Platzhalter für Profilbild

heinoko

Lesejury Star
offline

heinoko ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit heinoko über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 26.11.2020

Ein poetisch-tiefenpsychologisches Fundstück

Dort, wo die Zeit entsteht
0


Katharina ist eine junge Ärztin, die Klarheit in Regeln und Ordnung findet. Die Kapriolen des Lebens, besonders in ihrem Beruf, zehren an ihr. Und so zieht sie sich für ein paar Tage, in der Zeit der ...


Katharina ist eine junge Ärztin, die Klarheit in Regeln und Ordnung findet. Die Kapriolen des Lebens, besonders in ihrem Beruf, zehren an ihr. Und so zieht sie sich für ein paar Tage, in der Zeit der Rauhnächte zwischen den Jahren, in die alte Berghütte ihrer Familie zurück mit der Hoffnung auf Abstand. Irmelin, eine alte Bergbäuerin, passt seit vielen Jahren auf diese von der Familie scheinbar vergessene Berghütte auf, sie hütet sie hütet wie ihr Eigentum. Dass Katharina Zuflucht in der Hütte sucht, sich von der Berghütte geradezu eingeladen fühlt, lässt Irmelin aufhorchen. Katharina hat seltsame Träume und Irmelin erzählt ihr bei einem Besuch in der Hütte ebenso seltsame Geschichten. Denn die Zeit der Rauhnächte ist eine Begegnung mit der Wilden Jagd, mit Bergriesen und Waldzwergen, mit offenen Seelen und vielen anderen mystischen Bildern. In den Träumen von Katharina beginnt ein Weg der inneren Heilung.

Das Buch braucht den Leser, der sich Zeit nimmt. Der sich den Wörtern hingibt. Und dem es gelingt, die Doppeldeutigkeiten der inneren Erlebnisse zu entschlüsseln. Das Buch erzählt so langsam und bedeutungsschwer wie einer dieser französischen Filme der Nouvelle Vague aus den Sechziger Jahren. Das macht das Lesen anstrengend. Auch der Schreibstil ist fordernd. Die Sätze mit einem manchmal willkürlich scheinenden Aufbau jenseits der gewohnten Grammatikwege lassen nur langsames Lesen zu. Und doch habe ich das Buch als Genuss empfunden, wie ein langes und sehr intensiv-poetisches Gedicht, das aus sorgsam gesuchten Wörtern etwas vermitteln will, was Wörter letztlich aber nur in Bildern transportieren können. Wenn Irmelin die Fenster der Hütte öffnet, damit „das Haus Luft holen kann“ oder wenn Katharina eine Traum-Kellertreppe ins Unbewusste hinabsteigt und mit einem schmerzhaften Sturz allen Halt verliert, wenn der Rabe als mystischer Gestaltwandler den Weg weist und wenn die unterschiedlichen Energien des Windes zu leben beginnen – wenn all dies und noch viel mehr in einer solch dichterisch verdichteten Weise wie im vorliegenden Buch gestaltet wurde und der richtige Leser zum richtigen Zeitpunkt zu diesem Buch findet, dann ist genau das Wunder geschehen, das, selten genug, Büchern innewohnt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 17.11.2020

Familiäre Wurzeln und Vielfalt des offenen Geistes

Kein Held
0


„Kein Held“ berichtet von einem, der vielleicht doch ein Held war. Der Großvater Josef Mutter - ein Held im Hinnehmen von Gegebenheiten, ein Held im Ertragen von Unabänderlichem, ein Held im Alltäglichen, ...


„Kein Held“ berichtet von einem, der vielleicht doch ein Held war. Der Großvater Josef Mutter - ein Held im Hinnehmen von Gegebenheiten, ein Held im Ertragen von Unabänderlichem, ein Held im Alltäglichen, ein Held mit Haltung. Und für mich gibt es im Buch noch einen Helden, nämlich den Enkel Valentin Moritz – ein Held im genauen Hinhören und Hinschauen, ein Held im Bewahren von Erinnerungen, ein sensibler Held. Das Vorwort von Stéphane Hessel: „Die schlimmste aller Haltungen ist die Gleichgültigkeit“ ist ideal gewählt für ein Buch, das den Leser nicht eine einzige Seite lang gleichgültig lässt.

Dass das Buch den Leser erst einmal verwirrt, mag beabsichtigt sein. Denn es beginnt mit einem zu Herzen gehenden Abschnitt aus dem Ende des Lebens des Großvaters, um dann auf dessen früheste Erinnerungen umzuschwenken und Kindheitserinnerungen des Enkels darunterzumischen. Es war schwierig für mich, bereits zu Beginn des Buches dem Großvater in seinen intimsten Zeiten des Sterbens nahe zu sein, um dann erst nach und nach von seinem Leben zu erfahren. Also erst vom Sterben, dann vom Leben zu lesen, vom Abschied zum Beginn zu springen.

Da ist der Enkel schon seit Jahren der räumlichen und geistigen Enge seines südbadischen Heimatdorfes ins pulsierende Berlin entflohen, lebt sein ganz eigenes suchendes Leben und wird völlig überraschend mit der Vergangenheit konfrontiert, als sein Großvater ihn bittet, ihm bei der Niederschrift seiner Lebensgeschichte zu helfen. Und so schliddert er hinein in das bäuerliche, entbehrungsreiche Leben des Josef Mutter, in dem Arbeit den Tag bestimmt. Ein Leben, das durch die Erfahrungen vom Krieg, vom Afrikafeldzug bis hin zur Gefangenschaft in Algerien und in den USA zu einer offen-geraden Haltung führte. Sehr authentisch werden diese Erinnerungen wiedergegeben, ganz geradeaus und direkt. Und dazwischen erzählt einer, der sein Leben zwei Generationen später zu stemmen versucht, nachdenklich, sensibel. Dass die Erinnerungen hin und her springen von Großvater zum Enkel und umgekehrt, teilweise sich fast übereinander zu legen scheinen, gewährt dem Leser einen ganz besonderen Blick auf das, was Familie ist, was Wurzeln sind, und wie unterschiedlich das Mitgegebene interpretiert werden kann im eigenen Lebensentwurf. Valentin Moritz erzählt mit verhaltenem Humor, mit leichtem Schmunzeln, manchmal in grober Umgangssprache, immer aber feinfühlig und mit Respekt. Kurzum: Lesenswert!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 06.11.2020

Ein Kinderbuch, wie es gelungener nicht sein könnte

Die wundersame Winterreise der Selma Larsson
0

Nur noch wenige Tage bis Weihnachten. Mutter muss arbeiten, in einem Altersheim. Dass diese Arbeit sehr wichtig ist, weiß Selma, gerade an Weihnachten. Deshalb soll Selma zu ihrem Papa, der inzwischen ...

Nur noch wenige Tage bis Weihnachten. Mutter muss arbeiten, in einem Altersheim. Dass diese Arbeit sehr wichtig ist, weiß Selma, gerade an Weihnachten. Deshalb soll Selma zu ihrem Papa, der inzwischen eine neue Familie hat. Doch Papa sagt ganz kurzfristig ab. Selma ist sehr traurig, da bleibt nur noch, ganz wild auf dem Trampolin herumzuhüpfen, das hilft ein wenig. Schließlich kommt die rettende Idee: Selma soll zu Tante Maja, darüber freut sich Selma sehr. Als sie aus dem Zug aussteigt, wird sie jedoch von niemandem erwartet. So macht sich Selma zu Fuß durch den tiefen Schnee auf den Weg. Und damit beginnt ein aufregendes Abenteuer…

Welch eine Wohltat: „Die wundersame Wintereise der Selma Larsson“ ist ein Kinderbuch, wie es nicht gelungener sein könnte. Durch die spannungsreiche Geschichte verführt es kleine Leser in eine andere Welt. Ohne modisch anbiedernde Gassensprache. Ohne pädagogisch wertvolle Absichtserklärungen. Ohne offenkundige Problembewältigungs-Vorschläge. Nein, einfach ein Kinderbuch, wie es Kindern gut tut. Märchenhaft fast. Zum Wegträumen. Phantasie anregend. Zum Mitfiebern. Und tröstlich vor allem, denn die Geschichte geht gut aus. Und deshalb wohltuend für Kinderseelen. Eine Geschichte für kleine Leser (oder Zuhörer), die aufregend ist und deshalb gefangen nimmt, um nach einer Zeit des Mitfieberns wieder in die Realität auftauchen zu lassen. So, genauso sollen Kinderbücher sein, wenn sie das Wichtigste, was es gibt, den Leseanfängern mitgeben wollen: Die intensive Kraft der Phantasie. Die schlichten, aber ausdrucksstarken Illustrationen von Sonja Bougaeva, zum Teil koloriert, unterstreichen dieses rundum schöne vorweihnachtliche Kinderbuch

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 31.10.2020

Die Barbie-Puppe bringt den Tod

Artiges Mädchen: Thriller
0


Die Autorin bringt mich immer wieder zum Staunen, denn Band für Band gelingen ihr Thriller, wie sie besser nicht sein könnten!

Rechtsmedizinerin Julia Schwarz wird in ihrem fünften Fall wieder bis an ...


Die Autorin bringt mich immer wieder zum Staunen, denn Band für Band gelingen ihr Thriller, wie sie besser nicht sein könnten!

Rechtsmedizinerin Julia Schwarz wird in ihrem fünften Fall wieder bis an die Grenzen gefordert. Da wird die Leiche einer Frau auf einem Spielplatz abgelegt, herausgeputzt wie ein braves Schulmädchen mit Schleifchen und weißem Rüschenkleid. Todesursache war ein Pfeil mitten durchs Herz. Doch damit nicht genug. Eine weitere weibliche Leiche auf einem nahegelegenen Spielplatz lässt die Ermittlungen von Kommissar Florian Kessler gemeinsam mit Julia Schwarz auf Hochtouren laufen, denn es liegt nahe, dass der Killer weiter morden wird. Doch wie vorgehen, wenn absolut keine Spur zu finden ist?

Catherine Shepherd ist eine verlässliche Thriller-Autorin. Verlässlich insofern, da es ihr von Titel zu Titel gelingt, in stets gleicher Weise Spannung in einem solchen Maß aufzubauen, dass man das Buch, einmal begonnen, nicht mehr zur Seite legen kann. Kurze Kapitel und viele Cliffhänger der gemeinsten Sorte treiben den Leser unaufhaltsam voran. Und verlässlich ist die Autorin auch dahingehend, dass sie viele Spuren legt und den Leser zunehmend verwirrt, wobei man mit dem wahren Täter nie gerechnet hätte. Alle Protagonisten sind psychologisch stimmig gezeichnet in ihren Stärken und Schwächen. Geschrieben ist das Buch in einer leicht lesbaren, klaren Sprache ohne vermeintlich künstlerische Sperenzchen. Kurzum: Ein Thriller, wie er besser nicht sein könnte.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 25.10.2020

Das Spiel des Lebens - klug und literarisch interpretiert

Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht
0


Ich als lebenslanger Sportmuffel soll das Buch einer Tennisspielerin lesen? Ohne auch nur die minimalste Ahnung von Tennis zu haben? Kann nicht gut gehen, dachte ich. Sicher schrecklich langweilig, dachte ...


Ich als lebenslanger Sportmuffel soll das Buch einer Tennisspielerin lesen? Ohne auch nur die minimalste Ahnung von Tennis zu haben? Kann nicht gut gehen, dachte ich. Sicher schrecklich langweilig, dachte ich. Doch wie so oft bei Vorurteilen: Ich hatte mich sehr, sehr geirrt! Ja, es geht um Tennis – auch. Und ja, es geht um das Leben einer Top-Ten-Tennisspielerin – auch. Aber es geht noch um so viel mehr.

In einzelnen Episoden, nicht immer chronologisch, erzählt Andrea Petkovic aus ihrer Kindheit und Jugend bis hin zu der sehr erwachsenen späten Entscheidung, Tennis einfach nur noch so aus Spaß zu spielen. Sie erzählt von Begegnungen, schwierigen und besonderen. Sie erzählt von den gewaltigen Anforderungen des Leistungssports und von einer Psyche, die nicht immer mithalten kann im Auf und Ab des Unterwegsseins. Sie gibt uns Einblick in das Gespaltensein eines Menschen, der zum Teil eine Serbin ist, zum anderen Teil Darmstädterin. Die nicht auffallen will und doch auffällt durch ihren zornigen Willen, immer und überall Beste sein zu wollen und die mit ungebändigter Wut reagiert, wenn etwas nicht so läuft, wie sie will. Sie erzählt vom Verlust der Kindheit, von Depressionen: „… mein Körper ausgeschabt, mein Herz ausgewrungen, meine Seele gekidnappt…“ Sie beschreibt, wie es sich anfühlt, wenn mentale Stärke zum Sieg verhilft oder wie durch einen einzigen ablenkenden Gedanken plötzlich Selbstzweifel die Führung übernehmen. Und sie erzählt von Begegnungen mit ungewöhnlichen Menschen und mit ungewöhnlichen Büchern. All das beschreibt sie in einer überraschend literarisch kraftvollen Sprache, gewürzt mit einer guten Portion Ironie und Humor, selbstkritisch, messerscharf sich selbst und die anderen beobachtend. Und so wie uns Andrea Petkovic eine Ahnung vom Tennisspielen vermittelt, so zeigt sie uns gleichermaßen eine Parabel vom Leben als solchem.
Kurzum:Ein kluges, kurzweiliges Buch das sich zu lesen sehr lohnt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere