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Veröffentlicht am 10.01.2021

Weniger Krimi, aber historisch faszinierend

Im schwarzen Wasser
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REZENSION – Vor einem Jahrzehnt hatte Petra Oelker (73) ihre um das Jahr 1770 in Hamburg spielende Kriminalreihe mit dem zehnten Band „Die Nacht des Schierlings“ abgeschlossen. Nun folgte doch noch mit ...

REZENSION – Vor einem Jahrzehnt hatte Petra Oelker (73) ihre um das Jahr 1770 in Hamburg spielende Kriminalreihe mit dem zehnten Band „Die Nacht des Schierlings“ abgeschlossen. Nun folgte doch noch mit „Im schwarzen Wasser“ ein elfter Band, der trotz zehnjähriger Schreibpause chronologisch an den Vorgängerband anschließt und wieder mit einem Mord beginnt.
Im Mai 1774 wird in der Gerberei an der Kleinen Alster – damals ein See südlich der Binnenalster, heute nur noch ein schmaler Fleet am Rathausmarkt – der Leichnam eines jungen Mannes in der Lohebrühe gefunden. Niemand kennt den Fremden, der sich erst seit wenigen Tagen in der Stadt aufhielt und sich als Erfinder ausgab. Wem mag dieser Unbekannte nach nur wenigen Tagen schon im Weg gewesen sein? Weddemeister Wagner kommt bei der Aufklärung dieses geheimnisvollen Falles nicht voran.
Wer nun in Oelkers Roman einen echten Krimi erwartet, dürfte bald enttäuscht sein. Denn spannend ist „Im schwarzen Wasser“ nicht unbedingt. Der Weddemeister, den man als Vorgänger heutiger Kriminalkommissare sehen kann, geht seiner Arbeit eher lustlos nach, und die Ermittlung tritt in der nachfolgenden Handlung fast völlig in den Hintergrund. Erst im letzten Fünftel dieses 400-Seiten-Romans nimmt der Kriminalfall wieder Fahrt auf, endet dann aber unerwartet. Die eigentlichen Hintergründe, die letztlich zur Lösung des Falles geführt haben, erfahren wir von der Autorin, fast als seien sie Nebensache, in einem kurzen, abschließenden Rückblick. Dieser Roman ist also keineswegs, wie vom Verlag irreführend angegeben, ein Krimi, stattdessen aber eine lebensechte Alltagsschilderung des Lebens und Arbeitens im aufstrebenden Hamburg zur Zeit des Wandels von der mittelalterlichen Hansestadt in die neuzeitliche vorindustrielle Handels- und Hafenstadt.
So gesehen, ist der Autorin eine faszinierende historische Abhandlung gelungen, die vor allem jenen Lesern gefallen dürfte, die der Stadt Hamburg eng verbunden sind. Aber auch alle anderen geschichtlich interessierte Leser kommen auf ihre Kosten. Oelker beschreibt die Arbeit eines Gerbers und der Stadtleichenfrau ebenso wie die eines Stadtphysikus. Wir erfahren viel über das noch kleine Hamburg mit seinen engen und schmutzigen Gassen, bemerkenswerten Gebäuden und Institutionen, das außerhalb seiner kreisförmigen Stadtmauer im Osten noch von riesigen Gärten und Äcker (heute St. Georg) umgeben ist, im Westen von innerstädtisch störendem Gewerbe wie Tran-Brennereien und Bordellen (heute St. Pauli). Neben fiktiven Figuren begegnen uns, geschickt in die Handlung eingebunden, reale Persönlichkeiten jener Zeit.
Reine Krimi-Leser werden bei „Im schwarzen Wasser“ kaum auf ihre Kosten kommen, dient der Mordfall doch nur als Auftakt zu einer interessanten Alltagsschilderung Hamburgs im Jahr 1774. Manche Seite überliest man vielleicht auch etwas schneller, wenn die Autorin in ihrer Beschreibung allzu kleinteilig wird. Doch überwiegend beschreibt Petra Oelkers dieses alltägliche, eigentlich unspektakuläre Leben der Hamburger Arbeiter und Bürger sowie die Atmosphäre und Stimmung jener Zeit so wirklichkeitsnah sowie ihre so verschiedenen Figuren und deren Hausgemeinschaften so bezaubernd, dass man bei der Lektüre dieses leicht lesbaren und gut unterhaltenden Romans fast glauben könnte, selbst durch die nächtliche Mattentwiete zu laufen, dem Stadtphysikus beim Sezieren im Anatomischen Theater zuzuschauen oder inmitten der Arbeiter beim Bier im Eschenkrug oder der Kaufleute beim Mocca in Jensens Kaffeehaus zu sitzen.

Veröffentlicht am 02.01.2021

Packende Familiensaga zum Thema Umweltschutz

Das Flüstern der Bäume
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REZENSION – Nach seinem gleich für den kanadischen Giller Prize nominierten Romandebüt „If I fall, if I die“ (2015) wurde nun mit „Das Flüstern der Bäume“ der zweite, ebenfalls für den höchstdotierten ...

REZENSION – Nach seinem gleich für den kanadischen Giller Prize nominierten Romandebüt „If I fall, if I die“ (2015) wurde nun mit „Das Flüstern der Bäume“ der zweite, ebenfalls für den höchstdotierten Literaturpreis Kanadas nominierte Roman von Michael Christie verdient auf Deutsch übersetzt. Es ist die über vier Generationen überaus spannend erzählte Familiengeschichte der Greenwoods, die im Zukunftsjahr 2038 beginnend bis ins Jahr 1908 zurückreicht. Doch im Kern dieser ungewöhnlichen Familiensaga mit ihren problematischen Schicksalen geht es eigentlich um Umweltschutz, um die Ausbeutung der Natur durch den Menschen, den Klimawandel und das aktuelle Baumsterben.
Christie vergleicht die Familie mit einem Wald. Ähnlich solcher Ansammlung von Bäumen, die durch Wurzelwerk miteinander verbunden sind, ist für den Autor auch die Familie ein Verbund von Einzelwesen wie „im Wind hilflos kreiselnde Samen“ - hilflos kreiselnd wie jeder Greenwood zu seiner Zeit, doch alle schicksalshaft verbunden mit den Wäldern Kanadas. Christies Geschichte beginnt in nicht allzu ferner Zukunft des Jahres 2038. Papier ist schon Mangelware und Bücher sind wertvolle Raritäten. Die junge Botanikerin Jacinda Greenwood arbeitet als Naturführerin auf Greenwood Island, einer wegen ihrer jahrhundertealten Bäume geschützten Insel, „der höchsten Konzentration von Biomasse auf dem gesamten Planeten“. Reiche Festlandbewohner pilgern zur Erholung in diese Oase, denn auf dem Festland sind „so viele der großen Bäume nun verschwunden, ersetzt durch vollklimatisierte Türme aus Glas und Stahl“. Der Sandstaub über dem dürren, ausgetrockneten Festlandboden macht das Leben im Freien fast unmöglich, viele Bewohner leiden an Asthma. Doch selbst diese sauerstoffreiche Insel dient unter dem täuschenden Etikett des Umweltschutzes mit dem Angebot des „Waldbadens“ als Pilgerstätte der „Baumunterhaltungsbranche“ längst der kommerziellen Nutzung durch die Großindustrie.
Jacinda Greenwood ist vaterlos aufgewachsen, weiß nichts von ihren Vorfahren. Erst das kürzlich aufgefundene Tagebuch ihrer Urgroßmutter ist für sie Auslöser, sich intensiver mit der Familiengeschichte zu befassen. Wie an den Jahresringen einer Baumscheibe von außen zum innersten Kern führt uns der Autor aus dem Jahr 2038 generationsweise zurück in die schicksalshaften Zeiten des umweltzerstörenden „großen Welkens“ (2008), weiter durch die Hippie-Ära und Zeit der Protestbewegung (1974) sowie die Jahre der Weltwirtschaftskrise (1934) bis ins Jahr 1908. Damals wurden zwei Waisenjungen kurzerhand zu Brüdern erklärt, denen man den Namen Greenwood gab. Über die Jahresringe geht es dann wieder von innen nach außen zurück ins Jahr 2038. Wir lernen die Vertreter der Greenwood-Generationen – die junge Jacinda, ihren Vater Liam, Großmutter Willow bis zu Harris und Everett kennen – und für jeden ist der Wald auf Greenwood Island bedeutsam als Ort des Überlebens, als Versteck, für das persönliche Glück oder Unglück. Autor Michael Christie, der selbst mit seiner Familie auf einer kanadischen Insel in einem selbst gezimmerten Holzhaus lebt, schildert anhand der teilweise ergreifenden Schicksale seiner Protagonisten den noch vor Jahrzehnten als selbstverständlich hingenommenen Raubbau an der Natur und das viel zu spät einsetzende Umdenken bis auch die letzten Oasen gesunder Natur zu schwinden scheinen.
„Das Flüstern der Bäume“ ist eine empfehlenswerte, packend geschriebene Familiensaga mit äußerlich stark erscheinenden, doch in ihren verborgenen Schwächen berührenden Charakteren. Michael Christie weiß trotz seiner ängstigenden Botschaft mit seinem Roman durchaus auch zu unterhalten. Nur am Ende bleibt ein mulmiges Gefühl zurück: Kann das Baumsterben noch aufgehalten und die Natur gerettet werden? Der Autor bleibt uns die Antwort schuldig.

Veröffentlicht am 25.12.2020

Spannender, auch informativer Politthriller

Final Control
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REZENSION – Die heftige Debatte um den Einsatz chinesischer Technologie beim Ausbau des deutschen 5G-Mobilfunknetzes oder der drohende Austritt des bankrotten Staates Italien aus der Europäischen Union ...

REZENSION – Die heftige Debatte um den Einsatz chinesischer Technologie beim Ausbau des deutschen 5G-Mobilfunknetzes oder der drohende Austritt des bankrotten Staates Italien aus der Europäischen Union sind nur zwei Themen, die in dem im Oktober im Droemer-Taschenbuchverlag veröffentlichten Politthriller „Final Control“ des deutschen Bestseller-Autors Veit Etzold (47) behandelt werden. Es geht um Datenschutz, Datenkontrolle und digitale Überwachung, um die globale Vernetzung, die Lenkung des internationalen Finanzmarktes durch legalen Einsatz ebenso wie durch Missbrauch digitaler Technik sowie um die technologische Vormachtstellung in der Welt. Dabei sieht der Autor die Volksrepublik China zweifelsfrei als Gewinner, die USA als Mitbewerber, Europa als Verlierer und Deutschland auf der Stufe eines Entwicklungslandes.
Veit Etzold stellt die mögliche Nutzung digitaler Technik in allen Lebens- und Arbeitsbereichen in das Spannungsfeld zwischen den Extremen der totalen Überwachung und des totalen Chaos. Sein junger Protagonist Tom, ein deutscher Start-Up-Unternehmer mit Firmensitz in der chinesischen Stadt Shenzhen, braucht dringend einen Investor und gerät an den Milliardär Dairon Arakis. Zu spät erkennt Tom, welche Rolle Arkadis spielt, und gerät schnell zwischen die Fronten. Über ein Hedge-Fonds-Konsortium treibt Arkadis italienische Banken und letztlich auch den italienischen Staat in den Bankrott und schürt bürgerkriegsähnliche Unruhen nicht nur in Italien, da die anderen europäischen Staaten über den Europäischen Ausgleichsfonds gleichfalls betroffen sind und in den finanziellen und wirtschaftlichen Abgrund zu stürzen drohen. Unruhen in der Bevölkerung lassen sich nur durch totale Überwachung verhindern, wie China schon seit Jahren mittels seines Social Credit Systems über die eigene Bevölkerung und vor allem über seine Provinz Xinjiang mit der Bevölkerungsgruppe der islamistischen Uiguren wacht. In dieser chaotischen Situation bietet nun ausgerechnet Arakis den Einsatz chinesischer Sicherheitstechnologie zur Überwachung und Kontrolle an.
Als internationaler Unternehmensberater und Mitglied der Atlantik-Brücke und der Global Bridges verfügt Veit Etzold über das für diese Themen erforderliche Fachwissen. Doch birgt eben diese Detailkenntnis auch Gefahren für den Autor, der sein komplexes Wissen im Roman unterbringen will, und für die im Detail überforderte Leserschaft. So ist der Roman eineseits spannend zu lesen und durch seine kurzen, an wechselnden Schauplätzen der Welt spielenden Kapitel ein echter Pageturner, den man kaum aus der Hand legen mag, da immer wieder das nächste Kapitel lockt. Doch ist die Handlung andererseits an manchen Stellen auch unglaubwürdig, wenn ausgewiesene Experten ihrer Branche sich in Dialogen gegenseitig fachspezifische Zusammenhänge erklären, die sie doch vor allen anderen kennen sollten. Hier erweist sich der Autor gegenüber seinen Lesern zu sehr als „Oberlehrer“. Auch sind Wiederholungen einzelner Aspekte in wechselnden Dialogen ebenso überflüssig wie die wiederholte Aussage, dass Deutschland auf der Stufe eines digitalen Entwicklungslandes steht. Traut der Autor uns nicht zu, dies schon beim ersten Mal verstanden zu haben?
Sieht man allerdings von derlei Schwächen ab, ist Etzolds Roman ein durchaus spannender, für Laien sogar informativer Thriller über die objektiven Vorteile, aber eben auch über die Möglichkeiten des Missbrauchs digitaler Technik. „Final Control“ warnt vor totaler Datenkontrolle und Überwachung der Menschen. War dies in George Orwells bereits 1948 veröffentlichtem Roman „1984“ noch eine dystopische Vision, ist totale Überwachung in Etzolds Politthriller schon Realität. Wir sind uns dessen nur noch nicht bewusst.

Veröffentlicht am 21.12.2020

Eher ein feinsinnig-philosophischer Roman als ein Krimi

Barbarotti und der schwermütige Busfahrer
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REZENSION – Eigentlich hatte der schwedische Schriftsteller Håkan Nesser (70) seine erfolgreiche Reihe um Kriminalinspektor Gunnar Barbarotti mit dessen fünftem Fall „Am Abend des Mordes“ (2012) abschließen ...

REZENSION – Eigentlich hatte der schwedische Schriftsteller Håkan Nesser (70) seine erfolgreiche Reihe um Kriminalinspektor Gunnar Barbarotti mit dessen fünftem Fall „Am Abend des Mordes“ (2012) abschließen wollen. Doch nach vier anderen Romanen und einem Gastspiel Barbarottis in Nessers Krimi „Der Verein der Linkshänder“ (2018) aus seiner Van-Veeteren-Reihe veröffentlichte er mit „Barbarotti und der schwermütige Busfahrer“, im September im btb-Verlag erschienen, nun doch nach acht Jahren noch einen weiteren Band. War es der Zwang des Erfolges oder die Liebe des Autors zu seinem liebenswerten Protagonisten?
Fast möchte man Letzteres vermuten. Der Tod seiner Frau und einige Jahre erfolglos verheimlichter Liaison mit seiner Kollegen Eva Backman – beide um die 50 Jahre alt, er etwas drüber, sie etwas jünger – liegen schon länger zurück. Beide leben seit drei Jahren in seiner Villa in Kymlinge zusammen. Nach einem missglückten Einsatz, bei dem Eva einen Jugendlichen erschoss, hat sich das Paar während der internen Ermittlung eine zweimonatige Auszeit in der herbstlichen Abgeschiedenheit der Insel Gotland genommen, um seelischen Abstand zu gewinnen. Doch selbst in dieser Einöde werden Barbarottis kriminalistischen Instinkte geweckt, als er eines Abends in einem Fahrradfahrer jenen rätselhaften Busfahrer Albin Runge zu erkennen glaubt, der fünf Jahre nach seinem Verkehrsunfall im Januar 2007, bei dem 17 Schüler und eine Mutter starben, nach mehrwöchiger Erpressung das Opfer eines Verbrechens wurde. Barbarotti und Backman rollen diesen geheimnisvollen Mordfall des Jahres 2012 nun erneut auf, um nach möglichen Ermittlungsfehlern zu suchen.
Ist es die Abgeklärtheit seines Alters? Im sechsten Barbarotti-Band des mittlerweile 70-jährigen Håkan Nesser spielt jedenfalls der eigentliche, irgendwann vom Leser sogar durchschaubare Kriminalfall eine eher hintergründige Rolle. Wichtiger scheint dem Autor sein Protagonist zu sein – der inzwischen zum Kommissar beförderte Gunnar Barbarotti, den Nesser mit liebevollen und gelegentlich auch ironischen Charakterisierungen bei seinen Ermittlungen auf Gotland mit Rückblenden ins Jahr 2012 begleitet. Nessers Barbarotti ist keineswegs der knallharte Ermittler, sondern „das blinde Huhn, das links und rechts und wo kein anderer sie wahrnahm wertvolle Körner findet“, und manchmal auch hilfloser Mann, der hin und wieder mit Gott spricht. Denn „wenn die Körner weit auseinanderliegen, braucht auch ein blindes Huhn Verbündete“. Barbarotti ist ein durch den Tod seiner geliebten Ehefrau ein vom Leben geprüfter, im Leben erfahrener und nachdenklich gewordener Mann geworden.
Wer also in „Barbarotti und der schwermütige Busfahrer“ einen spannungsgeladenen Krimi erwartet, wird enttäuscht. Aber gerade die scheinbar leichten und leisen Töne in Barbarottis philosophischen Betrachtungen und der mal fast albern klingende, mal lebenskluge Humor in den Zwiegesprächen mit Eva Backman machen diesen Roman so lesenswert, wenn Barbarotti zum Beispiel überlegt: „Die eigene Bestattung erlebt man ja nicht so wirklich, was wahrscheinlich ganz gut ist.“
Für diese feinen, ironischen Töne muss man als Leser offen sein, um Håkan Nessers Roman richtig wertschätzen zu können. Wobei sogar der Autor sich selbst nicht schont, wenn zum Beispiel sein Protagonist fragt, wieso und wovon Menschen auf Gotland das ganze Jahr über lebten, „wenn sie nicht schon das Rentenalter erreicht hatten oder gut verkäufliche Kriminalromane schrieben“. Denn auch der schriftstellernde Rentner Håkan Nesser gehört mit zweitem Wohnsitz zu diesen Menschen auf Gotland.

Veröffentlicht am 18.12.2020

Spannender Politkrimi nach wahrer Begebenheit

Die Krieger
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REZENSION – Der Brandanschlag auf die Münchner Diskothek „Liverpool“ am 7. Januar 1984 mit anschließenden Ermittlungen liefern den Hintergrund zu dem im November im Dumont Buchverlag veröffentlichten Krimi ...

REZENSION – Der Brandanschlag auf die Münchner Diskothek „Liverpool“ am 7. Januar 1984 mit anschließenden Ermittlungen liefern den Hintergrund zu dem im November im Dumont Buchverlag veröffentlichten Krimi „Die Krieger“ des deutschen Schriftstellers und Drehbuch-Autors Martin Maurer (52). Es ist der Auftakt einer Krimireihe um den verwitweten 43-jährigen Kommissar Nick Marzek, der kürzlich aus Berlin zur Münchner Mordkommission versetzt wurde.
Der Diskotheken-Brand im Münchner Bahnhofsviertel forderte Verletzte und eine Tote. Erste Indizien deuten auf einen Revierkampf im Rotlicht-Milieu hin. Doch dann wird den Ermittlern von italienischen Kollegen ein Bekennerschreiben mit Runen und Hakenkreuz einer bislang unbekannten „Gruppe Ludwig“ übermittelt. Nick Marzek wird zu weiteren Nachforschungen nach Norditalien geschickt. Als Dolmetscherin muss er mit Graziella Altieri vorliebnehmen, der Reinigungskraft des Kommissariats.
In seinem Krimi bindet der Autor die bis in kleinste Einzelheiten reichenden Fakten und Hintergründe des realen Kriminalfalles in eine teils spannende, teils auch amüsante Rahmenhandlung um Kommissar Nick Marzek und Putzfrau Graziella ein. „Ich soll mit unserer Putzfrau nach Mailand fahren?“, ist der Ermittler anfangs entsetzt. Sein Entsetzen steigert sich sogar noch, als er feststellen muss, dass Graziella kaum lesen und schreiben kann. Doch schnell spürt er, dass sie ihm mit ihrer Lebenserfahrung, ihrer Kenntnis italienischer Mentalität sowie ihrem Ehrgeiz, sich nun beweisen zu müssen, eine wertvolle Stütze in der Ermittlungsarbeit ist. Dass Nick und Graziella während ihres Italien-Aufenthalts auch im Doppelbett landen – beide allerdings eher zwangsläufig als freiwillig –, ihre kurze Affäre jedoch vor der Rückkehr in München zu beenden scheinen, lässt Raum für Spekulation und eine Fortsetzung.
Raum für Spekulation lässt auch das bisher gesammelte Wissen um die Terrorgruppe Ludwig. Es ist zwar erwiesen, dass die beiden etwa 25-jährigen Wolfgang Abel und Marco Furlan den Brandanschlag in der Münchner Diskothek tatsächlich verübt haben, und dass in den zehn Jahren zuvor in Italien mindestens zehn Mordanschläge auf Personen aus der Rotlicht- und Drogenszene auf das Konto der Terrorgruppe gehen. Doch bis heute sind die mutmaßlichen Hintermänner unbekannt.
Maurers Krimi beginnt in seiner Rahmenhandlung etwas langsam und klischeehaft: Berliner Kommissar versinkt nach dem Freitod seiner Frau im Alkoholsumpf, beginnt dank eines befreundeten Kollegen in München ein neues Leben und trifft in seiner Einsamkeit auf burschikose Italienerin. Doch dann wird es spannend, kommt immer mehr Tempo auf. Der Autor versteht es, die nackten Fakten der zurückliegenden Mordfälle in Italien sowie die komplexen Hintergründe zur Gruppe Ludwig verständlich aufzubereiten und lesbar zu machen, ohne zu langweilen oder durch die Vielzahl an Fakten zu verwirren.
Wie schon in seinem ersten Politthriller „Terror“ (2011) entwickelt sich auch Maurers neuer Krimi „Die Krieger“ gegen Ende zu einem Politthriller. Wieder geht es um reale Fälle terroristischer und politischer Netzwerke in Italien, deren Spuren vereinzelt bis nach Deutschland reichen – ein Thema, in dem sich der Autor, der wechselnd in beiden Ländern lebt, auszukennen scheint. Ob dies allerdings für eine geplante Krimireihe ausreicht, bleibt abzuwarten. Als Einzelwerk ist Maurers Krimi „Die Krieger“ jedenfalls eine spannende Lektüre, die nicht wenige Leser zu weiteren Nachforschungen über die Gruppe Ludwig im Internet verleiten dürfte.