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Veröffentlicht am 04.10.2019

Menschen vs. Partials

Aufbruch
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Einen Vorteil hat es, wenn Bücher jahrelang ungelesen im Regal stehen. Die Chance ist größer, dass die Fortsetzungen dann bereits erschienen sind, wenn man sich endlich entscheidet, den Reihenauftakt zu ...

Einen Vorteil hat es, wenn Bücher jahrelang ungelesen im Regal stehen. Die Chance ist größer, dass die Fortsetzungen dann bereits erschienen sind, wenn man sich endlich entscheidet, den Reihenauftakt zu lesen. Und ich war sehr froh, dass ich nicht jahrelang warten musste, um zu erfahren, wie es weitergeht :D

Aufbruch zeigt eine Zukunftsvision (wiedermal ausgehend von Amerika), die durch medizinischen bzw. technischen Fehlern zustande gekommen ist oder eigentlich durch die Arroganz der Menschen, die sich für etwas Besseres halten. Sie greift basale Themen in unserer Gesellschaft auf und versetzt diese einfach in ein anderes Setting, fast eine Metapher für unsere eigenen Zustände.

Die Partials sind das Fremde, das Andere, der Feind, den man nicht so genau kennt, aber gerade deswegen auch fürchtet.

Die Herangehensweise an die Aufdeckung der Probleme und das Finden von Lösungen ist sehr medizinisch. Große Bedeutung im Buch haben das Krankenhaus und medizinische Labore. Manches konnte ich da nicht so richtig nachvollziehen, war aber dann im Endeffekt nicht so das große Problem für mich.

Die Handlung hat sich für mich schlüssig ergeben und es war sehr spannend den Protagonisten durch die Geschichte zu folgen. Sie hat wunderbare Charaktere entwickelt. Kira, die Hauptfigur, lebt nach dem Modell der Aufopferung. Sie erkennt ein Problem und setzt alles daran, dieses zu lösen. Wirklich alles. Die Nebenfiguren waren auch alle sehr spannend und ich könnte nicht sagen, dass sie irgendwie klischeehaft gezeichnet wurden.

Die Dystopie kann mit ihrem jugendlichen Charme überzeugen und reiht sich zu den großen ihres Genres ein. Für mich war es ein reinstes Lesevergnügen und der Trilogie-Auftakt hat Suchtpotenzial. Der 2. Band ist für einen Mittelteil wirklich richtig gut. Beim 3. Buch schwächelt der Plot ein bisschen. Nichtsdestotrotz habe ich alle drei in kürzester Zeit verschlungen.

Fazit

Ein gelungener Auftakt der Partials-Trilogie und ein gutes Beispiel, was die Arroganz von Menschen alles anrichten kann. Die ganze Reihe ist zwischen Flüchtlingskrisen, Rassismus und Terroranschlägen ein wertvoller Beitrag für mehr Frieden und Toleranz.

Veröffentlicht am 01.03.2018

Darauflos schreiben

Mit dem Schreiben anfangen
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Ich kenne es nur zu gut. Diese Leere, dieses Weiß, diese weiße Leere, die mir entgegenstarrt, wenn ich versuche etwas aufzuschreiben. Die Erwartungen des leeren Blattes, die Erwartungen an mich selbst. ...

Ich kenne es nur zu gut. Diese Leere, dieses Weiß, diese weiße Leere, die mir entgegenstarrt, wenn ich versuche etwas aufzuschreiben. Die Erwartungen des leeren Blattes, die Erwartungen an mich selbst.

Auch der Autor des Buches kennt das alles und hat Strategien in diesem Buch gesammelt, wie man aus dieser Anfangsblokade rauskommt, wie man es schafft, das erste Wort auf dieses leere Blatt Papier zu schreiben. Er gibt Hintergrundwissen und baut die Aufgaben aufeinander auf. Sie steigern sich von einfachen Abschreibübungen bis hin zur selbstständigen Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich.

Er führt viele Beispiele von anderen Autoren und Autorinnen an, die zeigen sollen, wie vielfältig an einem Text gearbeitet werden kann. Begonnen wird mit den Basisvoraussetzungen beim Schreiben: Arbeitszimmer, Schreibtisch, Stift. Danach geht es ans konkrete Schreiben. Ich finde, es waren viele Anregungen dabei, die man für sich selbst noch individuell anpassen kann, und die man nicht streng nach der Vorgabe ausführen muss. Der Autor gibt auch viele Buchtipps, die man noch zusätzlich heranziehen kann, um sich dem Schreibprozess noch mehr hinzugeben. Ich habe einige Sachen ausprobiert und kann sagen, dass Regelmäßigkeit und Routine auf jeden Fall helfen. Bei den längerfristigen Sachen kann ich noch nicht so viel sagen, wie es sich auf mein Schreiben auswirken wird, man kann vieles nebenher machen, solange man ein Notizbuch bei sich hat, und die Inspiration wird jeden Tag aufs Neue entdeckt.


Fazit

Ein gutes Buch zum Einsteigen. Nicht nur den Schreibblockaden geht es an den Kragen, es werden auch Übungen gezeigt, wie man zu seiner eigenen Stimme findet, wie man Charaktere und Orte entwickelt, welche Möglichkeiten es geben kann, wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht.

Veröffentlicht am 26.11.2020

Wir wollen Menstruationsblut sehen

Periode ist politisch
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Ich blute. Regelmäßig. Alle 26-28 Tage (es variiert) verliere ich etwa eine halbe Tasse Menstruationsblut. Das ist das Natürlichste der Welt und trotzdem ist dieses Thema bei uns und in vielen anderen ...

Ich blute. Regelmäßig. Alle 26-28 Tage (es variiert) verliere ich etwa eine halbe Tasse Menstruationsblut. Das ist das Natürlichste der Welt und trotzdem ist dieses Thema bei uns und in vielen anderen Ländern ein Tabuthema. Viele Menschen finden es anstößig, wenn man darüber redet, am besten wird einfach vergessen/verdrängt/versteckt, dass die Hälfte der Bevölkerung einen Zyklus mit Periode hat, haben wird oder gehabt hat.

Irgendwo Blut zu sehen, das aus der Vagina kommt, ist sowieso von den Gesellschaften (glaubt ja nicht, dass das nur irgendwo weit weg so ist) zu dem Super-GAU (größter anzunehmender Unfall) schlechthin geworden - für diejenige, der es "passiert", und für die, die es sehen. Passiert setze ich in Anführungszeichen, da das Wort zum Vokabular einer Tabusprache gehört, die die Periode am liebsten aus der Welt schaffen möchte. Franka Frei schreibt in ihrem Buch gegen dieses Tabu an.

Und das gelingt ihr auf sehr unterhaltsame Art und Weise. Ihr Schreibstil strotzt nur so vor lauter Ironie und ist in Sarkasmus getränkt. Was anfangs für mich etwas anstrengend war, fand ich mit der Zeit jedoch sehr passend, da ja wirklich nichts dabei sein sollte, über diese wunderbare Körperfunktion zu sprechen/schreiben, von der alles menschliche Leben abhängt, und die Autorin zieht damit viele Menschen ins Lächerliche, die sich dabei schwer tun, weil sie sich dafür schämen.

Das Buch ist kein reines Sachbuch. Neben Fakten zum Zyklus, zu Hygieneprodukten, Verhütungsmitteln und Krankheiten etc. erzählt Frei von ihrer Reise nach Asien, wo sie sich mit mehreren jungen Frauen getroffen hat, die sich, genau wie sie, dem Thema Menstruation und der Aufklärung darüber verschrieben haben, und zeigt auch, wie andere Länder mit dem Thema gesellschaftlich, wirtschaftlich und politisch umgehen. Aufgelockert hat das Ganze auch die "Verleihung" goldener Erdbeeren an Menschen, die besonders abstruses Zeugs über Frauen und ihren Zyklus verbreitet haben. Vieles wusste ich schon und ich bin bereits jemand, der auch gerne mal im Freundeskreis das Thema anspricht, auch mit der Absicht, es zu etwas Normalem zu machen. Ich fand es aber trotzdem auch spannend, so zum Beispiel die Methoden von Firmen zu erfahren, wie sie ihre Menstruationsprodukte an die Frau bringen. An einigen Stellen hält sich die Autorin sehr kurz und die spannenden Frauen aus Pakistan, Indien und Nepal hätten auch noch mehr Aufmerksamkeit bekommen können.


Fazit

Alles in allem ist es ein lustiges Buch, das Fragen beantwortet, für die Sache motiviert und einen Schritt Richtung Enttabuisierung von Menstruation geht. Stilistisch für mich manchmal jedoch zu ironisch, aber leicht zu lesen und unterhaltsam.

Veröffentlicht am 26.11.2020

Riesige Datenlücken

Unsichtbare Frauen
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Beim Autofahren hast du immer wieder Probleme mit schlechtsitzenden Autogurten? Die Schlange vor öffentlichen Toiletten ist viel zu oft ewig lang? Du übernimmst die meiste unbezahlte Arbeit im Haushalt ...

Beim Autofahren hast du immer wieder Probleme mit schlechtsitzenden Autogurten? Die Schlange vor öffentlichen Toiletten ist viel zu oft ewig lang? Du übernimmst die meiste unbezahlte Arbeit im Haushalt und/oder mit den Kindern? Die modernen Smartphones sind viel zu groß für deine Hände oder (wenn überhaupt vorhandene) Hosentaschen? Ja?

Wenn du mehrmals mit Ja antwortest, dann gehörst du wahrscheinlich zu der Hälfte der Bevölkerung, bei der gerne mal vergessen wird, dass es sie gibt. Den Frauen. Schuld an den Problemen bist aber nicht du, schuld sind nicht die Frauen per se, sondern die Wissenschaft gemacht von Männern für Männer, die "den Mann" als Standard sieht und ihre Studienergebnisse, bei denen die Frauen oft unterrepräsentiert sind oder auf Geschlechterdifferenzen nicht eingegangen wird, als absolute Wahrheit hinstellt. Caroline Criado-Perez zeigt, wo diese weiblichen Datenlücken gefüllt werden müssen.

So werden Autos nicht verpflichtend mit weiblichen Crashtest-Dummys getestet, was für Frauen
tödlich sein kann, bzw. erst gar nicht für Frauen designt oder die für Männer ausgewiesene Toilette kann durch Pissoirs von viel mehr Männern gleichzeitig benützt werden als Frauen die ihnen zugewiesene bei gleich viel vorhandenem Platz. Das ist die Lebensrealität der Frauen, die in einer Welt leben, die auf Männer zugeschnitten ist. Das sind nur zwei der vielen Beispiele wo Frauen benachteiligt werden, die die Autorin in ihrem Buch nennt. Sie geht auf viele unterschiedliche Bereiche ein und erläutert die sogenannte "Gender Data Gap", also das Fehlen von frauenspezifischen Daten, das den Alltag, die Arbeitswelt, das Design, die Medizin und das öffentliche Leben maßgeblich für Frauen verschlechtert

Ich war nicht vorbereitet auf die Wut, die sich während des Lesens in meinem Bauch angesammelt hat oder meinen eigenen Unglauben, dass Männer so selbstverständlich von männlichen Standards ausgehen, in einer Welt die hochkomplex und jeder Mensch individuell ist. Das Buch öffnet Augen und einen neuen Blick auf die Welt, der auch dringend notwendig ist, um einen weiteren Schritt Richtung Gendergerechtigkeit gehen zu können. Beim Lesen wird klar: Es ist noch viel zu tun.

Zu bemängeln gibt es aber auch was: Die Autorin geht ohne Erklärung von einer binären Geschlechterordnung aus. Und ein großes Manko liegt in der Übersetzung bzw. im Lektorat. In einem Buch, das sich mit der Repräsentation von Frauen
beschäftigt, sollte eigentlich richtiges und einheitliches Gendern Voraussetzung sein. Das war hier ein einziges Mischmasch an unterschiedlichen Formen, wenn überhaupt.


Fazit

Nie mehr werde ich eine Schlange vor einem öffentlichen Klo mit den gleichen Augen sehen wie davor. Mein Blick auf die Welt hat sich verändert und das ist gut so. Caroline Criado-Perez macht unsichtbare Frauen sichtbar und hat mit ihrem Buch einen wichtigen Grundstein für notwendige Veränderungen in unserem Denken und Handeln gelegt. Unbedingt lesen!

Veröffentlicht am 26.11.2020

Grausame Realität

Das wirkliche Leben
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Diese Geschichte ist eine echte Wucht. Eine Warnung vorweg: Es gibt viel Gewalt - psychische wie körperliche gegen Menschen und Tiere. Erzählerin ist ein Mädchen ohne Namen, das zurück blickt auf eine ...

Diese Geschichte ist eine echte Wucht. Eine Warnung vorweg: Es gibt viel Gewalt - psychische wie körperliche gegen Menschen und Tiere. Erzählerin ist ein Mädchen ohne Namen, das zurück blickt auf eine Kindheit und Jugendzeit mit einem gewalttätigen Vater, einer teilnahmslosen Mutter und dem jüngeren Bruder Gilles, der durch einen schlimmen Vorfall traumatisiert wird, und die Ereignisse aus vier (oder fünf) hintereinander folgenden Sommern schildert.

Die Entwicklung, die sie dabei durchmacht finde ich großartig. Es beginnt, als sie zehn Jahre alt ist. Sie will sich selbst nicht als Opfer sehen und handelt auch nicht so. Trotzdem zeigt sie Schwäche und das ist gleichzeitig ihre Stärke. Der Autorin gelingt es mit ihrer direkten, schonungslosen, gleichzeitig brutalen wie zarten Sprache eine Atmosphäre zu erschaffen, bei der man von einer ständigen Bedrohung ausgeht, bildlich dargestellt im Buch durch die Hyäne, deren Kopf als Jagdtrophäe im Haus hängt, die alles sieht und alles Positive verschlingt. Diese Geschichte fordert einen heraus, denn hier wird die grausame Realität, hier wird das wirkliche Leben abgebildet.

Diese Beklemmung hält sich die ganze Zeit über, man möchte unbedingt wissen wie es weitergeht, aber man möchte auch nicht diese schlimmen Sachen lesen. Vor ein paar Szenen musste ich mich innerlich wappnen, bevor ich weiterlesen konnte. Es war echt nervenaufreibend. Der Vater als Tyrann wird wirklich sehr gut dargestellt. Die Mutter blieb sehr blass und - wie die Beziehung des Mädchens zu ihr - sehr distanziert. Das fand ich etwas schade, da ihre Figur viele Fragen aufwirft und ich gerne mehr von ihren Hintergründen erfahren hätte. Das Leben von Frauen, die eine Beziehung mit einem gewalttätigen Mann führen, ist komplexer, als es auf den ersten Blick scheint. Am gruseligsten waren die Beschreibungen der Entwicklung des Bruders, zu dem das Mädchen eine bedingungslose Geschwisterliebe empfindet

Manche Szenen und Elemente mochte ich nicht so gerne. Da ist zum Beispiel eine Sexszene, die ich abstoßend fand. Sie war zwar einvernehmlich, aber trotzdem auf sehr einseitige Befriedigung ausgelegt und die Konstellation der beiden Menschen ging für mich gar nicht. Das Ende ist gut, ich habe atemlos das Buch zugeschlagen und konnte kaum fassen, wie spannend es war, was ich da gerade gelesen hatte. Trotzdem gibt es diese eine Sache, die nicht ganz zum Rest passt. Die Autorin spielt hier mit einer Möglichkeit, die zwar im übertragenen Sinne sehr schön ist und Hoffnung gibt, aber doch ein paar Zweifel übrig lässt.


Fazit

Eine Geschichte, die an Grenzen geht, die auch im wirklichen Leben sehr wohl sehr oft übertreten werden. Durch die kindliche Wahrnehmung wird die brutale Realität in dieser Familiengeschichte zu einer Jagd auf Leben und Tod. Große Leseempfehlung zu diesem spannenden Roman!