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Veröffentlicht am 03.08.2020

Die toten Straßen von Lissabon

Portugiesische Wahrheit
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Was erhoffen sich Autoren davon, einen - sagen wir mal, in Portugal angesiedelten - Roman unter einem portugiesisch klingenden Pseudonym zu schreiben? Was erwarten Verlage, wenn sie einen Autoren, der ...

Was erhoffen sich Autoren davon, einen - sagen wir mal, in Portugal angesiedelten - Roman unter einem portugiesisch klingenden Pseudonym zu schreiben? Was erwarten Verlage, wenn sie einen Autoren, der einen Roman schreibt, der - sagen wir mal, in Portugal angesiedelt ist - ein portugiesisch klingendes Pseudonym aufzuzwingen? Vor allem dann, wenn man als Leser nach spätestens dem zweiten Kapitel merkt, dass der Autor von Land, Leuten und Kultur so viel Ahnung zu haben scheint wie ein Tourist, der alle fünf Jahre dort zwei Wochen Urlaub verbringt.

Davon mal abgesehen, liest sich "Portugiesische Wahrheit" wie der Versuch eines Beamten, einen auf großen Schriftsteller zu machen. Luis Sellano, hinter dem sich der Schwäbische Grafiker und Illustrator Oliver Kern verbirgt, kann besser zeichnen als schreiben. Die "Portugiesische Wahrheit" ist ein Buch in Behördendeutsch, mit häufig verwendeten falschen Konjunktiven (insgesamt hat der Autor handwerkliche Probleme mit der deutschen Sprache) und zusätzlich noch einen gedankenwirren Helden, der larmoyant und selbstmitleidig daherkommt und ständig mehr oder weniger notgeil wirkend hinter Ex-Freundin Helena (eine Anlehnung an die Helena der griechischen Mythologie mag beabsichtigt sein) herstarrt.

Gleichzeitig hat es der 40-Jährige nicht geschafft, sich von Muttis Rockzipfel zu lösen, die matriarchalisch erst den Mann, dann den Sohn und schließlich die Tochter aus dem Haus treibt, ohne dass diese sich tatsächlich ihrer Dominanz entziehen. Nagut. Der Vater scheint es schaffen. Er nimmt sich eine portugiesische Geliebte und taucht bei ihr unter. Kontakt zur einstigen Familie vermeidet er. Und scheint damit der einzig Schlaue in diesem Konglomerat zu sein.

Aber diese Mutti-Geschichte ist aufgesetzt wie auch der Plot, von dem man selbst nach 120 Seiten noch nicht weiß, wohin er führen soll. Da ist einerseits die bei der Renovierung des Swimming-Pools des "Hotel Oriente" im Betonfundament gefundene Leiche. Dummerweise ist ausgerechnet in dem Hotel auch Mutti abgestiegen, die ihren Sohn in Lissabon besucht. Ein Lissabon übrigens, das dem Leser außer ein paar hingekritzelte Straßennamen, Bezeichnungen für Viertel nichts bietet. Wirklich nichts, was über das Studium eines Online-Stadtplans oder schlechten Reiseführers hinausgeht.

Wenn Henrik Falkner eine Straße entlang flaniert oder fährt, dann hat diese Straße kein Leben, keine Atmosphäre, keine Geschichte. Dabei hätte es genügt, wenn Kern-Sellano einmal Thomas Manns "Felix Krull" gelesen hätte, um zu lernen, wie man einen Leser an die Hand nimmt und ihn durch Lissabon führt.

Da taucht andererseits immer wieder der verstorbene schwule Onkel dieses Henrik Falkner auf. Ich unterstelle, die phonetische Ähnlichkeit zu Henry Faulkner ist gewollt. Damit ist aber  die Ähnlichkeit zwischen diesen beiden sehr unterschiedlichen Charakteren auch schon erschöpft. Im Gegensatz zu dem Künstler, Exzentriker und Lebemann Faulkner ist Falkner einfach nur peinlich, ohne Persönlichkeit und Charakterstärke.

Dort, wo eigentlich die Handlung des Buches vorangetrieben werden müsste, denkt Falkner; widerspricht sich innerhalb eines Absatzes, versucht das Innere seines Gegenübers zu lesen und zu interpretieren, wirft dem Leser ein wirres Geflecht aus motivationslosen Gedankenfetzen entgegen, der sich darin verfängt, aber weder einen Ausweg findet noch einen angeboten bekommt. Die typische Arbeit eines Schreibers, der ohne Plan an sein Werk herangeht, dann irgendwann nicht mehr weiter weiß, aber diese Hängepartie auf Teufel komm raus und geh wieder rein überwinden muss.

Eben dieser Onkel vererbte Falkner sein Haus mitsamt Antiquariat in Lissabon, der daraufhin seinen Job als Kriminalbeamter in Deutschland hinschmiss, an den Tejo zog und dort nun von einem Kriminalfall in den nächsten stolpert. Immerhin ist "Portugiesische Wahrheit" schon der fünfte Band der Reihe.

In anderen Kritiken erfuhr ich, man müsse die ersten vier Bände gelesen haben, um die wirren Gedanken und Anspielung des Autor verstehen zu können. Aber genau das ist der falsche Ansatz, Herr Kern-Sellano. Sie schreiben keine Fortsetzungsserie. Und genau deshalb muss jeder Roman für sich stehen.

Das schönste am Buch, ich gestehe es, ist die Gestaltung des Umschlags. "punchdesign" hat sich etwas einfallen lassen, um Portugal anhand seines Lichtes, seiner Architektur, seiner Farben dem potenziellen Leser als Augenschmaus zu präsentieren. Die Coverdesigner haben optisch das geschaffen, worum sich der Autor verbal noch nicht einmal bemüht.

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