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Veröffentlicht am 17.09.2020

Vier Leben - gescheitert

Leben ist ein unregelmäßiges Verb
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1980. Leander, Frida, Ringo und Linus, vier Zwölfjährige, aufgewachsen in einer niedersächsischen Land-WG, in der die Erwachsenen sich von den Reglementierungen der Gesellschaft befreien wollen und abgeschottet ...

1980. Leander, Frida, Ringo und Linus, vier Zwölfjährige, aufgewachsen in einer niedersächsischen Land-WG, in der die Erwachsenen sich von den Reglementierungen der Gesellschaft befreien wollen und abgeschottet als Selbstversorger leben. Aber sie ignorieren auch geltende Gesetze wie die Schulpflicht, was letzten Endes dazu führt, dass die Kommune von den Behörden zerschlagen wird und man die Kinder aus ihrer gewohnten Umgebung reißt.

Sie werden getrennt, bei Verwandten oder Pflegefamilien untergebracht, die sich mal mehr, mal weniger gut um sie kümmern und ihnen helfen sollen, sich in einer Welt zurechtzufinden, die ihnen komplett fremd ist. Zwar haben sie eine Ahnung von dem Leben dort draußen, aber diese speist sich im Wesentlichen aus dem, was die Erwachsenen ihnen eingetrichtert haben. Aber glücklicherweise gibt es da auch noch die Erinnerungen an die Klassiker der Weltliteratur, aus denen ihnen Konrad abends vorgelesen hat und die ihnen helfen, ihre neue Lebenssituation einzuordnen.

Alternierend verfolgen wir in den nachfolgenden vierzig Jahren ihre Wege, ihre Versuche der Anpassung und der Rebellion und schlussendlich des Scheiterns.

Der Roman lässt mich zwiespältig zurück. Auf der einen Seite ist da diese unglaublich beeindruckende Sprache, einfallsreich und fantasievoll, die jedem der vier Leben einen eigenen Klang verleiht. Auf der anderen Seite die Komplexität der Lebensgeschichten, und damit sind wir auch schon bei dem Punkt, an dem meine Kritik ansetzt. Ab knapp der Hälfte des Romans gehen die Pferde mit dem Autor durch, er kommt vom Hölzchen auf‘s Stöckchen. Eine dramatische Situation jagt die nächste, Klischeefallen nicht vermieden, eine Unmenge von Figuren ohne besondere Funktion für den Fortgang der jeweiligen Geschichte eingeführt. Komplexität schön und gut, aber man muss es ja nicht gleich übertreiben. So bleiben am Ende fast 1000 Seiten, prall gefüllt mit allerlei Überflüssigem, die man meiner Meinung nach durchaus ohne Qualitätsverlust hätte einkürzen können.

Veröffentlicht am 31.08.2020

Peggy G., die Kunst und die Affären

Peggy Guggenheim und der Traum vom Glück
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Guggenheim, Name einer Dynastie, jedem Kunstinteressierten geläufig, sind die von ihnen gegründeten Museen doch rund um den Erdball vertreten. In dem vorliegenden Roman steht Peggy Guggenheim im Zentrum, ...

Guggenheim, Name einer Dynastie, jedem Kunstinteressierten geläufig, sind die von ihnen gegründeten Museen doch rund um den Erdball vertreten. In dem vorliegenden Roman steht Peggy Guggenheim im Zentrum, unkonventionellen Nichte von Solomon Guggenheim, Philantroph, Kunstsammler und Begründer der gleichnamigen Stiftung zur Förderung des Verständnisse für moderne Kunst sowie Namensgeber des weltberühmten Guggenheim-Museums in New York.

Der Roman ist im Wesentlichen auf Peggys Zeit in Europa zwischen 1937 und 1942 fokussiert, in der sie den Grundstock für ihre Sammlung legt. Ganz die verwöhnte Tochter der amerikanischen Upper Class mischt sie sich nicht unter das gewöhnliche Volk, sondern verkehrt in Künstler- und Literatenkreisen. Und das liest sich wie ein Who-is-Who der Berühmtheiten: Joyce, Beckett, Cocteau, Kandinsky, Tanguy, Ernst, um nur einige zu nennen. Sie ist ruhelos, ständig auf der Suche. Und so, wie sie zwischen Paris und London hin und her pendelt, ist es auch mit den Männern. Unzählige, mit denen sie Bett und Tisch teilt, immer auf der Suche nach dem Einen.

Leider sind es diese zahlreichen Beziehungs- und Bettgeschichten, die alles andere überlagern und mir den Zugang zu Peggy Guggenheim als Persönlichkeit, Sammlerin und Mäzenin erschwert haben. Nicht zu vergessen ihr Leben als Jüdin in einem nationalsozialistisch geprägten Europa vor dem Zweiten Weltkrieg und großzügige Unterstützerin des Emergency Rescue Committee, einer Hilfsorganisation für Flüchtlinge vor dem NS-Regime.


Was bleibt ist das Bild einer naiven Salonlöwin auf der Suche nach privatem Glück, die zwar für die Rettung zahlreicher von den Nazis als entartete Kunst bezeichneten Gemälde verantwortlich ist, für die aber Kunst letztendlich ein Mittel zum Zweck war. Schade.

Ein Hinweis an das Lektorat: „Swinging London“ (auf der zweiten Textseite) ist ein Begriff, der in den Sechzigern geprägt wurde und 1937 mit Sicherheit noch nicht gebräuchlich war.

Veröffentlicht am 20.08.2020

Nasses Grab

Caribou
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„Caribou“ (im Original „Land Beyond the Sea) ist der Abschlussband einer Trilogie, in der sich der Autor Kevin Major mit der Historie seines Heimatlands beschäftigt.

Die Caribou ist ein Fährschiff, das ...

„Caribou“ (im Original „Land Beyond the Sea) ist der Abschlussband einer Trilogie, in der sich der Autor Kevin Major mit der Historie seines Heimatlands beschäftigt.

Die Caribou ist ein Fährschiff, das in der Cabotstraße zwischen Neufundland und Nova Scotia auf kanadischer Seite nicht nur Fracht für die Eisenbahngesellschaft sondern auch Passagiere transportiert, neben Zivilisten in den Zeiten des Zweiten Weltkriegs natürlich auf Militärangehörige. Am 14.10.42 kreuzt es den Weg des deutschen U-Boots U 69 und wird von diesem ohne Zögern torpediert. Die Fähre sinkt und mit ihr verlieren 137 Menschen ihr Leben, darunter viele Frauen und Kinder. 100 Passagiere/Besatzungsmitglieder überleben.

Dieses reale historische Ereignis beschreibt Kevin Major in dem Roman, wobei er seinen Blick im Detail zum einen auf den deutschen U-Boot Kommandanten Ulrich Gräf, zum anderen auf den Schiffssteward John Gilbert als Stellvertreter für die Überlebenden richtet. Romantisierende Beschreibungen sucht man glücklicherweise vergebens, die Schilderungen sind eher in einem knappen, realitätsnahen Reportage-Stil gehalten, was allerdings den Zugang nicht nur zu den Protagonisten sondern auch zu diesem tragischen Ereignis erschwert. Hier hätte ich mir mehr Empathie seitens des Autors gewünscht, denn so schaut man distanziert und emotionslos auf den Untergang des Fährschiffes und darauf, welche Auswirkungen er hat.

Der Roman gliedert sich in vier Teile: Im ersten Abschnitt lernen wir Gräf und die Besatzung des U-Bootes sowie einzelne Besatzungsmitglieder und Passagiere der Caribou kennen, dann folgt die Torpedierung und der Überlebenskampf in den Fluten, danach begleiten wir über einen eingeschränkten Zeitraum den Kommandanten des U-Boots Ulrich Gräf und den ehemaligen Schiffsteward und Überlebenden der Caribou John Gilbert, als Abschluss dann die Bombardierung Dresdens durch die amerikanische Luftwaffe.

Für Gräf geht das Leben weiter. Weitgehend unreflektiert. Er stellt weder den Sinn des Krieges noch seine Einsätze in Frage. Selbst dann nicht, als er bei dem Heimaturlaub in Dresden auf dem Bahnhof einen Deportationszug nach Theresienstadt beobachtet. Nur interessiert an seinen Erfolgen in Form der BruttoRegisterTonnen. Gilbert hingegen ist von dem Wunsch nach Vergeltung, nach Rache für die Caribou und die Opfer regelrecht besessen. Und die wird er bekommen.

Veröffentlicht am 16.08.2020

Mensch und Natur

Zugvögel
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Das Verhältnis von Mensch und Natur, ein Thema, das seit Jahrzehnten Autoren beschäftigt. Man denke nur an Thoreaus „Walden“, Melvilles „Moby Dick“ oder Hemingways „Der alte Mann und das Meer“. Und in ...

Das Verhältnis von Mensch und Natur, ein Thema, das seit Jahrzehnten Autoren beschäftigt. Man denke nur an Thoreaus „Walden“, Melvilles „Moby Dick“ oder Hemingways „Der alte Mann und das Meer“. Und in dem Maße, in dem die Zerstörung unserer Umwelt voranschreitet, Lebensräume sich für Menschen und Tiere verändern, Bestände quer durch alle Spezies dezimiert werden, beschäftigen sich auch in der aktuellen Belletristik Autor*innen mit dieser Thematik. Man denke nur an die erfolgreichen Romane von Maja Lund. Nun also Charlotte McConaghy, die von ihrer Liebe zur Natur zu ihrem Debüt „Zugvögel“ inspiriert wurde.

In einer Welt, in der es kaum noch Vögel gibt, setzt sich Franny, eine Ornithologin, den Gefahren des Atlantiks aus und folgt der Wanderung der letzten Küstenseeschwalben von Grönland bis in die Antarktis. Aber es ist nur in geringem Maße das wissenschaftliche Interesse, das sie antreibt, es sind vor allem ihre inneren Dämonen. Die Vergangenheit, die sie nicht ruhen lässt und für ihre Unrast verantwortlich ist.

„Zugvögel“ bedient verschiedene Genres und ist eine Melange aus Love-Story, Krimi, Abenteuerroman und Klima-Fiktion. Letzeres passt natürlich thematisch gut in unsere Zeit und weckt mit Sicherheit Interesse, hat aber leider eine große Schwäche: Wenn es das Anliegen einer Autorin ist, auf die Umweltzerstörung und deren nachfolgende Problem für die Tierwelt aufmerksam zu machen, sollte sie über das bloße Jammern hinausgehen. McConaghy verzichtet leider auf die Benennung der Ursachen, sieht die Probleme nicht in ihrem gesellschaftspolitischen Zusammenhang, sondern überlagert ihr eigentlich brisantes Thema mit den persönlichen Schwierigkeiten der Protagonistin. Eine vertane Chance. Schade.

Veröffentlicht am 04.08.2020

Auserzählt und mäßig spannend

Quälender Hass
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Eine Großmutter geht mit ihren beiden Enkelinnen Nüsse sammeln. Sie wird ermordet, und ihre Verletzungen zeigen, dass der Täter in blindem Zorn getötet hat. Die behinderte Sechsjährige ist spurlos verschwunden, ...

Eine Großmutter geht mit ihren beiden Enkelinnen Nüsse sammeln. Sie wird ermordet, und ihre Verletzungen zeigen, dass der Täter in blindem Zorn getötet hat. Die behinderte Sechsjährige ist spurlos verschwunden, die Dreijährige bleibt allein zurück. Die Suche nach Täter und Motiv führt zu einer streng konservativen Gruppe der Amish und konfrontierten Kate Burkholder, die Polizeichefin von Painters Mill, und ihr Team einmal mehr mit einer Mauer des Schweigens. Dieser Fall führt die dunklen Seiten einer Religionsgemeinschaft vor Augen, der Kate selbst bis zu ihrem Ausschluss einst angehörte.

Ein solider Krimi, wie immer routiniert geschrieben, aber durchsichtig geplottet. Von daher für mich nur mäßig spannend. Aber er lässt mich mit ambivalenten Gefühlen zurück. Das fünfte Gebot scheint bei den Amish nicht besonders hoch im Kurs zu stehen, wenn man sich die Häufung der Gewalttaten in Painters Mill so anschaut. Aber es ist ein anderer Punkt, der mich ins Grübeln gebracht hat. Da gibt es die Anhänger der „Alten Ordnung“, die nach weit strengeren Gesetzen und Verhaltensvorschriften als die üblichen Amish leben. Das ist soweit ok, und kann ich stehen lassen. Aber ich habe ein Problem damit, dass diese Moralapostel die fundamentalen Gebote und Verhaltensvorschriften, an die sie sich eigentlich gebunden fühlen sollten, so mir nichts dir nichts außer Kraft setzen. Da wird ein Säugling der Mutter mit fadenscheinigen Begründungen entzogen, weil man deren Fähigkeiten und Verhalten gering schätzt. Mit Unterstützung des Bischofs (!). Und dann breitet man den Mantel des Schweigens über den Vorfall. Niemand muckt auf, keiner redet, selbst dann nicht, als klar wird, dass der Mord an der Großmutter und die Entführung des Kindes mit dieser Aktion aus der Vergangenheit zusammenhängen. Dieses Schweigegebot kann ich so nicht wirklich nachvollziehen, ist es doch eher typisch für Mafia-Clans oder Gangs und mit bloßer Scham nicht zu erklären.

Leider verstärkt sich mein Eindruck, dass Castillos Amish-Setting ziemlich ausgereizt ist. Die Beschreibungen des Alltags und der Regeln sind den Lesern der Reihe mittlerweile hinreichend bekannt und austauschbar. Es fehlen die neuen Aspekte, das Alleinstellungsmerkmal, auch bei Burkholders Fällen, denn diese Verbrechen könnten auch außerhalb der amischen Gemeinschaft verübt worden sein. Kurz gesagt, die Exotik ist verschwunden.