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Veröffentlicht am 15.09.2020

„Die Fremde ist herrlich, solange es eine Heimat gibt, die wartet.“ (Erika Mann)

Die Tochter des Zauberers - Erika Mann und ihre Flucht ins Leben
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1936. Erika Mann, die Tochter des berühmten Schriftstellers Thomas Mann, hat gemeinsam mit ihrem Bruder Klaus in New York ihre neue Wahlheimat gefunden, denn die politischen Zustände in Deutschland widerstrebten ...

1936. Erika Mann, die Tochter des berühmten Schriftstellers Thomas Mann, hat gemeinsam mit ihrem Bruder Klaus in New York ihre neue Wahlheimat gefunden, denn die politischen Zustände in Deutschland widerstrebten ihnen gewaltig. In Amerika treffen Erika und Klaus schon bald auf gleichgesinnte andere Künstler und solche, die vor dem Regime bereits die Flucht ergriffen haben. Als Schauspielerin und Schriftstellerin ist es Erika eine Herzensangelegenheit, die USA mit ihrem politischen Kabarett „Pfeffermühle“ auf die Situation in Deutschland und Europa aufmerksam zu machen, was ihr leider nur mäßig gelingt, liegt doch einerseits ein Weltenmeer zwischen den beiden Kontinenten, andererseits sind die Amerikaner nicht an europäischer Politik interessiert, sondern wünschen Amüsement und Unterhaltung oder einschlägige Informationen über ihren berühmten Vater Thomas Mann. Unter den im Exil lebenden Künstlern trifft Erika auf den Arzt und Schriftsteller Martin Gumpert, der ihr Herz schon bald aus dem Takt bringt. Allerdings hat sie mit der Künstlerin Therese Giehse schon lange eine Frau als Partnerin zur Seite. Für wen wird sich Erika entscheiden und wird ihr Kampf gegen Hitler erfolgreich sein?
Heidi Rehn hat mit ihrem Buch „Die Tochter des Zauberers“ einen unterhaltsamen und informativen Roman vorgelegt über eine Frau, die versucht hat, aus dem Schatten ihres allseits bekannten Vaters und Nobelpreisträgers Thomas Mann herauszutreten und mit eigenen Talent sowie mit einem engagierten Kampf gegen den Nationalsozialismus zu glänzen. Der flüssig-bildhafte und gefühlvolle Schreibstil lädt den Leser zu eine Zeitreise ins vergangene Jahrhundert ein, wo er sich an Erikas Fersen heftet und dort 15 Monate verweilt, um sie bei ihrem Start in Amerika und bei ihrem Engagement zu erleben. Die Autorin hat exzellent recherchiert und zeichnet dem Leser ein Bild von einer für die damalige Zeit recht emanzipierten Frau, die sich nicht verbiegen ließ, ihre Meinung offen kundtat und vor allem öffentlich mit einer Frau als Geliebte zusammenlebte. Viele haben sie deswegen verachtet, angefeindet, aber wohl auch bewundert, weil sie selbst nicht ebenso mutig waren. Nach einigen Startschwierigkeiten gelingt es Erika in den USA, Unterstützer zu finden, die ihr auch finanziell unter die Arme greifen. Die besonders innige Verbindung zu ihrem jüngeren Bruder Klaus wird ebenfalls sehr gut hervorgehoben. Erika wacht wie eine Glucke über den scheuen, homosexuellen Klaus, manchmal könnte man denken, die beiden wären insgeheim ein Liebespaar. Mit farbenfrohen Beschreibungen gelingt es Rehn, das damalige New York lebendig werden zu lassen und einen guten Rundumblick in die Künstlerszene zu gestatten, während bekannte Namen wie die Roosevelts, Billy Wilder oder Vicky Baum vor dem inneren Auge des Lessers vorüberziehen.
Die Charaktere sind differenziert ausgestaltet und inszeniert, wirken realitätsnah und sehr lebendig. Der Leser folgt ihnen gern durch turbulente Zeiten. Erika ist eine Egozentrikerin, weiß zu manipulieren und nutzt ihre Position, um sich von anderen finanzieren zu lassen. Sie ist nicht gerade eine Sympathieträgerin, doch ihr Selbstbewusstsein und ihr Aufbegehren gegen den Nationalsozialismus sowie ihr Kampfgeist ringen einem Respekt ab, lässt sie sich doch die Fäden nie aus der Hand nehmen. Klaus ist ein zurückhaltender Mann, der für die Schriftstellerei lebt und aus dem Schatten des Vaters treten will. Das Verhältnis zu seiner Schwester ist sehr innig, man könnte s manchmal sogar ungesund nennen. Martin Gumpert ist ein intelligenter Mann, der Erika einen Ruhepol bietet. Maurice Wertheim dagegen bietet finanzielle Sicherheit.
Mit „Die Tochter des Zauberers“ hat Heidi Rehn Erika Mann zum Leben erweckt, um sie dem Leser als Mensch und Persönlichkeit nahe zu bringen. Eine sehr spannende und informative Lektüre über eine ungewöhnliche Frau in einer schlimmen Zeit. Verdiente Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 13.09.2020

„Musik drückt aus, worüber besser geschwiegen worden wäre.“ (Clara-Schumann)

Die Pianistin
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1835 Leipzig. Clara Wieck wird seit dem 5. Lebensjahr von ihrem Vater Friedrich, einem Musiklehrer, gedrillt, eine erfolgreiche Pianistin zu sein, der das Publikum zu Füßen liegt. Was niemand ahnt, sind ...

1835 Leipzig. Clara Wieck wird seit dem 5. Lebensjahr von ihrem Vater Friedrich, einem Musiklehrer, gedrillt, eine erfolgreiche Pianistin zu sein, der das Publikum zu Füßen liegt. Was niemand ahnt, sind die unnachgiebige Haltung und die ständige Kontrolle ihres Vaters, denen Clara während der Konzertreisen ständig ausgesetzt ist und zur schlechten Beziehung der beiden beiträgt. Clara ist für ihn der Goldesel, der auf jeden Fall gemolken werden soll. Als Clara sich in den Komponisten Robert Schumann verliebt, will ihr Vater diese Beziehung auf keinen Fall tolerieren und setzt alles daran, Clara diese Liebe auszureden. Doch Friedrich Wieck hat 15 Jahre lang das Leben von Clara bestimmt, in diesem Punkt macht sie keine Zugeständnisse, führt einen regen Briefwechsel und eine Fernbeziehung zu Schumann. Um Robert zu heiraten, kommt es zum Bruch zwischen Clara und ihrem Vater zum Bruch. Doch die Ehe an Roberts Seite öffnet Clara langsam die Augen, denn neben einem eintönigen Eheleben übt auch ihr Ehemann Kontrolle über sie aus und steht ihrer Karriere als Pianistin im Wege. Was für Clara romantisch begann, bricht ihr am Ende das Herz…
Beate Rygiert hat mit „Die Pianistin“ einen interessanten historischen Roman mit biografischen Zügen vorgelegt, der sich dem Leben von Clara Schumann, geborene Wieck annimmt. Der flüssige und bildhafte Erzählstiel transportiert den Leser per Zeitreise an die Seite von Clara, um dort ihr Leben als Künstlerin, die Dispute mit ihrem Vater und die Ehe mit Robert Schumann mitzuerleben. Obwohl die Autorin gut recherchier t hat, war es diesmal kein dankbares Thema, dass sie sich ausgesucht hat, dauerte es doch eine Weile, bis sich etwas Spannung einstellte, denn fast die Hälfte des Romans wurde von Claras Konzertreisen und dem ständigen Disput mit ihrem Vater in Beschlag genommen, was sehr langatmig war. Äußerst interessant zu beobachten ist, dass Clara nach der Abnabelung von ihrem übermächtigen und kontrollsüchtigen Vater bei einem Ehemann gelandet ist, der kein Deut besser war und ihr ein Kind nach dem anderen anhängte. Erst Roberts früher Tod hat ihr letztendlich die Freiheit geschenkt, wenn sie auch einen hohen Preis dafür bezahlt hat. Bewundernswert allerdings ist die Tatsache, dass Clara sich nochmals aufgerafft und einen Neuanfang gewagt hat, indem sie erneut einige Konzerte gab und Reisen unternahm. Der historische Hintergrund wurde von der Autorin sehr gut mit ihrer Handlung verwoben, so dass der Leser einen Eindruck gewinnt, wie beschwerlich diese Reisen damals gewesen sind.
Die Charaktere sind lebendig und realistisch gezeichnet, sie passen gut in den vorgesehen Zeitrahmen und wirken authentisch. Der Leser darf sich unsichtbar an ihre Fersen heften und ihr Leben mitverfolgen. Clara ist eine überaus ehrgeizige und begabte Frau, die in ihrer Musik aufgeht und das Klavierspiel genießt. Sie sieht die Dinge leider manchmal etwas naiv und verklärt, jedoch ist der Widerstand ihrem Vater gegenüber durchaus berechtigt, der sie regelrecht einengt und als sein Eigentum betrachtet. Friedrich Wieck ist ein Mann ohne Toleranz, der seine Tochter wie einen Goldesel betrachtet. Robert Schumann ist ein begabter Komponist, gleichzeitig aber auch ein Mann seiner Zeit, der selbst im Mittelpunkt stehen möchte. Zudem ist er Alkoholiker und leidet unter depressiven Stimmungsschwankungen, die die Beziehung zu Clara mehr und mehr vergiften.
„Die Pianistin“ ist ein historischer Roman mit biografischen Zügen, der informative Einblicke in das Leben der Künstlerin Clara Schumann gibt. Etwas gestraffter und ausgewogener wäre es eine absolute Leseempfehlung geworden, so leider nur eine verdiente!

Veröffentlicht am 13.09.2020

"Nur den, der mein Herz berührt, will ich heiraten." (Stolz und Vorurteil - Jane Austen)

Willst du Blumen, kauf dir welche
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Auf Wunsch ihrer Großtante Hilde hat Lena der Stadt den Rücken gekehrt und das altbackene Kleiderlädchen in ein Bücherparadies verwandelt, denn ohne Lesestoff geht bei Lena nichts. Allerdings liegt ihr ...

Auf Wunsch ihrer Großtante Hilde hat Lena der Stadt den Rücken gekehrt und das altbackene Kleiderlädchen in ein Bücherparadies verwandelt, denn ohne Lesestoff geht bei Lena nichts. Allerdings liegt ihr Liebesleben brach, was Tante Hilde ein Dorn im Auge ist. Als Lena eine Lesung mit dem Erfolgsautor Benjamin Floros in ihrem Laden ausrichtet, der die ultimative Liebesformel verspricht, stehen bei Lena alle Antennen auf STOP, während ihre Freundin Michelle und Tante Hilde dem charmanten Kerl so ziemlich alles abnehmen, was aus seinem Munde kommt. Lena geht Frolos auf den Leim und hängt nun in einer Wette, die ihr so gar nicht schmeckt. Benjamin will mit Hilfe seiner Formel den ultimativen Kandidaten für Lenas Glück finden. So muss sie so einige Blind Dates hinter sich bringen und so manchen Frosch küssen, bis sie endlich begreift, dass sie ihren Prinzen eigentlich schon gefunden hat…
Ellen Berg hat mit „Willst Du Blumen kauf Dir welche“ einen unterhaltsamen und recht amüsanten Roman vorgelegt, der sich mit der Welt des Internet-Datings beschäftigt. Der locker-flockige, bildhafte und humorige Schreibstil katapultiert den Leser direkt in Lenas Bücherparadies, wo er mit einem Schlag die meisten Protagonisten kennenlernt und sich in ihrer Mitte niederlässt, um dem emsigen Treiben zu folgen und so manchen Liebesreigen mitzuerleben. Die Autorin hat das Thema Online-Dating geschickt in ihrer Handlung verpackt und lässt dabei kein Klischee aus, wie es in der heutigen Welt zugeht, wenn man den Partner fürs Leben sucht. Da entpuppen sich Kandidaten als suchende Abenteurer oder Flachpiepen, die ihre Verwandtschaft vorschicken, um das Date abzuchecken. Ebenso die Muttersöhnchen, die die Mutter für zukünftige Kinder suchen, während die etwaige Schwiegermutter vom Nebentisch das Objekt der Begierde begutachtet. Ganz schlimm sind die Ästheten, die richtig zitieren und wie aus dem Interieur Design eingerichtet sind, während sie noch nie etwas von Benimm und Toleranz gehört haben. In dieser Handlung findet sich wirklich ein skurriler Strauß von Mannsbildern wieder, die man weder küssen noch als Prinz mit nach Hause nehmen möchte. Am Ende ist man als Leser regelrecht froh, diesem ganzen neumodischen Dating-Wahnsinn davongekommen zu sein und sein privates Glück schon gefunden zu haben.
Die Charaktere sind lebendig in Szene gesetzt und bestechen durch glaubwürdige Eigenschaften. Sie wirken wie mitten aus der Gesellschaft gegriffen und können den Leser gerade dadurch überzeugen, der sich unter ihnen tummelt, während er mal dem einen möglichen Paar über die Schulter schaut, mal ein anderes bei ihrem Balzverhalten beobachtet. Lena ist eine freundliche und schlagfertige Frau mit einem Hang zu Bücherzitaten, vor allem Jane Austens „Stolz und Vorurteil“ haben es ihr angetan. In ihrer Brust schlägt ein romantisches Herz und für ihre Lieben macht sie fast alles. Freundin Melanie ist eine quirlige Frau, die sich gern aufbrezelt und Lena so manchen Nerv kostet, wenn es um Outfits geht. Tante Hilde kann sämtliche Reime aus dem Stehgreif zitieren und trifft damit fast immer einen Nerv. Sie ist eine weise Dame, die sich um ihre Lieben sorgt. Benjamin ist ein Schwerenöter, der leider so manches zum Besten gibt, das Frauenherzen schmelzen lässt. Aber auch Sven, Antonio sowie weitere einsame Herzen möchten in diesem Buch ihr Herzblatt finden.
„Willst Du Blumen kauf Dir welche“ ist eine unterhaltsame Lesereise durch den Dschungel des Online-Datings und die Frage, ob man wirklich all diese Frösche und Schwachmaten küssen muss, bis man den Richtigen gefunden hat. Kurzweiliges Lesevergnügen mit verdienter Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 09.09.2020

Ein Herz nicht nur für Hunde...

Sommerglück auf vier Pfoten
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Die alleinerziehende Möbelrestauratorin Gemma kümmert sich nicht nur liebevoll um ihre achtjährige Tochter Lily, sondern spürt ehrenamtlich mit ihrem Hund Charles bei Rettungseinsätzen verschwundene Menschen ...

Die alleinerziehende Möbelrestauratorin Gemma kümmert sich nicht nur liebevoll um ihre achtjährige Tochter Lily, sondern spürt ehrenamtlich mit ihrem Hund Charles bei Rettungseinsätzen verschwundene Menschen auf. Bei solch einem Einsatz lernt sie den bekannten Landschaftsmaler Pete Gardener kennen und in ihrem Kopf formt sich sofort die Idee, ihn mit ihrer besten und recht schüchternen Freundin Joline zu verkuppeln, die schon lange insgeheim für Pete schwärmt. Aber wie das im Leben immer so ist, kommt es am Ende doch ganz anders, als Gemma sich das gedacht hat…
Pippa Watson hat mit „Sommerglück auf vier Pfoten“ einen unterhaltsamen Kuschelroman vorgelegt, der den Leser mit den ersten Zeilen an die Seiten zu fesseln weiß. Der flüssige, spritzige und gefühlvolle Schreibstil macht das Eintauchen in die Geschichte leicht, das Kopfkino springt sofort an und der Leser hat alles vor Augen. Die von der Autorin gewählten wechselnden Perspektiven lassen den Leser mal an der Seite von Gemma, mal an der von Pete stehen und Einblick in die jeweilige Gedanken- und Gefühlswelt erhalten, wodurch er die Protagonisten sehr gut kennenlernt und ihre Handlungsweisen gut nachvollziehen kann, wobei auch die problematische Vater-Sohn-Beziehung gut eingefangen wurde. Die Autorin hat gut recherchiert und lässt dem Leser neben ihrer schönen Geschichte auch einiges an interessanten Informationen zukommen über den Einsatz von Hunden bei Rettungseinsätzen. Überhaupt spielt Spaniel Charles eine ganz besondere Rolle innerhalb der Handlung, was dem Ganzen eine spielerische Note gibt und für zusätzlichen Wohlfühlfaktor sorgt. Mit geschickten Wendungen stiftet die Autorin beim Leser einige Verwirrung, so dass die Geschichte nur auf den ersten Blick vorhersehbar erscheint.
Die Charaktere wirken wie aus dem richtigen Leben gegriffen, individuelle Ecken und Kanten machen lassen sie nicht nur glaubwürdig, sondern vor allem liebenswert rüberkommen, was es dem Leser leicht macht, sich während der Lektüre in ihrer Mitte rundum wohl zu fühlen und ihre Schicksale genau mitzuverfolgen. Gemma ist eine patente, freundliche Frau, die sich nicht nur ehrenamtlich engagiert, sondern sich auch um ihre Freunde sorgt, sind sie doch schon lange Teil ihrer Familie. Töchterchen Lily ist ein absoluter Sonnenschein mit zeichnerischem Talent. Mit ihrer Mutter bildet sie ein eingespieltes Team. Joline ist sehr zurückhaltend und schüchtern, weshalb es mit der Liebe bisher nicht geklappt hat. Pete ist ein netter Mann, der sich gegenüber seinem Vater durchgesetzt hat. Doch das schwierige Verhältnis nagt an ihm. Spaniel Charles ist der heimliche Star der Geschichte, denn er bringt Leben und Schwung hinein. Aber auch Adrian und Lenny gehören erwähnt, die ebenfalls zur Handlung gehören.
Mit „Sommerglück auf vier Pfoten“ ist Pippa Watson wieder eine liebenswerte und warmherzige Geschichte gelungen, die dem Leser nicht nur wunderschöne Lesestunden bereitet, sondern auch ans Herz geht. Verdiente Leseempfehlung für eine durchweg gelungene Story!

Veröffentlicht am 05.09.2020

"Der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme." (Friedrich Schiller)

Das Glück in vollen Zügen
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Marie Brunner hat sich zusammen mit Hündin Dexter in einem Bauwagen mit Blick auf den Ammersee auf dem Grundstück ihrer Mutter eingerichtet, um einerseits unabhängig und andererseits in der Nähe ihrer ...

Marie Brunner hat sich zusammen mit Hündin Dexter in einem Bauwagen mit Blick auf den Ammersee auf dem Grundstück ihrer Mutter eingerichtet, um einerseits unabhängig und andererseits in der Nähe ihrer Mutter zu sein, die den Tod ihres Ehemannes noch nicht ganz verkraftet hat. Jeden Tag fährt Marie mit der S-Bahn nach München rein, um dort ihren Traumjob als Produktdesignerin auszuüben, was ihr eigentlich nichts ausmacht. Schrecklich nervig während der täglichen Fahrt ist nur der Typ, der mit seinen lautstarken Telefonaten immer den ganzen Wagon unterhält. Sein Job bei BMW lässt Johannes Schraml nicht viel Freizeit, nebenbei muss er sich noch um seinen 72-jährigen Vater Horst kümmern, der unter Alzheimer leidet und nicht mehr ganz allein zurechtkommt. Deshalb ist Johannes auch bei ihm eingezogen. Die Tussi, die ihn in der S-Bahn immer so grimmig ansieht, findet er eigentlich ganz niedlich, denn sie wäre genau sein Typ. Als sie plötzlich nicht mehr die tägliche Fahrt mit ihm teilt, steht Johannes vor der Frage, wie er sie finden soll, vielleicht über eine Dating-App?
Lisa Kirsch hat mit „Das Glück in vollen Zügen“ einen warmherzigen und tiefgründigen Roman als Debüt vorgelegt, der wie mitten aus dem Leben gegriffen wirkt. Der locker-flüssige, farbenfrohe und gefühlvolle Erzählstil mit einer Prise Witz lässt den Leser ab den ersten Zeilen zwischen den Seiten abtauchen und das Kopfkino anspringen, um Marie und Johannes durch ihren Alltag zu begleiten und ihnen bei ihrem Handeln und Tun über die Schulter zu sehen. Durch die wechselnden Perspektiven zwischen Johannes und Marie erhält der Leser ein gutes Gesamtbild sowie Einblick in die Gedanken- und Seelenwelt der Protagonisten. Interessant sind die Gedankengänge und Schlussfolgerungen der beiden, wenn der jeweils andere telefoniert und sie einige Bruchstücke der Gespräche erhaschen. Dies kann man tagtäglich selbst immer wieder beobachten auf dem Weg zur Arbeit. Die Menschen reden immer weniger miteinander, lieber starren und hacken sie auf ihren Mobilgeräten herum. Sowohl Marie als auch Johannes haben privat ihre Päckchen zu tragen, die sich in gewisser Weise sogar ähneln, denn beide kümmern sich liebevoll um die eigenen Eltern, was einen Großteil ihrer Zeit in Anspruch nimmt. Da bleibt neben einem Job nicht viel Zeit für eigene Interessen oder Verabredungen, wobei sich Marie und Johannes doch mehrmals über den Weg laufen. Die anrührenden Szenen aus den beiden Leben gehen ans Herz, machen nachdenklich und lassen den Leser seitenlang hoffen, dass diese zwei Seelen endlich den Sprung wagen. Das Ende kommt leider etwas überhastet und lässt den Leser etwas überrumpelt zurück.
Die Charaktere sind mit individuellen Ecken und Kanten liebevoll und lebendig gestrickt, so dass sie wie Phoenix aus der Asche vor dem inneren Auge des Lesers erscheinen, der sich ihnen schnell annähert und mit ihnen bangt, hofft, zweifelt und fiebert. Marie ist mit ihren 31 Jahren eine offene und selbstbewusste Frau. Sie trägt das Herz auf der Zunge, ist freundlich, extrovertiert und hilfsbereit. Innerlich aber sehnt sie sich nach einer Schulter zum Anlehne und jemanden, der ihre Sorgen mit ihr teilt. Johannes ist fleißig, fürsorglich, eher zurückhaltend und hat zu viel Respekt vor der eigenen Courage. Aber auch die Eltern, Freunde und Nachbarn der beiden bringen frischen Wind in die kurzweilige Geschichte.
„Das Glück in vollen Zügen“ ist ein unterhaltsamer Liebesroman, der sich durch die Probleme seiner Protagonisten ganz nah am heutigen Zeitgeist orientiert und deshalb sehr realitätsnah und authentisch wirkt. Ein schönes und abwechslungsreiches Kopfkino mit verdienter Leseempfehlung!