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Veröffentlicht am 08.11.2020

Solider Whodunit

Wer auf dich wartet
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MEINE MEINUNG
Nach ihrem gelungenen Krimidebüt „Bis ihr sie findet“ hat die britische Autorin und mehrfach ausgezeichneten Theaterautorin Gytha Lodge nun mit „Wer auf dich wartet“ den zweiten Band ihrer ...

MEINE MEINUNG
Nach ihrem gelungenen Krimidebüt „Bis ihr sie findet“ hat die britische Autorin und mehrfach ausgezeichneten Theaterautorin Gytha Lodge nun mit „Wer auf dich wartet“ den zweiten Band ihrer Krimi-Reihe rund um Detective Chief Inspector Jonah Sheens und sein Ermittlerteam der Hampshire Constabulary vorgelegt.
Auch bei ihrem zweiten fesselnden Kriminalfall dreht sich alles um den Tod einer jungen Frau, der beliebten und vielversprechenden Künstlerin Zoe Swardadine. Schon bald richtet sich der Fokus ihrer Ermittlungen auf den illustren Kreis ihrer Freunde, Bekannten und einen Geliebten mit sorgsam gehüteten Geheimnissen.
Auch wenn die Autorin ihren Lesern den Einstieg durch die verwirrende Vielzahl der Charaktere im Umfeld des Opfers nicht gerade leicht macht, ist man rasch von der vielschichtigen Geschichte gefesselt und kann das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Der lebendige, anschauliche Schreibstil der Autorin lässt sich zudem sehr angenehm lesen.
Die komplexe Handlung hat die Autorin in zwei unterschiedlichen Erzählsträngen angelegt, die einander abwechseln und auf unterschiedlichen Zeitebenen laufen. Ganz typisch für einen klassischen „Whodunit“ verfolgt man zum einen die ausführlich und sehr authentisch geschilderten Ermittlungen von DCI Sheens Team in der Gegenwart. Zum anderen erhalten wir in dem in der Vergangenheit angesiedelten Handlungsstrang Rückblicke auf Zoes Leben und zugleich aufschlussreiche Einblicke in die Persönlichkeit des Opfers, aber auch in ihre Freundschaften und Beziehungen. Die Handlung setzt etwa 20 Monate vor Zoes Tod ein, steuert allmählich auf ihren Todestag zu und rollt somit schrittweise die gesamte Vorgeschichte bis zu ihrem tragischen Tod auf.
Geschickt streut die Autorin immer neue Verdachtsmomente, legt falsche Fährten, offenbart brisante Details über die Familie, Freunde und Bekannten und lässt schließlich nahezu jeden aus Zoes Umfeld verdächtig erscheinen. Der rätselhafte Fall bietet durch den großen Kreis der Verdächtigen viel Raum für eigene Spekulationen über Täter und die möglichen Motive, wobei einiges für meinen Geschmack etwas zu konstruiert und durchschaubar war. Während der polizeilichen Nachforschungen wird immer deutlicher, dass sich fast ein jeder der Befragten durch Heimlichkeiten, dunkle Geheimnisse und wohl gehütete Ressentiments verdächtig macht, und die Beweggründe für die verhängnisvolle Tat in enttäuschter Liebe, Eifersucht, Hass, Misstrauen, Neid und anderen abgründigen Verletzlichkeiten zu finden sind.
Schrittweise kann sich der Leser aus den vielen zusammengetragenen Mosaikstückchen und den bei den Ermittlungen gewonnenen Erkenntnissen ein vages Bild von den verhängnisvollen Ereignissen an jenem Tag machen.
Die Charakterisierung von Zoes Freunden und Bekannten sowie ihre komplizierten Beziehungsgeflechte sind von der Autorin sehr facettenreich und glaubwürdig angelegt. Gekonnt lässt sie uns in die Abgründe der menschlichen Psyche blicken und offenbart schrittweise ein komplexes Geflecht von echter Freundschaft, Sympathien, Erwartungen, Abhängigkeiten und Schuldgefühlen. Sehr interessant ausgearbeitet sind auch die sympathische Hauptfigur von DCI Jonah Sheen und seinem Ermittlerteam mit der cleveren Kollegin Detective Constable Hanson, die nach und nach immer mehr Profil gewinnen. Ihr Privatleben tritt diesmal wohltuend in den Hintergrund.
Nach zahlreichen Wendungen und überraschenden Enthüllungen zieht die subtil aufgebaute Spannung zum Ende hin immer mehr an, gipfelt in einem spannenden Finale und einer sehr nachvollziehbaren und zufrieden stellenden Auflösung des Mordfalls.

FAZIT
Ein klassischer, recht ruhiger Whodunit mit einem verwickelten Fall und interessanten Polizeiermittlungen – fesselnd, clever konstruiert und toll geschrieben! Leider nicht ganz so gelungen wie der Auftakt der Krimi-Reihe!

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  • Erzählstil
  • Handlung
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Veröffentlicht am 01.11.2020

Bewegendes Porträt des Ausnahmekünstlers Gustav Mahler

Der letzte Satz
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INHALT
An Deck eines Schiffes auf dem Weg von New York nach Europa sitzt Gustav Mahler. Er ist berühmt, der größte Musiker der Welt, doch sein Körper schmerzt, hat immer schon geschmerzt. Während ihn der ...

INHALT
An Deck eines Schiffes auf dem Weg von New York nach Europa sitzt Gustav Mahler. Er ist berühmt, der größte Musiker der Welt, doch sein Körper schmerzt, hat immer schon geschmerzt. Während ihn der Schiffsjunge sanft, aber resolut umsorgt, denkt er zurück an die letzten Jahre, die Sommer in den Bergen, den Tod seiner Tochter Maria, die er manchmal noch zu sehen meint. An Anna, die andere Tochter, die gerade unten beim Frühstück sitzt, und an Alma, die Liebe seines Lebens, die ihn verrückt macht und die er längst verloren hat. Es ist seine letzte Reise.
"Der letzte Satz" ist das ergreifende Porträt eines Künstlers als müde gewordener Arbeiter, dem die Vergangenheit in Form glasklarer Momente der Schönheit und des Bedauerns entgegentritt.
(Quelle: Hanser)
MEINE MEINUNG
Mit seinem neuen Buch „Der letzte Satz“ ist dem österreichischen Schriftsteller Robert Seethaler erneut ein eindrucksvoller, berührender und eher stiller Roman gelungen.
Auf gerade einmal 125 Seiten widmet er sich dem Leben und Schaffen des berühmten Musikers, genialen Komponisten und Dirigenten Gustav Mahler (1860–1911), der die symphonische Musik von der Spätromantik in die Moderne lenkte. Seethaler entwirft mit seinem ruhigen, ausgefeilten Erzählstil ein faszinierendes und ungewöhnliches Portrait dieses Ausnahmekünstlers und bringt uns den zerbrechlichen Menschen hinter dem Genie, einen kreativen Schöpfer und Interpreten, einen verzweifelt Liebenden sowie mit dem Schicksal ringenden Menschen nahe.
Mit einer klaren, poetischen Sprache nimmt Seethaler den Leser in seiner Rahmenhandlung mit auf Gustav Mahlers letzte Reise an Bord des Passagierschiffes „Amerika“, auf dem der berühmte Komponist mit seiner Frau Alma und Tochter Anna von New York Richtung Europa reist. Von schwerer Krankheit gezeichnet, die meiste Zeit auf dem Sonnendeck verbringend und von einem eigens abgestellten jungen Schiffsjungen umsorgt, hängt er seinen Gedanken und Erinnerungen nach. Immer wieder wird diese Rahmenhandlung durchbrochen von Rückblicken des alternden Künstlers, in denen er sein Leben in der Vorahnung seines nahenden Todes Revue passieren lässt. So folgen wir Mahlers wirren, unzusammenhängenden Gedankenstrom und assoziativen Erinnerungsfetzen, in denen er sich noch einmal auf verschiedene Episoden, kleine Anekdoten und einschneidende Geschehnisse in seinem Leben zurückbesinnt.
Ob nun sein schwieriges Verhältnis zu seiner Ehefrau Alma, die einst zu den begehrtesten Frauen Wiens zählte und sich von ihm enttäuscht einem anderen zuwendete, der tragische Tod seiner älteren Tochter Maria oder seine ihn quälenden Gedanken an seine unvollendeten Kompositionen - der Leser erhält sehr aufschlussreiche Einblicke in das Innenleben dieses eigenbrötlerischen Außenseiters und hochtalentierten, mit seinem Leben hadernden Künstlers.
Mit viel psychologischem Feingefühl ist es dem Autor gelungen, Gustav Mahler in seiner Genialität aber auch seiner inneren Zerrissenheit, Melancholie, Trauer und Verbitterung sehr glaubhaft einzufangen. Zugleich lässt er uns auch an seinen Glücksmomenten und Schicksalsschlägen teilhaben.
Sehr einfühlsam und anschaulich zeichnet Robert Seethaler in kurz angerissenen Szenen Mahlers grandioses Wirken und einzigartiges Schaffen nach - das Arbeiten an seinen Sinfonien in seinem abgeschiedenen Kompositionshäuschen, seine Tätigkeit als Direktor der Wiener Hofoper oder seine Gedanken an die Uraufführung seines Ausnahmewerks die 8. Sinfonie. Sehr gelungen und humorvoll erzählt Seethaler beispielsweise in einer Anekdote das Modellsitzen des Maestros beim berühmten Auguste Rodin in Paris. Sehr eindrucksvoll ist auch seine Begegnung mit dem großen Sigmund Freund im holländischen Leiden geschildert, bei dem sich Mahler Hilfe für seine gescheiterte Ehe erhoffte.
Obwohl der Autor uns an einigen sehr emotionalen, tragischen Momenten in Mahlers Leben Anteil nehmen lässt, blieb für mich stets eine seltsame Distanz, die leider eine wirkliche Nähe und Anteilnahme für Gustav Mahler vermissen ließen.
Dennoch ist es Robert Seethaler gelungen, mit wenigen, aber sehr pointierten Worten eine beeindruckend skizzierte Lebensgeschichte niederzuschreiben und bei mir wieder Interesse an einem faszinierenden Ausnahmekünstler und seinen außergewöhnlich musikalischen Werken zu wecken.
FAZIT
Ein unterhaltsames und bewegendes Porträt des Ausnahmekünstlers Gustav Mahler – ruhig und einfühlsam erzählt! Nicht ganz so gelungen wie andere Werke von Seethaler, aber dennoch lesenswert!

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Veröffentlicht am 26.10.2020

Mitreißender Auftakt für die vier Wunderfrauen

Die Wunderfrauen
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INHALT

„Darf‘s ein bisschen mehr sein?“

1953, zu Beginn der Wirtschaftswunderjahre, träumt Luise Dahlmann von ihrem eigenen kleinen Lebensmittelgeschäft. Hier soll es nach Jahren des Verzichts wieder ...

INHALT

„Darf‘s ein bisschen mehr sein?“

1953, zu Beginn der Wirtschaftswunderjahre, träumt Luise Dahlmann von ihrem eigenen kleinen Lebensmittelgeschäft. Hier soll es nach Jahren des Verzichts wieder alles geben, was das Herz begehrt. Sie sieht es schon vor sich: die lange Ladentheke mit großen Bonbongläsern darauf, eine Kühlung für Frischwaren, Nylonstrümpfe, buttriger Kuchen, sonntags frische Brötchen … und das Beste daran: endlich eigenständig sein. Endlich nicht mehr darüber nachdenken, warum ihre Ehe nicht so gut läuft, endlich sie selbst sein und etwas wagen.
Drei Frauen werden immer wieder Luises Weg kreuzen: Annabel von Thaler, die wohlhabende Arztgattin von nebenan, die junge Lehrschwester Helga Knaup und Marie Wagner, geflohen aus Schlesien. Sie alle haben in den Zeiten des Aufbruchs und des Neubeginns einen gemeinsamen Wunsch: Endlich wieder glücklich sein.

(Quelle: Fischer Verlag)

MEINE MEINUNG

Bei dem historischen Roman „Die Wunderfrauen“ von der deutschen Autorin Stephanie Schuster handelt es sich um den unterhaltsamen Auftakt einer Trilogie, der zu Beginn der 1950er-Jahre in Bayern angesiedelt ist und in dessen Mittelpunkt 4 junge, starke Frauen stehen, die unterschiedlicher kaum sein können.

Es wird eine mitreißende und bewegende Geschichte über Freundschaft und Liebe, Selbstfindung und Emanzipation erzählt aber auch von den großen und kleinen Wundern im Leben sowie von kleinen Intrigen, Rivalitäten und Schicksalsschlägen.

Die Autorin zeichnet ein schillerndes, lebendiges Portrait der 1950er-Jahre und gibt uns sehr anschauliche Einblicke in das damalige Alltagsleben. Gekonnt fängt sie die Nachkriegszeit in Deutschland ein, in der immer noch starre gesellschaftliche Normen, Anstandsregeln und prüde Moralvorstellungen gelten und Männer wie selbstverständlich über das Schicksal der Frauen als Väter, Ehegatten oder Arbeitgeber bestimmen wollen. Sehr schön vermittelt sie die allgemeine Aufbruchsstimmung, die sich in dieser beginnenden Wirtschaftswunderzeit um sich griff, und reißt ebenfalls die noch spürbaren Nachwirkungen des 2. Weltkrieges an.

Wir begleiten die vier jungen Frauen von unterschiedlicher Herkunft und mit verschiedenen Lebensgeschichten, die alle nach der entbehrungsreichen Kriegszeit einen Neubeginn wagen und mutig aus ihren festgelegten Rollen ausbrechen, um ihre Träume zu verfolgen. Aus unterschiedlichen, sich abwechselnden Perspektiven erleben wir das Schicksal der vier Frauen, so dass wir ihre Innenwelt und ihre Entwicklung im Laufe der Geschichte hautnah miterleben, und uns mit ihnen identifizieren können.

Ob nun Luise, die nach dem Tod ihrer Schwiegermutter einen eigenen Gemischtwarenladen eröffnet, die aus Schlesien geflohene Marie, die auf einem Gestüt als Bereiterin arbeiten möchte, die junge, lebenslustige Unternehmerstochter Helga, die nicht verheiratet werden möchte und eine Ausbildung als Krankenschwester beginnt, oder schließlich die unglückliche Chefarzt-Gattin Annabel – sie alle sind starke, authentische Frauenfiguren, die auf der Suche nach sich selbst und persönlichem Glück sind und nach ein bisschen Selbstverwirklichung streben.
Schuster hat ihre vier Protagonistinnen vielschichtig und lebensnah ausgearbeitet. Dank des lebendigen und mitreißenden Schreibstils der Autorin verfolgt man gebannt, wie sich die Lebenswege der Frauen scheinbar zufällig immer wieder kreuzen, und sie schließlich als Freundinnen zusammenfinden.
Insgesamt hätte der Handlung allerdings etwas mehr Tiefgang gut getan und auch die Vorhersehbarkeit vieler Geschehnisse störte mich etwas.

Das Ende des ersten Teils ist recht offen gehalten und macht schon sehr neugierig auf die Fortsetzung der Trilogie mit den vier Wunderfrauen Luise, Helga, Annabel und Marie!

FAZIT

Ein gelungener, unterhaltsamer Auftakt der Wunderfrauen-Trilogie mit einem faszinierenden, lebensechten Zeitporträt der Wirtschaftswunderjahre.

Empfehlenswert für Fans von Wohlfühlromanen mit tollem Zeitkolorit!

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Veröffentlicht am 25.10.2020

Vom wilden Leben im Westerwald

Eine Räuberballade
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INHALT
In ihrem dritten großen Westerwald-Roman nimmt Annegret Held uns mit ins späte 18. Jahrhundert, als brutale Räuberbanden die gesamte Region in Angst und Schrecken versetzten. Mitreißend, klug und ...

INHALT
In ihrem dritten großen Westerwald-Roman nimmt Annegret Held uns mit ins späte 18. Jahrhundert, als brutale Räuberbanden die gesamte Region in Angst und Schrecken versetzten. Mitreißend, klug und höchst unterhaltsam erzählt sie von Hannes, einem aufstrebenden Möchtegern-Räuber, von seinem frommen und zunehmend verzweifelten Vater Wilhelm, von der mannstollen Magd Gertraud und von all den anderen Scholmerbachern, die dem harten Dorfleben tapfer die Stirn bieten. Großartige Heimatliteratur!
(Quelle: Eichborn-Verlag)

MEINE MEINUNG
Mit ihrem jüngsten historischen Roman „Eine Räuberballade“ hat die deutsche Autorin Annegret Held den dritten und abschließenden Band ihrer Westerwald-Trilogie vorgelegt, in dem sie nochmals ein weiteres Jahrhundert in der Geschichte zurückgeht. Im Mittelpunkt der faszinierenden, lebensprallen Geschichte steht das fiktive Dorf Scholmerbach im urtümlichen Westerwald zum Ende des 18. Jahrhunderts.
Gekonnt nimmt uns die Autorin mit in eine völlig andere Welt, über der anfangs ein herrlich märchenhafter Flair liegt, und beschwört in großartigen Bilder und Szenen eine vermeintlich heimelige Dorfidylle herauf, die schon bald auch die finsteren Seiten erkennen lässt. Annegret Held lässt eine eher düstere Zeit lebendig werden, in der das dörfliche Leben hart, freudlos und äußerst entbehrungsreich war und umherziehende, brutale Räuberbanden die Bevölkerung im Westerwald das Fürchten lehrten. Und doch zeigt sie in ihrer sehr unterhaltsamen, humorvoll und mitreißend erzählten Geschichte, dass das Leben für die kleinen Leute von Scholmerbach neben Arbeit und Kirche durchaus auch viel Mitmenschlichkeit, etliche amüsante und schöne Momente bereithielt. Es ist ein wundervoller Heimat-Roman, der schon bald seinen ganz eigenen Charme entwickelt, mit interessanten historischen Details und einer spannenden Mischung aus Familiengeschichte, ein wenig Abenteuergeschichte sowie eine Geschichte über Generationskonflikt und Emanzipation.
Der Roman lebt vor allem von seinen wundervoll schrulligen, eigensinnigen und lebendigen Charakteren, die Held sehr differenziert, lebensnah und äußerst warmherzig ausgearbeitet hat. Auch wenn sie oftmals fragwürdige Entscheidungen treffen, ihr Handeln nicht immer klug und moralisch vertretbar erscheint, so haben sie doch alle ihr Herz am rechten Fleck und trotz gemischter Gefühle, muss man diese redlichen Figuren einfach gern haben. Ob nun aufmüpfige Hannes, der sich gegen seinen strengen Vater auflehnt und der dörflichen Enge als aufstrebender Möchtegern-Räuber zu entkommen versucht, sein gottesfürchtiger, verstockter Vater Wilhelm, der mit seiner verwirrten, bettlägerigen Frau und der kleinen Tochter Liesel zunehmend überfordert ist oder schließlich die junge wilde Magd Gertraud, die mit ihrer Tatkraft, ihrer Durchsetzungsfähigkeit und ihrem losen Mundwerk allen die Stirn bietet und ihr kleines Glück woanders zu finden sucht – sie alle sind in einer christlich-traditionellen Welt mit ihren rigiden Moralvorstellungen gefangen, riskieren ein Ausbrechen und lassen schließlich den elementaren, ungezähmten Grundbedürfnissen freien Lauf. Äußerst authentisch und nachvollziehbar hat die Autorin die besonderen Eigenheiten und Schwächen ihrer Romanhelden eingefangen und bringt uns sehr anschaulich ihre besondere Art zu leben und zu denken näher.
Eine große Besonderheit von Annegret Helds Schreibstil sind die mundartlichen Dialoge. Sie lässt ihre Romanhelden nämlich durchgängig in ihrem Westerwälder Platt reden, einer aussterbenden Sprache mit ihrem ganz eigenen Humor und Charme. Hierdurch erhält die großartige Geschichte zusätzlich eine unverwechselbare Lebendigkeit, Eindringlichkeit und Authentizität.

FAZIT
Ein gelungener Abschluss der historischen Westerwald-Trilogie – eine unterhaltsame, lebenspralle und mitreißend erzählte Geschichte mit viel Humor, echtem Westerwälder Platt und herrlich schrägen Charakteren! Ein lesenswerter Heimatroman!

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Veröffentlicht am 04.10.2020

Interessante Geschichte über eine der ersten Dirigentinnen der Welt

Die Dirigentin
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INHALT
New York, 1926:
Für Antonia Brico gibt es nur die Musik. Unermüdlich übt sie an dem alten Klavier, das ihr Vater, ein Müllmann, auf der Straße gefunden hat. Ihr großer Traum: Dirigentin zu werden. ...

INHALT
New York, 1926:
Für Antonia Brico gibt es nur die Musik. Unermüdlich übt sie an dem alten Klavier, das ihr Vater, ein Müllmann, auf der Straße gefunden hat. Ihr großer Traum: Dirigentin zu werden. Doch noch nie hat eine Frau in dieser Rolle auf der Bühne stehen dürfen. Als sie sich als junge Frau zu einem Konzert ihres Idols Willem Mengelberg schleicht, und sich auf einem Klappstuhl in den Mittelgang setzt, wird sie herausgeworfen und verliert dabei auch noch ihren Job im Konzerthaus. Sie steht vor dem Nichts. Doch sie gibt nicht auf und reist nach Europa, um für ihren Traum zu kämpfen. Sie verlässt sogar ihre große Liebe Frank, um nicht in dessen Schatten zu stehen. Unermüdlich klopft sie an die Türen der großen Musiker. Karl Muck, der legendäre Dirigent in Berlin, zerreißt vor ihren Augen ihr Empfehlungsschreiben. Antonia sieht letztlich nur einen Weg: Ein Orchester nur mit Frauen, von ihr selbst dirigiert. Mit dem Eröffnungskonzert ist klar: Es wird Antonia befreien – und die Musikwelt für immer verändern.
(Quelle: Atlantis Verlag)

MEINE MEINUNG
Neben dem gleichnamigen, im Jahr 2018 heraus gekommenen Film ist nun auch der Roman "Die Dirigentin" erschienen, in dem sich die niederländische Regisseurin, Drehbuchschreiberin und Autorin Maria Peters bedeutsamen Stationen aus dem faszinierenden Leben von Antonia Brico (1902-1989), eine der ersten erfolgreichen Dirigentinnen der Welt, widmet.
Die in den Niederlanden geborene und in den USA als Adoptivkind in einfachen Verhältnissen aufgewachsene Frau aus musste sich ihren großen Traum und ihren Weg zum Dirigentenpult gegen viele Widerstände hart erkämpfen. Als erste Frau gelang es ihr 1930 die Berliner Philharmoniker zu dirigieren und leitete für einige Zeit das von ihr 1934 geründete reine Frauenorchester New York Women’s Symphony Orchestra. Doch der wirkliche Durchbruch als weltweit gefeierte Dirigentin blieb der ehrgeizigen Pionierin in dieser bis heute fast reinen Männerdomäne verwehrt und so geriet schließlich diese faszinierende Frau, die ihr Leben der Musik verschrieben hatte, weitgehend in Vergessenheit.
Wie die Autorin in ihrem „Dank“ schildert, hat sie sich sehr intensiv mit der Lebensgeschichte von Antonia Brico beschäftigt, sorgsam viele Details recherchiert und konnte sich zudem auf den ausführlichen biografischen Bericht von Antonias Cousin Rex Brico stützen. Dennoch hat die Autorin in ihren Roman auch einige fiktive Geschehnisse und Figuren einfließen lassen. Am Ende des Buchs findet der interessierte Leser in „Quellen“ eine Zusammenstellung von weiterführender Literatur über Antonia Brico, Dokumentationen sowie Links zu interessanten Internetquellen.
Die Geschichte wird abwechselnd aus der Ich-Perspektive der Protagonistin Antonia sowie aus Sicht der beiden fiktiven männlichen Charaktere Frank und Robin erzählt, die in Antonias Leben eine bedeutsame Rolle spielen und exemplarisch für ihre verschiedenen Männerbekanntschaften stehen. Angesiedelt ist die Handlung in den Zwanziger- und Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts und führt uns von New York, über Amsterdam und nach Berlin.
Maria Peters ist es gut gelungen, bedeutsame Stationen im bewegten Leben dieser jungen, mutigen Frau voller Ambitionen, Willensstärke und Leidenschaft für die Musik einzufangen und diese zu einer fesselnden, abwechslungsreichen und stimmigen Geschichte mit schönem Zeitkolorit zusammen zu fügen. So schildert sie in sehr eindrucksvollen Episoden wie die Protagonistin zu Anfang in ihrem Job als Platzanweiserin sich in die Rolle der Dirigentin hineinträumt oder sie mit ihrem hölzernen, technisch perfekten aber ausdruckslosen Klaviervorspiel an der Aufnahmeprüfung scheitert, aber unbeirrt alles daran setzt, um ihren großen Traum Dirigentin zu werden zu realisieren. Sehr unterhaltsam waren auch die spannenden Einblicke in die Welt des Cabarets in New York, in dem Antonia sich als Pianobegleitung zusätzliches Geld verdient. Die Autorin hat Antonias steinigen, sehr frustrierenden Weg nach oben sehr mitreißend und anschaulich inszeniert und lässt uns teilhaben den Unterrichtsstunden und Proben mit dem frauenfeindlichen, herrischen Dirigenten Karl Muck, oder ihrem ersten Konzertauftritt in Berlin. Während die freundschaftliche Beziehung zwischen Antonia und Robin Jones mit seinem streng gehüteten Geheimnis sehr bewegend erzählt wird, empfand ich die fiktive Liebesgeschichte zwischen Antonia und dem wohlhabenden Musikmanager Frank Thomsen etwas zu melodramatisch und klischeehaft. Für meinen Geschmack wurde ihr ein etwas zu hohen Stellenwert in der Geschichte eingeräumt. Einen größeren Fokus hätte ich mir auf ihren ehrgeizigen Ambitionen gewünscht und hätte gerne noch viel mehr über ihr Innenleben, die Bedeutung der Musik für sie oder die alltäglichen Herausforderungen in ihrem Musikerinnenleben erfahren, wie beispielsweise ihren stetigen Kampf um Anerkennung ihrer Leistungen in der von Männern dominierten Welt der klassischen Musik und ihre Reaktionen auf Anfeindungen und Diskriminierung. Auch die Hintergründe von Antonias Familiengeschichte empfand ich als etwas zu rasch abgehandelt und hätte gerne noch mehr Details erfahren. Maria Peters ist es recht gut gelungen, mir die Persönlichkeit dieser starken, kämpferischen und überaus talentierten Frau näher zu bringen. Dennoch hätte ich mir doch etwas mehr Tiefgang und eine vielschichtigere Charakterisierung der Protagonistin gewünscht, die leider nicht für mich nicht richtig greifbar wurde.
Im Anhang des Romans gibt Peters schließlich noch einen knappen Einblick in Bricos weitere Biografie und ihren wenig glamourösen, weiteren Werdegang als Dirigentin. Denn trotz einiger Erfolge blieb ihr als eine der ersten Dirigentinnen der Welt der wirkliche Durchbruch verwehrt und musste ihren Lebensunterhalt als Klavierlehrerin bestreiten.

FAZIT
Ein interessanter Roman über die fast völlig in Vergessenheit geratene Antonia Brico - eine außergewöhnlich bemerkenswerte Frau, die sich zu einer der ersten Dirigentinnen der Welt hochgekämpft hat!
Eine abwechslungsreich angelegte und gut recherchierte Geschichte, der allerdings etwas mehr Tiefgang nicht geschadet hätte.

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