Profilbild von tinstamp

tinstamp

Lesejury Star
offline

tinstamp ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit tinstamp über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.08.2020

Sollte jeder lesen!

Der Junge, der seinem Vater nach Auschwitz folgte
0

Erst vor kurzem habe ich zum Thema gegendasvergessen eine Biografie einer französichen Jüdin gelesen, die mich - sehr zu meinen Bedauern - überhaupt nicht erreichen konnte. Bei dem oben genannten Titel ...

Erst vor kurzem habe ich zum Thema

gegendasvergessen eine Biografie einer französichen Jüdin gelesen, die mich - sehr zu meinen Bedauern - überhaupt nicht erreichen konnte. Bei dem oben genannten Titel war ich sehr skeptisch, denn für mich hörte er sich reißerische und unglaubwürdige an. So richtig sprach er mich nicht an. Trotzdem war ich neugierig und nahm mir die biografische Erzählung aus der Bücherei mit. Und was soll ich sagen? Dieser biografische Roman sollte wirklich von so vielen Menschen, wie möglich gelesen werden! Es ist ein unheimlich ergreifendes Buch, das ich nur weiterempfehlen kann!

Jeremy Dronfield hat diese Geschichte basierend auf den geheimen Tagebüchern des jüdischen KFZ Häftlings Gustav Kleinmann und seinem Sohn aufgeschrieben. Zusätzlich führte er Gespräche mit Fritz und Kurt, die die Aufzeichnungen des Vaters vervollständigten.
Bisher haben mich zu diesem Thema vorallem "Das Lachen und der Tod" von Pieter Webeling und "Überleben - Der Gürtel des Walter Fantl" von Gerhard Zeilinger am meisten beeindruckt. Nun reiht sich "Der Junge, der seinen Vater nach Ausschwitz folgte" zu meinen Favoriten ein.

Bevor allerdings Vater und Sohn ins titelgebende Ausschwitz kommen, begleiten wir die beiden noch einige Zeit zuvor. Gustav Kleinmann gehört nicht zu den vermögenden Juden, sondern besitzt eine Polstererwerkstatt in Wien. Er lebt mit seiner Frau Tini, sowie den Töchtern Edith und Herta und den beiden Söhnen Fritz und Kurt, in der Leopoldstadt, dem 2. Bezirk der Bundeshauptstadt, unweit des Praters. Es ist 1938 und für die Kleinmanns und alle anderen Juden in Wien ändert sich alles, als Hitler in Österreich einmarschiert. Es dauert nicht lange bis Gustav und Fritz von der Gestapo abgeholt werden. Sie sind eine der Ersten, die nach Buchenwald kommen, wo sie mithelfen müssen das KZ aufzubauen. Dort sind sie nicht nur von anderen Juden umgeben, sondern auch von Roma, Sinti und anderen Menschen, die für den "deutschen Volkskörper" entbehrlich sind, darunter auch viele politisch anders Gesinnte, Homosexuelle, Priester, Polen oder Vorbestrafte.

Tini versucht unterdessen in Wien alles, um ihre ihre Familie vor einer Deportation zu bewahren. Sie hofft auch noch für Gustav und Fritz, denn noch hieß es zu dieser Zeit, dass auch bereits Juden, die im Arbeitslager sind, mit einer Ausreisegenehmigung das Land verlassen dürfen. Doch wie so viele haben die Kleinmanns vorerst kein Glück. Doch dann erhält Edith für Großbritannien und anschließénd der kleine Kurt eine Ausreisgenehmigung für die USA. Tini und Herta werden hingegen von der Gestapo abgeholt. Für Gustav und Fritz ist Buchenwald noch lange nicht Endstation. Bei einer der Selektierungen soll Gustav nach Ausschwitz kommen. Fritz meldet sich daraufhin freiwillig, damit sie zusammen bleiben und sich gegenseitig unterstützen können. Aber auch Ausschwitz ist nicht die Endstation und schlussendlich werden die Beiden doch noch unfreiwillig getrennt. Ich habe mit Gustav und Fritz mitgelitten und Todesängste ausgestanden. Obwohl ich bereits sehr viele Romane und Biografien zum Thema gelesen, habe ich auch diesmal wieder etwas Neues erfahren.

Jeremy Dronfield hat seinen biografischen Roman nicht wie viele Autoren bei der Deportierung begonnen, sondern er lässt uns anfangs mit den Kleinmanns in Wien den Alltag miterleben und langsam den Umschwung erkennen. Durch den Einmarsch in Österreich passiert die systematische Ausrottung der Juden zwar schneller, als zuvor in Deutschland, wo sich die NSDAP nach und nach etablierte und langsam ihre Grausamkeiten gegen die Juden begannen. Trotzdem spürt man auch immer wieder die Hoffnung der Menschen, dass es nicht so schlimm werden kann, durch die Zeilen. Nach der Deportation verbringen Gustav und Fritz lange Zeit in Buchenwald. Sie erleben ein Martyrium sondergleichen, aber lernen auch, wie man im Lager am Besten überleben kann. Gustav beginnt sein kleines Tagebuch, in das er manchmal schnell ein paar Zeilen notieren kann, die nun die Grundlage für dieses Buch sind. Und Buchenwald ist erst der Anfang ihrer leidensgeschichte.
Trotz der vielen furchtbaren Dinge, die Menschen Menschen immer wieder antun, all den Schrecken und Grausamkeiten spürt man den Zusammenhalt und die Unterstützung zwischen Vater und Sohn, sowie zu einzelnen Lagerinsassen. Das Beide all diese Greueltaten überlebt haben, grenzt an ein Wunder.

Das enthaltene Bildmaterial lässt den Leser noch mehr Anteil nehmen am Schicksal der Familie Kleinmnann. Sie geben den Menschen ein Gesicht.
Für mich gehört "Der Junge, der seinen Vater nach Ausschwitz folgte" zu den besten Büchern, die

gegendasvergessen geschrieben wurden.


Fazit:
Ein Buch, das jeder gelesen haben sollte. Eine Geschichte, die sich nie wieder wiederholen darf. Ein Zeitzeugnis. welches von Jeremy Dronfield grandios und einfühlsam umgesetzt wurde und in meinen Gedächtnis haften bleiben wird. Leseempfehlung!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 14.08.2020

Absolute Leseempfehlung!

Fly, Baby, fly!
0

Die österreichische Autorin Sophie Edenberg hatte mich gefragt, ob ich ihren Roman gerne lesen und rezensieren würde. Ich habe in die Leseprobe reingelesen und danach sofort zugesagt und es wirklich nicht ...

Die österreichische Autorin Sophie Edenberg hatte mich gefragt, ob ich ihren Roman gerne lesen und rezensieren würde. Ich habe in die Leseprobe reingelesen und danach sofort zugesagt und es wirklich nicht bereut. Was für eine tolle und spannende Geschichte!

Die Handlung hat mich von Beginn an sofort gefangen genommen. Wir erleben mit Lea ihren schweren Autounfall und wie sie ohne Erinnerung an die letzten dreizehn Jahre im Krankenhaus erwacht. Ihre letzte Erinnerung ist der Abschlussball an ihrer Schule, den sie gemeinsam mit ihrem Freund Christopher besucht hat. Lea möchte direkt an die Zeit ihrer Erinnerung im Jahr 1999 anschließen, doch das ist nicht möglich. Mit keinem ihrer früheren Freunde, sowie mit den Eltern pflegte sie noch Kontakt. Ihren Mann Christopher, den sie scheinbar geheiratet und mit dem sie eine gemeinsame Tochter hat, hat sie vor mehr als drei Jahren verlassen. Lea ist geschockt und voller Schuldgefühle. Sie ist fest entschlossen ihren Mann und ihre Tochter zurückzugewinnen, der mittlerweile mit seiner ehemaligen besten Freundin Anna liiert ist.

Dies ist einer der selten Romane, bei dem ich sogar das Liebesdreieck nicht furchtbar fand. Sophia Edenberg erzählt mitreißend und tiefgründig. Die Charaktere bestechen durch Vielschichtigkeit und sind mitten aus dem Leben gegriffen. Sie haben Ecken und Kanten und sind alles andere als perfekt.

Die Handlung wird abwechselnd aus der Sicht von Lea, Anna und Christopher erzählt. Zusätzlich gibt es Rückblenden in die Jahre 1999 und 2006, während die Gegenwart im Jahr 2019 und Anfang 2020 spielt.
Die Charaktere sind sehr realitättsnah und vielschichtig dargestellt. Keine der Figuren ist perfekt, sondern alle haben Ecken und Kanten. Durch Rückblenden werden die Geheimnisse aus Leas Vergangenheit langsam schichtweise aufgedeckt. Dadurch wird die Spannung erhöht. Die zwischenmenschlichen Beziehungen werden sehr eingehend dargestellt und ich konnte mich teilweise gut in beide Frauen hineinversetzen. Auch wenn Lea nicht unbedingt ein Sympathieträger ist, konnte ich ihre Verzweiflung wegen ihrer Amnesie verstehen. Ich war neugierig, was hinter Leas Kontaktabbruch steckte, beobachtete mit Anna, wie sich Christoph plötzlich veränderte, nachdem er Lea wieder getroffen hat und fühlte ihren Kummer.

Die beiden Frauen sind sehr unterschiedlich. Während Lea vor ihrem Unfall nur vor Selbstvertrauen strotze und der es auch danach nicht wirklich an Selbstwertgefühl mangelte, muss sich Anna erst selbst wertschätzen lernen. Christophs Entwicklung überraschte mich allerdings am meisten.
Jeder der Figuren entwickelt sich in ihrem eigenen Tempo weiter. Es gibt keine plötzlich 180 Grad Wendung, sondern eine realistische Entwicklungder Charaktere bzw. deren Aufdeckung.

Zum Ende hin gibt es eine überraschende Wendung, mit der ich nicht gerechnet hatte. Die Idee dahinter ist von der Autorin großartig umgesetzt worden und ist sehr schlüssig. Für mich stimmt hier einfach alles. Und nun höre ich auf zu schwärmen und sage nur: Liest selbst!

Fazit:
"Fly, Baby fly" sticht aus diesen 08/15 Geschichten heraus, wie eine Orchidee zwischen Unkraut. Ein Roman, wie man ihn öfters gerne lesen möchte und doch so selten findet. Von mir gibt es eine absolute Leseempfehlung!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 09.08.2020

Ein Dorf und seine Geheimnisse

Kalte Nacht
0

Hinter dem Pseudonym Anne Nørdby verbirgt sich die deutsche Autorin Anette Strohmeyer, von der ich allerdings auch noch kein Buch gelesen habe. Somit ist "Kalte Nacht" mein erstes Buch der Autorin, aber ...

Hinter dem Pseudonym Anne Nørdby verbirgt sich die deutsche Autorin Anette Strohmeyer, von der ich allerdings auch noch kein Buch gelesen habe. Somit ist "Kalte Nacht" mein erstes Buch der Autorin, aber sicherlich nicht mein letztes. Den ersten Fall "Kalter Strand" werde ich mir auf jeden Fall noch besorgen und lesen, denn dieser Thriller konnte mich wirklich überzeugen.

Polizistin Maja Lövgren wird zu einem schweren Autounfall auf einer einsamen Straße unweit des schwedischen Dorfes Hultsjö gerufen. Der Fahrer und eine Jugendliche am Rücksitz sind tot, ein Kind am Beifahrersitz schwerverletzt. Sehr schnell stellt sich heraus, dass es sich bei den Nowaks um eine deutsche Urlauberfamilie handelt, die sich in der Nähe ihren Traum vom Ferienhaus erfüllt haben. Die Tote am Rücksitz weist jedoch bereits Totenflecken auf, was darauf hindeutet, dass sie bereits vor dem Unfall tot war. Die Mutter der beiden Mädchen ist außerdem verschwunden.
Die schwedische Polizei bittet Tom Skagen von Skanpol, der grenzübergreifenden Sondereinheit für Verbrechensbekämpfung zwischen Skandinavien und Deutschland, um Mithilfe. Für Maja ist Tom kein Unbekannter, denn er stammt aus der Umgebung. Als Kinder und Jugendliche waren er und Maja befreundet. Tom reist ohne das Wissen seiner Chefin Jette vor Ort. Er möchte nicht nur persönlich bei den Ermittlungen helfen, sondern versucht mit der Reise nach Schweden auch sein persönliches Trauma zu überwinden. Gemeinsam mit Maja und ihrem Chef Göran Berg versuchen sie die verschwundene Tina Nowak zu finden und den mysteriösen Unfall aufzuklären. Doch das gestaltet sich nicht so einfach...

Bei ihren Ermittlungen im Dorf treffen sie auf eine Wand des Schweigens. Immer wieder fällt der Name Ludvig Staffansson, der im Dorf anscheinend das Sagen hat und nicht nur gegen die Ansiedlung von Ausländern ist, sondern generell gegen jeden Fortschritt. Sein Gegner Ture Dahlberg hingegen fördert den Tourismus und möchte das Dorf aus den "Winterschlaf" holen. Die beiden Familien sind seit Generationen verfeindet und machen sich gegenseitig das Leben schwer.
Die geheimnisvolle und manchmal auch düstere Atmosphäre wird sehr lebendig dargestellt. Das Dorf in der Einöde Südschwedens mit seinen kauzigen Einwohnern wirkt sehr authentisch. Die Bewohner sind gegenüber Fremden teilweise sehr ablehnend und auch die Nowaks hatten es nicht leicht. Verdächtig erscheinen sie alle, was die Ermittlungen nicht gerade leichter machen. Nach und nach tun sich menschliche Abgründe auf, die einem beim Lesen Gänsehaut bereitet. Eine grandiose Milieustudie!

Die Story ist vielschichtig aufgebaut. Der Spannungsbogen ist hoch und bleibt konstant. Der Thriller konnte mich durchgehend fesseln und überrascht immer wieder mit neuen Wendungen. Kaum hat man eine Theorie aufgestellt, entpuppt sie sich im nächsten Abschnitt als Luftblase.
Neben den Ermittlungen, die Tom, Maja und Göran führern gibt es kurze Kapitel aus der Sicht von Tina, die gefangen gehalten und grausam misshandelt wird. Auch die Gedanken des Täters werden immer wieder eingeblendet ohne dass der Leser weiß, um wen es sich handelt. Zusätzliche Rückblenden in die letzte Woche vor dem Unfall der Familie und dem Verschwinden von Tina lassen Einblicke in das Familienleben der Nowaks zu. Dabei eröffnen sich unerwartete Einblicke in das Familiengefüge.

Schreibstil und Charaktere::
Der Schreibstil ist fesselnd und die wechselnden Perspektiven erhöhen die Spannung. Die Figuren facettenreich und sind sehr authenisch beschrieben. Ich hatte sie alle lebhaft vor Augen.
Lola war ein mehr als rebellischer Teenager, deren Gedanken mir ab und zu Gänsehaut bereiteten. Die autistische Ronja lebte hingegen in ihrer eigenen Welt und Mutter Tina scheint etwas zu verbergen, wobei ihre Ängste in der Einöde des Ferienhauses immer schlimmer werden. Einzig Vater Jochen ist glücklich, dass er sich endlich seinen Traum vom Ferienhaus in Schweden ermöglichen konnte.
Auch die Dorfbewohner sind bis in den kleinsten Nebencharaktere wunderbar skizziert. Jeder von ihnen scheint kleinere oder größere Geheimnisse zu haben. Als Leser hat man dadurch wirklich jeden Einzelnen in Verdacht.

Fazit:
Ein wirklich toller atmosphärischer Schwedenkrimi/thriller aus der Hand einer deutschen Autorin. Spannend, fesselnd und mitreißend...ich hole mir jetzt den ersten Band, den ich unbedingt lesen muss. Von mir gibt es eine klare Empfehlung!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 02.08.2020

Eine tolle Pferdegeschichte, die fesselt und man nicht mehr aus der Hand legen kann

PaNia - Die Legende der Windpferde
0

Gemeinsam mit meiner zwölfjährigen Nichte habe ich den ersten Teil von PaNia - Die Legende der Wildpferde gelesen.

Sie war ganz begeistert und meinte sie hätte seit langer Zeit kein Buch mehr gelesen, ...

Gemeinsam mit meiner zwölfjährigen Nichte habe ich den ersten Teil von PaNia - Die Legende der Wildpferde gelesen.

Sie war ganz begeistert und meinte sie hätte seit langer Zeit kein Buch mehr gelesen, das sie so fesseln konnte.

Der Schreibstil ist flüssig und locker und dem Alter angepasst. Die Autorin hat die Charaktere wunderbar beschrieben. Es gab viele Geheimnisse, die nicht alle aufgedeckt wurden. Wir sind gespannt, ob diese im zweiten Teil gelöst werden, der diesen Monat erschienen ist.

Wir fanden Nia, die Hauptprotagonistin, fantastisch. Eine so mutige junge Frau. Man konnte mit ihr mitfühlen und ighre Gedanken verfolgen. Dadurch lernt man ihren Charakter mit der Zeit immer besser kennen.

Nia hält anfangs die Legende der Windpferde nur für eine erfundene Geschichte. Doch das Pferd, das sie im Wald trifft, scheint zur Legende zu passen und sie rätselt, ob es ein Windpferd ist. Die Gedanken daran lassen sie nicht los.

Gemeinsam haben wir ewig gegrübelt, was es mit den Windpferden auf sich hat. Um so mehr wichtige Entdeckungen sie gemacht hatte, desto neugieriger und kribbeliger sind wir geworden. Wir haben mitgerätselt und mitgefiebert.

Wir konnten dieses Buch einfach nicht mehr aus der Hand legen. Für alle Pferdefans ein MUSS!

Eines der tollsten Bücher, die meine Nichte gelesen hat. Wir geben gerne alle 5 Sterne!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 24.07.2020

Zwei Frauen auf der Suche nach Wahrheit

Zwei fremde Leben
0

Was für ein Roman! Ich habe das neue Buch von Frank Goldammer vorablesen dürfen und wahrlich verschlungen. Ich konnte einmal angefangen, kaum aufhören zu lesen!
Normaler Weise schreibt der Autor historische ...

Was für ein Roman! Ich habe das neue Buch von Frank Goldammer vorablesen dürfen und wahrlich verschlungen. Ich konnte einmal angefangen, kaum aufhören zu lesen!
Normaler Weise schreibt der Autor historische Krimis, die in der Nachkriegszeit spielen. Nun hat er sich an eine andere Zeit gewagt und ein anderes Genre, auch wenn hier ein bisschen Kriminalität durchbricht....denn dreißig Jahre nach dem Mauerfall gibt es noch mehr als genung Aufarbeitung und Themen, die sich für Romane eignen....

Wir befinden uns in den 1970er Jahren in der DDR. Thomas Rust, Polizist und werdender Vater, erhält die Nachricht, dass seine Frau wegen frühzeitiger Wehen im Krankhaus liegt. Als er im Garten der Dresdner Klinik eine Rauchpause macht, trifft er auf Steffen, der verzweifelt zu seinem Auto geht. Thomas Rust spricht ihn an und erfährt, dass das gemeinsame Kind, das Steffens Verlobte Ricards zur Welt gebracht hat, verstorben ist. Er musste eben eine Unterschrift unter das Formular für die Bestattung setzen. Laut Vorschrift darf die Mutter ihr totes Kind nicht sehen, doch Ricarda glaubt nicht an den Tod ihres Babies. Ihr Vater, ein renommierter Arzt an der Klinik, hat das Kind gesund entbunden und weggebracht. Er war gegen die Beziehung von Ricarda zu Steffen. Sie vermutet, dass ihr Baby zwangsadoptiert wurde. Auch Thomas Rust hegt diesen Verdacht, denn während er eine weitere Zigarette rauchte, beobachtete er einige seltsame Vorgänge beim Hinterausgang des Krankenhauses....

Frank Goldammer hat sich einem Thema angenommen, das mir Gänsehaut beschert: Zwangsadoption. Darüber habe ich bereits in einigen Romanen aus dem Zweiten Weltkrieg gelesen, wie den sogenannten Lebensborn-Einrichtungen. Aber auch in der DDR war dies ein Prozess, der vorallem bei Frauen, die als Staatsfeinde angesehen wurden und im Gefängnis saßen, gehandhabt wurde. Schließlich sollten die Kinder zu sozialistischen Mitmenschen erzogen werden, die das Regime nicht in Frage stellten...
Zusätzlich geht es um Furcht, Misstrauen und Angst...drei Dinge, mit der die Stasi Macht ausübte.

Bereits die ersten Seiten haben mich an das Buch gefesselt. Goldammer schreibt im Hauptstrang der Geschichte aus der Sicht von Ricarda. Ihr Leiden und die feste Überzeugung, dass ihr Kind noch lebt, wird vom Autor großartig dargestellt. Ricarda lässt nichts unversucht ihr Kind zu finden. Dabei kann man als Leser ihre Verzweiflung, aber auch ihren Mut und ihre Stärke fühlen, vorallem weil sich mit der Zeit wirklich alle gegen sie stellen....
In einem weiteren Handlungsstrang begleiten wir Thomas Rust. Der linientreue Polizist, der sich zu Beginn aus Neugierde der Sache annimmt und einen Kunstfehler oder Schlamperei hinter dem Tod des Kindes vermutet, verbeißt sich in den Fall. Hätte er sich trotzdem der Angelegenheit angenommen, wenn er zu Beginn gewusst hätte, dass er Jahrzehnte damit beschäftigt sein wird? Oder er am System zu zweifeln beginnt?

In einem dritten Handlungsstrang lernen wir Claudia Behling kennen, die 1989 beim Versuch aus der DDR zu flüchten, erwischt wird. Ihr Vater ist ein hohes Tier im Außenhandel und bekommt eine eindringliche Warnung von den Genossen. Im Zuge eines Streites rutscht Claudias Mutter heraus, dass sie gar nicht ihr Kind ist, sondern adoptiert wurde. Daraufhin nutzt Claudia kurz vor der Maueröffnung die Chance abzuhauen und ihre wahren Eltern zu suchen. Doch die Stasi hat bereits viele Unterlagen erfolgreich vernichtet. Auch nach der Öffnung lässt sich kaum rekonstruieren wo und wann Claudia geboren wurde....

Wer nun denkt, der Klappentext verrät doch schon einiges, der irrt! Es dauert 45 Jahre bis Ricarda und Claudia endlich mehr über ihre Vergangenheit erfahren. Ich will nicht vorausgreifen und auch nicht spoilern, aber der Autor lässt auf den 400 Seiten noch die eine oder andere überaschende Wendung einfließen. Das Tempo ist hoch, die Spannungskurve bleibt konstant. Ich kann diesen starken Roman einfach nur mit voller Überzeugung weiterempfehlen!

Fazit:
Ein packender und beeindruckender Roman, der für mich auf jeden Fall zu den Highlights dieses Jahres gehört. Liest selbst!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere