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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 29.08.2020

Der Pott kocht - noch!

Ein Gefühl von Hoffnung
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Inge, Bärbel und der kleine Jakob haben sich weiterentwickelt - die fleißige Inge hat nach dem Tod ihrer aller Mutter Katharina die Rolle der Hausfrau und auch der Mutter für Jakob übernommen, Bärbel und ...

Inge, Bärbel und der kleine Jakob haben sich weiterentwickelt - die fleißige Inge hat nach dem Tod ihrer aller Mutter Katharina die Rolle der Hausfrau und auch der Mutter für Jakob übernommen, Bärbel und auch Jakob haben Ärger in der Schule, aber sie sind ja nicht alleine....

Johannes ist nun Gewerkschafter und seit einigen Jahren mit Hanna, der Freundin seiner verstorbenen Liebe Katharina verlobt. Das ist der Ausgangspunkt, doch es kommt so einiges auf die werten Leser zu! Ich kann nun wirklich sagen, dass ich angekommen bin in der Geschichte und mich wirklich zu Hause fühle. Nicht mehr dieses überhastete "Alles-mitnehmen-wollen" wie im "Traum vom Glück". Hier wird das Leben im Ruhrgebiet mit seinen Nöten - das Zechensterben nimmt seinen Anfang und die Zukunft der Bergleute sieht düster aus - und Freuden geschildert. Denn die gibt es durchaus im Leben der Protagonisten. Mich fasziniert besonders die Authentizität und Wärme, mit der Autorin Eva Völler das Schicksal ihrer Figuren schildert.

Das Einzige, was mich ein bisschen gestört hat: mussten wirklich so viele Protagonisten ihr Leben lassen? Wäre es anders nicht möglich gewesen, eine spannende und stimmige Handlung zu entwickeln.? Ich weiß zwar, dass die Sterberaten so kurz nach dem Zweiten Weltkrieg noch wesentlich höher waren als sie heutzutage sind, aber hier hörte es ja gar nicht mehr auf und dominierte die Handlung irgendwann aus meiner Sicht zu stark.

Ansonsten stimmt hier aus meiner Sicht alles und ich habe den Roman mit großem Interesse und noch größerer Lesefreude genossen und konnte ihn gar nicht aus der Hand legen. Die Strafe folgte auf dem Fuß: der Roman war viel zu schnell zu Ende und nun hoffe ich auf einen dritten Teil, in dem das Familienleben von Inge und Johannes und die Zukunft von Bärbel und dem Bruder geschildert werden!

  • Einzelne Kategorien
  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Cover
  • Geschichte
Veröffentlicht am 21.08.2020

4x Bonnie, 0x Clyde

Wilde Freude
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Vier Frauen, die am Ende sein könnten, treffen aufeinander. Doch statt aufzugeben, wollen sie es nochmal wissen! Sie schmieden einen gefährlichen Plan - um einer von ihnen ihr Kind zurückzubringen, wollen ...

Vier Frauen, die am Ende sein könnten, treffen aufeinander. Doch statt aufzugeben, wollen sie es nochmal wissen! Sie schmieden einen gefährlichen Plan - um einer von ihnen ihr Kind zurückzubringen, wollen sie ein exklusives Juweliergeschäft überfallen: Brigitte, Assia, Melody und Jeanne schmieden einen Plan, der eigentlich nicht gelingen kann. Kommen sie dennoch damit durch? Und wenn ja, wie weit?

Können sie "nur" Leib und Leben retten oder werden sie reich? Trauen sie sich das überhaupt im Endeffekt?

Der französische Autor Sorj Chalandon spielt mit dem Sujet des Kämpfers der entrecheten, macht aus ihm den weiblichen Counterpart, der vor allem mit Gewitzheit und Einfallsreichtum punktet.

Erzählt wird aus der Perspektive von Jeanne, die als Letzte hinzukam, schwer gebeutelt. Erkrankt an Brustkrebs in fortgeschrittenem Stadium, wird sie nach jahrzehntelanger Ehe von ihrem Mann verlassen, der ihr Leiden nicht mit ansehen. Chalandon agiert quasi als Anwalt dieser Frauen: auch wenn sie Unrechtes tun, sind sie gewissermaßen im Recht bzw. sollen zu ihrem Recht kommen. Der Autor agiert hier gewissermaßen als Anwalt der vermeintlich schwachen. Er tut das mit Entschlossenheit und mit Humor, wobei er sich keinesfalls mit ihnen identifiziert bzw. aus ihnen spricht.

Ein wehrhaftes, kraftvolles, aber auch sensibles Buch, das den Leser bis zum Ende hin durch gewissen Wendungen überrascht. Werden die vier Bonnies möglicherweise durch ihren Erfolg erstarken? So viele Ideen ich hatte, Sorj Chalandon konterte mich jedesmal aus, trieb es tollkühner als ich es mir vorstellen konnte. Aber auch milde und weise - auf eine gewisse Art. Wer originelle, freche Literatur mag, ist hiermit gut beraten.

Veröffentlicht am 21.08.2020

Mahler reflektiert

Der letzte Satz
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Gustav Mahler sitzt an Bord eines Schiffes auf dem Weg nach New York. Er, der sein Leben lang kränkelte, weiß nun, dass er nicht mehr lange Zeit hat. Was ihn nicht beschleunigt, sondern dazu ...

Gustav Mahler sitzt an Bord eines Schiffes auf dem Weg nach New York. Er, der sein Leben lang kränkelte, weiß nun, dass er nicht mehr lange Zeit hat. Was ihn nicht beschleunigt, sondern dazu bringt, zurückzublicken. Mit dem inneren Auge eines lebenserfahrenen, wenn auch nicht immer lebensbejahenden Menschen.

Alma, seine Frau - sie ist mit ihm unterwegs, aber eigentlich schon weit weg. Der nächste (Heirats)Kandidat in Person von Walter Gropius (wird nicht namentlich erwähnt) steht schon parat. Alma, die leichtfertig scheint, es aber keineswegs einfach hatte mit dem sehr speziellen und schon zu Lebzeiten bekannten Komponisten und Dirigenten Gustav Mahler. Aus Mahlers Überlegungen wird deutlich, dass sie nicht dazu gemacht war, als Frau an seiner Seite zu leben - dafür hat sie viel zu viel Potential in sich.

Momente aus dem Leben mit Alma treten hervor, der Verlust einer der beiden Töchter, der gemeinsame Besuch in Rodins Atelier in Paris, wo der Bildhauer auf Wunsch von Alma und ihrer Familie eine Büste von Mahler modelliert. Dass dies nicht Mahlers Wunsch ist, wird schnell deutlich.

Mahler auf dem Schiff - er pickt sich Momente heraus, wie es auch Menschen tun würden, die keine Jahrhundertkomponisten sind - Autor Robert Seethaler hat hier die ganz normalen Gedanken eines zufälligerweise sehr berühmten Mannes am Ende seines Lebens herausgearbeitet. Wohlgemerkt: die möglichen Gedanken, denn Seethaler spielt hier mit der Geschichte. Er verleiht einem Bereich Worte, die sonst verborgen bleiben, denn Gedanken sind - wie es in dem bekannten Lied heißt, um im Bereich der Musik zu bleiben - frei und ziehen wie nächtliche Schatten vorbei.

Ein kurzes Werk, ob es knackig ist, soll jeder Leser selbst bewerten. Ich zumindest habe es sehr gerne gelesen und Sprache wie auch Stil des Autors genossen. Hier schreibt Robert Seethaler, nicht sein Landsmann Thomas Bernhard: weswegen Mahler im letzten Satz seines Lebens viele mögliche letzte Sätze denkt. Aus meiner Sicht vermag es der Autor, hier ein ebenso privates wie kraftvolles Statement zu schaffen. Eines, das ich - so kurz es ist - in guter und andauernder Erinnerung behalten werde!

Veröffentlicht am 16.08.2020

Same procedure as....

Die verstummte Frau
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Nein, es ist nicht die "same procedure as every year", aber es gibt starke Parallelen zu einem Verbrechen, das vor acht Jahren einen Mann ins Gefängnis brachte: es geht um den brutalen Mord an ...

Nein, es ist nicht die "same procedure as every year", aber es gibt starke Parallelen zu einem Verbrechen, das vor acht Jahren einen Mann ins Gefängnis brachte: es geht um den brutalen Mord an einer jungen Frau. Er, der von jeher seine Unschuld beteuert, behauptet, wichtige Informationen liefern zu können.

Und zwar an den Ermittler Will Trent, der nun sozusagen posthum mit dem ersten Ehemann seiner Partnerin Sarah Linton, nämlich dem verstorbenen Jefferey Tolliver, dem damaligen Chefermittler kooperieren muss.

Obwohl Tolliver nicht mehr lebt, ist er in der Beziehung von Sarah und Will eine stets präsente, sozusagen unsichtbare Achillesferse. Schon unter normalen Umständen belastet er deren Beziehung und macht nun auch die aktuellen Ermittlungen komplizierter - und für den Leser spannender.

Ich empfehle dieses Buch von ganzem Herzen als süffigen Thriller mit Tiefgang. Der ein oder andere Freund hochwertiger Thriller wird vielleicht das ein oder andere Mal die Augenbrauen hochziehen (wenn auch nur ein bisschen). Doch wer solide, gut geschriebene Thriller mag, die blutig, aber alles andere als billig sind, ist hier durchaus gut bedient!

Veröffentlicht am 15.08.2020

Fast, als wäre man selbst Teil der Handlung

So weit die Störche ziehen (Die Gutsherrin-Saga 1)
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So dicht und atmosphärisch beschreibt Autorin Theresia Graw die Ereignisse um die Familie Twardy, ostpreußischer Gutsbesitzer, im Verlauf des Zweiten Weltkriegs. Faszinierend und gleichzeitig ...

So dicht und atmosphärisch beschreibt Autorin Theresia Graw die Ereignisse um die Familie Twardy, ostpreußischer Gutsbesitzer, im Verlauf des Zweiten Weltkriegs. Faszinierend und gleichzeitig erschütternd bin ich der Handlung, in deren Mittelpunkt die junge Dora Twardy, bei Kriegsausbruch noch ein blutjunges Mädchen steht. Idealistisch und voller Träume!

Diese muss sie leider im Laufe der Jahre nach und nach aufgeben. So behütet, wie Ostpreußen in der ersten Hälfte dieses dramatischen Krieges war, so deutlich bekam man doch so einiges mit - und sei es "nur" durch die Väter und Brüder, die in den Kampf ziehen mussten und von denen so viele nicht zurückkehrten. Oder wenn ja, dann mit Verletzungen - sowohl äußeren als auch inneren.

In der Zweiten Hälfte, als sich die Front mehr und mehr in den Osten verlagert und vor allem, als die Wehrmacht immer mehr Rückschläge hinnehmen muss, kommt es dann knüppeldick für Deutschland. Gerade auch für Dora, die (fast) seit Beginn des Krieges zwischen zwei Männern steht, die beide ebenso wie sie fest mit Ostpreußen verbunden sind.

Ja, es ist ein spannender, mitreißender und historischer wunderbar recherchierter Roman, an dem mich nur eines störte: es gab unheimlich viele Erzählstränge, von denen nicht gerade wenige im Sande verliefen - oder sollte man sagen, sich in der Ostsee verloren?

Das passte nicht so richtig zu dem ansonsten meisterhaft gestalteten Roman, was ich als sehr schade empfand!