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Veröffentlicht am 12.07.2020

Sprachgewaltig

Der Schnee, das Feuer, die Schuld und der Tod
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Jäger - Der Schnee, das Feuer, die Schuld und der Tod

Dieser Roman hat mich sehr beeindruckt und positiv überrascht. Dennoch fällt es mir schwer, den Inhalt kurz und knapp zusammenzufassen, dieser ist ...

Jäger - Der Schnee, das Feuer, die Schuld und der Tod

Dieser Roman hat mich sehr beeindruckt und positiv überrascht. Dennoch fällt es mir schwer, den Inhalt kurz und knapp zusammenzufassen, dieser ist nämlich außergewöhnlich vielschichtig, tiefgründig, verschachtelt und verwinkelt. Deshalb zitiere ich hier nur kurz den Klappentext:
"Ein sprachgewaltiger Roman über eine unerfüllte Liebe, einen ungeklärten Mord und eine spannende Spurensuche- für einen jungen Historiker wird eine Recherchereise in die Berge zur Reise an die Grenzen seiner Persönlichkeit."

Das Hauptgeschehen findet im Winter 1950/51 statt. Seitdem ist der junge Historiker Schreiber spurlos verschwunden. Ein halbes Jahrhundert später macht sich der Amerikaner John Miller auf Spurensuche.
Jäger lässt sich Zeit damit, die Personen, das Dorf, die Natur, die Berge detailliert zu beschreiben. Das wird zwar nie langweilig, wirkliche Spannung kommt aber erst gegen Ende auf. Doch das lohnt sich, denn er schafft damit eine wahnsinnig intensive Atmosphäre. Man sieht die Dorfbewohner und die verschneiten Berge regelrecht vor sich. Kombiniert mit Jägers beeindruckend poetischem Schreibstil entsteht ein wahres Meisterwerk. Perfekt komponiert und sprachgewaltig. Irgendwann ist man mit Schreiber mittendrin im Geschehen, Naturgewalten, Lawinen donnern über das Dorf, Feuer wüten, heute wie damals. Schreiber ist gefangen durch die Liebe zu einer Frau, der Leser mit ihm, denn es entwickelt sich nun ein ordentlicher Lese Sog.

Noch eine interessante Hintergrundinformation zur Entstehung des Romans. Der Tiroler Autor Gerhard Jäger war seit einem Unfall 2007 querschnittsgelähmt. Vorliegendes Buch schrieb er mit Hilfe eines Sprachcomputers. Leider ist er bereits viel zu früh verstorben.

Ein sehr empfehlenswerter Roman für Leser, die hintergründige und komplexe Geschichten mögen. Mir hat er sehr gut gefallen. 5 Sterne

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Veröffentlicht am 29.06.2020

Zwischen Genie und Wahnsinn

Nagel im Himmel
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Nagel im Himmel – Patrick Hofmann

Der Protagonist Oliver Seuss, geboren im letzten Jahr der DDR, versucht eines der größten Geheimnisse der Mathematik zu lösen und verschwindet dabei voll und ganz in ...

Nagel im Himmel – Patrick Hofmann

Der Protagonist Oliver Seuss, geboren im letzten Jahr der DDR, versucht eines der größten Geheimnisse der Mathematik zu lösen und verschwindet dabei voll und ganz in der Welt der Mathematik, genauer gesagt, der Primzahlen. Er will schaffen, was vor ihm noch keiner geschafft hat, er will den Beweis der Riemannschen Vermutung bestätigen oder widerlegen. Dabei muss man sich als Leser mit der Materie nicht auskennen, es ist ein bislang ungelöstes Rätsel der Mathematik, das reicht zu wissen. Hofmann schafft es trotzdem, eine gewisse Faszination für dieses wissenschaftliche Gebiet zu vermitteln.
Wirklich unglaublich, wie spannend ein an sich so trockenes Thema hier präsentiert wird. Im Wesentlichen geht es dem Autor um den unglaublichen psychischen Druck und das seelische Leiden dieses mathematischen Genies und doch so unglücklichen Menschen. Aufgewachsen in einer lieblosen, stark sächselnden Umgebung, ohne Verständnis für sein Talent, fühlt er sich nirgends zugehörig und ist emotional extrem unbeholfen. So flüchtet er sich in seinen Schaffenspausen in den Alkohol und droht vollkommen abzugleiten zwischen Zahlen- und Alkoholrausch. Diese Forschung, der er mit Haut und Haar nachgeht, ist ein jahrelanger schmerzhafter Kampf, der ihn zu zerstören droht.
"Wenn es ihm aber zu gut ging, war er nicht mehr kreativ. Die Wärme und die Freundlichkeit schadeten dem Genie. Wenn er mit der Riemannschen Vermutung weiterkommen wollte, brauchte er die Kälte." Seite 163

Es ist ein Balanceakt zwischen Genie und Wahnsinn auf dem er sich bewegt und doch hat er gar keine andere Wahl. Gesegnet mit einem großen Talent, das er nicht will, gegen das er sich geradezu wehrt, gegen das er aber doch nicht ankommt. Immer wieder stürzt er sich in seine Aufgabe, die ihm eigentlich zu groß ist und die ihm Angst macht, mit einer Besessenheit, die krankhaft ist. Eine Kombination, die absolut faszinierend ist. Ein bemitleidenswertes Genie, das all seine Kraft in die Wissenschaft steckt, einfach weil er nicht anders kann.

Bemerkenswert fand ich auch nochmal den Schluss, bitter-süß, auf jeden Fall tragisch und auf jeden Fall zu diesem hochkarätigen Roman passend.

Das Porträt eines unglücklichen Genies, absolut fesselnd erzählt. Sehr lesenswert. 4 Sterne bei Beendigung des Romans. Allerdings hielt die Faszination noch tagelang an, so dass ich mich dann doch noch für 5 Sterne entscheide.

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Veröffentlicht am 14.06.2020

Drogenkriminalität in Philadelphia

Long Bright River
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Long bright river - Liz Moore

Mickey und Kacey hatten keine leichte Kindheit in Kensington, einem von Drogenproblemen stark betroffenen Stadtteil von Philadelphia. Mickey kämpft tagtäglich als Streifenpolizistin ...

Long bright river - Liz Moore

Mickey und Kacey hatten keine leichte Kindheit in Kensington, einem von Drogenproblemen stark betroffenen Stadtteil von Philadelphia. Mickey kämpft tagtäglich als Streifenpolizistin gegen die zunehmende Kriminalität an, während ihre Schwester Kacey auf ebendiesen Straßen für ihren Stoff anschaffen geht. Doch eines Tages ist Kacey nicht mehr auffindbar und gleichzeitig treibt ein Frauenmörder sein Unwesen. Mickey macht sich auf die Suche und gerät dabei selbst in Gefahr.

Ich fand diesen Roman extrem spannend und konnte ihn kaum mehr aus der Hand legen. Beeindruckend, wie vielschichtig die Handlung angelegt ist. Zum einen ist es ein detailliertes Porträt einer Stadt mit großen gesellschaftlichen Problemen. Zum anderen handelt es sich um einen spannenden Krimi rund um die Frauenmorde im Viertel. Die Autorin erzählt in Rückblenden sehr viel aus der gemeinsamen Kindheit der Schwestern. Somit ist es auch ein wirklich ergreifender Familienroman. Über allem steht jedoch das massive Problem der Drogenabhängigkeit vieler Menschen in Philadelphia. Traurig zu lesen, in wie jungen Jahren so viele Leben bereits nachhaltig zerstört sind und wie schwer es ist, davon wieder loszukommen. All das verbindet Liz Moore gekonnt und baut einen großartigen Spannungsbogen auf.

Gerade ein paar Tage nach Beendigung der Lektüre scheint mir im Rückblick der Fokus in erster Linie auf dem Thema der Heroinabhängigkeit zu liegen. Moore macht deutlich, wie gerade die Familien der Abhängigen darunter leiden und wie leicht es ist, in die Sucht abzurutschen. Wie schwer, im Gegenzug, wenn nicht gar unmöglich, davon wieder loszukommen.

Diese eindringliche Lektüre hat mich dazu gebracht, mich im Internet über die sogenannte Heroin-Epidemie im Nordosten der USA zu informieren. Auch in der Realität hat der Stadtteil Kensington und die Kensington Avenue mit ihren Problemen bezüglich Kriminalität und Drogen sowie der daraus entstehenden Perspektivlosigkeit, Schlagzeilen gemacht. Diese Tatsachen werden im vorliegenden Roman nicht übertrieben dargestellt!
Ich denke, auch die aktuellen Entwicklungen in Bezug auf die Rassenunruhen in den USA unter Trump machen gerade wieder deutlich, wie gravierend die Drogenproblematik in manchen Gegenden tatsächlich ist. Umso mehr, ein wichtiges, lesenswertes Buch!
Hat mir sehr gut gefallen! 5 Sterne

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Veröffentlicht am 06.06.2020

Giovanni

Giovannis Zimmer
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Giovannis Zimmer - James Baldwin

James Baldwin war ziemlich mutig, im Jahr 1956 diesen Roman zu veröffentlichen. Denn er selbst war schwarz, arm und homosexuell. Und er wagte es, über die Liebe zwischen ...

Giovannis Zimmer - James Baldwin

James Baldwin war ziemlich mutig, im Jahr 1956 diesen Roman zu veröffentlichen. Denn er selbst war schwarz, arm und homosexuell. Und er wagte es, über die Liebe zwischen weißen Männern zu schreiben. Doch es steckt noch so viel mehr in diesem Werk, das ich gar nicht alles erfassen konnte. Einfach weil mir dafür so viel Erfahrungswerte fehlen. Zur genaueren Interpretation hilft das sehr lesenswerte Nachwort von Sasha Marianna Salzmann.

David verspürt schon früh homosexuelle Neigungen und flüchtet mehr oder weniger aus dem prüden Amerika nach Frankreich. Dort begegnet er in einer Pariser Bar Giovanni, dem er augenblicklich verfällt. Ohnehin gerade auf der Suche nach einer Bleibe, zieht er kurzerhand zu ihm. Sie verbringen eine atemlose Zeit miteinander, doch David kann seine tiefe Scham und Schuldgefühle nicht abstreifen. Genau so wenig aber kann er die Beziehung beenden.
Als Leser merkt man schon bald, dass die Stimmung düsterer wird, David ist innerlich zerrissen, die Sache kann nicht gut gehen. Dann kehrt auch noch Davids Verlobte Hella aus Spanien zurück und David sitzt endgültig zwischen den Stühlen. Er kann mit keinem von beiden glücklich werden und spricht mit keinem über seine Gefühle. Wie ein Fähnchen im Wind will er es eigentlich beiden recht machen und schlittert geradewegs in die unvermeidbare Katastrophe.

Baldwin hatte einen unheimlich tollen Schreibstil. Fesselnd und poetisch zugleich. Komischerweise konnte er mich mit seinem Vorgänger „Nach der Flut das Feuer“ nicht erreichen. Hier aber zieht er den Leser quasi in die Geschichte. Man spürt die innere Zerrissenheit seiner Figuren, deren Schuld und Schamgefühle. Es ist eine sehr männliche Geschichte, Frauen spielen nur eine geringe Rolle und kommen dabei auch nicht allzu gut weg.
Wie man dem Nachwort entnehmen kann, ist dieser Roman autobiografisch inspiriert. Baldwin selbst liebte über Jahrzehnte einen anderen Mann, der diese Liebe nur zeitweilig teilte. Auch eine große Wut auf sein (und Davids) Heimatland Amerika kommt immer wieder durch.
Im Amerika der 60er Jahre war die Liebe zwischen Männern verboten, im liberaleren Paris immer noch schwer verpönt. In diese große Scham über seine nicht akzeptierte sexuelle Orientierung mischt sich auch noch die Angst davor, in der Gesellschaft noch weiter abzusteigen, gar Angst um das eigene Leben. Eigentlich wünscht sich David nämlich eine ganz traditionelle Familie mit Kindern. Vielleicht einfach nur der Wunsch nach Sicherheit und gesellschaftlicher Akzeptanz.

Ein mutiges und kluges Buch, ein Roman, der über all die Jahre nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat. Mich hat die Geschichte mit seiner Intensität und Eindringlichkeit beeindruckt. Es ist vor allem hintergründig anspruchsvoll und manchmal durchaus hart zu lesen, wie sehr David mit sich selbst kämpft und sich im Grunde doch selbst verachtet.
5 Sterne


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Veröffentlicht am 06.06.2020

Die letzten Tage

Kostbare Tage
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Kostbare Tage - Kent Haruf

Auch dieser, erst jetzt übersetzte Roman des bereits verstorbenen amerikanischen Schriftstellers Kent Haruf, spielt wieder in der fiktiven Kleinstadt Holt. Wie ich finde, ist ...

Kostbare Tage - Kent Haruf

Auch dieser, erst jetzt übersetzte Roman des bereits verstorbenen amerikanischen Schriftstellers Kent Haruf, spielt wieder in der fiktiven Kleinstadt Holt. Wie ich finde, ist dies bisher das nachdenklichste Werk aus seiner Feder. Kein Wunder, geht es doch um den Tod, um Abschied und die Rückschau auf das eigene Leben.

Es sind kostbare Tage für Dad Lewis, denn es sind seine letzten. Er ist schwer an Krebs erkrankt und hat nur noch wenige Wochen zu leben. Seine Frau Mary und Tochter Lorraine pflegen ihn zu Hause hingebungsvoll. Damit beginnt eine Zeit des Abschiednehmens. Von der Familie und von lieben Nachbarn. Dad ruft sich viele Schlüsselmomente seines Lebens ins Gedächtnis, er reflektiert und teilweise bereut er auch.
Er war ein guter Mensch, dieser Dad Lewis, doch auch er hat große Fehler gemacht, die nicht wieder gut gemacht werden können. So hat er seinen Sohn verloren, der nichts mehr von ihm wissen will. Eine Wunde, die schmerzt, bis ganz zuletzt.

Ein schwieriges, ein heikles Thema, das sich Kent Haruf da gewählt hat. Aber erwartungsgemäß hat er es mit Bravour gemeistert. Haruf behandelt seine Figuren mit unheimlich viel Respekt und Liebe. Und genau so gehen die meisten seiner Figuren miteinander um. Sein gemächlicher Erzählton begleitet den Leser auf dieser Reise kreuz und quer durch das Leben von Dad. Es ist ein weises Buch über das Leben und über die Liebe. Es rührt zu Tränen, ohne kitschig zu sein.

Harufs großes Thema ist hier wie auch in den Vorgängerromanen die Einsamkeit und Perspektivlosigkeit vieler Menschen in den Great Plains. Das Leben auf dem Land ist hart und Haruf liegen die kleinen Leute am Herzen. Er schreibt absolut authentisch, oft mit wenigen Worten, die aber viel beinhalten. Trotz oft knapper, gar distanziert wirkender Sprache, vermittelt der Autor Mitgefühl für seine Figuren, die es alle nicht leicht haben. Wie überall gibt es solche, die an Schicksalsschlägen wachsen oder sich zumindest wieder aufrappeln, und solche, die daran zerbrechen.

Mit seinem wunderbaren Schreibstil konnte mich dieser Autor ein weiteres Mal begeistern! Auch wenn ich persönlich die Bücher „Lied der Weite“ und „Abendrot“ noch etwas besser und vor allen Dingen vielseitiger fand. Trotzdem, 5 Sterne und eine Leseempfehlung!

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