Es ist nie zu spät für neue Wege
Ein Sommer in Cassis„...Seit ich fünfzig bin, denke ich öfter an die Möglichkeit, nochmal ein anderes Leben zu führen. Zu schnell waren all die Jahre in täglicher Routine verschwunden...“
Diese Gedanken von Jens Schneider, ...
„...Seit ich fünfzig bin, denke ich öfter an die Möglichkeit, nochmal ein anderes Leben zu führen. Zu schnell waren all die Jahre in täglicher Routine verschwunden...“
Diese Gedanken von Jens Schneider, Leiter der Mordkommission in Frankfurt, ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte, mal vordergründig, mal eher leise und unterschwellig. Er hat einen Fall erfolgreich beendet und macht nun Urlaub in Cassis, an der Küste Südfrankreichs.
Dort holt ihn aber sein Beruf ein. Gerade wurde eine junge Frau von zwei Fischern aus dem Meer geborgen. Jens kennt sie. Isabelle war Bedienung in dm Hotel, in dem er abgestiegen ist. Jens sieht sofort, dass sie nicht freiwillig gestorben ist. Die örtlichen Behörden allerdings beharren auf Selbstmord. Soll er sich einmischen?
„...Mit der Zeit, so war mir schon lange klar, stumpfte man ab in diesem Beruf. Man muss sich schützen vor alle den grausamen Eindrücken...“
Der Autor hat einen spannenden Krimi geschrieben. Doch das Buch ist weit mehr als ein Krimi. Einige Passagen würden jeden Touristikführer aufwerten. Gleichzeitig erhalte ich einen Einblick in die Psyche des Protagonisten. Der Urlaub ist für ihn eine Reise zu sich selbst. Als gekonntes Stilmittel nutzt der Autor dazu dessen Tagebuch.
So vielschichtig wie der Inhalt des Buches ist auch der Schriftstil. Er passt sich gekonnt den Gegebenheiten an.
Gerade im kursiv wiedergegebenen Tagebuch finden sich sehr philosophische Gedanken. Dort reflektiert er sein Leben und stellt sich die Frage nach der Zukunft.
„...Wir tun stets so, als wollten wir einen hohen Berg erklimmen, um irgendwann auf dem Gipfel zu stehen und dann in Ruhe den herrlichen Rundumblick zu genießen. […] Wir stürmen los und vergessen vor lauter Karrierestreben, oben innezuhalten...“
Eingebettet in das Geschehen sind ab und an sachliche Informationen, so über die Verwendung des weißen Kalksteins von Cassis oder die Arbeit der Fischer.
„...Fischernetze müssen großen Belastungen standhalten. Deshalb benutzen Fischer traditionell handgeknüpfte Netze...“
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Als Catherine, die Teilhaberin des Hotels, ihn bittet, Ermittlungen anzustellen, geht er sofort darauf ein, zumal ein zweiter Fall ihn selbst ins Licht der Behörden rückt. Noch ahnt er nicht, in welches Wespennest er sticht und welche Gefahren seiner harren. Ein sehr erfolgreiches Geschäftsmodell gepaart mit den Wunsch vieler junger Frauen nach einem besseren Leben lässt man sich nicht gern kaputtmachen. Von den örtlichen Behörden sind eher Schikanen als Hilfen zu erwarten.
Jens erweist sich als sehr genauer Beobachter. Außerdem werd ich ungewöhnlich detailliert mit den Gedankengängen eines Kriminalisten vertraut gemacht. Schritt für Schritt kann ich denen folgen.
„...Jeder Kriminalfall besteht zunächst aus vielen unbeantworteten Fragen. Sie präzise zu stellen, macht den ersten Schritt professionellen Handelns aus...“
Die äußere Spannung, die sich durch die Mordermittlungen ergibt, wird noch durch einen inneren Spannungsbogen erhöht, der in den komplexen und teilweise undurchschaubaren Beziehungen der Protagonisten liegt. Wie sie oft, wird zu wenig und zu spät miteinander geredet. Manche Personen sind schwer einzuschätzen.
Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Das liegt nicht nur an seiner Vielschichtigkeit, sondern auch an der inneren Wandlung des Protagonisten. Er stellt sich der Frage nach dem Sinn des Lebens und findet eine für ihn neue Antwort.