleinen Küstenstädtchens ...

1969, Barkley Cove: Chase Andrews, stadtbekannter Frauenschwarm, wird tot aufgefunden. Die ersten Spuren deuten auf ein Gewaltverbrechen hin. Doch wer hat ihn ermordet? Die Bewohner des kleinen Küstenstädtchens haben schnell eine Verdächtige gefunden: das Marschmädchen Kya. Die junge Einsiedlerin, die Fremde, die draußen im Marschland einsam lebt und auch sonst den Bewohnern suspekt und andersartig vorkommt. Und so kommt Kya vor Gericht … und muss ihre Unschuld beweisen.

1952: Die sechsjährige Kya lebt mit ihrem Vater allein im Marschland, als ihre Mutter eines Tages ohne ein Wort die Tochter zurücklässt. Als wenig später auch der Vater nicht mehr nach Hause kommt, ist Kya allein auf sich gestellt. Und muss in dieser Extremsituation zu einer eigenständigen Person heranreifen …

Was macht Isolation aus einem Menschen? Und wie geht die Gesellschaft mit einem Menschen um, der sich bewusst ausgrenzt und die Einsamkeit sucht? – Das sind für mich zwei zentrale Fragen dieser außergewöhnlichen Geschichte von Delia Owens, mit der die Autorin auch gleichzeitig ihr Romandebüt vorlegt. Dabei verbindet sie verschiedene Genres zu einem dichten Roman, denn die Geschichte um Kya Clark ist Liebesgeschichte, aber auch ein Krimi und ein Gerichtsdrama zugleich. Zwei Erzählebenen – die Kindheitsjahre, in denen Kya zu einer jungen Frau und Künstlerin heranreift und die Ereignisse nach dem Mord an Chase Andrews - werden fesselnd miteinander verbunden, so dass am Ende eine Geschichte entsteht, die mich am Ende sogar mit überraschenden Wendungen überzeugen konnte.

Das Marschmädchen Kya ist die zentrale Figur dieser Geschichte. Und ich muss sagen, dass der Autorin eine außergewöhnliche Figur gelungen ist. Denn Kya ist wie das Marschland selbst: geheimnisvoll und unverstanden. Sie ist aber auch unglaublich verletzlich, naiv und jemand, der zu starken Gefühlen fähig ist, die man fast schon als „extrem“ bezeichnen kann. Aber auf der anderen Seite fand ich sie auch bewundernswert mutig, intelligent, instinktiv und abenteuerlustig. Sie durchstreift die Marschlande, die bald zu ihrer Heimat werden, ja mit denen sie förmlich symbiotisch verschmilzt. Und genau diese unwirtliche Umgebung macht aus ihr eine eigenständige, selbstbewusste Frau und Künstlerin, die sich besser in den Marschlanden zurechtfindet, als sie die Menschen aus dem benachbarten Barkley Cover versteht. Insgesamt hat sie nur zu wenigen Menschen von dort eine Beziehung und Vertrauen. Kya hat mich echt gefesselt. Besonders herzergreifend sind ihre zarten Bande zu Tate, einem Jugendfreund ihres Bruders, der ihr Lesen und Schreiben beibringt und ihr dadurch eine neue Welt eröffnet, in der sie sich auch als Künstlerin verwirklichen kann. Im Gegensatz dazu kann man ihr Verhältnis zu Chase Andrews als verstörend und überbordend emotional bezeichnen. Für mich ist Kya die perfekte Kombination eines Menschens, den die ungewöhnlichen Umstände in eine Extremsituation getrieben haben, aus der sie sich aber selbst kraftvoll entwickelt. Die Gesellschaft hingegen reagiert, wie zu erwarten war, verstört und mit Unverständnis, ja sogar abwertend. Aber damit spiegelt die Autorin im Grunde nur das wider, was in Wirklichkeit Menschen passiert, die anders sind, als man es von ihnen erwartet.

Ein anderes besonderes Highlight des Romans ist zweifellos die sehr realitätsnahe und detailreiche Naturschilderung der Marschlande. Die Autorin hat selbst die Gegenden in North Carolina häufig besucht und als Zoologin beweist sie in ihren Beschreibungen der heimischen Fauna und Flora einen bemerkenswerten Detailgrad und eine sehr gute Beobachtungsgabe, den sie auf Kya überträgt. Ich fand es wunderbar, erzählerisch mit der Autorin durch die Marschlande zu streifen, mit Kya’s Augen die Tiere zu beobachten und die Pflanzenwelt kennen zu lernen. Selbst wenn man mit der Handlung vielleicht nicht ins Reine kommt, die Schilderungen der Natur sind beeindruckend und sehr authentisch. Die Einsamkeit und Schönheit dieser Gegend wird mit Kya erst so richtig erlebbar.

Was bleibt am Ende? Ein bewegender, kraftvoller Roman, der mich gefesselt und allein schon durch seinen starken Hauptcharakter Kya und die poetischen Naturbilder überzeugen konnte. Aber auch eine einfühlsame, ruhige Geschichte des Erwachsenwerdens einer jungen, mutigen Frau und ihrer Suche nach Geborgenheit und Freiheit mitten in einer unwirtlichen Wildnis. Am Ende empfindet man für Kya mehr Verständnis als für die sie verurteilende Gesellschaft. Es ist eine starke Botschaft, die übrig bleibt: Dass auch isolierte, anderslebende Menschen, zu beeindruckenden und starken Persönlichkeiten werden können.

Mein Fazit: Ein bewegendes Romandebüt über das Anderssein und Erwachsenwerden mit einer kraftvollen Botschaft, einer schmerzlichen Geschichte und poetisch-eindrucksvollen Naturbildern. Eine klare Leseempfehlung von meiner Seite.

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Veröffentlicht am 23.05.2020

Packende Hommage an einen großen Künstler

Raffael - Das Lächeln der Madonna
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Mit „Raffael – das Lächeln der Madonna“ erwartet den Leser ein packendes und spannendes Portrait eines außergewöhnlichen Renaissance-Künstlers, das 500 Jahre nach dessen Tod ein würdiges Denkmal setzt. ...

Mit „Raffael – das Lächeln der Madonna“ erwartet den Leser ein packendes und spannendes Portrait eines außergewöhnlichen Renaissance-Künstlers, das 500 Jahre nach dessen Tod ein würdiges Denkmal setzt.
Raffael Sanzio (Santi) wächst als Halbwaise in Urbino auf. Schnell wird sein außergewöhnliches malerisches Talent bemerkt und er wird bereits vor seinem 20. Lebensjahr zum Meister. Doch die Zeiten sind hart. Gerade die Renaissance zählt in Italien zu den blutigsten Epochen, in denen die freien und selbstbewussten Stadtstaaten Oberitaliens gegen den machtbewussten Kirchenstaat und den Machtinteressen der Französen erbittert Widerstand leisten. Und so muss auch Raffael früh aus seiner Heimat fliehen. Auf verschiedenen Stationen (Siena, Florenz, Rom) beleuchtet Noah Martin das Leben des Ausnahme-Talents. Raffael begegnet dabei weiteren Größen seiner Zeit: Leonardo da Vinci und Michelangelo Buonarotti. Gerade zu letzterem entspinnt sich ein harter Konkurrenzkampf, als beide in Rom von Papst Julius II beauftragt werden, die Räumlichkeiten des Vatikans und der Sixtinischen Kapelle zu gestalten…
„Raffael“ lässt mich als Leser mit einem zufriedenen Eindruck zurück. Nur selten liest man ein so lebendig geschriebenes und auch packendes biographisches Portrait eines Künstlers, dessen Werke wie die „Schule von Athen“ oder die „Sixtinische Madonna“ man kennt, aber als Laie meist wenig vom Leben des Künstlers weiß. Und so hat es mich persönlich gefreut, dass ich diesen biographischen Roman lesen durfte. Noah Martin entwickelt den Roman über einen Zeitraum von mehr ca. 25 Jahren und nimmt den Leser mit auf eine spannende historische Zeitreise. Ihm gelingt es aus meiner Sicht sehr anschaulich die Renaissance zwischen 1494 bis 1520 lebendig werden zu lassen und sich dabei nicht nur auf Raffael und sein Leben zu fokussieren. So schafft er es auch sehr gut die Machtkämpfe in Rom unter den Päpsten Alexander VI und Julius II und seinen Beratern gekonnt zu inszenieren und spannend zu erzählen, aber auch die militärischen Auseinandersetzungen in diesen unruhigen Zeiten anschaulich darzustellen. Ich bekam als Leser einen sehr lebendigen Eindruck und konnte auch viel besser verstehen, in welchen Zeiten Raffael gelebt hat, die sein Leben nicht zuletzt durch die Flucht aus Urbino entscheidend geprägt hat. Mir gefiel, dass Martin eine fiktive Geschichte mit erfundenen Charakteren gekonnt mit historischen Tatsachen und Persönlichkeiten glaubhaft verknüpfen konnte. Viele Nebencharaktere kommen für mich überzeugend rüber. Besonders der künstlerische Konkurrenzkampf zwischen Raffael und Michelangelo, aber auch die Freundschaft zu Leonardo da Vinci sind mein persönliches Highlight des Romans. Man hat richtig das Gefühl den großen Künstlern über die Schulter zu schauen. Und gerade diese Ambivalenz zwischen den Charakteren macht für mich einen besonderen Teil der Handlung aus. Die Liebesgeschichte zwischen Raffael und der Bäckerstochter Margherita Luti wird tragisch und spannend aufgegriffen. Unter dem Aspekt kann ich Martin die kleinen historischen Ungenauigkeiten dieser Beziehung verzeihen, denn einige der Dinge entsprechen nicht ganz den überlieferten historischen Tatsachen. Letztlich ist es aber gut für die Handlung und die Entwicklung des Charakters Raffael, dessen Muse Margherita war. Und so hat man schon das Gefühl, dass es gerade ihr Lächeln ist, das in einigen Madonna-Darstellungen von Raffael verewigt wurde.
Insgesamt positiv habe ich auch aufgenommen, mit welcher kunstgeschichtlichen Akribie Noah Martin die Geschichte erzählt. Als Leser erhalte ich einen gut fundierten Eindruck, wie damals Fresken entstanden sind und wie das Leben eines Lehrlings in Meisterwerkstätten war. Das allein macht den Roman schon zu einer lesenswerten Geschichte. Der Schreibstil und die sehr lebendige Erzählweise machen es dem Leser zusätzlich sehr einfach, in die Welt der Renaissance – in Raffael’s Lebenswelt - einzutauchen. Man spürt, mit welcher Faszination Noah Martin auf das Leben des Künstlers zurückblickt. Ich persönlich finde, dass dem Autor eine sehr opulente, würdige literarische Hommage für den Renaissance-Künstler gelungen ist, der auch 500 Jahre nach seinem Tod nichts von seiner Faszination verloren zu haben scheint.
Mein Fazit: Opulent erzählte biographische Lebensgeschichte eines faszinierenden Ausnahmekünstlers. Stark bebildert, lebendig und spannend erzählt. Überzeugendes Portrait, das meine klare Leseempfehlung hat.

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Veröffentlicht am 13.04.2020

Auf der Suche nach dem verschollenen Onkel

Goodbye, Bukarest
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„Es sind wir Menschen, die Ewigkeiten füreinander schaffen.“ (Seite 10)
Was von „Goodbye Bukarest“ am meisten bei mir hängen geblieben ist, sind die Menschen und ihre Geschichten, die sich vor dem Hintergrund ...

„Es sind wir Menschen, die Ewigkeiten füreinander schaffen.“ (Seite 10)
Was von „Goodbye Bukarest“ am meisten bei mir hängen geblieben ist, sind die Menschen und ihre Geschichten, die sich vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges, der Nachkriegszeit und der politisch-gesellschaftlichen Umwälzungen des vergangenen Jahrhunderts abspielen. Astrid Seeberger hat in ihrem – so glaub ich – autobiographischen Roman ein sehr realistisches und bewegendes Bild dieser Jahrzehnte gezeichnet und dabei ihre eigene Familiengeschichte in das Zentrum gerückt. Lange Jahre glaubte Astrid, dass ihr Onkel Bruno vor Stalingrad gefallen und verschollen ist. Doch eines Tages findet sie heraus, dass das eine Lüge war. Doch wer war Bruno eigentlich? Was ist tatsächlich damals geschehen?

Eine spannende Reise beginnt, die mich schon als Leser zutiefst bewegt hat. Astrid begibt sich auf die Suche. Sie begegnet dabei Menschen, die Bruno gekannt haben und über ihre Erlebnisse aus der damaligen Zeit erzählen. Damit greift die Autorin auf ein tolles Stilmittel zurück, nämlich Zeitzeugen berichten zu lassen. Auf einmal wurde für mich die Geschichte greifbar, die Ereignisse bildhaft und die Schicksale dramatisch. Denn als Leser erfahre ich einiges über das Leben in einem stalinistisch-sowjetischen Gefangenlager in der Steppe von Kasachstan, kann den Lebensweg von Bruno über die verschiedenen Zeitzeugenberichte nachvollziehen. Denn seine Odyssee geht von Stalingrad, über Kasachstan, nach Bukarest, wo er eine neue Familie, lebenslange, tiefe Freundschaften und eine neue Liebe in der Ceausescu-Ära findet – bis er schließlich seinen Weg nach Deutschland zurückfindet. Die Geschichten erstrecken sich von den 40er bis zu den 90er Jahren. Ich als Leser bekomme zwar nur Fragmente präsentiert, dennoch ist es die Art, wie die Zeitzeugen ihre Perspektive und Erlebnisse erzählen lassen, die mich fesselt und in die Geschichte eintauchen lässt. Denn jede Geschichte erhält genügend Raum. Zwischendurch gibt es aber auch immer wieder ruhige Momente, in denen Astrid das Gehörte reflektieren kann. Dennoch gelingt es der Autorin, wie ich finde, wunderbar, die Ereignisse nicht zu kommentieren. Das überlässt sie uns – den Lesern.

Was mich besonders bewegt und interessiert hat, waren die Erzählungen rund um die Jahrzehnte in Rumänien, da ich bislang nur wenig über den hoffnungsvollen Start der jungen rumänischen Republik und den anschließenden Absturz in die Diktatur der Ceausecsu-Ära gelesen habe. Ich erfahre am Beispiel von Brunos neuer Familie, wie der rumänische Staat in das Leben seiner Bürger eingreift, wie er versucht, Künstler zu kontrollieren und rigide einzuschränken, so dass diese keinen anderen Ausweg als die Flucht suchen müssen. Auch wenn das nur ein Bruchteil der damaligen Ereignisse sein kann, fand ich die Geschichte bewegend und aufschlussreich.

Astrid Seeberger’s Roman ist vor allem ein ruhig geschriebenes Stück Zeit(zeugen)geschichte. Ihren Schreibstil empfand ich als flüssig, einfühlsam, poetisch und leicht melancholisch. Man muss sich auf die Erzählweise einlassen. Punkten konnte der Roman für mich vor allem durch die Berichte der Zeitzeugen, die teils bewegend, dramatisch, aber auch bildgewaltig waren und es mir dadurch ermöglichten, den Personen nahe zu sein. Für mich ist „Goodbye Bukarest“ ein eindringliches Buch, gegen das Vergessen, das über die Folgen des Krieges berichtet und über Schicksale von Familien, die auseinandergerissen werden – aber keinen moralischen Zeigefinger erhebt oder Urteile fällt. Aber gleichzeitig auch ein Roman mit überraschenden Wendungen ist, in dem es die Autorin schafft als Bindeglied zwischen all diesen erschütternden Einzelschicksalen immer wieder auch die Leidenschaft zur Musik, der Literatur oder der Kunst, einzuflechten – ein kleines Kunstwerk eben, das zwischen all der Dramatik auch ein Ventil für die Schönheit findet.

Mein Fazit: Ein absolut lesenswerter, berührender Roman über ein Familienschicksal, dass durch seine authentischen, emotionalen Zeitzeugenberichte überzeugen konnte.

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Veröffentlicht am 03.11.2019

Ostalgie pur

Wie Frau Krause die DDR erfand
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Isabella Krause kann sich als Schauspielerin nach der Wende mehr schlecht als recht über Wasser halten. Als sie eines Tages zu Werbeaufnahmen für Naturjoghurt eingeladen wird, erhält sie aufgrund ihrer ...

Isabella Krause kann sich als Schauspielerin nach der Wende mehr schlecht als recht über Wasser halten. Als sie eines Tages zu Werbeaufnahmen für Naturjoghurt eingeladen wird, erhält sie aufgrund ihrer Herkunft einen besonderen Auftrag. Sie soll 10 Ostdeutsche für eine Dokumentation zusammenbringen, die über ihr schweres, entbehrliches Leben hinter der Mauer berichten. Das Ziel der Macher ist klar: Man will vor allem die Klischees bedienen und über einen Staat berichten, in dem Menschen unterdrückt, ausspioniert und eingeschränkt wurden. Doch das Ergebnis der Recherchen von Isabella überrascht am Ende alle...

Dieses Buch erhält von mir eine klare Leseempfehlung. Nicht nur, weil ich selbst aus meiner frühesten Kinderheit die DDR noch kenne und die Erinnerungen im Buch mich selbst an die eine oder andere Episode erinnern ließen - ich sage nur "Milch in Tüten". Sondern auch, weil die Autorin es schafft, den Leser auf eine Reise mit zu nehmen. Ihre Schreibsstil ist sehr eingängig und leicht verständlich, unaufgeregt - aber auch humorvoll. Sie blickt bewusst hinter die Kulissen, indem sie verschiedene Protagonisten, denen Isabella begegnet, zu Wort kommen und deren Erlebnisse - humorvoll, aber auch mit der richtigen Portion Ernsthaftigkeit - schildern lässt. Natürlich sind alle Charaktere durchweg sympathisch und auch den energischen westdeutschen Produzenten, die hartnäckig versuchen, die schlechten Seiten der DDR hervorzukehren, kann man am Ende doch augenzwinkernd etwas Positives abgewinnen. Natürlich war nicht alles Gold und es gab auch genug Schattenseiten, aber das lässt die Autorin hier bewusst außen vor, bzw. lässt kritische Punkte nur am Rande anklingen. Das ist kein Buch, das den Zeigefinger erhebt, es lädt aber jeden zum Hinterfragen ein. Vielmehr schafft die Autorin ein kollektives, verklärtes Bild einer Gesellschaft, die trotz Diktatur, viele positive gemeinsame Erinnerungen hat und noch heute pflegt - ein Gemeinschaftsgefühl, das heutzutage nur allzu leicht verloren geht. Klar kommt auch diese Geschichte nicht komplett ohne Klischees aus, aber am Ende wirft es doch ein versöhnliches Bild auf die DDR und auf die Menschen, die darin lebten, und gibt gleichzeitig eine Antwort auf das allzu schnelle Vorurteil "früher sei alles schlecht gewesen".

Mein Fazit: Ein sehr kurzweiliges, humorvolles, Ostalgie-Lesevergnügen und ein wertvoller Beitrag zum gegenseitigen Ost-West-Verständnis.

Veröffentlicht am 21.07.2019

Leon Ritter jagt Serienkiller

Mörderisches Lavandou (Ein-Leon-Ritter-Krimi 5)
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Herbst zieht ein im beschaulichen Lavandou - der Wahlheimat des deutschen Rechtsmediziners Leon Ritter. Die Touristenströme sind abgezogen und man könnte meinen, dass nichts, rein gar nichts diese Ruhe ...

Herbst zieht ein im beschaulichen Lavandou - der Wahlheimat des deutschen Rechtsmediziners Leon Ritter. Die Touristenströme sind abgezogen und man könnte meinen, dass nichts, rein gar nichts diese Ruhe und das französische savoir-vivre stören kann. Wenn da nicht die junge Hotelangestellte Francoise Bonnet plötzlich verschwunden wäre. Wenige Tage später wird ihr abgetrennter Fuß, danach ihr verstümmelter Leichnam gefunden. Schnell wird klar, dass es sich um das Werk eines Serientäters handelt. Leon Ritter glaubt von Anfang an nicht an den Verdächtigen, den die Polizei schnell der Öffentlichkeit präsentiert und macht sich wie immer selbst auf die Suche nach der Wahrheit. Doch er ahnt nicht, dass er und seine Lebensgefährtin Isabelle, die stellvertretende Polizeichefin, schon im Visier des Täters sind, der langsam wie eine Spinne ihr Netz um ihre "Opfer" enger spinnt.

Das ist der mittlerweile fünfte Fall des deutschen Rechtsmediziners Leon Ritter, der vor der Kulisse der schönen Provence ermitteln darf. Für mich ist es der dritte Fall, den ich bereits mit Spannung erwartet und wie im Flug gelesen habe. Denn für mich zählt Remy Eyssen zu den Erzählern, der es mit einem gut durchdachten Kriminalfall und einer extrem spannenden, bis zur letzten Minute undurchsichtigen Handlung, versteht, mich zu fesseln. Auch dieser Fall hat mich von Anfang an in seinen Bann gezogen. Die Figuren waren für mich wie alte Bekannte, vielschichtig, authentisch und jeder in seiner Art einzigartig. Es ist für einen Leser ohne Vorkenntnisse der bisherigen Handlung kein Problem hier einzusteigen. Leon Ritter punktet wieder durch seiner geradlinige Art und Weise, Fälle zu lösen. Dabei hinterfragt er stets die ermittelnden Beamten und hat auch den Mut, einer vorherrschenden Meinung die Stirn zu bieten. Ich mag seine zutiefst menschliche Art, die auch Selbstzweifel zulässt. In diesem Fall wird seine Beziehung zu Isabelle sogar auf die Probe gestellt, weil sich Leon selbst in eine Lüge verstrickt und dabei ins Visier der Polizei als möglicher Tatverdächtiger gerät.

Eyssen versteht es wieder hervorragend mit seinem Erzählstil einen dynamischen, gut durchdachten Kriminalfall zu schaffen, der durch viele spannende Momente und überraschende Wendungen punktet. Als Leser fliege ich geradezu durch die Seiten auf der Suche nach dem "Mann", dessen perfide Gedanken und Handlungen geschickt in die Geschichte verwoben werden und mir so als Leser die Möglichkeit geben, die Jagd zwischen Täter und Leon Ritter/Polizei zu verfolgen. Eyssen gelingt es meiner Meinung nach den Spannungsbogen bis zum Schluss auf hohem Niveau zu halten. Ich war selbst überrascht über die Auflösung. Wenn mir auch das Tätermotiv letztlich etwas "unklar" geblieben ist. Trotzdem fand ich die Geschichte sehr spannend und unterhaltsam erzählt. Die Landschaftsbeschreibungen sind so wirklichkeitsnah, dass man selbst beim Lesen das Gefühl hat, in der Provence zu sein und den Duft der Pinien und das Zirpen der Zikaden zu hören. Das medizinische Detailwissen, das Eyssen verwendet, ist so unterhaltsam und informativ eingesetzt, dass man das Gefühl hat, einem Rechtsmediziner quasi voyeuristisch bei der Arbei über die Schultern zu schauen. Auch etwas, womit Eyssen ohne Zweifel punktet: gutes fundiertes Fachwissen und intensive Recherche.

Mein Fazit: Für mich ein echtes sommerliches Lesevergnügen und ein sehr gut erzählter, bis zum Ende spannender Kriminalfall, den ich nicht so schnell aus der Hand legen konnte.