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Veröffentlicht am 03.11.2020

"Wo ist er? Der Notknopf für unsere Gesellschaft?"

Heimat muss man selber machen
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Sina Trinkwalder ist Unternehmerin. Nein, keine der „üblichen“ Art. Sie gab 140 Menschen Arbeit, die sonst nirgends angenommen worden wären. Es sind Behinderte, Alte und jene, die nicht in Deutschland ...

Sina Trinkwalder ist Unternehmerin. Nein, keine der „üblichen“ Art. Sie gab 140 Menschen Arbeit, die sonst nirgends angenommen worden wären. Es sind Behinderte, Alte und jene, die nicht in Deutschland geboren wurden. In dem Buch „Heimat muss man selber machen“ schreibt sie über die Anfänge, den schwierigen Aufbau und das ständige Lernen von sich und ihren Kollegen.

Geld ist nicht das Maß aller Dinge und damit lässt sich keine soziale Teilhabe oder Gemeinschaft kaufen. Frau Trinkwalder schreibt, dass sie in ihrem Elternhaus nie Heimatgefühle hatte und diese erst durch eigene Tatkraft für sich selbst erschuf. Sie benennt die Eliten der heutigen Zeit. Was vor vielen Jahren der Adel war, das ist heute auch ein Adel, der Finanzadel. Immer reicher und stets höher hinaus, das treibt viele heute um. Familie oder ein Miteinander gibt es kaum noch. Ein prägnanter Satz steht für das ganze Buch: „Wo ist er, der Notknopf für unsere Gesellschaft?“

Nein, der Aufbau ihrer Firma war kein Selbstläufer. Hier gab und gibt es die unterschiedlichen Kulturen, Sprachen, Behinderungen, Alter und Herkunft. Die unter einen Hut zu bekommen, das ist täglich harte Arbeit. Aber es lohnt sich. Der Erfolg gibt ihr recht und diesen teilt sie mit allen Frauen und Männern, mit denen sie gerne tätig ist.

Was mir nicht gefiel: Das Wort Partizipation und Lady wurde permanent benutzt und auch wenn die Autorin das große Latinum hat, die permanente Benutzung von Fremdwörtern passt nicht. Zumal sie auch auf die Verrohung der Sprache hinweist. Bei Facebook und Co ist das klar zu erkennen. Wildfremde Menschen fallen übereinander her (und das nicht erst seit Corona). Frei nach dem Motto: „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen!“ Viele Ausrufezeichen und Fragezeichen sollen dann den Wahrheitsgehalt der Aussagen verdeutlichen und untermauern.

Die Bereitschaft, sich gegenseitig zu helfen ist verkümmert. Was wird mir dafür? ist der erste Gedanke, wenn jemand um Beistand bittet. Wer sich für Geflüchtete einsetzt, muss um seine Gesundheit und die Zerstörung seines Eigentums bangen. Das Buch weckt auf und enthält viele Denkanstöße. Was ich mich persönlich frage: „In welcher Weise kann die Pandemie dazu beitragen, dass wir wieder zu den Grundsätzen eines friedlichen Miteinanders zurückkehren?“

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Veröffentlicht am 02.11.2020

Über das Phänomen wunschlos unglücklich zu sein

Das Buch eines Sommers
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„Das Buch eines Sommers“ erzählt die Geschichte von Nicolas. Strenger Vater, der sehr erfolgreiche eine Firma aufbaute. Sehr streng zu seinem Sohn und der Zwang, die Firma zu übernehmen. Aber, eigentlich ...

„Das Buch eines Sommers“ erzählt die Geschichte von Nicolas. Strenger Vater, der sehr erfolgreiche eine Firma aufbaute. Sehr streng zu seinem Sohn und der Zwang, die Firma zu übernehmen. Aber, eigentlich wollte Nicolas doch etwas ganz Anderes. Er wollte schreiben, wie sein Onkel Valentin, der von dem Vater nur als „Spinner der Familie“ genannt wird. Als Valentin stirbt, ändert sich auch für Nicolas etwas Grundlegendes. Er will aus dem Hamsterrad seines Lebens aussteigen.

Bas Kast schrieb also hier seinen ersten Roman. Mit einem Sachbuch war er wohl schon recht erfolgreich. In dem „Buch eines Sommers“ zeigt sich, was er studierte und womit er sich beschäftigt. Mit Erziehung, den Auswirkungen von Druck und dem Einfluss der Gene bei der Entwicklung. Valentin war für Nicolas ein großes Vorbild, jedoch gefiel das dem Vater überhaupt nicht. Er erwartete absoluten Gehorsam von seinem Sohn und der traute sich nicht, sich selbst zu verwirklichen.

Bas Kast bringt einige gute Beispiele für seine Ansichten und die waren für mich nachvollziehbar. Jedoch nicht die Kapitel, wo es um seine Wachträume und der Unterhaltung mit Gestalten aus der Phantasie. Da ging mit ihm wohl die Einbildungskraft durch. Wie sich dann schlussendlich der Traum des Nicolas erfüllt und was sich in seinem Leben ändert, das erfährt der Leser, wenn er sich dieses feine Buch gönnt. Für meinen Geschmack ein wenig zu oberflächlich, hat es mich trotzdem gut unterhalten. Zumindest gibt es einige gute Denkansätze, die jeder für sich weiter entwickeln kann.

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Veröffentlicht am 29.10.2020

Aufwachsen in einer fremden Welt

Der verlorene Sohn
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Im Jahr 1838 wird Jamalludin als Geisel aus der Obhut seiner Familie gerissen. Der Grund liegt in der lang währenden Auseinandersetzung zwischen Russen und Awaren, der Kaukasische Krieg. Dem Jungen wird ...

Im Jahr 1838 wird Jamalludin als Geisel aus der Obhut seiner Familie gerissen. Der Grund liegt in der lang währenden Auseinandersetzung zwischen Russen und Awaren, der Kaukasische Krieg. Dem Jungen wird gesagt, dass es nur wenige Tage oder Wochen dauert, bis er wieder bei seinen Eltern und den Geschwistern sein darf. Jedoch kommt es ganz anders. Jamalludin kommt zum Hof des Zaren und lernt hier eine völlig neue „Welt“ kennen. Voller Luxus und Angeboten zum Lernen und zur Freizeitgestaltung zeigen der Zar und seine Frau, was er verpasst hätte, wäre er im Kaukasus geblieben. Also, ist die Entführung ein Segen für den Jungen?

„Der verlorene Sohn“ ist nicht das erste Buch, welches ich von Olga Grjasnowa las. Neben ihrem Debüt „Der Russe ist einer der Birken liebt“ gefiel mir auch „Gott ist nicht schüchtern“ sehr gut. Frau Grjasnowa wurde in Armenien geboren und weiß sehr gut, wovon sie schreibt. Für mich ist aber auch klar, dass hier einige allgemeine Vorstellungen bedient werden. Prachtvolle Bälle auf der einen und Misshandlungen von Familienmitgliedern auf der anderen Seite gehören dazu. Auch die Ermordung eines unerwünschten Kindes, weil es genug „Mäuler zu stopfen“ gilt. Will sagen, dass Frau Grjasnowa in diesem Buch nicht ihre Ansicht über die Russen verbergen kann (will?).

Dennoch, wer sich nicht nur auf die Ausführungen des Buches verlässt und ein wenig tiefer forscht, der hat eine perfekt Grundlage, in die Geschichte der Awaren einzutauchen. Das Ende gefiel mir nicht und es bleiben einige Fragen offen. Trotzdem empfehle ich das Buch. Die klare und erzählende Sprache der Autorin sowie ihre lebhafte Beschreibung von Land und Leuten, lassen eindrückliche Bilder entstehen.

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Veröffentlicht am 15.10.2020

Können Aussehen und Namen das Leben beeinflussen?

Streulicht
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„Streulicht“ gehörte zu den Nominierten zum Deutschen Buchpreis 2020. Es ist das Debüt von Deniz Ohde und erzählt von einer Kindheit und Jugend, die von Vorurteilen und Rassismus geprägt war. Der Vater ...

„Streulicht“ gehörte zu den Nominierten zum Deutschen Buchpreis 2020. Es ist das Debüt von Deniz Ohde und erzählt von einer Kindheit und Jugend, die von Vorurteilen und Rassismus geprägt war. Der Vater ist Fabrikarbeiter, die Mutter verlässt ihn für eine Weile. Zurück bleibt nicht nur er, nein, auch die Tochter. Dass er Alkoholiker ist, kommt erschwerend hinzu. Mit im Haushalt lebt auch der fast blinde Großvater. Wie viele Menschen der Generation können diese beiden nichts wegwerfen. Sie hängen nicht nur an Dingen, auch ihre Gedanken an die Vergangenheit überlagern jene aus der Gegenwart.

Die Hauptperson in dem Buch schreibt in der Ich-Form. Ihre Mutter kam vor vielen Jahren aus der Türkei und verliebte sich in den deutschen Arbeiter. Sie hatte nichts mit dem Islam zu tun auch ihre Tochter nicht. Jedoch wurde die immer wieder sowohl von Lehrern als auch von Mitschülern über ihr Aussehen und den „komischen“ Namen befragt. Ein Lehrer verwehrte ihr den Zugang zum Gymnasium, indem er ihre Arbeiten schlechter bewertete als sie tatsächlich waren.

Mit viel Überredungskunst von Außen und Gedanken nach dem Motto: „Euch zeige ich es“, besuchte sie schließlich eine Abendschule. Sie wollte das Abitur auf diese Weise nachmachen. Hier gab es nur „verkrachte Existenzen“ und sie fühlte sich angenommen. Dass sie ein glänzendes Zeugnis erhielt, das muss kaum erwähnt werden.

Das Buch gefiel mir gut. Es ist eins der gefälligsten Werke, die ich aus der Longlist zum Deutschen Buchpreis 2020 las. Die Autorin schreibt gefällig und nachvollziehbar. Die hier genannten Vorurteile gibt es tatsächlich und auf welche Weise schlechte Lehrer das Leben der ihnen Anvertrauten schwer machen können, das erlebten wir bei unserem Enkel. Wer einen Rucksack sein Eigen nennt, auf dem groß das Emblem der „Welt“ prangt, die ist also intelligent? (Ein Beispiel für die Beurteilung des Äußeren) Vier Sterne gebe ich und empfehle, das Buch zu lesen.

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Veröffentlicht am 10.10.2020

(K)ein Buch zum Abschalten

Aus der Zuckerfabrik
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Und noch ein Buch von der Shortlist zum Deutschen Buchpreis 2020. "Aus der Zuckerfabrik" stammt aus der Feder von Dorothee Elmiger, einer Schweizerin, und es ist ihre dritte Veröffentlichung. Frau Elmiger ...

Und noch ein Buch von der Shortlist zum Deutschen Buchpreis 2020. "Aus der Zuckerfabrik" stammt aus der Feder von Dorothee Elmiger, einer Schweizerin, und es ist ihre dritte Veröffentlichung. Frau Elmiger zog es auf wie ein Notizbuch. Von einem Arbeiter mit dem bedruckten Shirt, geht es zum ersten Lottomillionär der Schweiz, über eine Flug bis zu einem Autorentreffen. Ihre Gedanken bestehen oft aus wenigen Sätzen und eine Lösung gibt es nicht. Es ist eine Recherchereise durch Zeiten und Welten.

Es ist beileibe kein Buch, welches ich in wenigen Stunden las. Wie beschrieb es die Journalistin eines Radiosenders? Frau Elmiger fordere die Intelligenz der Leser. Das halte ich allerdings für unangebracht. Zum Beispiel darum: Wer sich auf ein fremdes Pferd setzt, ohne Zaum und Sattel, der ist nicht intelligent, der ist dumm. Viele Ereignisse führt sie nicht oder erst viele Seiten später weiter und beendet sie kaum. Aber nein, es ist beileibe nicht schlecht. Es gibt viele gute Ansätze in dem Buch.

Toll fand ich zum Beispiel den Hinweis auf das schöne Gemälde über den „Ursprung der Welt.“ Oder die vielen Hinweise auf Literatur aus der Vergangenheit. Dazu hat sie im Anhang eine lange Liste der Titel sowie ihrer Quellen aufgeführt. Sie stellte sich immer wieder die Frage, was denn bei einer Veröffentlichung auf dem Cover stehen sollte. Roman, oder doch lieber Recherchebericht? Wie sie lesen, wurde keins der beiden Wörter gewählt. Kann man über das Wort Liebe diskutieren? Nein? Doch! Frau Elmiger zeigt es in ihrem Buch. Und sie gibt sogar zu, dass sie nicht imstande ist etwas zu tun, was die Allgemeinheit unter „erzählen“ versteht. Sie kann nicht bei einem Thema bleiben.

Und warum trägt das Werk diesen Titel? Weil es immer mal wieder um den Zucker geht. Wie die Pflanzen geerntet und zu dem weißen Stoff verarbeitet werden oder welche Historie dieses Gewürz hat. Dann gab es noch ein Treffen, welches ich gut fand. Als sie nämlich zu einer Literaturrunde fuhr und dort von den „alten Hasen“ so begrüßt wurde: „Wie jung sie sind.“ Und dass viele glauben, sie würde Romane, vorzüglich „Nackenbeißer“ schreiben. Das hat sie bestens auf den Punkt gebracht, diese Vorurteile gegenüber junge Autoren. Auch ich musste lernen, dass sie gar nicht mal so „wirres Zeug“ schreibt, wie ich erst dachte. Leser müssen sich darauf einlassen und vorher bedenken, dass es eine kaum bekannte Art der Literatur ist. Also vier Sterne und eine Empfehlung für Mutige gebe ich hier.

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