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Veröffentlicht am 01.09.2020

Was (Ohn)Macht mit Menschen macht

Die Wahnsinnige
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Eine Charakterstudie am Beispiel von Johanna von Kastilien, die ihren Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung mit grausamer Missachtung bezahlen muss.

Weil ich die Bücher „Kampfsterne“ und „Die Weihnachtsgeschwister“ ...

Eine Charakterstudie am Beispiel von Johanna von Kastilien, die ihren Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung mit grausamer Missachtung bezahlen muss.

Weil ich die Bücher „Kampfsterne“ und „Die Weihnachtsgeschwister“ dieser Autorin bereits mit Vergnügen gelesen habe, musste ich auch hier bei der Neuerscheinung gleich zugreifen. Milieustudien und Charakterstudien liegen Alexa Hennig von Lange, und so hat sie auch hier einen wunderbaren Roman zustande gebracht. Waren es bei den o.g. Bücher wohl eher fiktive Personen, die im Mittelpunkt ihrer Geschichten stehen, haben wir es diesmal mit einer historisch realen existierenden Person zu tun: Johanna von Kastalien, die auch Johanna die Wahnsinnige genannt wurde.
Johanna von Kastalien wurde 1479 in Toledo (Spanien) geboren und starb 1555 in Tordessillas (Spanien). Der Roman widmet sich aber nur einem kleinen Lebensausschnitt von Johanna und zwar beleuchtet er die Jahre 1503 bis 1506. Ein Großteil ihres Lebens (ab 1509 bis zu ihrem Tod) aber verbrachte sie eingesperrt in Obhut von Ordensschwestern im Kloster von Tordessillas.

Für mich war der Roman, diese Charakterstudie so eine Art „Fallbeispiel“, wie ein Mensch auf einmal in eine Rolle ‚gestoßen‘ wird, die er unter anderen Umständen nicht eingenommen hätte, denn so heißt es auch im Klappentext: „Wie können wir werden, die wir sind, wenn das nicht für uns vorgesehen ist?“
Nur aufgrund der Tatsache, dass sämtliche Thronerben sterben, wird Johanna Thronfolgerin eines gigantischen Weltreiches. Johanna möchte aber nicht die grausamen Machenschaften ihrer Eltern, für die Inquisition und Ausbeutung Ausdruck ihrer Macht sind, fortsetzen. Sie hat andere Vorstellungen von der Welt, eine ‚liebevolle Welt‘ und sie kann sich mit der damaligen Rolle der Frau in Ehe nicht abfinden, denn „Frauen haben in der Ehe keine Eigenständig (S.58)“. Johanna hegt zu der damaligen Zeit revolutionäre Gedanken, denn sie fordert „eine komplette Neuordnung des altbekannten Verhältnisses zwischen Mann und Frau“ (S.58). Und sie will über sich selbst bestimmen. Doch das ist zu der damaligen Zeit, in der patriarchalische Machtstrukturen dominieren, nicht möglich. Johanna, die aufgrund ihrer sozialen Rolle auch eine einsame Frau ist, hat auch keine Freunde / Vertraute und somit auch keine Verbündete. Somit ist es ein leichtes, sie als verrückt zu erklären. Auch aufgrund bestimmter Verhaltensweisen, die sie als Ehefrau an der Seite von Philipp dem Schönen an den Tag legt, trägt sie selbst dazu bei, dass ihr gesellschaftliches Umfeld sie als „Wahnsinnige“ tituliert. Aus unserem heutigen Verständnis ist es befremdlich, aber damals war es nicht unüblich, dass der Ehemann (vor allem in der gehobenen Gesellschaft) seine Maitressen hatte und seine sexuellen Gelüste anderweitig auslebte. Johanna will dies nicht akzeptieren, sie ist verliebt; ihr Mann ist ihr Mann, und kann dieses Verhalten ihres Mannes nicht dulden. Ausschreitungen mit den Liebschaften sind daher nicht selten.
Im Roman wird gut veranschaulicht, wie die Welt damals gestrickt war: Ehen werden aufgrund politischer und herrschaftlicher Ansprüche geschlossen, Intrigen werden gesponnen, Angehörige - wie auch Johanna - werden zum Spielball im Konflikt verschiedner konkurrierender Interessenvertreter. Auch hat die Kirche einen enormen Macht-Einfluss auf Entscheidungen aller Art. Und Mutter-Kind-Beziehungen waren eher nur faktisch.

Da wir es hier aber nicht mit einem klassischen historischen Roman zu haben, darf man sich hier auch nicht einen tiefen Einblick in die Biographie von Johanna erwarten. Für mich war es daher hilfreich, mich vorab über diese Person - von der ich bis dato noch nichts gehört hatte - zu informieren, um auch einen Einblick in bzw. einen Überblick über die historischen, politischen und gesellschaftlichen Hintergründe zu bekommen. So bekam der Roman eine Basis, so dass ich einen guten Zugang zur Geschichte und zu den Personen - insb. zu Johanna bekam.

Mir hat das Buch sehr gut gefallen, da in meinen Augen Johanna mit ihrem Verhalten und Gedanken gut dargestellt wird. In meinen Augen ist sie mutig, sich gegen das System zu stellen. Der Brief, mit dem der Roman beginnt, hat mich extrem mitgenommen, da hier gleich am Anfang veranschaulicht wird, wie viel Leid diese starke - wenn auch sture - Frau ertragen musste und wie zäh und widerstandsfähig sie trotz dieser Erniedrigungen geblieben ist.

Der gut recherchierte Roman ist flüssig und leicht verständlich geschrieben, so dass man das Gelesene gleich auf sich wirken lassen kann. Die kurzen Kapitel laden dazu ein, zwischendurch das Gelesene zu reflektieren.
Nachwörter werden von mir oft überflogen, aber hier ist es ein wirklich gutes „Kapitel“, das ich zugegebener Weise gleich am Anfang gelesen habe.

Wer Lesefutter sucht, das nicht so leicht zu verdauen ist, ist mit diesem Roman gut beraten.

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Veröffentlicht am 01.08.2020

Erzähl doch feine Märchen!

Edition Piepmatz: Es war einmal ...: Meine Märchen
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Das hier vorliegende Kinderbilderbuch ist im Ravensburger Verlag in der Reihe ‚Edition Piepmatz‘ erschienen. Auf 30 stabilen Papp-Seiten werden hier bekannte Märchen der Gebrüder Grimm und von Hans Christian ...

Das hier vorliegende Kinderbilderbuch ist im Ravensburger Verlag in der Reihe ‚Edition Piepmatz‘ erschienen. Auf 30 stabilen Papp-Seiten werden hier bekannte Märchen der Gebrüder Grimm und von Hans Christian Andersen in einer kindgerechten Sprache erzählt. In dem wunderschönen mit farbenfrohen Bildern ausgestatteten Buch finden sich zehn Märchen: Rotkäppchen, Die Prinzessin auf der Erbse, Frau Holle, das hässliche Entlein, Schneewittchen und die sieben Zwerge, der Froschkönig, Hänsel und Gretel, die Bremer Stadtmusikanten, Dornröschen und Aschenputtel.
Auf zwei bis vier Seiten werden die Kernelemente des jeweiligen Märchens herausgepickt und kurz und bündig erzählt. Auch wenn manche Gegebenheiten ausgelassen oder leicht geändert erzählt werden, tut es der Bedeutung des jeweiligen Märchens keinen Abbruch, da die „Moral von der Geschicht’“ zum Ausdruck kommt.
Allein schon der Buchumschlag - Vorder- und Rückseite - zeigt, auf welche Märchen wir uns freuen dürfen: Eine wunderbare Bildkomposition, bei der man bei Betrachtung schon auf die Märchenreise gehen kann. Ebenso sprechen die Bilder zu den einzelnen Märchen schon für sich und sind äußerst herzlich und freundlich gemalt. Sie unterstreichen die Charaktere der Akteure und geben diesen ein Gesicht. So finde ich den salopp und schelmisch am Baum stehenden Wolf bei Rotkäppchen äußerst klasse getroffen. Und Frau Holle sieht mit ihrer riesigen Brille äußerst liebenswert aus. Dem hässlichen Entlein sieht man seine Bedröppeltheit wirklich an. Auch das Knusperhäuschen sieht zum Anbeißen aus….
Gut finde ich auch, dass in den Märchen hell- und dunkelhäutige Menschen gezeigt werden.
Was ich vermisse ist allerdings, dass hinter den jeweiligen Märchen nicht steht, wer sie geschrieben hat. Auch wenn es für zweijährige Kinder nicht wichtig ist, ist es doch nicht unwichtig für die Eltern oder größere Kinder, die dieses fantastische Buch als Erstleser-Buch hernehmen.
Dieses Buch ist ein schönes Vorlesebuch für die Kleinsten, aber auch als Erwachsener hat man durchaus seine Freude, da man wirklich den Kern des jeweiligen Märchens ins Gedächtnis gerufen bekommt.
Ich fände es gut, wenn auch weiteren Märchen die Ehre erteilt werden würde, Platz in einem solch wunderbaren Märchenbilderbuch zu bekommen.
Und…. wenn sie immer wieder Lust drauf haben, dann lesen sie noch heute!

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Veröffentlicht am 27.01.2020

Perfekt ist Ansichtsache

Eine fast perfekte Welt
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„Eine fast perfekte Welt“ ist ein melancholisch schöner und zum Nachdenken anregender Roman, über ein Gefühl und den Wunsch, es 'perfekt' haben zu wollen. Wie kommen wir dahin und was können wir dafür ...

„Eine fast perfekte Welt“ ist ein melancholisch schöner und zum Nachdenken anregender Roman, über ein Gefühl und den Wunsch, es 'perfekt' haben zu wollen. Wie kommen wir dahin und was können wir dafür tun?
Auf 205 Seiten, aufgeteilt in 50 kurze Kapitel, werden wir in eine sardische Familiengeschichte entführt, die drei Generationen umfasst. Sie beginnt mit dem Ende des zweiten Weltkrieges und endet in der Gegenwart.

Ester, die das Leben in ihrem kleinen Ort auf Sardinien unerträglich findet, wartet den ganzen Krieg auf die Rückkehr ihres Verlobten Raffaele und darauf, dass er sie endlich heiratet und sie aus der Misere ihres öden Lebens rettet. Nach der Hochzeit gehen sie gemeinsam nach Genua, später nach Mailand. Die Zuversicht oder die Hoffnung, dass das Leben auf dem Festland besser wird, wird schnell getrübt. Auch hier bekommt sie keinen Fuß auf den Boden und hadert mit sich und der Welt. An allen und allem hat sie etwas auszusetzen. Überzeugt, dass eine Rückkehr nach Sardinien – ihre Heimat - sie wieder aufleben lässt, bringt sie zum Entschluss, wieder zurückzukehren. Und wieder kann sie sich nicht einfinden, dass 'alte' Leben gibt ihr nichts, außer Grund zum Nörgeln.
(Da habe ich mich gefragt, wie man(n) mit einer Frau wie dieser zusammen sein kann....)

Lichtblick in der Geschichte ist für mich Felicita, die Tochter von Ester und Raffaele. Sie zeigt sich als genau das Gegenteil von Ester. Ich denke, sie wird in der Geschichte bewusst den Namen Felicita bekommen haben, denn ihr Name bedeutet „die Glückliche“. Sie ist aufgeweckt, gutmütig, feinfühlig, geduldig und mutig und schafft es, sich mit sämtlichen Umständen zu arrangieren, ihnen meistens sogar etwas Positives abzugewinnen. Als sie ungewollt schwanger wird, eine Hochzeit mit dem Kindsvater – einem aus guten, reichen Hause stammenden jungen Mann - aber nicht stattfindet, zieht sie alleine nach Cagliari und bekommt ein Zimmer bei einer alleinstehenden eigenbrödlerischen Frau namens Marianna. Zwischen beiden Frauen entwickelt sich im Laufe der Zeit eine vertrauensvolle Freundschaft.

Felicita bringt einen Sohn zur Welt, den sie Gregorio nennt. Gregorio ist aber ein problematisches, Kind, das sich schwertut, sich in der Gemeinschaft mit anderen Kindern zurechtzufinden. Er wird zum Außenseiter, den fast alle Kinder meiden. Das einzige, was ihn interessiert ist die Musik, insbesondere das Klavierspielen. Und durch die Musik findet er zudem eine besondere Beziehung zu seinem Großvater Raffaele, der einst nach der Gefangenschaft und die Befreiung durch die Amerikaner die Liebe zum Jazz entdeckt hat. Auch wenn Felicita ein einfaches Leben führt – sie verdient sich ihr Geld, indem sie aus Müll Haushaltsutensilien herstellt - unterstützt sie ihren Sohn und ermöglicht ihm, seinen Musiktraum zu erfüllen und lässt ihn nach New York (sein 'Gelobtes Land') ziehen.

Der Roman ist ein stiller und tiefsinniger, melancholischer Roman. Die Handlung ist nicht spektakulär, aber die Charaktere sind vielschichtig und gut gezeichnet. Ich konnte mich in jede Lage hinein versetzen, aber bewundert habe ich vor allem Felicita, die der Welt positiv gegenüber steht und sich nicht entmutigen lässt und es schafft, auf alle Leute zuzugehen, sie nimmt, wie sie sind. Ihre Herzlichkeit und ihr Optimismus sind auch Grund dafür, dass viele ihrer Mitmenschen von ihren verbohrten und festgetretenen Standpunkten heraustreten, über ihren Schatten springen und der Welt offener gegenüber treten.
Während nämlich die eher pessimistisch eingestellte Ester - egal wo sie ist - sich fragt, „Wie schafft man es bloß, an einem Ort wie diesem zu leben?“ (S. 55), ist Felicita optimistischer eingestellt und meint, „dass es keinen Ort auf der Welt gibt, wo man sich nicht wohlfühlen kann“ (S. 104).
Und diese Eigenschaft, die Felicita an den Tag legt ist für mich eine Aufforderung, mal den Blickwinkel auf die Welt anders zu richten, nicht immer nach was Besseren streben, sondern auch mal mit dem zufrieden sein, was ist.
Denn, wer immer sucht, kommt nie an!

Man sollte sich beim Lesen des Buches ruhig Zeit lassen und die Sätze, und die teils tiefsinnigen / bewegenden Dialoge wirken lassen. Die Geschichte hallt bei aller „Ruhe“ des Romans nach.

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Veröffentlicht am 10.06.2019

Schwaben und Schweden

Helle Tage, helle Nächte
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Wenn man ein Geheimnis / eine Lüge nicht mit ins Grab nehmen will, dann muss man sich der Vergangenheit stellen...
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Anna Albinger, seit einigen Jahren bereits im Ruhestand, lebt in einer kleinen ...

Wenn man ein Geheimnis / eine Lüge nicht mit ins Grab nehmen will, dann muss man sich der Vergangenheit stellen...
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Anna Albinger, seit einigen Jahren bereits im Ruhestand, lebt in einer kleinen Stadt am Fuße der Schwäbischen Alb. Sie ist an Krebs erkrankt. Mit dem Gedanken, womöglich bald sterben zu müssen, kommt eine innere Unruhe in ihr auf. Sie lebt und hadert mit einer Lebenslüge, die sie nicht mit ins Grab nehmen will. Sie möchte mit sich und vor allem den Menschen, die ihr wichtig sind, im Reinen sein. Sie bittet ihre Nichte Frederike (Anfang 50 Jahre), um die sie sich seit dem frühen Tod derer Eltern gekümmert hat, einen wichtigen Brief persönlich nach Lappland, einem Frederike unbekannten Petter, zu bringen. Frederike, frisch geschieden und auf der Suche nach einem Neufang, ist zwar wenig begeistert, macht sich aber dennoch mit ihrem roten VW-Bus allein auf den Weg. Jetzt kann sie sich revanchieren; schließlich war es Anna, die für sie seit ihrer Kindheit immer da gewesen ist.

Der Roman "Helle Tage helle Nächte" von Hiltrud Baier ist eine schöne, warmherzige, drei Generationen übergreifende Geschichte. Anna, deren Nichte Frederike und deren Tochter Paula (um die 20 Jahre) werden durch den Brief mit einer aller betreffenden Wahrheit konfrontiert, mit der jede auf ihre Art und Weise fertig werden muss. Allein der Titel verrät, dass der Schwerpunkt der Geschichte nördlich des Polarkreises spielen muss, denn wo sind denn auch die Nächte hell? Der Gegenwarts-Zeitraum erstreckt sich über knapp drei Monate, von Ende April bis Mitte Juni, in dem man viel über die einzelnen Protagonisten und ihr soziales Umfeld erfährt. Der Roman wird abwechselnd aus der Sicht von Anna und Frederike erzählt, so dass man beiden Personen in ihrem Denken, Handeln und Fühlen sehr Nahe ist. Um die Gegenwart zu verstehen, gibt es auch immer einen Exkurs in die Vergangenheit, was dem Roman eine beeindruckende Tiefe verleiht und die Personen sehr lebendig wirken lässt.
Diese Vielschichtigkeit des Romans macht ihn realistisch, man kann sich in jede Person hineinfühlen. Der Schreibstil ist einfach gehalten, aber das macht ihn zu einer (sommer-)leichten Lektüre, die man gut und unbeschwert im Urlaub lesen kann. Der Roman macht Lust auf Lappland; schließlich fühlt/spürt man beim Lesen die atemberaubende Weite Lapplands, die Hiltrud Baier aufgrund ihrer Landeskenntnis extrem gut beschreibt.
Ich könnte mir eine Verfilmung des Buches gut vorstellen, da die Geschichte von menschlichen Charakteren, aber auch von landschaftlichen Schönheiten - sei es Schweden oder der Schwäbischen Alb - lebt.
Eine Geschichte, die zum Nachdenken über die Bedeutung von Lüge und Wahrheit anhält.
Zum Entschleunigen und Entspannen absolut geeignet!

Veröffentlicht am 10.06.2019

'Neue' Liebe heilt 'alte' Wunden

Der wilde Schmerz in mir
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Said muss in einem Altenheim Sozialstunden ableisten. Mirjam, Stationsleiterin der Station 2, auf der viele demente alte Menschen leben, soll ihn unter seine Fittiche nehmen. Schon die erste Begegnung ...

Said muss in einem Altenheim Sozialstunden ableisten. Mirjam, Stationsleiterin der Station 2, auf der viele demente alte Menschen leben, soll ihn unter seine Fittiche nehmen. Schon die erste Begegnung beider Protagonisten bewirkt verwirrende Gefühle bei beiden. Einerseits erleben sie ein Anziehung, andererseits aber auch eine Abneigung. Mit diesem Gefühlschaos weiß keiner so recht umzugehen. Beide sind noch aufgrund des Todes geliebter Menschen verschlossen und verletzt, so dass sie sich in diesem Schmerz vergraben und gefangen sind. Sie können noch nicht loslassen und können eine eine andere – diese „besondere Nähe“ (noch) nicht zulassen.
Geschickt versteht es die Autorin Ada Mea den inneren Dialog – geprägt von Zweifel und Sehnsüchten - den Said als auch Mirjam mit sich selbst auskämpfen darzustellen. Der Roman ist raffiniert aufgebaut. Die einzelnen Kapitel sind stets in der Ich-Perspektive geschrieben. Jeweilige Gegebenheit werden mal aus der Sichtweise von Said, mal aus der von Mirjam sehr detailliert beschrieben. Auch wenn der Verlauf der Geschichte absehbar ist – sie verlieben sich und finden letztendlich doch zu einander -, wird die Geschichte durch die sprachliche Verarbeitung zum Herzens-Erlebnis. Die Darstellung einzelner Liebesszenen ist der wahre Hammer, da hier schonungslos, ohne eine Blatt vor dem Mund zu nehmen, genau das beschrieben was die einzelnen Protagonisten fühlen / empfinden.

Die Geschichte ist wunderbar eingebettet in den Arbeitsalltag im Altenheim. Dem Leben und dem Charakter einzelner alter Menschen wird ebenfalls Bedeutung geschenkt.
Es ist schön zu lesen, wie viele Mitmenschen Said und Mirjam Mut machen, wieder an sich und andere zu glauben.

Fazit:
Eine tolle emotionale Liebesgeschichte, die es schafft die innersten, intimen Wünsche und Sehnsüchte aber auch Ängste und Selbstzweifel eines Menschen offenzulegen. Der flüssige und zugleich wortgewaltige Schreibstil lässt einen wunderbar in die Geschichte eintauchen.
Ein Roman, der zeigt, dass Liebe so stark sein kann, die Wunden, die der Tod hinterlassen hat, zu lindern bzw. zu heilen.
Ein echtes Leseerlebnis!