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Veröffentlicht am 05.01.2021

Zweifle' nicht

Never Doubt
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Ich war in meinem Leben nicht oft im Theater und wenn, dann hat es mir meistens nicht gefallen. Vielleicht kann man mich als Theaterbanause bezeichnen. Nach dem Lesen von „Never Doubt“ habe ich jedoch ...

Ich war in meinem Leben nicht oft im Theater und wenn, dann hat es mir meistens nicht gefallen. Vielleicht kann man mich als Theaterbanause bezeichnen. Nach dem Lesen von „Never Doubt“ habe ich jedoch zum ersten Mal das dringende Bedürfnis etwas daran zu ändern. Das Buch hat mir nämlich so gut gefallen, dass ich jetzt gerne eine so leidenschaftliche Shakespeare-Aufführung sehen würde, wie sie in der Geschichte aufgeführt werden.

Inhalt:
Willow wurde vergewaltigt und hat es niemandem gesagt. Es ist auf ihrer eigenen Party, in ihrem eigenen Bett passiert und der Täter ist der Sohn des Chefs ihres Vaters. Seitdem ist nichts mehr so wie vorher. Willow ist innerlich zerbrochen und auch nach außen hin zerfällt ihr Leben immer weiter. Als ihre Eltern mit ihr von New York ins provinzielle Harmony, Indiana, ziehen, sollte sie es eigentlich hassen, doch in Wirklichkeit bietet sich ihr zum ersten Mal die Gelegenheit vor ihren inneren Dämonen zu fliehen.
In Harmony trifft sie auf Isaac Pearce. Er ist das Schwarze Schaf der Stadt. Die Mutter ist tot, der Vater ein hochverschuldeter Alkoholiker und Isaacs Schulkarriere ein Desaster. Aber auf der Bühne des städtischen Theaters von Harmony, da ist er ein Star mit alles überstrahlendem Talent, weil er dann mit den Worten Shakespeares von seinem eigenen Schmerz erzählen kann.
Als Willow ihn spielen sieht, will sie genau das auch und so kommt es, dass die beiden schon bald gemeinsam in Shakespeares Hamlet auf der Bühne stehen. Die gemeinsame Arbeit an Hamlet zeigt Willow und Isaac jedoch schnell, dass sie nicht nur das Theater sondern auch einander brauchen, damit ihre Wunden heilen können.

Meine Meinung:
Ich zögere meistens, wenn es um Bücher geht, die so schwierige Themen behandeln wie „Never Doubt“. Zu groß erscheint mir die Gefahr, dass die Geschichte entweder dem Stoff nicht gerecht wird oder aber so düster ist, dass ich nicht gut damit umgehen kann.
Das war bei diesem Buch von Emma Scott komplett unbegründet.
Obwohl Willow und ihr Verhalten nach der Vergewaltigung, ihr Schmerz, ihr innerer Kampf und ihre Leere sehr tiefgehend und realitätsnah dargestellt wurden, war das Buch voller Hoffnung.
Hoffnung darauf, dass auch nach den dunkelsten Zeiten wieder helle folgen werden. Dass es besser wird. Dass das Leben und die vielen guten Dinge, die es bereithalten kann, heilsam sein können.
Die Geschichte ist sehr emotional. Ich hatte mehr als einmal Tränen in den Augen. Vor allem gegen Ende hin. Die zweite Hälfte des Buchs habe ich an einem Tag gelesen, weil ich es gar nicht mehr aus der Hand legen konnte, so sehr habe ich gehofft, dass für die beiden Protagonisten alles gut ausgehen würde.
Man musste sie aber auch einfach mögen: Willow, die so viel verloren hat und Isaac, der es scheinbar einfach nicht schafft zu gewinnen.
„Never Doubt“ war mein erstes Buch von Emma Scott. Ihr Schreibstil ist klar und geradlinig, an den richtigen Stellen aber auch poetisch. Es finden sich immer wieder besondere Stellen, die mich beim Lesen Inne halten und nachdenken lassen.
Was mich aber besonders fasziniert hat, ist die Art und Weise, auf welche die Autorin das Schicksal von Willow und Isaac mit dem Text der alten Theaterstücke verwoben hat. Das war ganz große Kunst! So raffiniert und beeindruckend, dass ich mich frage, wie der Schreibprozess dazu ausgesehen haben muss. War da zuerst die Idee eine Geschichte zu schreiben, die parallel zu einem Spiel von Shakespeare verläuft oder waren da zuerst Willow und Isaac?

„Never Doubt“ enthält einen größeren Zeitsprung. Ich war nicht sicher, wie ich das finden soll. Zuerst war ich irritiert, dann hat es mir extrem gut gefallen. Später habe ich mich gefragt, ob man diesen Sprung wirklich gebraucht hätte. Ob man den Plot nicht auch ganz ähnlich hätte auflösen können, ohne dafür in die Zukunft zu gehen. Mittlerweile bin ich aber überzeugt, dass es nötig war, weil das Ende sonst nicht so „endgültig“ gewesen wäre. Weil es dann auf manche Fragen, vielleicht keine Antwort gegeben hätte. Alles in Allem ist der Schluss von „Never Doubt“ nämlich phänomenal. Genau das, was ich mir erhoffe, wenn ich ein Buch anpacke.
Jemand anderes könnte vielleicht argumentieren, dass ein paar Aspekte daran zu schön waren um wahr zu sein. Aber ich persönlich suche genau danach, wenn ich Bücher lese. Nach einer Welt, in der man sich auf Versprechen verlassen kann und in der es Gerechtigkeit gibt. Das bietet dieses Buch.

Fazit:
„Never Doubt“ ist auf sehr vielen Ebenen absolut großartig und ich habe einen riesigen Respekt vor einer Autorin, die dieses schwere Thema so künstlerisch und tatsächlich auch „schön“ umgesetzt hat. Ein ganz kleiner Störfaktor waren für mich die Stereotype an Willows Highschool. Diese typischen Gruppierungen wie die „Plastics“ oder Sportler lese ich gar nicht gerne. Das nimmt der Geschichte ein bisschen an ihrer Tiefe für mich. Aber das soll nur mein persönlicher Geschmack sein. „Never Doubt“ ist für jeden, der dramatische und gefühlvolle Liebesromane mag, eine Pflichtlektüre.

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Veröffentlicht am 23.12.2020

Fantastisch - im wahrsten Sinne des Wortes!

Die Tiermagierin – Schattentanz
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„Schattentanz“ ist der erste Band der Tiermagierin-Triologie und das beste Fantasybuch, das mir im Jahr 2020 untergekommen ist. Ich lese in den letzten Jahren immer weniger Fantasy, weil ich in meinem ...

„Schattentanz“ ist der erste Band der Tiermagierin-Triologie und das beste Fantasybuch, das mir im Jahr 2020 untergekommen ist. Ich lese in den letzten Jahren immer weniger Fantasy, weil ich in meinem Kopf bei jedem dieser Bücher Vergleiche zu „Das Reich der sieben Höfe“ ziehe. Und da kann eine Geschichte beinahe nur verlieren! Aber diese hier ist anders. Sie besticht auf so vielfältige Art und Weise. Ich konnte gar nicht anders als sie zu lieben.

Inhalt:
Leena ist eine Tiermagierin. Sie verfügt über eine bestimmte Art der Magie, die es ihr möglich macht mystische Tierwesen zu zähmen. Nach einem blutigen Krieg lebt das Volk der Tiermagier in einer geheimen Stadt. Aus dieser wurde Leena vor Jahren verbannt, weil man ihr fälschlicherweise vorgeworfen hat Experimente an Tierwesen durchgeführt zu haben - eines der schwersten Verbrechen, das ein Tiermagier begehen kann. Seitdem muss sie sich allein durch’s Leben schlagen und einen Teil ihrer geliebten Tierwesen an zwielichtige verkaufen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Noc ist ein Assassine, ein untoter Mörder. Der Anführer einer Gilde von Kopfgeldjägern, der den Auftrag erhalten hat, Leena zu töten. Wenn Noc einen Auftrag annimmt, dann bedeutet das: Sein Leben oder das seines Opfers. Das lässt Leena scheinbar keine Chance. Aber da ist auch ein uralter und geheimnisvoller Fluch, der auf Noc lastet. Ein Fluch, der - so hofft er - von einem Tierwesen gebrochen werden kann. Deswegen lässt er sich auf einen Handel mit Leena ein.

Meine Meinung:
„Schattentanz“ ist wirklich so viel mehr als ich erwartet hatte. Die Autorin hat sich eine einzigartige Welt voller spannender Ideen ausgedacht. Der Schreibstil ist außergewöhnlich und zeitweise poetisch. Die Szenen sind atmosphärisch und sehr detailreich beschrieben. Die Darstellung der Tierwesen ist so liebevoll ausgearbeitet, dass ich beim Lesen tatsächlich dieses alte „Ich will es“ - Gefühl hatte, das man aus der Kindheit kennt, wenn man irgendwo einen niedlichen Hund sieht. Ich dachte, da wäre ich rausgewachsen!
Trotzdem ist „Schattentanz“ keineswegs ein niedliches Buch. Es ist voller Abenteuer, rasant und manchmal auch brutal. Es hat einen hohen, dichten Spannungsbogen, der sich immer weiter steigert und dem Leser kaum Pausen lässt.
Das Setting ist nicht so mittelalterlich, wie ich ursprünglich angenommen hatte. Es erinnert mich mehr ans 19. Jahrhundert. Pokemon im 19. Jahrhundert, wenn ich einen direkten Vergleich wagen müsste.
Die Charaktere gewinnt man im Laufe der Geschichte immer weiter lieb. Sie sind so angelegt, dass man wirklich mit ihnen mitfiebern kann. Sie machen Fehler und bleiben trotzdem authentisch und sympathisch. Ihr Handeln war in den aller meisten Situationen nachvollziehbar dargestellt, wenn auch nicht immer sinnvoll und zielführend. Aber wer handelt schon immer sinnvoll und zielführend?
Vor allem Leena mochte ich sehr. Sie ist eine Kombination aus reinem, gutherzigen Menschen und einer Kämpferin, die alles tut, was nötig ist, um sich selbst und das, was ihr wichtig ist, zu verteidigen. Meiner Erfahrung nach liest man diese Mischung im Fantasy-Genre gar nicht so oft.
Noc und Leena sind ein ausgesprochen schönes Liebespaar. Die Chemie zwischen ihnen stimmt. Ich konnte nachvollziehen, was sie zueinander hinzieht und warum sie sich ineinander verliebt haben. Vielleicht wurde ein kleines bisschen zu oft erwähnt, dass Noc, seine Augen und seine Schatten „obsidianschwarz“ sind. Darüber lässt sich aber hinwegsehen.

Ich habe an unterschiedlicher Stelle immer wieder Kritik am deutschen Cover der Reihe gelesen. Diese teile ich überhaupt nicht. Mir gefällt es sehr gut. Es wirkt edel, reduziert und für Gold bin ich überhaupt immer zu haben.
Außerdem ist das Buch im Inneren sehr liebevoll und detailreich gestaltet. Ich mochte die bunten Landkarten in der Broschur und ganz besonders Leenas Bestiarum auf den letzten Seiten. Hier finden sich weitere Informationen zu den Tierwesen, die im Buch eine Rolle spielen. Teilweise gibt es sogar Zeichnungen, damit man sie sich besser vorstellen kann.

Fazit:
Ich erteile eine uneingeschränkte Leseempfehlung für diese Buchreihe. „Schattentanz“ ist Romantasy vom aller Feinsten und eines meiner Highlights zum Jahresabschluss. Ich werde die Reihe ganz bestimmt weiterverfolgen und freue mich schon auf die Folgebände 2021. Wenn man den Klappentext liest, lässt sich noch nicht erahnen, welche fantastische Welt sich dahinter verbirgt. Wenn man also mit dem Genre an sich etwas anfangen kann, sollte man diese Geschichte unbedingt gelesen haben!

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Veröffentlicht am 08.12.2020

Die Stern-Bringer

Wie ein Leuchten in tiefer Nacht
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Jojo Moyes ist seit „Ein ganzes halbes Jahr“ eine meiner meistgelesenen Autorinnen. Ihre Bücher haben einen ganz eigenen Stil, eine eigene Tiefgründigkeit und behandeln jedes Mal relevante Themen, die ...

Jojo Moyes ist seit „Ein ganzes halbes Jahr“ eine meiner meistgelesenen Autorinnen. Ihre Bücher haben einen ganz eigenen Stil, eine eigene Tiefgründigkeit und behandeln jedes Mal relevante Themen, die das Leben von Frauen in der Gegenwart oder der Vergangenheit prägen.
„Über uns der Himmel, unter uns das Meer“ ist mein absolutes Lieblingsbuch von ihr, deswegen war es von Beginn an klar, dass ich auch „Wie ein Leuchten in tiefer Nacht“ lesen würde. Immerhin nimmt sie sich hier wieder einer historischen Tatsache an und erzählt darauf beruhend eine fiktionale Geschichte.

Inhalt:
USA, Kentucky, die 1930er Jahre: Eine Gruppe unerschrockener Frauen hat es sich in der abgelegenen Kleinstadt Baileyville zur Aufgabe gemacht einem Projekt der First Lady folgend eine mobile Bibliothek zu gründen. Da es in und um Baileyville viele Menschen gibt, die aufgrund ihrer körperlichen Einschränkungen oder aber wegen ihres abgelegenen Wohnorts keine Bibliothek besuchen können, reiten die Frauen bei Wind und Wetter auf Pferden oder Maultieren durch die Berge und bringen die Bücher zu ihnen nach Hause. Bei den Bewohnern Baileyvilles stoßen sie dabei auf viel Widerstand. Die Stadt ist geprägt von starren Konventionen und Geschlechterrollen, denen die Packhorse Library in vielerlei Hinsicht nicht nachkommt.
Eine der Frauen ist die Engländerin Alice. Sie stammt aus einer wohlhabenden Familie und ist dennoch eine Außenseiterin in der Gesellschaft, in die sie geboren wurde. Sie verliebt sich in Bennett, einen jungen Amerikaner, oder glaubt es zumindest. Um den Zwängen ihrer Herkunft zu entfliehen, folgt sie ihm in seine Heimat. Doch dort werden all ihre Hoffnungen zu Nichte gemacht. Ihr Schwiegervater ist nicht nur ein reicher Minenbesitzer sondern auch ein Tyrann, in dessen Haus sie fortan leben muss. Gleichzeitig hat Bennett keinerlei Interesse an körperlicher oder emotionaler Nähe zu ihr. Erst als Alice beginnt für die Packhorse Library Bücher auszuliefern, das neue Land auf eigene Faust zu erkunden und Freundschaft zu den anderen Frauen zu schließen, findet sie langsam zu sich selbst.
Außerdem ist da Margery O’Hare, eine unverheiratete und alleinlebende Frau aus einer verrufenen Familie, die verwegen ist und es wagt sich gegen die Geschlechterklischees aufzulehnen. Sie und ein paar weitere, durchweg liebenswerte Charaktere, die alle auf ihre Art gegen die Fesseln ihrer Zeit zu kämpfen haben, machen die Packhorse Library zu einem ganz besonderen Ort.

Meine Meinung:
„Wie ein Leuchten in tiefer Nacht“ ist in erster Linie kein Liebesroman, sondern ein Buch über Freundschaft und über’s Frausein in einer Zeit, in der Menschen allein wegen ihres Geschlechts extrem limitierte Möglichkeiten hatten.
Es hat mir unglaublich gut gefallen, wie gekonnt die Nebenhandlungen mit der Hauptgeschichte verwoben wurden. Das Schicksal jeder einzelnen Bibliothekarin wurde auf seine Weise erzählt. Keine von ihnen war nur ein plumper Nebencharakter. Sie alle hatten ihre Daseinsberechtigung und sie alle haben gleichermaßen versucht ihre Grenzen zu überwinden. Dabei ging es um Familie, um Ansehen, um Rassismus, um Trauer und schließlich auch um Recht. Gerade diesen Teil fand ich besonders gelungen, weil das Schwarz-Weiß-Denken der Gesellschaft daran so gut deutlich wurde. Auch heute findet man schließlich immer noch diese Denkweisen, dass man Frauen in vorgefertigte Rollenbilder einteilt: das gute und das böse Mädchen, der unschuldige Engel und die eiskalte Hexe.
Nicht nur die Freundschaften der Bibliothekarinnen haben mein Herz berührt, sondern auch die Beziehungen, welche die Frauen zu den Empfängern der Bücher aufgebaut haben. Die Bücher der Packhorse Library waren für viele der Menschen die einzige Möglichkeit, um an Bildung zu gelangen, einem tristen Alltag oder einer schwierigen Familiensituation zu entfliehen. Deswegen hat mir auch der englische Originaltitel des Buchs so gut gefallen.
„The Giver of Stars“ - Die Stern-Bringer. Weil Bücher manchmal wie Sterne am Nachthimmel in einer ziemlich dunkeln Realität sind. Aber auch den deutschen Titel finde ich gut gewählt.
Durch den Prolog wurde ein straffer Rahmen geschaffen und je weiter die Handlung voranschritt, desto mehr hat sie an Fahrt aufgenommen. Ab einem gewissen Punkt konnte ich das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen. Die Geschichte hatte Tiefgründigkeit und Spannung, leise und laute Momente und das alles in genau der richtigen Dosis. Aber auch, wer gerne Liebesgeschichten liest, kam auf seine Kosten. Man kann also zusammenfassend sagen: Es hat wirklich an rein gar nichts gefehlt.


Fazit:
„Wie ein Leuchten in tiefer Nacht“ hat mich auf sehr vielen Ebenen berührt. Die Geschichte strahlt so viel Wärme und Menschlichkeit aus und kann definitiv mit „Über uns der Himmel, unter uns das Meer“ konkurrieren. Es handelt sich zweifelsfrei um ein Buch, das man nicht nur einmal liest. Bei mir wird es definitiv nicht das letzte Mal gewesen sein.

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Veröffentlicht am 10.12.2020

Rausch und Melancholie im Neonlicht

City of Girls
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Ich bin schon seit Monaten in den Buchhandlungen um „City of Girls“ herumgeschlichen und habe mich immer wieder dagegen entschieden. Grund dafür waren einige durchschnittliche bis eher schlechte Rezensionen, ...

Ich bin schon seit Monaten in den Buchhandlungen um „City of Girls“ herumgeschlichen und habe mich immer wieder dagegen entschieden. Grund dafür waren einige durchschnittliche bis eher schlechte Rezensionen, die ich im Vorfeld gelesen hatte und mich in Kombination mit dem stolzen Preis von 17€ für ein Paperback immer wieder abschrecken konnten.
Ich kann schon einmal vorweg nehmen: Was bin ich froh, dass mich dieses Buch am Ende doch verführt hat!

Inhalt:
New York, Anfang der Vierzigerjahre:
Nachdem sie wegen schlechter Leistungen vom College geflogen ist, wird Vivian Morris, eine neunzehnjährige Jungfrau aus wohlhabendem und spießbürgerlichem Elternhaus, nach New York zu ihrer Tante Peg verbannt.
Peg Buell ist das Schwarze Schaf der Familie. Sie verfolgt einen exzentrischen Lebensstil und führt ein kleines Theater auf dem Times Square, das mit minderwertigen Vorstellungen gerade so über die Runden kommt und dessen Bewohner und Angestellte lieber dem Nachtleben frönen als sich mit dem Ernst ihrer Zeit zu beschäftigen. Das alles scheint genau das zu sein, wonach sich Vivian ihr ganzes Leben lang gesehnt hat und so stürzt sie sich umgehend und ohne Rücksicht auf Verluste in den Strudel der New Yorker Clubszene. Nun verbringt sie ihre Zeit nicht mehr mit faden College-Studentinnen, sondern mit glamourösen Revuegirls, Tänzern, Schauspielern und - ach ja - Männern, Männern und nochmals Männern. Die Großstadt und Vivians Welt scheinen sich immer schneller und noch schneller zu drehen bis das wilde Treiben plötzlich in einer Katastrophe sein jähes Ende nimmt.

Meine Meinung:
„City of Girls“ wird von der Stimme einer alten Frau erzählt. Es ist Vivian selbst, die am Ende ihres Lebens für eine gewisse Angela ihre Biographie in einen Brief packt. Der Leser erfährt erst sehr spät im Buch, wer genau Angela ist und noch viel wichtiger: Wer Angelas Vater war.
(An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass ich sofort wusste, wer Angelas Vater war. Schon bei seinem ersten Auftritt war es mir klar. Das hat dem Lesevergnügen aber keinen Abbruch getan.)
Der Schreibstil ist wunderbar bildlich, atmosphärisch und in Teilen philosophisch. Man wird mitten hineingezogen in das bunte, lasterhafte New York kurz vor dem zweiten Weltkrieg. New York generell wird so schillernd und organisch beschrieben, dass man sich fast schon grämt, wenn man, so wie ich, noch nie dort war.

Dieses Schillern und der Überfluss an Leben, den der erste Teil der Geschichte vermittelt, wird vom Fischer-Verlag wunderschön im deutschen Cover transportiert. Das Cover muss ich an dieser Stelle noch einmal besonders hervorheben. Es ist für mich mühelos eines der Top Drei Cover 2020. Obwohl die dargestellte Szene nichts direkt mit „City of Girls“ zu tun hat, erinnert sie doch irgendwie an Vivian, ihre Freundin Celia und deren Eskapaden. Vermutlich ist es sogar dieses Cover, das letztendlich den Ausschlag zu meinem Kauf gegeben hat. Ich wollte es einfach unbedingt in meinem Regal sehen.

Die teils so schlechten Rezensionen kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Da ist oft von „langweilig“ die Rede. Für mich war das Buch eher soghaft. Durch die autobiographische Erzählform gibt es natürlich wenig künstlich konstruierte Spannung. Das Buch ist eben wie das Leben selbst, eine Aneinanderkettung von Ereignissen, die sich manchmal gegenseitig bedingen.
Die Protagonisten sind außergewöhnlich und zumeist liebenswert gezeichnet, selbst dann noch, wenn sie objektiv betrachtet keine guten Menschen sind.
Vivian fand ich dabei am spannendsten. Obwohl die jüngere Version von ihr so naiv und in vielerlei Hinsicht auch ziemlich dumm ist, versteht man sie und ihren Wunsch nach Freiheit in dieser doch so engstirnigen Zeit. (Obwohl sie mir zu keinem Zeitpunkt leid getan hat.)
Oft habe ich auch gelesen, dass sich Rezensent*innen über den übermäßigen Fokus auf Vivians Sexualleben beschweren. Dabei gab es wenige explizite Sexszenen, vom Rest wurde nur erzählt und das auch nicht unbedingt der Sexualität wegen, sondern weil Vivians bewusste Entscheidung für ein promiskuitives Leben (entgegen der gesellschaftlichen Normen des frühen zwanzigsten Jahrhunderts) ein wichtiger Teil ihrer Charakterentwicklung ist. Sie hat sich später ja auch in anderen Bereichen vom gängigen Frauenbild ihrer Zeit abgewandt. Außerdem kommt es mir manchmal so vor, als ob es selbst heute noch Menschen gibt, die es sogar einer Buchfigur vorwerfen ein solches Leben zu führen und das finde ich - kurz gesagt - unmöglich.

Wie der Titel schon sagt, legt das Buch seinen Fokus auf die Frauen in der Geschichte. Auf ihre Beziehungen untereinander und zu Männern, welche in den meisten Fällen kaum mehr als Statisten sind. Es geht um die Gefühle von Frauen, um die Bedürfnisse von Frauen und darum zu sein, wer man nun eben ist. Unabhängig davon, wer man vielleicht hätte werden sollen.

Einen kleinen Kritikpunkt am Plot von „City of Girls“ habe ich: Nachdem die große unweigerliche Katastrophe geschehen ist und Vivians Existenz in Scherben liegt, beginnt ein ruhigerer, melancholisch-philosophischer Teil des Buchs, in dem Angela und der Leser Vivian durch die Kriegsjahre ihr Erwachsenenleben begleiten. Ich hätte mir gewünscht, dass dieser Teil noch etwas detailreicher erzählt wird. Hier fliegt man nämlich geradezu durch die Jahre und auch in die Zeit, die Vivian mit Angelas Vater verbracht hat, hätte ich mir noch ein paar ausführlichere Einblicke gewünscht. Ich hatte teilweise den Eindruck, als ob hier ein bisschen zu viel erzählt und zu wenig gezeigt wurde.
Das Ende von Vivians Lebensgeschichte und damit auch dem Brief an Angela fand ich übrigens hochemotional. Ich war wirklich sehr ergriffen.

Fazit:
„City of Girls“ ist eine glanzvolle, abwechslungsreiche, manchmal leise und manchmal laute Geschichte über Freundschaft, Liebe, Familie, Glück und den Verlust von alledem. Ich werde sie bestimmt noch öfter lesen, weil in dem tiefen Graben zwischen dem Rausch und der Melancholie New Yorks so ein wohliges Gefühl von Wärme und Zufriedenheit zurückbleibt.
Es ist ein ganz und gar besonderes Buch.

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Veröffentlicht am 06.11.2020

Bittersüß. Bildgewaltig. Brillant.

Daisy Jones and The Six
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Eins vorne weg: „Daisy Jones and the Six“ ist mein Jahres-Highlight 2020. Im Vergleich zu diesem Buch, müsste ich allen anderen, die ich sonst noch bewerte, einen Stern weniger geben. Einfach aus Prinzip, ...

Eins vorne weg: „Daisy Jones and the Six“ ist mein Jahres-Highlight 2020. Im Vergleich zu diesem Buch, müsste ich allen anderen, die ich sonst noch bewerte, einen Stern weniger geben. Einfach aus Prinzip, weil das hier so verdammt großartig ist.

Inhalt:
„Daisy Jones and the Six“ erzählt die Geschichte der Rockband „The Six“ und der Sängerin Daisy Jones, die es Ende der Siebzigerjahre mit ihrem Album „Aurora“ zu Weltruhm brachte. Jahrzehnte später macht es sich die Autorin zur Aufgabe durch Interviews mit den Bandmitgliedern und ihren Weggefährten herauszufinden, was damals geschehen ist. Wie es zu dem rasanten Aufstieg und dem mindestens so rasanten Ende der Band kam.
Es geht um die Beziehung der Bandmitglieder untereinander, um den Leadsänger Billy Dunne und seine Familie, um Billy und Daisy und ihre Zusammenarbeit, um Vaterfiguren, um Familie, um Liebe und Sucht und um Rockmusik. Es ist so, so, so gut.

Meine Meinung:
Ich weiß gar nicht, wo ich beginnen soll.
Ich habe nie ein Buch wie dieses gelesen. Dr Erzählstil in Interviewform ist einzigartig. Vor dem Lesen, hatte ich noch Sorge, dass ich damit nicht zurechtkommen würde, doch das Gegenteil war der Fall. Die Stimmen der Bandmitglieder in meinen Kopf haben die Geschichte so real gemacht. Wenn ich nicht schon vorher gewusst hätte, dass die Band fiktiv ist, wäre ich beim Lesen ins Zweifeln gekommen.
Die Sache ist aber vor allem die: Wenn man „Daisy Jones and the Six“ liest, wünscht man sich die Band wäre echt und man könnte irgendwie diese Songs hören.
Manchmal saß ich beim Lesen da und dachte nur: „Gebt mit diese Schallplatte!“
Am Ende des Buchs befinden sich nämlich die Liedtexte aller Tracks aus dem Album „Aurora“. Jedes Mal, wenn ein Titel genannt wurde, hatte ich das Bedürfnis den entsprechenden Text nachzuschlagen. Und durch das Lesen des Texts hat man noch einmal so viel erfahren, was die Charaktere im Buch nicht gesagt haben. Was zwischen den Zeilen lag. Es war, als hätte das Buch durch diese Songs noch einmal eine ganz neue Zwischenebene bekommen. Ich habe es so gefühlt und ich hätte es so gerne gehört. Selbst der Schmerz, den ich manchmal beim Lesen empfunden habe, war auf seine Weise schön.
Außerdem waren da diese Szenen, die so wundervolle Bilder in meinem Kopf ergeben haben. Das Fotoshooting in der Wüste, das LA der Siebzigerjahre, Daisy wie sie in einem wunderschönen Kleid mit blutenden Füßen zugedröhnt im Pool treibt.

Die Charaktere waren allesamt großartig. Sie waren so rund, so menschlich. Jeder von ihnen. Man musste sie allein schon für ihre Menschlichkeit und ihre Schwächen lieben.
„Daisy Jones und the Six“ ist ein Buch über’s Leben und was darin alles kaputt gehen kann. Und darüber, wie man trotz all der Kaputtheit trotzdem weitermacht. Es ist voller kluger Zitate, die ich mir unbedingt merken wollte. Ich bin gar nicht hinterher gekommen, sie alle zu markieren. Vor allem die starken Frauen habe ich geliebt. Daisy, Camila und Karen, die alle drei auf ihre Art und Weise in einer männerdominierten Welt für ihre Träume gekämpft haben.
Ich hätte nie gedacht, dass ein Buch, in dem es über so große Strecken um Drogenkonsum geht, mir so viel geben kann. An dieser Stelle darf auf eine kleine Warnung nicht fehlen: Wenn man absolut keine Bücher lesen will, in denen Drogenkonsum ein wesentliches Thema ist, dann sollte man von dieser Geschichte besser die Finger lassen. Ich möchte aber anmerken, dass man sich dann etwas ganz Wundervolles entgehen lässt!

Fazit:

Alle Sterne dieses Himmels für „Daisy Jones and The Six“. Es ist ab heute eines meiner Lieblingsbücher EVER. Im Internet bin ich darauf gestoßen, dass es bald eine Miniserie zum Buch geben soll. Der Cast ist bereits bekannt und ich finde ihn perfekt! Ich hoffe so sehr, die Show und vor allem die Musik sind es am Ende auch. Ein weiterer Grund, warum ich 2021 nicht erwarten kann!

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