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Veröffentlicht am 11.12.2020

Ein Klassiker, wunderbar gesprochen

Eine Weihnachtsgeschichte
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Der hartherzige Geschäftsmann Ebenezer Scrooge hält nicht viel von Weihnachten und auch nicht von sozialen Kontakten. Seinen Angestellten behandelt er schlecht und auch seinen Neffen stößt er trotzdem ...

Der hartherzige Geschäftsmann Ebenezer Scrooge hält nicht viel von Weihnachten und auch nicht von sozialen Kontakten. Seinen Angestellten behandelt er schlecht und auch seinen Neffen stößt er trotzdem dessen freundlicher Bemühungen immer wieder von sich. Doch dann erscheint ihm eines Nachts sein verstorbener Kompanion Jacob Marley und warnt ihn: In den nächsten Stunden werden ihn drei Geister heimsuchen, denen er folgen muss und die ihm die einmalige Chance geben werden, sein Leben zu ändern.

Schon seit langem gehört Charles Dickens‘ „Eine Weihnachtsgeschichte“ zu meinen liebsten Klassikern. Bisher kannte ich jedoch nur das englische Original sowie zahlreiche Übersetzungen und Verfilmungen. Gehört habe ich die Geschichte nun zum ersten Mal. Gesprochen wird der Text von David Nathan, bekannt als die Synchronstimme von Johnny Depp. Seine Sprechweise ist herrlich akzentuiert und seine Stimme sowieso sehr klangvoll und angenehm. Den Charakteren haucht er ein ganz eigenes Leben ein, sei es der mürrische Scrooge oder der fröhliche Neffe – es macht wirklich Spaß, dem Klassiker auf diese Weise zu lauschen.

Im Verlauf der Nacht lernt Scrooge auf durchaus harte Weise, dass der Wert eines Menschen sich nicht nach seiner Arbeitskraft und seinem Besitz messen lässt. Und dass auch Arme ein fröhliches Weihnachtsfest feiern können, da Geld nicht zwingend mit Glück verknüpft ist. Durch die drei Geister ist es dem Hörer möglich, verschiedene Perspektiven in der Geschichte einzunehmen und auch einen Blick in Vergangenheit und Zukunft zu werfen. Die Figuren wachsen einem zunehmend ans Herz und nach und nach wird deutlich, wie aus Scrooge der kaltherzige Mann werden konnte, der er heute ist.

Dickens‘ Klassiker hat deutlich sozialkritische Töne, die die Zustände im England des 19. Jahrhunderts anprangern sollten. In diesem Sinne fällt Scrooges Wandlung am Ende etwas plötzlich aus und wirkt möglicherweise übertrieben optimistisch. Aber welche Zeit im Jahr wäre besser für solch eine märchenhafte Erzählung geeignet als die Weihnachtszeit? Eine wunderbare zeitlose Geschichte, die uns vor Augen hält, dass es nie zu spät ist, etwas in unserem Leben zu ändern.

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Veröffentlicht am 24.11.2020

Emotionaler Auftakt einer Trilogie

What if we Drown
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Dreieinhalb Jahre sind seit dem Tod ihres Bruders vergangen. Doch auch nach dieser Zeit ist es der angehenden Medizinstudentin Laurie noch nicht gelungen, mit den Geschehnissen abzuschließen. Zu tief sitzen ...

Dreieinhalb Jahre sind seit dem Tod ihres Bruders vergangen. Doch auch nach dieser Zeit ist es der angehenden Medizinstudentin Laurie noch nicht gelungen, mit den Geschehnissen abzuschließen. Zu tief sitzen Schmerz und Schuldgefühle. Als sie dann am ersten Tag auf ihrem neuen Campus an der University of British Columbia auf Sam trifft, scheint sich alles zum Guten zu wenden. Zwischen beiden besteht sofort eine starke Anziehungskraft, doch dann findet Laurie heraus, dass Sam in den Tod ihres Bruders verwickelt ist…

„What if we drown“ ist der erste Teil einer Trilogie, die sich mit verschiedenen Personen aus Lauries und Sams Umfeld befasst; die weiteren Teile erscheinen noch im Laufe des Jahres 2021. Dabei sind auch die Cover und Titel toll aufeinander abgestimmt. Der Schreibstil der Autorin ist sehr emotional und mitreißend, so dass die Seiten nur so dahinfliegen. Die gesamte Handlung wird nur aus Lauries Sicht erzählt – das ist zwar manchmal schade, da auch Sams unmittelbare Gedanken zu einigen Dingen interessant gewesen wären, auf der anderen Seite erhält man so als Leser eine sehr starke Bindung zur Protagonistin.

Der Roman lebt neben der gefühlsbetonten Handlung vor allem auch von seinen Charakteren. Laurie und Sam sind authentisch und sympathisch, aber auch die Nebencharaktere wachsen einem mit jeder Seite mehr ans Herz. Sei es Lauries beste Freundin Amber oder ihr Mitbewohner Emmett oder Sams Clique rund um Teddie, Kian und Cole. Besonders schön fand ich auch, dass mit Lauries Familie gezeigt wird, dass auch Stiefgeschwister einander innig lieben können und Stiefmütter nicht immer klischeehaft böse sein müssen.

Positiv zu erwähnen ist noch, dass „What if we drown“ eine Triggerwarnung enthält, da doch einige düstere Themen angeschnitten werden. Das Buch zeigt sehr eindrücklich, wie der Tod eines geliebten Menschen dessen Umfeld verändert. Und im Verlauf der Handlung müssen Laurie und Sam noch einiges über sich selbst und ihre Liebsten herausfinden – wird ihre Beziehung stark genug sein, um diese schwierigen Hürden zu meistern?

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Veröffentlicht am 18.10.2020

Notorious RBG

Ruth Bader Ginsburg
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Ruth Bader Ginsburg, geboren 1933, war die zweite Frau, die als Richterin an den US Supreme Court berufen wurde. Lange Zeit sollten sie und Kollegin Sandra Day O‘Connor die einzigen Frauen in diesem wichtigen ...

Ruth Bader Ginsburg, geboren 1933, war die zweite Frau, die als Richterin an den US Supreme Court berufen wurde. Lange Zeit sollten sie und Kollegin Sandra Day O‘Connor die einzigen Frauen in diesem wichtigen Bereich der Legislative bleiben. Bader Ginsburg, auch bekannt unter dem Spitznamen „Notorious RBG“ war in den Jahrzehnten seit ihrer Ernennung im Jahr 1993 an vielen bedeutsamen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs beteiligt und gab durch ihre Stimme oft den Ausschlag. Sie setzte sich zeit ihres Lebens für die Gleichberechtigung von Mann und Frau und die so genannten Reproduktiven Rechte (Verhütung, Schwangerschaftsabbruch etc.) ein.

Im vorliegenden Buch sind insgesamt 300 ihrer Statements zu den wichtigsten gesellschaftlichen Themen gesammelt: Von der Gerichtsbarkeit selbst, über Frauenrechte bis hin zu ihrem eigenen Leben. Am Ende folgt ein Lebenslauf der berühmten Richterin bis zum Jahr 2019, der neben Ereignissen in ihrem Privatleben auch die bedeutsamsten juristischen Meilensteine zusammenfasst.

Ruth Bader Ginsburg war sicherlich nicht perfekt in dem, was sie tat. Themengebieten, in denen sie viel erreicht hat, stehen solche gegenüber, in denen sie mehr hätte tun können und vielleicht auch müssen. Ihre Einstellung zur Todestrafe war konservativ, in Bezug auf die Black Lives Matter-Bewegung blieb sie stumm oder schlug sich, wie durch ihre Kritik an Colin Kaepernick, auf die falsche Seite. Sie war eine Frau, die Fehler machte – dennoch trug sie dazu bei, dass so vieles sich in der Rechtsprechung der USA zum Besseren wendete. Vor allem im Licht ihres Todes im September 2020 und der umstrittenen Nachbesetzung durch die erzkatholische Amy Coney Barrett zeigt sich deutlich, dass hier noch ein weiter Weg zu gehen ist.

„Wenn ihr euren Weg im Leben geht, hinterlasst Spuren. So wie andere vor euch den Weg für euch, bereitet haben, so sollt ihr jenen helfen, die euch nachfolgen.Tut euren Teil dazu, die Gesellschaft zu verändern, wie sie in euren Augen sein sollte, zum Wohle der Generationen, die nach euch kommen.“ (RBG, 2002) Das hat Ruth Bader Ginsburg definitiv getan und dafür verdient sie unsere Anerkennung.

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Veröffentlicht am 27.09.2020

Was ist Freiheit?

A. S. Tory und der letzte Sommer am Meer
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Es sind Sommerferien und Sid langweilt sich. Da kommt eine erneute Einladung von Tory gerade recht und Sid und Chiara brechen nach Großbritannien auf. Doch Tory wäre nicht er selbst, wenn er den beiden ...

Es sind Sommerferien und Sid langweilt sich. Da kommt eine erneute Einladung von Tory gerade recht und Sid und Chiara brechen nach Großbritannien auf. Doch Tory wäre nicht er selbst, wenn er den beiden nicht eine wenigstens eine kleine Aufgabe geben würde: Was bedeutet Freiheit? Dem Thema kommen die beiden recht schnell nahe als sie am Strand von Camber, übrigens in Begleitung von Chan aus Band 1, auf den afghanischen Flüchtling Laith und drei junge Mädchen aus Deutschland treffen. Als eine von ihnen spurlos verschwindet, fällt der Verdacht sofort auf den jungen Flüchtling – ein Rätsel, das unser Trio natürlich unbedingt lösen will. Und so begeben sie sich auf ein Abenteuer durch England und lernen dabei eine ganze Menge fürs Leben.

Mit „A.S. Tory und der letzte Sommer“ legt Autorin S. Sagenroth bereits den dritten Band um Sid und Chiara vor und es ist auch dieses Mal eine Freude, die beiden zu begleiten. Die Handlung wird hauptsächlich von Sid erzählt, es werden aber auch Zeitungsartikel und Tagebucheinträge eingeflochten, um andere Perspektiven zu ermöglichen und das Geschehen von allen Seiten zu beleuchten. Die Grundthemen Freiheit und damit verbunden auch Flucht sind dabei aktueller denn je. Für viele Flüchtlinge aus dem so genannten „Dschungel von Calais“ erscheint Großbritannien als der große Traum, um ein neues Leben zu beginnen. Mit der Figur des Laith gibt die Autorin dieser anonymen Masse eine Stimme.

Von allen drei Bänden ist dieser mein liebster. Das mag einerseits daran liegen, dass die Verbindung zwischen ernsten Themen, actiongeladener Handlung und Zeit mit den beiden Protagonisten Sid und Chiara sehr gut gelungen ist. Aber vielleicht auch daran, dass die beiden älter und noch reflektierter geworden sind und dass sie endlich beginnen, sich einzugestehen, was sie einander eigentlich bedeuten. Der Handlungsstrang um Laith und das verschwundene Mädchen ist spannend und setzt sich nach und nach wie ein Puzzle zusammen, bis am Ende die schreckliche Wahrheit ans Licht kommt. Dass das schon das letzte Abenteuer unserer zwei Helden sein könnte, daran mag ich gar nicht denken und hoffe daher einfach auf ein baldiges Wiedersehen in Band vier.

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Veröffentlicht am 12.08.2020

Über Wunden, die sich nie ganz schließen werden

Alte Sorten
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Liss ist über vierzig und bewirtschaftet ganz allein einen Hof mit Weinbergen, Obstgarten und Waldstück. Im Dorf ist sie nicht gerade beliebt, nur die alte Anni, die sie schon aus ihrer Kindheit kennt, ...

Liss ist über vierzig und bewirtschaftet ganz allein einen Hof mit Weinbergen, Obstgarten und Waldstück. Im Dorf ist sie nicht gerade beliebt, nur die alte Anni, die sie schon aus ihrer Kindheit kennt, spricht überhaupt noch mit ihr. Doch dann taucht eines Tages die 17-jährige Sally auf. Frisch aus einer Klinik ausgerissen, in der sie wegen einer Essstörung und Selbstverletzung behandelt wurde, ist sie voller Wut auf die Welt und vor allem auf die Erwachsenen. Als die beiden Frauen sich begegnen, scheint es wie Schicksal, denn Liss ist die erste, die Sally nicht ständig kontrollieren will und auch sie scheint umgekehrt etwas in Liss auszulösen.

Ewald Arenz gelingt es, mit "Alte Sorten" den Spätsommer vor meinen Augen zum Leben zu erwecken, seine Sprache ist sehr metaphorisch und bildhaft und dennoch einfach. Liss' Leben auf dem Hof erscheint zunächst idyllisch und voller Freiheit, mit ihrer ruhigen Art bringt sie auch Ruhe in die Handlung und vor allem in Sallys Alltag. Endlich ist da jemand, der sich ihren Wutanfällen stellt und der sie einfach nur sie selbst sein lässt. Betrachtet man diese beiden Frauen ein wenig genauer, so wird schnell deutlich, dass sie sich ähnlicher sind als zunächst gedacht. Beim gemeinsamen Arbeiten nähern sie sich an und wir erfahren, dass Liss in Sally ihr jüngeres Ich erkennt. Die beiden harmonieren miteinander, doch ewig wird ihre Gemeinschaft so nicht weiter bestehen können. Schließlich sind da noch Sallys Eltern und Liss' Vergangenheit, die sie einzuholen droht.

Was wie eine nette Geschichte über das Landleben beginnt, entwickelt sich im Verlauf der Handlung zu einer tiefgründigen Mahnung daran, was geschieht, wenn junge Menschen sich nicht frei entwickeln dürfen, wenn sie wie ein Obstbaum stur in eine Richtung gebunden werden. Und während am Anfang noch Sally diejenige ist, die Liss' stumme Unterstützung zu brauchen scheint, ist sie es letztendlich, die wichtige Gedanken und Veränderungen bei Liss anstößt und erkennt, wie es hinter deren starker Fassade wirklich aussieht. Auch das - für mich - Fazit dieses tollen Romans zieht Sally selbst: Manche Wunden werden sich niemals vollständig schließen, aber auch wenn sie schief zusammenwachsen und manchmal schmerzen, lohnt es sich, ihnen die Zeit zum Heilen zu geben.

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