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Veröffentlicht am 07.12.2020

Leben und Sterben in Mexiko

Der erste Tote
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Andrew und Carlos sind ein Paar, beides Journalisten. Der eine schreibt, der andere schießt die Bilder dazu. Für eine Reportage über die Fracking-Industrie sammeln sie Material in Poza Rica, der heruntergekommenen ...

Andrew und Carlos sind ein Paar, beides Journalisten. Der eine schreibt, der andere schießt die Bilder dazu. Für eine Reportage über die Fracking-Industrie sammeln sie Material in Poza Rica, der heruntergekommenen Erdölmetropole in Veracruz. Auf dem Heimweg nach Mexico City finden sie in einer Nebenstraße die grässlich zugerichtete Leiche eines jungen Mannes, laut Ausweis ein Student namens Julián Gallardo, der, wie sich später herausstellen wird, der führende Kopf einer Gruppe von Umweltaktivisten ist. Carlos will letzte Fotos machen, als auch schon ein Wagen der Guardia Civil mit drei Cops eintrifft, die dies mit roher Gewalt verhindern. Nachdem sie Carlos’ Personalien festgestellt haben, packen sie den Toten und transportieren ihn ab. Carlos hat Blut geleckt, will vor Ort bleiben, weiter recherchieren. In Andrews Augen keine gute Idee, und so fährt er alleine zurück. Es kommt, wie es kommen muss, Carlos bezahlt für seine Neugier mit dem Leben. Und Andrew? Fühlt sich schuldig und setzt nun alles daran, die Hintergründe um Carlos‘ und Juliáns Ermordung aufzuklären. Die Vermutung, dass er damit in ein Wespennest sticht und auch sein eigenes Leben aufs Spiel setzt, liegt nah, denn um das große Geld zu kommen, geht die unheilvolle Allianz zwischen Industrie, Politik, Polizei und organisiertem Verbrechen über Leichen.

In Tim MacGabhanns Debütroman „Der erste Tote“ zeigt sich Mexiko von seiner dreckigen, brutalen Seite. Der Autor ist Ire, Journalist, lebt und arbeitet dort seit vielen Jahren und hat nun seine persönlichen Erfahrungen, Beobachtungen und Recherchen in diesem Roman verarbeitet, der Auftaktband einer Trilogie ist.

Hierfür wählt er, wie er im Nachwort ausführlich erläutert, die Form der mexikanischen "Crónica", einer Mischform aus objektiver Reportage und Fiktionalität. Einerseits die Stärke, andererseits aber auch die Schwäche des Romans. Der langwierige Prozess von Andrews Recherche und dessen Beschreibung zieht sich, unzählige Gespräche und Informationen, die in Zusammenhang gebracht werden müssen. Allerdings punktet er durch detaillierte atmosphärische Beschreibungen, die eine Ahnung des Alltags vermitteln, die permanente Bedrohung schildern, denen diejenigen Journalisten ausgesetzt sind, die sich mit Kartellen und der mexikanischen Korruption beschäftigen.

Aber all das habe ich schon in wesentlich eindrücklicherer Aufbereitung gelesen. Nichts Neues über die kriminellen Machenschaften der Fracking-Industrie, über deren Verflechtung mit korrupten Politikern, Staatsorganen und gekauften Polizisten, über die Verfolgung und Ermordung kritischer Journalisten, eher eine unbefriedigende Gemengelage aus Reportage und Roman/Thriller, die mich leider nicht vollständig überzeugen konnte.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Spannung
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 16.11.2020

Schuld und Rache

Ohne Schuld
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DS Kate Linville wechselt von Scotland Yard zur North Yorkshire Police. Von London hoch in den englischen Norden nach Scarborough, um dort mit Caleb Hale zusammenzuarbeiten, einer der wenigen, der ihre ...

DS Kate Linville wechselt von Scotland Yard zur North Yorkshire Police. Von London hoch in den englischen Norden nach Scarborough, um dort mit Caleb Hale zusammenzuarbeiten, einer der wenigen, der ihre Stärken schätzt.

Als Abschiedsgeschenk erhält sie von den ehemaligen Kollegen ein Wellness-Wochenende, das sie vor Dienstantritt einlösen möchte. Aber wie so oft kommt es anders als man denkt. Die Zugfahrt dorthin nimmt eine dramatische Wendung, als ein Unbekannter auf eine Mitreisende schießt, die Kate im letzten Moment aus der Schussbahn ziehen kann.

Zwei Tage später stürzt eine junge Lehrerin mit dem Mountainbike über einen Stolperdraht und verletzt sich lebensgefährlich. Und wieder fallen Schüsse, die glücklicherweise ihr Ziel verfehlen. Die Untersuchung der in beiden Fällen sichergestellten Patronen zeigen, dass in beiden Fällen die gleiche Waffe verwendet wurde. Aber es gibt keine Verbindung zwischen diesen beiden Frauen. Oder doch?

Und in der neuen Dienststelle wartet eine Überraschung auf Kate. Caleb wurde wegen seiner Alkoholsucht suspendiert und die Leitung einem jungen, unerfahrenen Kollegen übertragen. Nicht das, was die von Selbstzweifeln geplagte Kate erwartet hat.

Es sind verschiedene Handlungsstränge, die in diesem Krimi ineinandergreifen, aber da die Personenzahl überschaubar ist, behält man jederzeit den Überblick in dieser dramatischen Familiengeschichte, die um die großen Themen Schuld und Rache kreist. Aber für diese knapp 550 Seiten braucht der Leser einen langen Atem, denn die Autorin lässt sich über 300 Seiten Zeit, bis ihre Ermittler erste Hinweise finden, die die Ermittlungen voranbringen. Das geht ganz klar zu Lasten der Spannung, da der Leser zu diesem Zeitpunkt der Polizei voraus und mit Täter und Motiv vertraut ist.

Ein weiterer Kritikpunkt ist für mich der Handlungsort. Wenn man schon seinen Krimi in Nordengland spielen lässt, erwarte ich auch die entsprechende Atmosphäre. Davon war aber noch nicht einmal in Ansätzen etwas zu spüren. Schade.

Veröffentlicht am 15.11.2020

Ein Blick hinter Palastmauern - Fakten oder Fiktion?

Teatime mit Lilibet
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Die Autorin Wendy Holden hat für britische Sonntagszeitungen gearbeitet und die Biografien von mehr oder weniger (im englischen Sprachraum) bekannten Persönlichkeiten geschrieben. In „Teatime mit Lilibet“, ...

Die Autorin Wendy Holden hat für britische Sonntagszeitungen gearbeitet und die Biografien von mehr oder weniger (im englischen Sprachraum) bekannten Persönlichkeiten geschrieben. In „Teatime mit Lilibet“, einem Roman, der dem Genre Biografische Fiktion zuzuordnen ist, stützt sie sich auf die Erinnerungen der Hauslehrerin Marion Crawford (The Little Princesses), die an der Erziehung der jetzigen Queen Elizabeth II: und ihrer Schwester Margaret über zwölf Jahre beteiligt war. Gut lesbar und unterhaltend, aber im Informationsgehalt eher dürftig.

Eigentlich will sich die junge Lehrerin um die Bildung sozial benachteiligter Kinder kümmern, kann sich aber der Argumentation ihrer Mentorin nicht verschließen, dass ihr pädagogischer Einfluss am ehesten zur Veränderung der Gesellschaft beiträgt, wenn sie an der Wurzel ansetzt, quasi den Marsch durch die Institutionen antritt. Über den Umweg einer Aushilfslehrerin (bei der Familie der Schwester der späteren Queen Mum) kommt sie in den Haushalt des Herzogs von York, der nach dem Abdanken seines Bruders (Wallis Simpson Affäre) 1937 zum König gekrönt wird.

Crawfords vorrangiges Erziehungsziel ist es, Elizabeth und Margaret mit dem „wirklichen“ Leben in Kontakt zu bringen, sie für das Leben der einfachen Leute zu sensibilisieren. Ob dafür eine Fahrt mit der London Underground oder das Einkaufen von Weihnachtsgeschenken bei Woolworth ausreicht, mag jede/r für sich selbst entscheiden. Es ist zwar eine Zeit der gesellschaftlichen Veränderungen, aber an den über Jahrhunderte gewachsenen Traditionen und dem auch heute noch tief verankerten Klassensystem Großbritanniens ändert auch der Zweite Weltkrieg, der vor der Tür steht, nichts.

Mit zunehmendem Alter vergrößert sich die emotionale Distanz zwischen Crawford und ihren beiden Zöglingen, ihr Einfluss nimmt ab, ihre Dienste werden nicht mehr benötigt, sie ist desillusioniert und verbittert, hat sie doch nach eigenem Empfinden ihre besten Jahre deren Erziehung geopfert. Aber hier fragt man sich zwangsläufig, was sie erwartet hat? Und so wird sie mit einer kleinen Abfindung und den üblichen Vergünstigungen für Bedienstete des Hofes entlassen. Nach ihrem Ausscheiden erhält sie von einer amerikanischen Zeitschrift ein gut dotiertes Angebot, über ihre Zeit am Hofe zu schreiben. Eine Verletzung der Regeln, und selbst die Intervention Elizabeths hindert sie nicht daran, Interna – wie deren Zwangsstörung – preiszugeben.

Nach dem Lesen stellt man sich zwangsläufig die Frage, ob Crawford das Ziel, mit dem sie angetreten ist, erreicht hat, ob diese subjektiven Schilderungen der Realität entsprechen, oder ob es nur weiteres Futter für die Klatschpresse ist. Aber das muss wohl jede/r Leser/in selbst entscheiden.

Veröffentlicht am 09.11.2020

Viel Privates, wenig Spannung

Kaltes Gold
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Im ehemaligen Lappland legt die Schneeschmelze die Leiche eines Mannes frei. Olivia Rönning wird von ihrem neuen Chef damit beauftragt, sich den Fundort genauer anzuschauen. Auf dem Hinweg stürzt der Hubschrauber ...

Im ehemaligen Lappland legt die Schneeschmelze die Leiche eines Mannes frei. Olivia Rönning wird von ihrem neuen Chef damit beauftragt, sich den Fundort genauer anzuschauen. Auf dem Hinweg stürzt der Hubschrauber in einer Schlechtwetterfront über dünn besiedeltem Gebiet ab. Der Pilot ist schwer verletzt, und Olivia macht sich auf den Weg zu einem Angelcamp, um Hilfe zu holen. Dabei kreuzt sie den Weg eines dubiosen Pärchens, die offenbar auch zu dem Fundort gelangen wollen. Es kommt zu einem Schusswechsel. Olivia erschießt den Mann, wird selbst getroffen, die Frau kann fliehen. Schwerverletzt wird Olivia geborgen. Mette, ihre ehemalige Chefin, informiert den mittlerweile in Thailand lebenden Stilton, dieser kommt umgehend zurück und beteiligt sich an den Ermittlungen. Es stellt sich heraus, dass sie es mit einem Verbrechen zu tun haben, das bis in die Tage des Zweiten Weltkriegs zurück reicht und das bereits nicht nur Mette sondern auch Stilton und Olivias verstorbener Vater bearbeitet haben.

Aber…bis sie zu dieser Erkenntnis gelangen, sind von dem 500-Seiten-Krimi bereits knapp 300 Seiten vergangen, die mit ausufernden Beschreibungen des Privatlebens der Protagonisten gefüllt sind. Speziell die Liebesbeziehung zwischen Olivia und ihrem an einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung leidenden Freund Lukas wird mit allen Höhen und Tiefen breit ausgewalzt. Dazu Mettes Befindlichkeiten, die sich nicht so recht in dem krankheitsbedingten Ruhestand zurechtfindet und Stilton Zweifel, ob er zu seiner Freundin nach Thailand zurückkehren oder in Schweden bleiben soll. Und Verweise zu Greta, Klimawandel und dessen Auswirkungen dürfen natürlich auch nicht fehlen.

Es ist ja nett, wenn man in einem Kriminalroman auch an dem Privatleben der Ermittler teilnehmen darf, aber für mich leider zu viel des Guten, hat unnötig aufgebläht, nichts zur Handlung beigetragen und damit die Spannung gekillt. Für mich leider der schwächste Band der Reihe.

Veröffentlicht am 07.10.2020

Unterhaltsamer Schmöker mit Schwächen

Und die Welt war jung
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Die fünfziger Jahre. Der Zweite Weltkrieg ist zu Ende, Aufbruchstimmung durchzieht das Land. Es ist eine Zeit der Verheißung, alles scheint möglich. Doch die Nachwirkungen der Kriegszeit sind überall spürbar, ...

Die fünfziger Jahre. Der Zweite Weltkrieg ist zu Ende, Aufbruchstimmung durchzieht das Land. Es ist eine Zeit der Verheißung, alles scheint möglich. Doch die Nachwirkungen der Kriegszeit sind überall spürbar, zeigen, dass nicht jede/r diese dunklen Jahre einfach abstreifen kann.

Drei Städte, drei Familien, deren Schicksale untrennbar miteinander verwoben und deren Sorgen und Nöte in Ansätzen exemplarisch für das Leben während der Aufbaujahre sind. Warum nur in Ansätzen? Nun, während die „einfachen Leute“ sich abstrampeln müssen, damit sie wieder auf die Beine kommen, sitzen die Familien, die hier im Zentrum der Handlung stehen, doch alle im mehr oder minder gemachten Nest. Zumindest haben alle ein Dach über dem Kopf, das ihnen gehört, auch wenn es mittlerweile bei fast allen dort etwas enger geworden ist.

Bei Gerda und Heinrich Aldenhoven in Köln sind neben ihren Kindern nun auch noch die ausgebombten Kusinen eingezogen. Mit dieser Einschränkung könnten sie ja noch leben, aber schwieriger gestaltet sich die Sicherung des Lebensunterhaltes. Der Ertrag von Heinrichs Kunstgalerie ist auf ein Minimum geschrumpft, zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben.

Elisabeth und Kurt Borgfeldt in Hamburg leben in ähnlich beengten Verhältnissen, da man bei ihnen schlesische Flüchtlinge einquartiert hat. Um ihr Einkommen müssen sie sich keine Sorgen machen, verdient Kurt bei der Sparkasse doch so viel, dass seine Familie über die Runden kommt. Aber da ist die Sorge um ihren Schwiegersohn, der seit Kriegsende in Russland vermisst wird.

Heinrichs Schwester Gerda hingegen fehlt es in San Remo an nichts. Die Familie ihres Mannes ist vermögend, das Leben sorgenfrei. Wenn da nicht ihre ewigen Streitereien mit der Familienmatriarchin Agnese wären, die sich in alles einmischt.

Der Autorin ist mit diesem ersten Band der Drei-Städte-Saga ein leichter und unterhaltsamer Schmöker gelungen, auch wenn mir die ganzen Liebeleien und Beziehungsprobleme stellenweise etwas zu viel waren. Ihr Blick auf die Nachkriegsjahre ist leider nur bedingt gelungen, da sie diesen meiner Meinung nach zu sehr auf die einzelnen Personen und deren Schicksal ausrichtet. Was hingegen die gesellschaftlichen und politischen Probleme angeht, kratzt sie leider nur an der Oberfläche, bleibt diffus. Doch trotz dieser Schwächen habe ich den Roman gerne gelesen, da der Fortgang der Handlung immer wieder die eine oder andere überraschende Wendung bereithält. Genau das Richtige für trübe Herbsttage.