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Veröffentlicht am 10.11.2020

Sprachlich ein Hochgenuss

Die Dame mit der bemalten Hand
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Carsten Niebuhr ist Studio der Mathematik und hat einen nicht ungefährlichen Auftrag. Es ist das Jahr 1764 und da war das Reisen nun keineswegs so bequem wie heute. Er soll für „biblische Klarheit“ sorgen ...

Carsten Niebuhr ist Studio der Mathematik und hat einen nicht ungefährlichen Auftrag. Es ist das Jahr 1764 und da war das Reisen nun keineswegs so bequem wie heute. Er soll für „biblische Klarheit“ sorgen und die Stätten besuchen, die im „Buch der Bücher“ Erwähnung fanden. Jedoch landet er auf der Insel Elephanta und trifft dort auf recht eigenartige Menschen, die ihm das Leben retten. Der persische Astrolabienbauer zählt dazu und der ist nicht davon abzubringen, dass er in einem Sternbild eine rötlich schimmernde, bemalte Hand erkennt. Wohingegen Carsten in diesem Bild (die Kassiopeia) das Abbild einer Frau sieht.

„Die Dame mit der bemalten Hand“ war für den Deutschen Buchpreis 2020 nominiert. Es ist das dritte Mal, dass die Autorin Christine Wunnicke mit einem ihrer Werke auf der Longlist des Deutschen Buchpreises steht. Niebuhr bricht mit fünf Kollegen zur Forschungsreise auf und wird später als einziger überleben. Carsten ist genervt von den Aussagen des Astrologen bezüglich der Sternbilder und meint: „Wie glotzen alle in den selben Himmel und sehen verschiedene Bilder.“ Die Autorin hat Fakten aus der Geschichte mit jenen, die ihrer Fantasie entsprangen, geschickt verwoben.

Sprachlich ist das Werk ein Genuss und nicht mit den vielen Büchern zu vergleichen, die uns täglich angeboten werden. Aber mir fehlte die Ausführlichkeit. Ich hätte gerne mehr über die schrulligen Hauptpersonen gelesen und mich länger an den mit viel Humor ausgestatteten Dialogen erfreut. Gelernt habe ich einiges, da ich immer wieder das WWW bemühte, um mir die Fakten der „Bemalten Hand“ durchzulesen. Ein schönes aber nicht einfach zu lesendes Buch.

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Veröffentlicht am 03.11.2020

"Wo ist er? Der Notknopf für unsere Gesellschaft?"

Heimat muss man selber machen
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Sina Trinkwalder ist Unternehmerin. Nein, keine der „üblichen“ Art. Sie gab 140 Menschen Arbeit, die sonst nirgends angenommen worden wären. Es sind Behinderte, Alte und jene, die nicht in Deutschland ...

Sina Trinkwalder ist Unternehmerin. Nein, keine der „üblichen“ Art. Sie gab 140 Menschen Arbeit, die sonst nirgends angenommen worden wären. Es sind Behinderte, Alte und jene, die nicht in Deutschland geboren wurden. In dem Buch „Heimat muss man selber machen“ schreibt sie über die Anfänge, den schwierigen Aufbau und das ständige Lernen von sich und ihren Kollegen.

Geld ist nicht das Maß aller Dinge und damit lässt sich keine soziale Teilhabe oder Gemeinschaft kaufen. Frau Trinkwalder schreibt, dass sie in ihrem Elternhaus nie Heimatgefühle hatte und diese erst durch eigene Tatkraft für sich selbst erschuf. Sie benennt die Eliten der heutigen Zeit. Was vor vielen Jahren der Adel war, das ist heute auch ein Adel, der Finanzadel. Immer reicher und stets höher hinaus, das treibt viele heute um. Familie oder ein Miteinander gibt es kaum noch. Ein prägnanter Satz steht für das ganze Buch: „Wo ist er, der Notknopf für unsere Gesellschaft?“

Nein, der Aufbau ihrer Firma war kein Selbstläufer. Hier gab und gibt es die unterschiedlichen Kulturen, Sprachen, Behinderungen, Alter und Herkunft. Die unter einen Hut zu bekommen, das ist täglich harte Arbeit. Aber es lohnt sich. Der Erfolg gibt ihr recht und diesen teilt sie mit allen Frauen und Männern, mit denen sie gerne tätig ist.

Was mir nicht gefiel: Das Wort Partizipation und Lady wurde permanent benutzt und auch wenn die Autorin das große Latinum hat, die permanente Benutzung von Fremdwörtern passt nicht. Zumal sie auch auf die Verrohung der Sprache hinweist. Bei Facebook und Co ist das klar zu erkennen. Wildfremde Menschen fallen übereinander her (und das nicht erst seit Corona). Frei nach dem Motto: „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen!“ Viele Ausrufezeichen und Fragezeichen sollen dann den Wahrheitsgehalt der Aussagen verdeutlichen und untermauern.

Die Bereitschaft, sich gegenseitig zu helfen ist verkümmert. Was wird mir dafür? ist der erste Gedanke, wenn jemand um Beistand bittet. Wer sich für Geflüchtete einsetzt, muss um seine Gesundheit und die Zerstörung seines Eigentums bangen. Das Buch weckt auf und enthält viele Denkanstöße. Was ich mich persönlich frage: „In welcher Weise kann die Pandemie dazu beitragen, dass wir wieder zu den Grundsätzen eines friedlichen Miteinanders zurückkehren?“

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Veröffentlicht am 02.11.2020

Über das Phänomen wunschlos unglücklich zu sein

Das Buch eines Sommers
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„Das Buch eines Sommers“ erzählt die Geschichte von Nicolas. Strenger Vater, der sehr erfolgreiche eine Firma aufbaute. Sehr streng zu seinem Sohn und der Zwang, die Firma zu übernehmen. Aber, eigentlich ...

„Das Buch eines Sommers“ erzählt die Geschichte von Nicolas. Strenger Vater, der sehr erfolgreiche eine Firma aufbaute. Sehr streng zu seinem Sohn und der Zwang, die Firma zu übernehmen. Aber, eigentlich wollte Nicolas doch etwas ganz Anderes. Er wollte schreiben, wie sein Onkel Valentin, der von dem Vater nur als „Spinner der Familie“ genannt wird. Als Valentin stirbt, ändert sich auch für Nicolas etwas Grundlegendes. Er will aus dem Hamsterrad seines Lebens aussteigen.

Bas Kast schrieb also hier seinen ersten Roman. Mit einem Sachbuch war er wohl schon recht erfolgreich. In dem „Buch eines Sommers“ zeigt sich, was er studierte und womit er sich beschäftigt. Mit Erziehung, den Auswirkungen von Druck und dem Einfluss der Gene bei der Entwicklung. Valentin war für Nicolas ein großes Vorbild, jedoch gefiel das dem Vater überhaupt nicht. Er erwartete absoluten Gehorsam von seinem Sohn und der traute sich nicht, sich selbst zu verwirklichen.

Bas Kast bringt einige gute Beispiele für seine Ansichten und die waren für mich nachvollziehbar. Jedoch nicht die Kapitel, wo es um seine Wachträume und der Unterhaltung mit Gestalten aus der Phantasie. Da ging mit ihm wohl die Einbildungskraft durch. Wie sich dann schlussendlich der Traum des Nicolas erfüllt und was sich in seinem Leben ändert, das erfährt der Leser, wenn er sich dieses feine Buch gönnt. Für meinen Geschmack ein wenig zu oberflächlich, hat es mich trotzdem gut unterhalten. Zumindest gibt es einige gute Denkansätze, die jeder für sich weiter entwickeln kann.

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Veröffentlicht am 29.10.2020

Aufwachsen in einer fremden Welt

Der verlorene Sohn
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Im Jahr 1838 wird Jamalludin als Geisel aus der Obhut seiner Familie gerissen. Der Grund liegt in der lang währenden Auseinandersetzung zwischen Russen und Awaren, der Kaukasische Krieg. Dem Jungen wird ...

Im Jahr 1838 wird Jamalludin als Geisel aus der Obhut seiner Familie gerissen. Der Grund liegt in der lang währenden Auseinandersetzung zwischen Russen und Awaren, der Kaukasische Krieg. Dem Jungen wird gesagt, dass es nur wenige Tage oder Wochen dauert, bis er wieder bei seinen Eltern und den Geschwistern sein darf. Jedoch kommt es ganz anders. Jamalludin kommt zum Hof des Zaren und lernt hier eine völlig neue „Welt“ kennen. Voller Luxus und Angeboten zum Lernen und zur Freizeitgestaltung zeigen der Zar und seine Frau, was er verpasst hätte, wäre er im Kaukasus geblieben. Also, ist die Entführung ein Segen für den Jungen?

„Der verlorene Sohn“ ist nicht das erste Buch, welches ich von Olga Grjasnowa las. Neben ihrem Debüt „Der Russe ist einer der Birken liebt“ gefiel mir auch „Gott ist nicht schüchtern“ sehr gut. Frau Grjasnowa wurde in Armenien geboren und weiß sehr gut, wovon sie schreibt. Für mich ist aber auch klar, dass hier einige allgemeine Vorstellungen bedient werden. Prachtvolle Bälle auf der einen und Misshandlungen von Familienmitgliedern auf der anderen Seite gehören dazu. Auch die Ermordung eines unerwünschten Kindes, weil es genug „Mäuler zu stopfen“ gilt. Will sagen, dass Frau Grjasnowa in diesem Buch nicht ihre Ansicht über die Russen verbergen kann (will?).

Dennoch, wer sich nicht nur auf die Ausführungen des Buches verlässt und ein wenig tiefer forscht, der hat eine perfekt Grundlage, in die Geschichte der Awaren einzutauchen. Das Ende gefiel mir nicht und es bleiben einige Fragen offen. Trotzdem empfehle ich das Buch. Die klare und erzählende Sprache der Autorin sowie ihre lebhafte Beschreibung von Land und Leuten, lassen eindrückliche Bilder entstehen.

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Veröffentlicht am 15.10.2020

Können Aussehen und Namen das Leben beeinflussen?

Streulicht
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„Streulicht“ gehörte zu den Nominierten zum Deutschen Buchpreis 2020. Es ist das Debüt von Deniz Ohde und erzählt von einer Kindheit und Jugend, die von Vorurteilen und Rassismus geprägt war. Der Vater ...

„Streulicht“ gehörte zu den Nominierten zum Deutschen Buchpreis 2020. Es ist das Debüt von Deniz Ohde und erzählt von einer Kindheit und Jugend, die von Vorurteilen und Rassismus geprägt war. Der Vater ist Fabrikarbeiter, die Mutter verlässt ihn für eine Weile. Zurück bleibt nicht nur er, nein, auch die Tochter. Dass er Alkoholiker ist, kommt erschwerend hinzu. Mit im Haushalt lebt auch der fast blinde Großvater. Wie viele Menschen der Generation können diese beiden nichts wegwerfen. Sie hängen nicht nur an Dingen, auch ihre Gedanken an die Vergangenheit überlagern jene aus der Gegenwart.

Die Hauptperson in dem Buch schreibt in der Ich-Form. Ihre Mutter kam vor vielen Jahren aus der Türkei und verliebte sich in den deutschen Arbeiter. Sie hatte nichts mit dem Islam zu tun auch ihre Tochter nicht. Jedoch wurde die immer wieder sowohl von Lehrern als auch von Mitschülern über ihr Aussehen und den „komischen“ Namen befragt. Ein Lehrer verwehrte ihr den Zugang zum Gymnasium, indem er ihre Arbeiten schlechter bewertete als sie tatsächlich waren.

Mit viel Überredungskunst von Außen und Gedanken nach dem Motto: „Euch zeige ich es“, besuchte sie schließlich eine Abendschule. Sie wollte das Abitur auf diese Weise nachmachen. Hier gab es nur „verkrachte Existenzen“ und sie fühlte sich angenommen. Dass sie ein glänzendes Zeugnis erhielt, das muss kaum erwähnt werden.

Das Buch gefiel mir gut. Es ist eins der gefälligsten Werke, die ich aus der Longlist zum Deutschen Buchpreis 2020 las. Die Autorin schreibt gefällig und nachvollziehbar. Die hier genannten Vorurteile gibt es tatsächlich und auf welche Weise schlechte Lehrer das Leben der ihnen Anvertrauten schwer machen können, das erlebten wir bei unserem Enkel. Wer einen Rucksack sein Eigen nennt, auf dem groß das Emblem der „Welt“ prangt, die ist also intelligent? (Ein Beispiel für die Beurteilung des Äußeren) Vier Sterne gebe ich und empfehle, das Buch zu lesen.

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