Profilbild von pemberley1

pemberley1

Lesejury Star
offline

pemberley1 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit pemberley1 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 29.03.2021

Die Geschichte von Raben und Löwen und ihrer Zusammenarbeit.

Matching Night, Band 1: Küsst du den Feind? (Gewinner des Lovelybooks-Leserpreises 2021)
1

Matching Night Band 1- Küsst du den Feind? Von Stefanie Hasse

Liebe Leser dieser Rezension. Ich weiß nicht ob ihr es wusstet. Raben sind sehr intelligente Vögel, wenn nicht sogar intelligenter als viele ...

Matching Night Band 1- Küsst du den Feind? Von Stefanie Hasse

Liebe Leser dieser Rezension. Ich weiß nicht ob ihr es wusstet. Raben sind sehr intelligente Vögel, wenn nicht sogar intelligenter als viele andere. Sie können unter anderem komplexe Handlungen planen, haben eine sehr große Merkleistung, und können sich sogar in andere hineinversetzen, so dass er zum Beispiel weiß, dass er sein Futter nur verstecken sollte, wenn ihm gerade kein anderer dabei zusieht. Auch ist ihr Lernverhalten überdurchschnittlich gut, so dass es sich in einem bestimmten Umkreis unter den Raben schnell verbreitet, und sie sozusagen voneinander lernen. Sie können sich Angreifer merken, und geben sogar dieses Wissen weiter. Man hat sogar festgestellt, dass dieses Wissen an die Nachkommenschaft weitergegeben wird, so dass alle sicher vor dem Angreifer sind. Und sonst? Nun ja. Krähen findet man oft in der Nähe von Wölfen, um sich an deren Beuteriss zu beteiligen und zu schauen, ob etwas davon abfällt. Was das alles mit dem Buch zu tun hat? Ich wollte es nur mal erwähnen. Denn die Raubtiere in diesem Buch sind keine Wölfe, sondern Löwen. Aber von Raben und Löwen handelt es trotzdem, und von deren Zusammenarbeit. Auch wenn die Löwen und Raben eher menschlicher Natur sind. Aber nichts von ihrer Intelligenz einbüßen, um ihresgleichen zu schützen, und all das……. Was es mit sich bringt…. Wenn man ein Rabe, also ein Raven, oder ein Löwe, also ein Lion, ist.

Wovon das Buch handelt:

Alles beginnt ganz harmlos. Cara sucht eine Wohnung in Universitätsnähe. Doch was am Ende dabei herauskommt? Ich habe etwas in die Richtung geahnt, habe immer noch Witzchen darüber gemacht, aber richtiges Wissen hat sich erst in den letzten Abschnitten aufgeklärt. Denn sie Suche wird ihr leichter gemacht, als sie ahnt. Aus einer nicht wirklich reichen Familie kommend, die ihr gesamtes Erspartes in das Studium von Cara steckt, bekommt sie plötzlich die Gelegenheit, einer Studentenverbindung, den Ravens, beizutreten. Sie hätte ein eigenes Zimmer, Kost und Logis wären frei, Unterstützung im Studium wäre da, und Cara wäre alle (Geld)sorgen los. Ein wahrgewordener Traum, oder?! Was sie dafür tun muss? Die obligatorische Studentenverbindungsprüfung ablegen. Doch die Ravens wären nicht die schlauen Raben, wenn sie es so einfach machen würden. Cara und die anderen Anwärterinnern müssen mit den Anwärtern der Lions (dasselbe wie die Ravens, nur eben in Kerlform, oder so :D) zusammenarbeiten. Jeweils ein Lion und eine Raven müssen der Welt glaubhaft vorspielen, ein Paar zu sein, und zusammenhalten, um mehrere Aufgaben zu überstehen. Am Ende gilt als Ziel der Beitritt zur Verbindung, und damit die Erfüllung dessen. Und alles weitere gehört dann auch schon in die Ecke des Selbstlesens, weil man die Geheimnisse des Buches und der Verbindungen selbst herausfinden muss.

Cover:

Tatsache ist, dass dieses Cover sofort meine Aufmerksamkeit hatte. Es handelt sich nicht nur um ein Mädchen in einem hübschen Kleid, das sozusagen in den „Fängen des Raben“ ist. Vielmehr sehen wir auch ihr Gesicht nicht. Was zum einen darauf hindeuten kann, dass Cara (denn sie scheint es zu sein) ihre alte Identität verliert, oder zum einen symbolisch für die Matching Night sein kann, in der tatsächlich Masken getragen werden. Diese Silhouette des Raben war sofort ein Blickfang. Und nach der Lektüre macht das Ganze wirklich einfach noch mehr Sinn. Cara im Bann der Raben, und mit dem Wissen, eine andere zu sein. Symbolisch sehr schön. Ich hatte dann noch den Drang, aus dem Cover einen Löwen herauszusuchen, habe ihn im Schattendasein von Schwarz und Weiß aber nicht gefunden. Zumindest könnte man mit vieeeel Fantasie (und die habe ich ja bekanntlich) Löwenzähne am Rand des Raben erkennen. :D

Fazit und Gedankenallerlei:

Ganz zu Anfang habe ich ein wenig gebraucht, um in die Geschichte rein zu finden, aber dann habe ich mich einfach von ihren eigenen Wegweisern leiten lassen, um zu entdecken, wo mich das Ganze hinführt. Und dieses “leitenlassen“ war es dann auch, was mir die Spannung der Jagd nach dem Geheimnis, oder den Geheimnissen, gebracht hat. Denn eines ist sicher. (Fast) jeder in diesem Buch HAT ein Geheimnis, und etwas, das er verbirgt. Das hat dann letztendlich dazu geführt, dass ich einen solchen Lesedrang verspürt habe, dass ich das Buch gar nicht mehr weglegen wollte. Ja, irgendwie möchte ich mich in diesem Buch suhlen, weil es einen alles vergessen lässt. Die Realität, und alles, was so um einen herum geschieht. Irgendwie ist es, als ob es einen Nebel auf das wirkliche Leben wirft, und man die Geschichte miterlebt, weil das Reale ganz weit weg hinter diesen Nebeln ist. Denn die Zeit der Aufnahmeprüfungen erscheint zum einen traumhaft, aber auch anstrengend und belastend. Man kann es nicht einteilen in schlecht oder gut. Alles ist zauberhaft, aber auch beängstigend, und das zugleich. Neu und aufregend, aber auch gefahrvoll. Denn wie schon erwähnt, diese Gefahr ist immer unterschwellig da und spürbar. Und trotzdem will man sich vollkommen reinstürzen in die Geschichte, und in die Prüfungen der Anwartschaft. Es ist beinahe wie ein Sog, der einen anzieht. Verführerisch. Und doch so, dass es einen verwirrt. Nicht nur prüfungsmäßig, sondern auch in Herzensdingen.

Wer sich unter Matching Night eine leicht flockige Collegegeschichte herbeisehnt, der wird überrascht sein. So wie ich. Locker flockig vielleicht eher nicht, doch die Collegegeschichte habe ich erwartet. Und natürlich spielt das Ganze an einer Universität. Doch was ich bekommen habe, das war noch viel besser. Denn schon bald wurde ich hineingezogen in etwas, das mir nicht geheuer war, und ein merkwürdiges Bauchgefühl verursacht hat. Sprich: Ich habe einfach mächtig mitgefiebert, und mitgeraten. Habe Theorien aufgestellt, die mehr oder weniger merkwürdig waren. Und grundsätzlich wusste ich GAR NICHT wem ich so vertrauen kann. Bravo! Dieses Buch hat mich in Misstrauens – und Paranoiatheorien geschoben :D. Am Anfang hatte ich gerade mal gar keinen Durchblick und habe einfach jeden verdächtigt und ihm misstraut, wie ich es eben gerne mal tue.

Dies ist eins der Bücher dessen wahre Identität sich erst am Ende offenbart. Under the surface quasi. Man erfährt, was sich im Hintergrund abspielt, wer ein Spiel spielt, wer sein wahres Gesicht zeigt, dass Menschen nur auf ihren eigenen Vorteil aus sind, und mit ihren eigenen Regeln spielen. So wurden geschickt in die Geschichte kleine Teile eingefädelt, die man fast hätte überlesen oder übersehen können, die aber zur Auflösung richtig wichtig sind. Denn die Abgründe und Geheimnisse die sich hier auftun, die sind fast so dunkel und schwarz wie Rabenfedern, und Rätsel und Geheimnisse müssen gelöst werden. Hier muss man ganz genau aufpassen. Wem gehört also die eigene Loyalität? Das ist ja immer so eine Sache. Dies kann abhängen von Freundschaften, aber auch Feindschaften, einem Gemeinschaftsgefühl der Zugehörigkeit, Schuld, Konkurrenzdenken, Leidenschaft, gar Erpressung, und anderen Gefühlen. Dabei ist es nicht so, dass die Leute im Buch hinter einer Maske leben, und so tun, als wären sie andere Personen. Es geht viel tiefer. Die Maske selbst ist es nicht, die verbirgt. Auch keine Lügen. Vielmehr ist es das Verschweigen von wichtigen Informationen, die das Ganze so gefährlich macht. Und so kann man auch nicht behaupten keiner sei ehrlich. Sondern eher, dass die Wahrheit einfach niemals ausgesprochen wurde. Und dieser Betrug wiegt dann meist mehr, und ist schlechter zu verkraften. Weil man einfach nicht selbst draufgekommen ist, die richtigen Fragen zu stellen, und man deshalb auch nicht weiß, wie der Angesprochene darauf reagiert hätte. Eins ist jedenfalls sicher. Wer die Welt der Ravens betritt, verlässt automatisch das normale Studentensein mit all seinen Problemen und der Normalität, und auch Langeweile. Das Ravenleben ist spannend, elektrisiert, ist aber auch gefährlich, und geheimnisvoll. Und so wie Cara als Anwärterin diese neue Welt erlebt, und zu eine anderen Cara wird, so erlebt der Leser parallel dazu eine Geschichte, die einen immer mehr in ihren Bann zieht.

Man traut Josh (Caras Lionmatch), dann wieder Tyler (Caras Kumpelfreund, oder doch nicht? Oo), und wieder Josh….. und das Vertrauen ändert sich von Seite zu Seite, schlingert, und wirbelt durchs Buch und die Gedanken wie ein Karussell. Nun ja. Wir fühlen wohl oder übel mit Cara, ohne mehr zu wissen, als sie. Wir sind immer auf demselben Wissensstand, erfahren nichts als Leser, das wir ihr voraushaben. Und können uns so tatsächlich besser in ihre Situation reindenken. Es ist diesmal etwas schwieriger darüber zu erzählen, aber das Buch lebt auch ein wenig von einer sich aufbauenden Atmosphäre der Spannung, aber auch des Vertrauens zwischen Cara und Josh, zwischen denen eine fühlbare Bindung entsteht. Je länger wir im Buch unterwegs sind, desto mehr sehen wir selbst etwas, das die Protagonisten anscheinend nicht so sehen, oder nicht wahrhaben wollen. Es gibt nämlich im Buch aber auch diese ironische Art von Witzigkeit, Humor, ja gar von ironischer Vertrautheit und Plänkelei. Die Chemie zwischen Josh und Cara ist einfach viel zu gut, als dass man sie ignorieren könnte. Oder hat das Ganze etwa gar nichts zu bedeuten, und ist nur Mittel zum Zweck? Und wenn, zu welchem Zweck überhaupt?

Bei diesem Buch verbirgt sich hinter der Maske der College- und Universitätsgeschichte einiges mehr, was man erst ergründen muss. Wir haben hier keine vor sich dahinplätschernde Liebesgeschichte, und trotzdem sind wir mit Emotionen umgeben. Hier kommen aber noch Misstrauen, Vertrauen, der Verlust dessen, und ganz viele andere Gefühle dazu. Und trotzdem büßt das Buch nichts an Spannung ein. Es hat ein wenig über die ersten Kapitel gedauert, aber dann war man sofort total von der Geschichte hypnotisiert, weil alles immer merkwürdiger wurde, und man alles, auch als Leser, hinterfragt hat. So ging es zumindest mir. Gefühlt hat man sich wie in einem Zwielicht aus Emotionen und Euphorie, aber auch Misstrauen, und dem Wissen, dass man einfach wirklich bis zum Schluss nicht weiß, WEM man eigentlich trauen darf. Was das mit unseren eigenen Leseremotionen macht? Wir misstrauen jedem Protagonisten :D . Ich habe quasi eine ganz andere Geschichte beendet, die ich begonnen habe. Und das Zwischendrin hat sich verändert, geändert, hat mich mitgenommen, und wurde immer verzwickter, verworrener, geheimnisvoller, und damit auch spannender. Denn dies alles meine ich im absolut positiven Sinne. So wie Cara nicht mehr dieselbe am Ende der Geschichte ist, so ändert sich die Geschichte mit ihr. Was auf Leserbasis vollkommen grandios ist. Denn man taucht ein in die Welt, nicht der Universität an sich, sondern die Welt der Ravens, mit all ihren Regeln, Prüfungen, und dieser unterschwelligen Bedrohung, von der man nicht weiß, wo sie herkommt, und von wem sie ausgeht.

Das Buch ist eine Mischung aus College, Geheimnissen, und einer Schnitzeljagd mit verschiedenen Aufgaben, wie auch immer diese aussehen. Ziel und Erfolg ist es, die Anwartschaft der Ravens als Phase zu überstehen, und Mitglied in der Verbindung zu werden. Die Geschichte entfaltet sich langsam, aber auch unterschwellig, und unmittelbar. Denn auf einmal ist man mittendrin in Geschehnissen, bei denen man sich fragt, was hier eigentlich los ist. Und das, obwohl man kurze Zeit vorher noch als normale Studentin einfach ein Zimmer zum Wohnen gesucht hat, und ich mir anfangs etwas ganz Anderes vorgestellt habe. Man muss bei der Lektüre genau aufpassen, jede Einzelheit einsaugen, weil sie so wichtig ist oder sein könnte. Es gibt Puzzlestücke zum Einsammeln, die ein Gesamtbild ergeben, welches sich uns aber einfach bis zum Schluss nicht zeigen will. Denn alles fügt sich wie von Zauberhand, so dass man schon beinahe vorsichtig werden sollte und stutzig werden könnte, weil einem plötzlich alles auf dem Silbertablett serviert wird.

Es ist vor allen Dingen aber auch ein Buch über Freundschaft. Seufz. Und wie ich das so sage, stimmt es auch wieder nicht, denn Freundschaftsbücher klingen natürlich immer harmonisch und vertrauenerweckend. Doch dieses Buch ist anders. Und das definitiv. Denn die Freundschaften in diesem Buch muss man erst finden, sie müssen sich aufbauen, sind einfach oder schon ewig da. Sind geheim. Überdauern alles. Sind intrigant. Hintergehen uns. Und irgendwie, weiß man gar nicht wem man trauen darf, und wem man trauen kann. Also ist es wohl viel mehr ein Buch über das Vertrauen in die Menschen um uns herum, wer vertrauen erweckt, ob wir denen vertrauen können, bei denen wir es schon ewig tun, oder denen, die wir erst kurz kennen. Was das Buch auf alle Fälle geschafft hat ist, dass es mich vom ersten Moment an paranoid hat werden lassen :D . Naja, okay, das mag nicht sonderlich toll sein. Aber was ich damit ausdrücken will ist, dass es eine Atmosphäre der Gefahr schafft, eine in der man nicht weiß wem man trauen soll, und irgendwie auch eine Atmosphäre der Bedrohung. So kam es mir auf alle Fälle vor. Und das, obwohl im Text wirklich gar nichts von offensichtlicher Bedrohung rüberkam, nein, sogar ganz im Gegenteil. Cara freundet sich mit den Ravens und anderen an. Und am Ende fragt man sich dann nur noch wem man selbst vertraut, und ob Cara ihr Vertrauen in die richtigen setzt. Was gibt es sonst noch so über das Buch zu sagen? Ach ja, das hätte ich beinahe vergessen. Es hat einen gaaaaaaanz fiesen Cliffhanger zu Band 2 :D. Man lässt jemanden im Dunkeln stehen, und sagt gerade so wenig, dass es nicht als Lüge gilt. Ganz im Sinne des Buches. :D

Das heutige Rezensionslied, bezieht sich dann auf den Untertitel. Denn ob man einen Feind küsst, oder nicht, das ist ja auch eine elementare Frage im Buch. Und im Gegensatz zum Liedtext kann man hier nicht so einfach am Kuss herausfinden, wie die wahren Gefühle des küssenden männlichen Wesens sind. Denn immerhin fragt das Buch ja, ob man den Feind küsst, oder den Freund, den Vertrauten…… oder wen überhaupt? O
o

„How 'bout the way he acts? Oh no, that's not the way. And you're not listening, to all I say.
If you want to know, if he loves you so…….it's in his kiss…..that's where it is……oh yeah.“

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 29.03.2021

Willkommen im Pompeji der Gegenwart, und gleichzeitig der Vergangenheit.

Dolce Vesuvio. Ein Italien-Roman.
0

Dolce Vesuvio von Astrida Wallat

Jüngst war ich in Italien. Genauer gesagt in Pompeji. Ich streifte durch die antiken Anlagen, nahm die Gerüche, Geräusche, und das Leben um mich herum wahr, und auch auf. ...

Dolce Vesuvio von Astrida Wallat

Jüngst war ich in Italien. Genauer gesagt in Pompeji. Ich streifte durch die antiken Anlagen, nahm die Gerüche, Geräusche, und das Leben um mich herum wahr, und auch auf. In dieser Stadt, in der alles Leben vernichtet wurde, und in der heute doch so viel Leben sprießt. Ich habe die Atmosphäre des Landes und der Landschaft eingesaugt. Bin durch Geschichte gewandelt. Und habe teilgenommen an einem Alltag von Menschen, deren Leben so schnell ausgelöscht und unvorbereitet beendet wurde. Ich wurde Zeuge der letzten Sekunden im Leben von Menschen, die nur kurze Zeit später unter Lavagestein vergraben wurden, an giftigen Dämpfen erstickten, oder in heißer Lava verbrannten. Und trotzdem sah ich das Leben, das sie vorher führten, weil just diese Gegebenheiten des Vulkans dafür sorgten, alles zu konservieren, und zwar genau im Moment des Todes, der Zerstörung, und der letzten Lebensaugenblicke. Somit bekamen wir Menschen einen Einblick, der auf der Welt wohl einmalig ist. Einblicke in ein Leben vor fast 2000 Jahren, ohne Verfall. So wie es eben zur damaligen Zeit war. Ihr glaubt mir nicht? Nun gut. Ich muss zugeben, dass ich natürlich nicht körperlich in Pompeji stand (was wahrscheinlich momentan auch gar nicht sooooo wirklich möglich ist), aber das vorliegende Buch mich gedanklich genau an Ort und Stelle versetzt hat. Dazu nun mehr.

Die Geschichte, konserviert im Buch, um sie uns zu erzählen:

Carlotta, auch Lollo, oder manchmal gar von einem unverschämten Kommilitonen, wegen ihrer Locken, Salatkopf genannt, ist Archäologiestudentin, und bekommt die Möglichkeit, zu ihrer theoretischen Erfahrung nun auch Feldforschungserfahrung zu bekommen. Doch wie es das Schicksal so will, soll diese Erfahrung im antiken Pompeji gemacht werden. Und ist das nicht gut? Doch, natürlich ist es das. Italien. Dolce Vita! Moment mal….. da ist ja nur diese Sache, dass Lollos Mutter seit jeher eine Abneigung gegen Capri hat (warum das denn eigentlich?!). Aber auf die Mutter muss man ja eigentlich nicht hören, wenn man etwas wirklich will. Und dann schlägt das Schicksal nochmal zu, und schickt ihr ausgerechnet jenen unverschämten Kommilitonen mit in die Nähe Neapels, da dieser als Jahrgangsbester die Assistenz der Grabungsleitung übernehmen darf. Ausgerechnet Alessandro, der selbst Italiener ist, und mit seinem Charme zu spielen weiß. Zumindest bei allen anderen Frauen. Wie die beiden miteinander auskommen, ob Lollo ihn erträgt, was sie in Pompeji ausgraben, wie man italienische Lebensfreude erlebt, welche Personen noch mit Einzug halten, und warum Lollos Mutter Capri so gar nicht mag, aber vielleicht dann doch….. das ist die Geschichte, die ihr selbst ausgraben dürft, und die in einem kleinen Vulkanausbruch der Gefühle endet.

Cover:

Locker, sonnig, und mit Bild des Vesuvs, merkt man, dass man einen Italien Roman vor sich hat, der gleich gute Laune macht. Mir gefällt das Cover auf alle Fälle. Vielleicht auch, weil es an Zitronen, Sonne, und damit Sommer erinnert.

Fazit und Gedanken:

Dolce Vesuvio als Titel sagt so viel aus. Die Süße des Vesuvs, der für einige Menschen so bitter war, der Leben vernichtet hat, aber irgendwie auch wieder welches hervorgebracht hat in Form von einer wachsenden Natur. Kommt schon. Sowas kann man leicht als Symbolik für Erneuerung und Neuanfang sehen. Und vielleicht, aber nur vielleicht, ist das genau das, was unsere Titelheldin Lollo braucht. Neue Erkenntnisse, neue Sinneseindrücke. Und vielleicht muss manchmal erst ein Vulkan ausbrechen, und altes Leben vernichten, um etwas völlig Neues zu gestalten. Wie ein Leben, oder eben eine Landschaft. Die Geschichte ist zeitlos, genauso wie die Liebe, und das Leben, und diese beiden Dinge begleiten uns dann auch über die Jahrtausende hinweg, in verschiedenen Formen. Es ist keine reine Liebesgeschichte, so wie wir sie kennen. Aber es ist definitiv eine Geschichte über die Liebe. Und diese kann so viele Formen haben. Sie kann verborgen sein, oder erst ausgegraben werden. Im Stillen wachsen, oder ganz laut. Heimlich stattfinden, enttäuschen. Beim einen richtig sein, beim anderen falsch. Oder aus Vernunftgründen stattfinden. Alles in allem entscheiden unsere Liebesentscheidungen auch unsere Zukunft. Und auch darum geht es im Roman. Ein Roman über die Liebe zu Menschen, zu Italien, zum Vesuv, der Vergangenheit, oder einfach zu alten Ausgrabungen, und den Geheimnissen, welche sich darin verbergen. Und dann handelt das Buch natürlich noch von den Beziehungen, die wir aus Liebe eingehen, die wir eingehen, weil es unsere Pflicht ist, die wir eingehen weil…… das wissen wir selbst manchmal nicht..... die wir eingehen, obwohl wir wissen, dass es ein Fehler ist, die wir eingehen aus Liebe, aus Gewohnheit, und die wir eingehen, trotz, dass wir andere immer noch lieben und sie nicht vergessen können, und dass uns das Leben, oder manchmal die Vergangenheit, zuflüstert, was in Sachen Liebe für unser Leben richtig ist. Diese Konstellationen im Buch gefallen mir, weil sie so bunt durchgemischt sind, wie es nur das Leben schreiben kann. Und dieses Feiern des Lebens wird uns ganz bewusst, als uns im Buch der Spiegel dessen vorgehalten wird, was das Gegenteil des Lebens ist. Nämlich eine Katastrophe, die den Tod bedeutet, einen mitten im Leben ereilt. Und da wird einem klar, oder in diesem Moment spricht das Buch zu uns, dass das Leben zu kurz ist, um falsche Entscheidungen zu treffen, zu kurz um mit den falschen Menschen das Leben zu verbringen, zu kurz um nicht jeden Tag zu nutzen. Kann uns doch jeden Tag eine Katastrophe ereilen. Und auch wenn es kein Vulkanausbruch ist, so kann diese ähnlich explosiv in unser Leben eingreifen, und alles zerstören, was uns je nahe und lieb war. Ja, die Vergangenheit und die Gegenwart verschmelzen hier miteinander. Statt Romantik stellt das Buch sich eher den Fragen, ob diejenigen, mit denen wir zusammen sind, die richtigen Menschen für uns sind, und das, durch die Gezeiten hindurch. Von der Antike bis in die Gegenwart, und zwischendrin. Denn es ist keine dieser durchgehend und unentwegt romantischen Geschichten in einem Buch, welche sich dauerhaft mit romantischen Gefühlen und durchkommender Leidenschaft beschäftigen. Nein, darum handelt es sich hier wahrlich nicht. Und doch wurde es hier geschafft, dass es diese zarten Gefühle unterschwellig zu spüren gibt. Denn was das Buch hat, das sind MOMENTE. Zwischen all der Asche und dem Stein werden Momente ausgegraben, die es schaffen in genau diesem das zu sein, wofür andere Bücher all ihre Seiten brauchen. Und diese Momente, festgehalten und konserviert im Buch für die Nachwelt, werden ja symbolisch auch ausgegraben.

Ja, die Geschichte erscheint wie eine dieser lebensfrohen Komödien, die das Leben verehrt, und alles, was dieses Leben lebenswert macht. Verheimlicht dabei aber durch die Thematik von Pompeji auch nicht, wie bitter und schnell dieses lebenswerte Leben, mit all seinen Problemen aber auch Annehmlichkeiten, vorbei sein kann. Und alles läuft auf den Vesuv hinaus, diesen Vulkan, der die Süße des Lebens bringt, nachdem er so viel Tod geschaffen hat. So gesehen sehe ich darin eine kleine süße Lehre darüber, Respekt vor der Natur zu haben. Denn diese kann von einer Sekunde auf die andere nicht nur das eigene, sondern ALLE Leben verändern, und auch vernichten.

Diese Verwebungen von Vergangenheit und Gegenwart gefallen mir außerordentlich gut. Nicht nur, dass man das Buch, auch wenn es im Heute spielt, nicht direkt einer Zeit zuordnen kann. Es spielt nicht mit moderner Sprache, will nicht cool und hipp sein, maßt es sich aber auch nicht an, in solch einer alten Sprache zu uns zu sprechen, dass wir sie als heutige Leser und Menschen nicht mehr verstehen. Und genau diese Aussage finde ich schön. Das Buch spielt in der Gegenwart, und zeigt uns das pralle Leben mit einer Leichtigkeit, und ausstrahlenden Fröhlichkeit. Und somit auch, dass das Leben immer davon gehandelt hat, egal in welcher Zeitepoche man gelebt hat. Dieser Hauch der Antike ist gar nicht so antik, wie manch einer glauben mag. Zusätzlich erhalten wir noch ein kleines Hintergrundwissen zu einigen Geschichten der antiken griechischen Mythologie. Nicht im Detail. Aber so, dass man erahnen kann, warum die Menschen zur damaligen Zeit diese Geschichten in Freskenform um sich haben wollten (gefunden in den Häusern von Pompeji). Weil sie wohl in irgendeiner Form umgeben sein wollten von „Geschichten“. Und ja, wer könnte das besser verstehen, als Lesende?! Die Verknüpfungen sind also grandios gelungen. Und das nicht nur, weil ich Bücher eben liebe, die an antiken Handlungsorten spielen. Was aus meiner Liebe zu den antiken Handlungsorten an sich liegen mag :D. Man wird eingesogen in die Welt des Buches, und somit ein bisschen auch in die Vergangenheit der Geschichte, und der Geschichten in ihr.

Und wie einen Vulkan kann man auch Lollos Liebesleben sehen. Die Stille des ruhenden schlafenden Vulkans ist das, was sie mit Stoffel (schon wieder so ein Spitzname :D), ihrem Freund in Deutschland, erlebt. Sicher, nett, lieb…. Aber eben auch ohne vulkanischen Ausbruch und Leidenschaft. Was dies genau bedeutet lernt sie in der Kunst des Daseins und des Lebens in Italien. Und schon rumort das Liebesleben, es bebt, und man spürt, dass es sich bis ans Ende zu einem Ausbruch der Spannung aufbauen wird. Trotzdem. Lollo lernt natürlich nicht nur von den Menschen der Gegenwart, sondern auch aus der Vergangenheit. Und ganz besonders von den Menschen, deren Vergangenheit schon weit zurückliegt. Die damals ebenso wussten, wie leidenschaftlich sie ihr Leben verbringen mussten. Und das im Angesicht dessen, was ihr Leben so jäh beendete. Einem Vulkan.

Der Schlagabtausch, der immer dann auftaucht, wenn Lollo und Alessandro aufeinandertreffen, macht ein wenig den Reiz der Geschichte aus, davon lebt sie. Lollo Rosso oder Salatkopf, Alexander der Große. Mit Namen und Namensbedeutungen wird hier gespielt. Ich hatte bei der Lektüre an diesen Stellen eine Menge Spaß. An vielen Stellen gibt es diese bildhaft beschriebene Situationskomik, die uns daran teilhaben lässt, gleichzeitig Augenrollen und Schmunzeln wahrzunehmen, weil es gar nicht anders geht. Die Macken der Figuren sind liebenswert, und nicht nervend. Tjaaa. Manchmal sogar mit Dingen aus unserem alltäglichen Leben vergleichbar. Auch fühlt man sich in der Gruppe der Archäologen wohl, weil sie alle bunt durchgemischt sind, und nicht blass bleiben, selbst wenn sie nur kurz erwähnt werden. Unndddd…Es gibt über jedem Kapitel eine schöne lateinische Weisheit, die zum Kapitel passt, und uns netterweise auch noch ins Deutsche übersetzt wird. Es gibt ständig, und das Buch ist durchzogen davon, Anspielungen auf Namen bekannter Römer, Dichter, antiker Geschichte, Götter, und Ereignisse einer Zeit, die trotzdem jeder versteht, der sich für Geschichte und Archäologie interessiert.

Wäre ich in einem Fantasyroman, dann würde ich besonders die tolle Anschauung der Welt im Buch begrüßen und loben. Da ich mich aber im Buch in Italien befinde, würde ich das Ganze trotzdem beibehalten, und die Autorin loben, dass sie etwas so wundervoll beschrieben hat, dass man gerne sofort in einen Flieger steigen würde, um durch die Ruinen von Pompeji zu wandeln, um alles mit eigenen Augen zu sehen. Trotzdem schafft die Sprache im Buch zusätzlich, dass die Bilder im Kopf sich zumindest so bilden, dass man eine Vorstellung von Land, Leuten, und Landschaft bekommt und hat. Tatsächlich spürt man wirklich fast die Wärme der Sonne auf der Haut, die gnadenlos auf einen scheint, während man durch antike Ruinenanlagen läuft, oder dort gräbt, den Staub unter den Füßen, und das Gefühl, etwas zu betreten, und dort zu laufen, wo schon vor fast 2000 Jahren Menschen gelaufen sind. Und ich kann es nicht anders sagen: Ich habe mich im Buch, in der sommerlichen Atmosphäre Italiens, und gleichzeitig in den alten Ruinen, die doch noch zu uns sprechen, wohlgefühlt. Tatsächlich ist es so, dass man vollkommen von der Atmosphäre eingefangen wird, sich während des Lesens in Pompeji befindet, und nicht nur dort. Auch in Neapel, in den Straßen der Stadt, und dies alles mit dem Blick auf den Vesuv. Dieser Naturgewalt, die so viel Nutzen, aber auch so viel Leid bringt. Bringen kann. Gebracht hat. Wieder bringen könnte? Locker flockig von seiner Sprachwahl, macht es einem unheimlich Spaß, das Gelesene quasi mitzuerleben.

Das Schöne ist, dass sich hinter einem beschriebenen Italienroman nicht nur das verbirgt, was draufsteht. Wir müssen graben, pardon, uns durch das Buch hindurchlesen, um die Geschichte zu erfahren. Und es ist eine schöne Geschichte, eine die nicht nur von unserer Gegenwart zeugt, sondern durch das Thema und den Handlungsort auch ein wenig einen Hauch von Vergangenheit in sich hat. Die Liebe zur Archäologie, die Liebe zur Antike, Archäologie, Geschichte, zu Vergangenem, ist unumstößlich in fast jedem Satz zu finden. Grabungsanlagen entscheiden oft selbst, was sie uns heutigen Menschen von sich und der Vergangenheit preisgeben. Sie entscheiden nicht nur, was es zu sehen gibt, sondern auch wann sie sich offenbaren, und etwas ans Tageslicht fördern. Etwas, das uns die Vergangenheit näherbringt, und uns so manches Ding oder eine Erkenntnis zeigt, die bis ins Heute reichen kann, und meist auch tut. Ein bisschen auf dieser Schiene ist der Roman aufgebaut, denn neben der locker fröhlichen Grabungsgeschichte in Pompeji, geht es auch immer ein wenig um die Vergangenheit von Lollos Eltern. Und die Thematik, die alle Menschen durch alle Zeiten hindurch verbindet, nämlich die Liebe. So kann eine Ausgrabung sehr lange dauern, bis sie zu einem Erfolg kommt, eine Liebe aber genauso. So würde ich den Roman nicht unbedingt ins Liebesgenre einordnen, aber trotzdem behaupten, dass Gefühle und Liebe vorkommen. Eben vergraben unter einer Schicht aus Worten, viel Wortwitz, und Plänkeleien, die einfach nur göttlich sind, um beim Thema der alten Götter der Antike zu bleiben. Und so buddelt der Leser sich durch das Buch, was ihm allerdings ungemein leichtfällt, so wie der Archäologe sich durch den Sand und die Ascheschichten von Pompeji gräbt, um Geheimnisse der Vergangenheit zu finden. Mir gefällt das alles. Auch, dass es keine Geschichte ist, wie eine dieser tragischen Familiengeschichten, oder einfach rein auf das Thema Liebe bedacht. Es ist eine Geschichte, die vom bunten Leben erzählt. Und da gehört nun mal einiges dazu, um so ein Leben als schön zu beschreiben. So wird parallel zu einer Ausgrabung auch etwas Anderes ausgegraben. Ein neues Lebensgefühl, die eigene Geschichte der Familie? Ein kleines Geheimnis? Die Wandlung von Lollo? Ein bisschen italienische Lebensfreude? Oder gar alles? Das Schöne am Buch ist diese Klarheit, die uns vermittelt, was Archäologie bedeutet, und dass es nicht einfach nur das Ausgraben von alten Dingen ist. Dem kann ich als Archäologieliebhaber natürlich nur zustimmen. Und wie könnte man anders? Steht das Ganze doch für Erhalt und eine Einsicht in eine Zeit, sie uns so fremd scheint. Wie eine schützende Blase, etwas, das bewahrt hat, wo anderes zerfallen ist. Etwas das überdauert hat, aufgrund dessen, was es zerstört hat. Wir finden im Buch nämlich nicht nur die Liebe zu Ausgrabungen und Archäologie, sondern auch ein wenig die Liebe zu Pompeji an sich. Und wer es nicht liebt, wird es vielleicht nach der Lektüre lieben, oder es zumindest gerne mal näher in Augenschein nehmen. Denn ein kleiner Bonus des Buches ist, dass wir viel über die Arbeit eines Archäologen erfahren, und sehr viel an Infos über Pompeji, die Ausgrabungen, die Gebäude, die Menschen, die Anfänge, die Entdeckungen, das Leben und die Tragödien…….. und alles, was diese Stadt unter der Ascheschicht ausgemacht hat und immer noch ausmacht.

Das heutige Rezensionslied hat mit Pompeji erstmal eines gemeinsam, nämlich seinen Namen. Und trotzdem beschreibt es auch eine Zerstörung, und die Vorstellung, dass man sich Bilder im Kopf zusammenreimt, wie etwas gewesen ist, und dass die Vergangenheit sich oft nicht so sehr von unserer Gegenwart unterscheidet:

„And the walls kept tumbling down, In the city that we love. Grey clouds roll over the hills, bringing darkness from above.

But if you close your eyes, does it almost feel, like nothing changed at all? And if you close your eyes, does it almost feel, like you've been here before?“

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 20.02.2021

Auf auf in die wundervolle Welt voller Wunder.

Juno und die Reise zu den Wundern
0

Juno und die Reise zu den Wundern – Eine fabelhafte Geschichte von Judith Hoersch

Ach ja. Das Angepasstsein. Eines meiner Lieblingsthemen….NICHT. Oder doch? Vielleicht schon. Es ist ein zwiespältiges ...

Juno und die Reise zu den Wundern – Eine fabelhafte Geschichte von Judith Hoersch

Ach ja. Das Angepasstsein. Eines meiner Lieblingsthemen….NICHT. Oder doch? Vielleicht schon. Es ist ein zwiespältiges Thema in meinem Kopf. So richtig angepasst war ich nie. Und je nach Lebenszeit, in der ich mich gerade befand, war es mal mehr, und mal weniger, abwesend. Doch das Träumerische und Unangepasste habe ich mir bewahrt. Genauso gerne wie Geschichten über Leute zu lesen, die sich nicht anpassen. Die Träumer dieser Welt. Die anders sind. Andersartig. Die sich abheben von der Masse, und auch Dinge anders anpacken, als der Rest der Menschheit, die in ihren Fakten und der vollen wissenschaftlichen Realität leben. Für mich sind Träumer faszinierend. Besonders. Schaffen sie es doch, sich nicht unterkriegen zu lassen von den Blicken, die ihnen zugeworfen werden, ob ihrer anderen Art, und den Augenverdrehern, die mit diesen unrealistischen Menschen nichts anfangen können. Die sie sogar oftmals als naiv hinstellen, obwohl sie mehr Fantasie im Kopf haben als andere. Es ist also natürlich kein Wunder, dass ich just im ersten Kapitel, die gute Juno schon so kennengelernt habe, das sie mir ans Herz gewachsen ist. Womit wir schon beim Thema des Buches wären.

Die Geschichte, die das Buch uns zuflüstert:

Es geht im Großen und Ganzen um Junos Lebensreise, von der Kindheit, über die Jugend, bis zur jungen Erwachsenen. Es geht ums Loslösen, Loslassen, aber auch finden. Was auch immer gefunden werden will. Denn dieses Such- und Findespiel führt Juno über verschlungene Wege über die ganze Welt, bis zur Erkenntnis. Juno selbst ist eine wahrhafte Träumerin, was sich in einer Kindheit voller fantastischer Träume, notierten Geschichten und Büchern fantasievoller Erlebnisse spiegelt. Dass sie als Kind nicht ganz ernst genommen wird, und Schwierigkeiten hat, sich unter den Menschen zurechtzufinden, die sie zum einen nicht so annehmen wie sie ist, oder sie gar einfach meiden, das ist klar. Ob Juno nun ihr ganzes Leben lang die schüchterne Außenseiterin bleibt, die nur in ihren Träumen lebt, ob sie Jemanden findet, der genauso in Träumen lebt, wie sie es tut, und ob man nicht auch ab und an mit offenen Augen träumen darf, ohne zu träumen, das zeigt uns die Geschichte. Der Wegweiser sind zwei Goldringe um Junos Hals. Nur was ist das Ziel am Ende des Weges?

Cover und Gestaltung:

Zur Gestaltung ist zu sagen, dass nicht durchgehend, aber ab und an schöne Bilder im Buch enthalten sind, die uns bei der Reise begleiten, und zusätzlich zum geschriebenen Kopfkino noch visuelles beisteuern. Das Cover selbst ist mit Sequenzen aus der Geschichte gespickt, die alle in ihrer Einzelheit wichtig sind, und durch die Geschichte leiten. Denn alles hat eine Bedeutung. Sogar die Schuhe :)

Fazit und Gedankenkarussell:

Wer nüchtern denkt und Fakten liebt, wird am Buch vielleicht nicht viel Freude haben (oder vielleicht doch?!). Dies ist ein Buch für Träumer, und man muss sich nicht nur darauf einlassen, sondern auch auf die Schreibweise, die alles umschreibt, aber keine genauen und spezifischen Angaben macht. Das ist vielleicht nicht jedermanns Sache. Aber wer kurz seinen Denkapparat, das Denken ausschalten kann, der wird verstehen, was mit dem Buch gemeint ist. Das Buch ist besonders, und speziell geschrieben, und man muss sich erst eingewöhnen. Aber wie in allen Dingen sollte man vielleicht nicht gleich aufgeben, sondern auch hier die Augen öffnen, oder die Ohren, um zu hören, was uns die Geschichte zu sagen hat. Denn manchmal findet man auch in kleinen Dingen unheimlich viel Glück, wenn man auch hier wieder genau hinsieht/hinhört. Denn wir finden Fabeln, Gleichnisse, Metaphern und Symbolik. Und ein wenig umweht die Geschichte auch der Wind des Schicksals. Alles findet statt, wie es stattfinden soll, alles hat seine Zeit, und passiert, wenn es für uns vorgesehen ist. Auch die Liebe. Manche Dinge brauchen und benötigen eben Zeit und Umwege. Einiges muss erlebt sein, um anderes erleben zu können. Und mit Ungeduld sollte man nicht durchs Leben gehen. Weisheit findet man deshalb auf jeder Seite des Buches. Und auch wenn es nicht viele Seiten hat, so habe ich das Buch nicht an einem Tag lesen können, weil jede Botschaft darin sich erst mal setzen musste, um seine Wirkung zu zeigen. Trotzdem haben die Ansätze der Gedanken mir sehr gut gefallen. Was das Buch mit dem Kopf und den eigenen Gedanken macht? Es schickt uns auf eine eigene Reise in der eigenen Vorstellung, mit eigenen Lektionen für sich selbst. Nimmt uns trotzdem auf seine eigene Reise mit. Eine eigene Reise in der eigenen Reise eines anderen. Verständlich? :D

Und auch wenn sich manche Realisten ständig fragen würden, woher Juno das Geld zum Reisen hat, ob sie keinen Job hat, oder einen, der ihr so lange Urlaub gibt, wie sie dies alles mit ihrer Wohnung hinbekommt, ob sie nicht weiterhin Miete zahlen müsste und…..überhaupt. Mit all diesen Fragen wäre das Buch nur halb so schön, und würde eine Menge seines Zaubers verlieren. Deswegen sollte man sich einfach fallen lassen, die Gedanken der rauchenden Köpfe und realitätsnahen Fragen sein lassen, und genießen. Denn ja, manchmal denken wir zu viel. Wie es eben im einem Land der qualmenden Köpfe üblich ist. Land der was? Ach so. Die Reise um die Welt ist fantasievoll, und in einer Sprache beschrieben, die nicht mit der Realität zu vergleichen ist. Statt mit Fakten zu arbeiten, und alles so zu benennen, wie es in der Realität heißt, reist Juno um die Welt in Länder, deren Merkmale sie ausmachen. Wer dann wirklich wissen will, wo er mit seinen Gedanken war, der kann im Buch hinten schauen. Denn dort gibt es eine Weltkarte von Junos Reise, gepaart mit den Namen der Länder aus der Geschichte. Diese symbolisch faktische Kombination schafft es auch, dass sich unweigerlich Bilder im Kopf zusammensetzen, weil man denkt, man wüsste in welchem Land man sich befindet. Diese aber dazu noch so wunderbar beschrieben sind, als wäre man direkt da. Menschen, Gerüche, Landschaften, Tätigkeiten. Alles ist da. Wir lesen von Häusern die nicht fliegen können, Städten die schielen, Länder der runden Brote, runden Fahnen, 1001 Gerüche, oder der qualmenden Köpfe als Beispiel. Diese Ausdrucksweise ließ mich schmunzeln. Und am Ende ist das Buch vielleicht auch so etwas wie eine Liebeserklärung an unseren Planeten Erde mit seiner Vielfalt und Schönheit, seinen unterschiedlichen Facetten. Vom Meer in all seiner Vielfalt, von stürmisch rau bis still wärmend und einladend, über karge Berglandschaften, bis zur Wüste, den Wäldern und Feldern, dem Himmel mit seiner Weite, grüne Wiesen, Berge und Täler, Felslandschaften, Dschungel, den Blumen in aller Farbenvielfalt und den farbenfrohe Pflanzen. All dies kann man ja auch nur als Wunder ansehen. Und mit der Erkenntnis, dass uns die Welt so viele schöne Dinge zeigt, kann man dann vielleicht auch die Augen dafür geöffnet bekommen, dass es auch vor der eigenen Haustür Wunder und Schönes zu sehen gibt, wenn man nur genau hinschaut. Das alles bringt neue Sichtweisen auf das Leben, und nach jeder Begegnung mit einem Menschen lernt Juno eine wichtige Lektion über dieses Leben, und die Formen von Glück. Und das Tollste ist, dass Juno diese Lektionen nicht nur mit ihrem Notizbuch teilt, sondern auch mit uns. Und wir so ebenso aus den Begegnungen lernen. Es scheint wie ein innerer Kompass zu sein, der Juno führt. Jedes Land bringt eine Lektion, die zu einer neuen Erkenntnis führt, und in ein weiteres Land. Dabei ist genau diese Reihenfolge wichtig. Wer auch immer diese festgelegt hat, es macht Spaß sie genauso zu lesen. Denn eines führt zum anderen, folgt einem Ziel, aber nicht mit Hast. So, dass der Weg auch zum Lernen, und als Ziel zum eigentlichen Ziel angesehen werden kann. Wir tauchen in jede Menge philosophische Gedanken ein, reisen dem Glück hinterher, aber auch ihm entgegen, und lernen auf dieser Reise die Welt und die Menschen in ihr kennen. Länder voll Lächeln und Freude, aber auch Melancholie. Es gibt so vieles zu lernen in dieser Welt. So wird alles zu einem riesigen Abenteuer, einer Schatzsuche. Und das alles durch unsere Welt hindurch. In der es doch keine Abenteuer und Schätze und Wunder geben kann? Aber wer sagt das eigentlich?!

Das Buch lehrt uns auch, dass wir mit offenen Augen durchs Leben gehen, Dinge wahrnehmen, alles um uns herum in uns aufnehmen sollten. Denn wenn dem nicht so wäre, könnte man die Wunder der realen Welt glatt verpassen, vor lauter Realität ODER Träumerei. Und Träumerei und Fantasie können auch ein guter Start in ein Leben voller Träume sein, welches man real verwirklichen und leben darf. Es ist wie eine Reise zu sich selbst, eine Loslösung von der Traumwelt eines jeden, ohne sich von der Traumwelt gänzlich zu lösen. Eine Verbindung zwischen Leben, Realität, und den Träumen, dem Glück, das man auch als Träumerin darin finden kann. Und damit auch ein bisschen das Verlassen, das Ausbrechen, aus Sicherheit und Schutz seiner Fantasieblase, rein in die Gefahr der Realität, mit all ihren Menschen, die einem Angst machen können, weil sie so anders sind, als man selbst. So baut der Roman aufeinander auf, in den Träumen, von den Träumereien, in ein Leben mit Träumen, dann ohne Träume, und dann mit der Erkenntnis, dass alles parallel existiert… Traum und Wirklichkeit. Wenn man es nur zulässt, und nicht stillsteht und sich versteckt vor der Welt, die voller Wunder ist. Denn selten habe ich solch ein kleines Buch gesehen, das so viel Wahrheit und Inhalt erzählt, da fast jeder Satz wunderschön und wichtig zu sein scheint. Es ist kein langes Buch, kurz von den Seiten, aber auf keinen Fall nur kurzweilig, denn es macht nachdenklich auf seine ganz eigene träumerische Art und Weise, und behält seine eigene Ernsthaftigkeit.

Ich habe das Gefühl, dass es gerade in unserer heutigen schnelllebigen Zeit Dinge braucht und benötigt, die uns zum Träumen einladen, und damit alles Schnelllebige etwas entschleunigen. Und dieses Buch ist so ein Weg, heraus aus unserer analytischen, und oftmals etwas kalten Welt, voller Fakten und überhöhten Erwartungen. Es spielt in genau dieser Welt, ohne uns hinabzuziehen in die Realität, denn es legt seinen Schutz der Traumwelt von Juno beim Lesen über uns, so, dass wir zwar beobachtend mit Juno agieren, und trotzdem mit ihr die schönen Tramwelten erleben, ohne die Belastung der realen Welt zu haben, aus der wir mit der Lektüre vielleicht auch versuchen ein wenig zu entfliehen. Der Reiz ist die Mischung aus Realität und Träumerei, aus Wirklichkeit und fast schon märchenhaftem Erzählen. Gerade diese Atmosphäre erlaubt es einem wunderbar abzuschalten, auch gerne den Verstand, und abzutauchen, und so die Welt um einen herum glücklicherweise zu vergessen. Ist diese doch gerade nicht wirklich soooo traumhaft. Und just in einer Zeit, in der nicht viel Platz für Träume in der Realität bleibt, ist es wunderbar zu wissen, dass uns eines keiner nehmen kann. Nämlich unsere Fantasie, und damit die Gedanken, mit ihr um die Welt zu reisen. Selbst, wenn es nur in unserem Kopf ist.

Das Buch kommt also ganz ohne magische Welt klar, in die erst eingetreten werden darf, wenn man sie findet. Oder halt. Ist es nicht viel eher so, dass diese reale magische Welt parallel zu unserer existiert, sich über sie drüberlegt, und eben nur von denen gesehen werden kann, die ihre Wunder auch wahrnehmen? Und das ohne durch ein Portal zu schreiten, sondern einfach nur mit offenen Augen durchs Leben laufen? Die Normalität der Dinge wird hier auf solch herausragende Weise märchenhaft dargestellt, dass man sich in einer Halbwelt aus Realität und Traum befindet. Wie ein Märchen für Erwachsene, auf der Suche nach…..der wahren Liebe, wie im Märchen? Es ist ein bisschen wie eines, das uns durch eine Fantasiewelt führt, die gar keine sein sollte, da sie unsere normale Welt ist. Und doch. Wenn man sie durch Junos träumerische Augen sieht, ist es eine Welt voller Fantasie. Hinter der Normalität der Städte wird gezeigt, dass mit dem richtigen Blick und einem großen Maß an Fantasie jedes Leben wundervoll fantastisch und märchenhaft sein kann. Das Ganze ist eine kleine Ode daran, auch als Erwachsener ein Kind im Kopf zu bleiben. Denn daran ist überhaupt nichts Schlimmes. Wir verlieren im Laufe der Zeit unsere Fantasie, und ersetzen sie gegen das Hamsterrad des Lebens, das Erwachsensein, die „qualmenden und rauchenden Köpfe“. Wir nehmen alles ernst, und haben weniger kindliche Freude, und erfreuen uns nicht mehr über die Wunder des Lebens, die kleinen Dinge, die uns Glück bringen, und als Kinder genau diese Freude bereitet haben.

Was wundervoll hervorgehoben wird ist die Einzigartigkeit von Juno. Sie ist nicht wie die anderen, und das in einer Welt, in der alle gerne gleich sind, und sich sogar schämen, wenn sie anders denken, anders aussehen, oder anders agieren möchten. Sie unterdrücken dann lieber ihre Wünsche und Träume, um weiterhin zu der Masse von Menschen zu gehören. Sie sind hastig, zu sehr auf sich besonnen, als dass sie die Welt um sich herum wirklich wahrnehmen. Da sie nur auf sich fixiert sind, in ihrem Kreis aus Realitätsdingen, bemerken sie nicht die Wunder, die um sie herum geschehen. Juno ist NICHT so. und das ist natürlich erfrischend anders. Zeigt es uns doch, dass jeder so sein sollte, wie er es sich für sich selbst wünscht, und wie er glücklich ist. Selbst wenn die anderen ihn dafür komisch anschauen, oder ihn merkwürdig finden. Es scheint als seien die Menschen so abgelenkt von den Kleinigkeiten im Leben, die das Leben darstellen, und zwar durch ihre Pläne, ihre Tagesplanungen, ihre Ziele im Leben, im Beruf, in der Karriere, im Weiterkommen, und das so sehr, dass sie doch fast vergessen zu leben, sich treiben zu lassen. Und Juno ist stille Beobachterin. Das Buch ist bunt, in einer farbigen Sprache geschrieben, die einem sofort genau diese buntfarbigen Bilder in den Kopf setzt. Wir erfahren Dinge über Juno im Erzählstil. Sie erzählt uns ihre Geschichte nicht selbst, sie wird uns erzählt. Und trotzdem bleibt Juno uns nicht fremd, ihre Abenteuer uns nicht fern. Und so beginnt eine Reise auf der Suche nach dem Einen, der Juno so nimmt, wie sie ist, der sie liebt, mit all ihren Worten, ihren Eigenheiten, und allem. Juno sucht nach dem einen Menschen, der sie versteht, der ihren Weg mit ihr geht, der die Welt so sieht wie sie, und nicht bloß ein Jemand ist, der einen begleitet und einem Schmetterlinge in den Bauch zaubert, einen aber nicht versteht, und die Sichtweise auf die Welt, die man sein eigen nennt, erst recht nicht. Unweigerlich kommt dabei die Frage auf, wie viele von uns mit Menschen zusammen sind, die uns zwar begleiten und uns ein kribbelndes Gefühl im Leben bereiten, die uns innerlich aber gar nicht wirklich ähnlich sind, oder uns gar wirklich verstehen, und das wortlos. Dies ist das Wunder der Geschichte, die Suche nach Etwas, das es vielleicht nicht gibt. Und wenn doch, dass es dann wunderbar, wundervoll, und eben ein Wunder ist. Ein Buch zum Eintauchen der Fantasie und Tagträumereien, der Wunder, Träume, und Hoffnungen, in das man sich einfach nur fallen lassen möchte. Eine wundervolle Ansammlung von Verrücktheiten, in der Welt gerne auch als Unsinn verteufelt. Aber muss immer alles Sinn machen, und kann der Sinn nicht daraus bestehen, die Welt durch wundervolle Verrücktheiten ein wenig schöner und lockerer und fröhlicher zu machen? Und ja, irgendwie ist es natürlich auch ein Buch über Jemanden, der sich zwischen den Seiten eines Buches, zwischen Buchstaben die Geschichten ergeben, anfänglich wohler fühlt als in der realen Welt. Und als passionierte Leserin, die sehr früh damit angefangen hat, kann ich diese Denkweise von Juno eben sehr gut nachvollziehen. Auch wenn ich weiß, dass sie nicht immer richtig für das Leben „da draußen“ außerhalb der Bücher ist. Denn Bücher können Frieden für einen selbst, Flucht, Glück, und ganz viel Abenteuer bedeuten. Oder eben Wunder.

Das Buch zeigt, dass Menschen, die wenig haben und brauchen, oft glücklicher sind, als die die immer mehr haben wollen, und niemals genug haben. Und dieses Glück unter der Oberfläche der Wirklichkeit zu finden. Ein Glück, das dem Alleinsein entflieht, und eine andere Hälfte seiner selbst sucht, die einen reich macht. Die Geschichte wirkt wie aus der Zeit gefallen, und das meine ich positiv. Sie könnte genauso gut im Heute stattfinden, aber auch aus vergangenen Zeiten stammen. Und es zeigt sehr schön auf, dass, wenn man sich richtig fallen lässt, sich in eine Situation hineindenkt, mit dem Herz und nicht mit dem Kopf, dann kann fast alles zum Traum werden. Und so scheint es wirklich, als ob wir uns beim Lesen mitten in einem Traum befinden, der doch irgendwie in der Realität spielt, die uns aber zum Glück nicht ihr wahres reales Gesicht zeigt. Sie läuft nebenher und scheint durch, obwohl man in einer Gedanken– oder Traumwelt, weit weg von der Realität des Lebens, ist. Voller Träumerei, Phantastereien und Gefühlen. Man darf nicht nur an das glauben, was man sieht.

Heutiges Rezensionslied? Natürlich eines über Wunder!:

„Viele Menschen suchen, jeden Tag auf's neu, jemand, der sein Herz Ihnen gibt.
Und wenn sie schon glauben, er kommt nie vorbei, finden sie den einen, der sie liebt.

Wunder gibt es immer wieder. Heute oder morgen, können sie geschehen.
Wunder gibt es immer wieder. Wenn sie dir begegnen, Musst du sie auch sehen.“

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 19.02.2021

Mit Familienbanden ist das so eine Sache. Wem fühlen wir uns verbunden?

Winterleuchten am Liliensee
0

Winterleuchten am Liliensee von Elisabeth Büchle

Es waren einmal drei Brüder….! Spaß! Trotzdem: Heute geht es um Familie, um Einsamkeit, Alleinsein, sich vergessen fühlen. Aber auch um Vorurteile, und ...

Winterleuchten am Liliensee von Elisabeth Büchle

Es waren einmal drei Brüder….! Spaß! Trotzdem: Heute geht es um Familie, um Einsamkeit, Alleinsein, sich vergessen fühlen. Aber auch um Vorurteile, und das Ankommen bei Menschen, die nicht immer unserer Familie zugehörig sein müssen. Und da all diese Themen in der Geschichte vorkommen, und aufeinanderprallen, fange ich heute gleich, und ohne viele Vorworte an, etwas über das Buch zu erzählen. Die Gedanken dazu kommen also an späterer Stelle.

Die Geschichte, die das Buch erzählt:

Wir schreiben das Jahr 1965. Lisa aus der Großstadt reist in den Schwarzwald zu den Vogels. Mutter Charlotte Vogel ist eine alte Freundin ihrer verstorbenen Mutter. Da diese sich, auch im Leben, nie richtig um ihre Tochter gekümmert hat, sieht Lisa nun die Chance, sich in einer Familie zugehörig zu fühlen. Denn das ist etwas, das ihr gesamtes Leben gefehlt hat. Doch so einfach ist das natürlich nicht. Denn da ist ja noch Robert, einer der drei Söhne von Charlotte, der allem und jedem gegenüber misstrauisch ist, und in allem Betrug sieht, und seine Familie davor schützen will. Doch auch Charlotte hat Pläne. Ihre drei Söhne sollen nämlich unter die Haube, natürlich nach und nach. Und so sieht sie in Lisa eine potenzielle Schwiegertochter. Die Berge des verschneiten Schwarzwaldes sollen es richten, und so bricht Robert mit Lisa zu einer Tour auf. Doch die Berge im Winter bergen auch Gefahr. Und überhaupt, kommt ja meistens alles ganz anders, als geplant. Lisas Ängste und Roberts Ängste sammeln sich in einer Hütte, und irgendwie entsteht dort eine ganz besondere Atmosphäre. Man meint fast, etwas entsteht, was beide so nie gehabt haben, und nach dem sich beide sehnen. Und wie so oft, in solchen Romanen, geht das Ganze nicht ohne Probleme und mächtige Bedenken voran. Lest also, wie man Nähe aufbauen kann, ohne sich körperlich nah zu sein.

Cover und Titel:

Das Cover finde ich sehr passend, weil es winterlich, und trotzdem hoffnungsvoll, und wunderschön aussieht, und uns zeigt, dass Winter nicht immer nur grau und dunkel sein muss, sondern auch mit Helligkeit, Licht, und damit Hoffnung verbunden sein kann. Deswegen auch der schöne Titel des Winterleuchtens. Und der Liliensee? Nun ja. Ich bin mir sicher, der ist im Winter genauso schön anzusehen, wie auch im Frühling oder Sommer. Aber hier erscheint er fast glitzernd winterlich :)

Fazit und Gedankenallerlei:

Wir lernen auch hier wieder die Protagonisten unheimlich gut kennen, dürfen in ihr Inneres sehen, fühlen mit ihnen mit. Sie sind uns sympathisch, nicht fremd, sondern erscheinen uns sehr nah. Genauso, wie ich es mag, da mir die Charaktere in den Geschichten immer das Wichtigste sind. Und so liebe ich es, wenn es einem fast so erscheint, als ob man die Menschen kennen würde, obwohl man sie erst kürzlich zu Anfang des Buches kennengelernt hat. Man verbindet mit ihnen die gemeinsame Geschichte, und das gemeinsam erlebte. Sie sind also sehr gut gezeichnet. Lisa die Städterin, die nichts mit Natur am Hut hat (denkt Robert), und Robert der unfreundliche Kerl (denkt Lisa). Dabei ist es ganz anders. Lisa genießt die Natur und die Umgebung, den Wald, den Winter, und vor allem den Liliensee. All die Landschaft gibt ihr Geborgenheit und Frieden und Ruhe. Und wer Natur liebt, der weiß, wie recht Lisa damit hat. Zusammen mit Lisa erleben wir die Landschaften rund um das Forsthaus, genauer gesagt einen Teil des Schwarzwaldes, und fühlen uns durch den Schreibstil mitten hineingezogen. Lisa selbst zeigt sich von einer ganz anderen Seite, als ihr Äußeres annehmen lässt. Sie ist verletzt im Inneren, erscheint wie ein scheues Reh, welches sie aber gar nicht ist, weil da auch Stärke in ihr wirkt. Außerdem mag ich ihre Eigenart, dass sie ständig vor sich hinredet. Etwas, das mir irgendwie bekannt vorkommt. Trotzdem zweifelt sie an sich, und glaubt sich nicht liebenswert, da ihre Mutter sie weggegeben hat, und ihr eigenes Leben über das ihres Kindes gestellt hat, ihrem Kind gegenüber kein Verantwortungsgefühl zeigt. Ich finde es schön, dass Menschen im Buch nicht verurteilt werden, die eine falsche Selbstwahrnehmung haben, sich ungewollt fühlen. Denn viele wissen gar nicht, dass es Menschen mit solchen Störungen gibt, und erst recht nicht, wie mit ihnen umzugehen ist. Weiter habe ich gemocht, dass die Wandlung sichtbar war von Jemandem, der dachte, dass alle ihn nur verurteilen und sich ein Urteil über ihn bilden. Lisa hat sich durchgebissen und eine Wandlung durchgemacht, die mir gefallen hat. Ein Gefühl des gewollt seins und akzeptiert werdens, Respekt und Anerkennung, sind übrigens für jeden wichtig.

Das Buch beschäftigt sich sehr mit dem Thema der Einsamkeit in all seinen Formen. Der selbstgewählten Einsamkeit, aufgrund von Enttäuschung, und der Einsamkeit, die man sich nicht aussucht, weil man weggestoßen wird. Und natürlich auch ein wenig der Einsamkeit der Natur, denn ja, ich musste unweigerlich beim Buchlesen an einen wunderschönen Winterspaziergang in einer Schneelandschaft denken, in der man einsam und allein seinen Gedanken nachgehen kann, während die Sonne sich in den Schneekristallen spiegelt. Doch wir geraten auch in Familienbande, werden uns durchs Buch bewusst, was Familie einem bedeuten kann, und dass Familie nicht immer die Menschen sein müssen, die mit uns blutsverwandt sind, und die uns weniger familiär erscheinen, wie Menschen, die es gut mit uns. Die Frage nach Familie und Zusammengehörigkeit ist ein ganz zentrales Thema im Roman, das einem beim Lesen selbst dazu bringt, sich irgendwie zu hinterfragen. Denn eigentlich sollte Familie einem Liebe, Schutz, Geborgenheit, und Auffangstation in allen Lebenssituationen sein, und einem vor allem Unheil der Welt beschützen, so dass man immer etwas hat, an das man noch glauben kann, wenn alles andere im Leben schiefläuft. Leider ist das eben nicht in allen Familien so.

Das Buch spielt in der Gegend um Schiltach und Vierbrücken, am titelgeben Liliensee. Wenn ich diese Gegend also kennen würde, würde mir sicherlich vieles bekannt vorkommen. So haben mich die Beschreibungen der Umgebung, der Natur, der Landschaft, des Schnees, und die Atmosphäre der Jahreszeit eingefangen, und direkt an diesen Ort gebracht. Zumindest in meinem Kopf. Heißt….die Orte wurden so schön beschrieben, dass man sich mal wieder wegträumen konnte auf Waldwege, Berge, und in die wunderbare Natur. Die Klarheit des Sees ist symbolisch gesehen sehr schön, denn Lisa findet in genau dieser Natur, ihrer Abgeschiedenheit und Ruhe, Klarheit über ihre Vergangenheit und auch Gegenwart, und erkennt, was sie eigentlich im Leben will, und was wichtig ist. Was ich ebenfalls wundervoll finde ist der Schreibstil, die Umschreibungen, und die Bilder, die beim Lesen im Kopf entstehen. Fast wie bei einem Bild, welches man ansieht, während man den Roman liest, und die Leinwand sich mit Bildern und Farben füllt, je mehr der Text und damit die Geschichte voranschreitet.

Der Geist der damaligen Zeit zieht durch das Buch. Woher ich das weiß? Fragt nicht! Aber wenn man Familienmitglieder hat, die in dieser Zeit gelebt haben, dann bekommt man automatisch immer gesagt, wie schön und unkompliziert, und so viel wärmer die Zeit damals war, wie liebenswürdig die Menschen waren, und dass es keine allgemeine Kälte gab. Was natürlich nicht verallgemeinert werden darf. Damals gab es böse und gute Leute, genau wie heute. Und trotzdem wird der Roman begleitet von einer bestimmten Wärme, in der man sich wohlfühlt, und sich während des Lesens beschützt fühlt. Wie eine kleine Zeitglasglocke, unter der man sicher ist, und die einen eine Zeitreise machen lässt, in der man durch das Buch wandeln darf. Somit ist das Buch zeitlos, die Probleme die gleichen, der zwischenmenschliche Bereich ohne Veränderung. Das gibt einem ein Gefühl von Beständigkeit, und das ist schön.

Und dann weht durch das Buch noch der Winterwind einer anderen Zeitepoche, der 60 er, selbst wenn diese gar nicht so weit von uns entfernt liegt. Man spürt, dass die Menschen anders gelebt haben, als wir in unserem Heute. Und doch sind die Probleme bei den grundlegenden Dingen wie Liebe, Gefühle oder Familie dieselben. Es strahlt einen gewissen Charme aus. Spielend in der Vergangenheit, gekleidet in die Probleme, die allgegenwärtig in allen Zeiten sind. Sowohl in unserer, als auch in der ferneren Vergangenheit. Man wird durch das Buch in eine Zeit zurückgeworfen, in der alles etwas langsamer voranging als es heute der Fall ist, die aber nicht unbedingt altmodisch erscheint. Denn manchmal ist dieses Langsame vorsichtige doch durchaus schöner anzusehen, als das schnelle Vorpreschen in Liebesdingen, das in seiner Schnelllebigkeit dann genauso schnell wieder zu Ende sein kann. Ich mag diese langsamen Annäherungen in Geschichten, die nicht mit Lichtgeschwindigkeit voranschreiten. Diese Atmosphäre der Vergangenheit ist angenehm, ohne uns direkt darauf hinzuweisen, dass sie schon vergangen ist.

Der christliche Aspekt ist nicht vordergründig im Buch zu finden, weil sich einfach auch Fragen stellen, die sich jeder Mensch stellen sollte. Wie zum Thema Familie, Zusammenhalt, und wie wir mit Menschen umgehen, über die wir nicht viel wissen. Das hat mir sehr gut gefallen. Zum Beispiel wird das Vertrauen auf Gott angesprochen, aber nicht in derlei Ausmaß, dass es einen stört. Lisa selbst ist durch die Nichtliebe ihrer Mutter bei ihrer Großtante aufgewachsen, die früher Nonne war, und deren Gedanken im Buch gefallen mir ausgesprochen gut, weil sie allgemein gute Ratschläge sind für alle Menschen. Und wer fühlt sich nicht manchmal alleine, und spricht zu irgendwem, oder gar mit sich selbst? Deswegen ist das Buch für alle lesbar. Ob man an Gott glauben mag, oder nicht. Das Buch hat ca. 220 Seiten, was nicht viel ist. Und trotzdem fehlt es der Geschichte an nichts, nichts wurde ausgelassen, alles scheint komplett, und genau so, wie eine Geschichte sein sollte, mit ihrem Anfang, ihrem Ende, und dem, was dazwischen erzählt wird.

Der Roman fließt nicht einfach nur so dahin, wie ein ruhiger Fluss, steht aber auch nicht still, wie ein See. Irgendwie ist er sogar sehr tiefgehend, vielleicht ja sogar noch tiefgehender, als besagter See auf dem Cover. Denn ich kann die Geschichte weder als leicht dahinplätschernd und locker flockig verbuchen, noch als super ernste Geschichte, die einem keine Freude bietet. Irgendwie ist es eine Symbiose aus humorigen Stellen, die auch leicht ins Nachdenkliche schlittern. Wir haben eine Liebeserklärung an den See. Ruhe, Geborgenheit und menschliche Wärme, gegen Kälte, Anonymität, Einsamkeit, und Lärm der Großstadt, die Wohnort, aber kein Zuhause und keine Heimat ist, wenn man auch dort einsam ist. Ich gebe zu, was mir gefallen hat, das war die heile Welt, die aber nicht überdröselt war. Manche Zeiten bedarf es eben einem Roman zum Wohlfühlen, und das habe ich definitiv getan. Und Hurra. Wer drei Söhne hat, muss sie natürlich auch alle unter die Haube bringen. Nicht wahr, liebe Charlotte? Na gut. Muss man natürlich nicht. Aber es wäre schön, denn das würde bedeuten, dass es noch weiteren Lesestoff der Reihe rund um die Familie Vogel geben würde. Ich bin gespannt und harre der Dinge die da kommen! :). Denn dies ist auch eine Verkupplungsgeschichte, oder eher ein Versuch dessen, aber nur ganz leicht. So leicht, dass man es gar nicht merkt. Was man merkt, sind Verwicklungen, Verwechslungen und Geschehnisse. Und das ist zum einen sehr tiefgehend, zum anderen aber auch sehr humorvoll. Denn in manchen Situationen im Buch kann man einfach nur einen Schelm finden, der einen zu herzhaftem Schmunzeln veranlasst. Doch wie schon erwähnt ist das Buch kein reines Buch einer humorigen Geschichte, sondern auch ein sehr hoffnungsvolles, mit einer Geschichte, die einen definitiv zum Nachdenken anregt und das über eine Menge Dinge. Familie, Alleinsein, Vertrauen, Misstrauen, Respekt, Beständigkeit, Zusammenhalt, Familienbande, Zugehörigkeit und das Gefühl, ungewollt und nicht willkommen zu sein. Oder eben umgekehrt dann sich auch wieder willkommen und geliebt zu fühlen. Von einer Liebe in allen Formen. Nicht nur der Liebe in Beziehungen, sondern auch der familiären Liebe, der Geschwisterliebe, der Liebe zu Menschen, die uns zugehöriger sind als unsere Blutsverwandten, und wahrscheinlich auch ein kleines bisschen der Liebe zu Gott, oder einer Macht, die ihm gleichgestellt ist. In welcher Form, oder an wen auch immer man glaubt in Zeiten, in denen man Hoffnung braucht, und sich alleine fühlt.

Auch haben wir viele Dinge, die nicht ausgesprochen werden, im Grunde genommen im ganzen Roman. Diese sorgen dann für Missverständnisse, Voreingenommenheit, Vorurteile, und, dass jeder von Allem andere Vorstellungen hat, die sich in seinem Kopf und in den Gedanken bilden. Und DAS wiederum führt……..wieder zu Verwicklungen. Die richtig schönen der Art, wo man sich als Leser gerne gegen den Kopf schlägt, und alle rütteln und schütteln möchte, um sie auf Dinge zu stoßen, die ihnen irgendwie verborgen bleiben, ob ihrer eigenen Gedanken und Denkweisen. Nicht das hier jemand dumm wäre. Nein. Vielmehr denken manche ZU VIEL. Und falsch. Aber wer wäre ich, Denkweisen als falsch zu beurteilen? Alles hat seinen Grund und seine Wege. Auch hier. Selbst wenn der Weg nicht gradlinig ist, sondern mit einigen Umwegen, die einen oftmals auch in verschneite Wälder führen. Das Buch agiert hierbei als Puzzle, oder gar als Kartenspiel, Zug um Zug, oder auch Puzzleteil um Puzzleteil, wächst hier etwas ganz langsam zusammen, das man als stiller lesender Beobachter miterleben kann.

Robert und auch Lisa, haben in der Vergangenheit seelische Wunden erlitten, und diese tragen sie nicht heraus in die Welt, sondern verheimlichen sie, so gut es geht. Und wieso sollten sie sich gegenseitig auch ihre Leidensgeschichten erzählen? So kommt es, dass beide nur das sehen, was sie wollen, und so entstehen gegenseitige Vorurteile. Lisa sieht in Robert den unfreundlichen Kerl, der irgendwas gegen sie hat, und Robert wiederum sieht in Lisa ein Mädchen, das sich in seine Familie hineinschleicht. Wir als Außenstehende sehen das besser, die beiden in ihrer eigenen Geschichte nicht. Und so, mit etwas Distanz, und trotzdem Nähe zu den Figuren, erkennen wir die Geschichte als das, was es ist. Verwechslungen und Irrungen, und ganz großes Unwissen in Form von Vorverurteilungen, ohne dass man sich besser kennt, und es erst mal auch nicht will. Wir sehen: Ehrlich muss man sein, damit man sich gegenseitig kennenlernen kann. Oh, und zugreifen, wenn das Glück direkt vor einem steht, anstatt zu zögern. Und dann wackeln die Ängste, und zerbröseln, gehen nicht ganz weg, aber dafür die Vorurteile, die sich ebenfalls in Staub verwandeln.

Und weil die Geschichte mit dreierlei Dingen zu tun hat, dachte ich mir, das heutige Rezensionslied könnte passen. Wir haben die Einsamkeit, die einen erfüllen und durchdringen kann, wir haben die Heimat, die ein Ort oder ein Mensch für uns sein kann, und wir haben den See, den sogar auf dem Cover, den ich einfach mal mit einem besungenen Meeresgewässer vergleiche :D. Weil es dann auch noch in die Zeit des Buches passt, da es aber auch zeitlos ist, fand ich die Vorstellung schön, jemand im Buch könnte vielleicht dazu tanzen :):

„Lonely rivers flow, to the sea, to the sea. To the open arms of the sea, yeah.
Lonely rivers sigh, "Wait for me, wait for me". I'll be coming home, wait for me.“

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 03.02.2021

Wer Blut hasst, der sollte nicht allein im Thüringer Wald unterwegs sein.

Verhasstes Blut
0

Verhasstes Blut von Mark Franley

Die Welt da draußen ist schön, aber auch grausam, und irgendwie gefährlich. Sie ist beides. Wie so vieles in unserem Leben. Licht und Dunkelheit. Ruhe, Frieden, aber auch ...

Verhasstes Blut von Mark Franley

Die Welt da draußen ist schön, aber auch grausam, und irgendwie gefährlich. Sie ist beides. Wie so vieles in unserem Leben. Licht und Dunkelheit. Ruhe, Frieden, aber auch Lärm. Nicht immer kann man das eine in die gute Ecke drängen, und sagen, das andere ist das einzig wahre Schlechte oder eben nicht Schlechte. Man muss abwägen. Und so ist es mit der Welt auch. Die Welt, und die Wälder in ihr sind wunderschön, können aber auch respekteinflößend und beängstigend sein. Liebe und Schutz kann eine schöne Sache, wenn nicht die Tollste der Welt sein, aber im Übermaß auch beengend. Und die Stille, die ein Wald uns gibt, um zur Ruhe zu kommen, kann ganz schnell in Gefahr verwandelt werden, wenn wir doch nicht alleine sind, und Hilfe bräuchten. Ich würde den Wald aber dafür niemals verurteilen. Wen also dann? Den Menschen, der mich in Gefahr bringt? Natürlich! Aber wir erinnern uns an Schwarz und Weiß, und die Grautöne dazwischen. An Dinge, die aus einer Perspektive das Richtige sind, und aus der anderen das Falsche. Was sie auch wirklich irgendwie sind. Aber man muss eine Geschichte erst in ihrer Gesamtheit kennen, um Menschen für diese zu verurteilen. Denn über so manches legt sich gerne ein Schleier aus Geheimnissen, Ungesagtem, Grausamkeit und Sachen, die uns hilflos machen….. und manchmal auch schutzlos. Mein perfekter Schutz ist ja ein warmes Zimmer, eine Decke, was Warmes zu trinken, und dazu ein Buch. Eine Tür, die die Welt draußen aussperrt, und mich in eine andere Welt manövriert. Was mir Sicherheit gibt. Denn in der Blase aus Buch und Wohlfühlen, in meinem Zuhause, da fühle ich mich wirklich so ziemlich am sichersten. Sogar vor den Gefahren, die dieses Buch mir als Leser vor die Nase gesetzt hat. Worum geht es also?

Die Geschichte des Buches:

Und die ist diesmal gar nicht so einfach zusammenzufassen. Aber ich versuche es mal. In einem kleinen Ort in Thüringen, Frauenwald genannt, mitten am Rennsteig liegend, kommt es zu einem Verbrechen. Zwei Wanderer werden, von Jugendlichen, grausam zugerichtet nachts im Wald gefunden. Was sie an der Stelle noch finden, ist ein kleiner Junge, bekleidet mit einer Jacke aus menschlicher Haut, der nicht spricht. Und zu allerletzt noch eine Frauenleiche, die unter Zweigen begraben liegt. Und nun merken wir schon, dass hier mehrere Dinge passiert sein müssen. Kommissar Ruben Hattinger aus Bamberg ist am Fall interessiert, ist die Tote doch eine Frau, die im Zusammenhang mit einem alten Verbrechen vor 5 Jahren steht, nach dem sie spurlos verschwand. Doch der Täter dieses Verbrechens ist seit dieser Zeit in einer psychiatrischen Anstalt untergebracht. Ist also ein Nachahmer am Werk? Jemand der damals im Fall involviert war? Ruben kommt nach Frankenwald, um die Polizei dort zu unterstützen. Auch dabei ist Eva Lange, eine junge Kollegin, die er von einem früheren Fall kennt. Und ab hier muss man dann wirklich selbst lesen, um die Geschichte zu erfahren. Denn was das Morden angeht, scheint es gerade so, als ob das erst der Anfang war. Weitere Menschen sterben. Und man muss sich unweigerlich fragen, warum alles passiert, und warum gerade jetzt? Viel Spaß also beim Selberherausfinden :D

Cover und Titel:

Zum Cover sage ich heute mal keine Mutmaßungen, aber nach er Lektüre wird man sich denken: Es passt. Verhasstes Blut als Titel deutet vielleicht nicht darauf hin, dass man Blut an sich hasst. Vielleicht ist es einfach so zu verstehen, dass man bestimmtes Blut hasst, oder gar das Blut einer Blutlinie, und allen, die dieses Blut in sich haben.

Fazit und Gedankenallerlei:

Jaja, Der Schutz in einer grausamen, kalten Welt. Was uns Unsicherheit bringt, und uns den Schutz vergessen lässt, das ist die Jagd. Und ich spreche hier nicht ausdrücklich von Jagden und Jägern, die Tiere erlegen. Man kann vieles jagen. Verdächtige, die nicht auffindbar sind. Die Jagd nach der Wahrheit der Vergangenheit. Die Jagd nach einer guten Story, samt perfektem Foto. Spuren kann man nachjagen, wo auch immer sie einen hinführen. Man kann potenzielle Mörder jagen. Tiere. Oder alles, was den Jagdinstinkt weckt. Tatsächlich kann man somit auch Menschen jagen. Oder gar Frauen. Die Frage ist immer, als was die Jagd angesehen wird, ob sie rein aus Grausamkeit beginnt, ob eines Gefühls der Überlegenheit, dass man die Sicherheit eines Menschen oder Tiers überwinden kann, und somit stärker und überlegener ist. Oder aus anderen Gründen, die psychologisch so tiefgehend sind, dass sie nicht für alle Welt verständlich sind. Das Buch spielt mit der Thematik der Jagd. Die Ermittler folgen Spuren, und sind immer einen kleinen Schritt hintendran. Die Beute, also der Mörder, versteckt sich gut, er tarnt sich, weil er nicht erwischt werden will in seiner eigenen sicheren Zuflucht. Und trotzdem lässt einen alles zwiespältig zurück, denn man erfährt den Grund, warum er dies alles tut. Diese Atmosphäre der Spannung, das Hinterherlaufen, und immer einen Tick zu spät sein, hält die Spannung ungewöhnlich hoch. Wer mit Jagd auf Tiere gar nicht klarkommt, für den könnten einige Szenen grausam erscheinen. Ebenfalls könnte es allerdings auch grausam für die werden, die mit der Jagd auf Menschen nicht zurechtkommen. Denn es ist immer noch ein Thriller.

Die Normalität ist es, die einem hier das Gruseln lehrt. Die Normalität der Situationen, die nicht durch Action hervorstechen, sondern dadurch, dass sie so normal sind, dass sie uns allen passieren könnten. Um dann gleich darauf in etwas zu münden, das grausam erscheint, und einen aus der Normalität in eine Schreckensvision der Normalität hineinbringt, in der auf einmal tote Menschen auftauchen. Auch die Morde an sich werden nicht grausam explizit und bis ins kleinste Detail beschrieben. Und trotzdem sind es die wenigen Worte der Beschreibung, nur das, was passiert ist, die einem eigene Bilder in den Kopf jagen. Vielleicht auch gerade deshalb WEIL nichts ganz genau beschrieben wird, und man trotzdem weiß, wie schrecklich das Passierte ist.

Atmosphärisch ist das Ganze wirklich sehr gut gelungen. Die Einsamkeit des Waldes, die Dunkelheit, aber auch die Stille und Schönheit sind so beschrieben, dass man sich direkt hineinfühlt (für einige beruhigend, für andere unerträglich). Unheimlich, mit seinen Nebelszenerien über den Tannen, der Dunkelheit. Ja, die unheimliche Atmosphäre überzieht das Buch und die Worte so, wie der Nebel im Buch die Tannenspitzen überzieht. Und das kann gute und schlechte Seiten haben. Denn ja, der Wald kann sowohl Ruhe und Einsamkeit geben, als auch Ruhe und Einsamkeit, die uns gefährlich werden kann, wenn wir alleine sind, und das Menschen auszunutzen wissen. Waldeinsamkeit kann Respekt erzeugen. Denn dieser ist anfänglich dunkel und gruselig. Und so kann der Wald uns mit seiner Dunkelheit, aber auch mit lichtdurchfluteten Lichtungen, in Sicherheit wiegen, aber auch gefährlich werden. Wie ein Mensch. Der eine dunkle, und eine helle Seite hat. Dies ist die Art von Buch, die man nicht abends alleine bei Dunkelheit anfangen sollte. Oder gerade doch? Je nachdem, wie man sich gerade fühlt. Mir kam sofort in den Kopf, meinen Waldspaziergang für den nächsten Tag vielleicht…..äh……mal auszusetzen :D. Die Atmosphäre der Unsicherheit beim Leser, also mir, ist also geglückt.

Wir haben mittendrin immer wieder Gedankenmitschnitte, Erinnerungen, und haben Sequenzen, in denen wir in die Gedankenwelt des „Bösen“ abtauchen, ohne zu wissen, wer er ist. Denn die Auflösung des Rätsels, das Ende der Jagd, die Lösung der Geheimnisse, dies alles erfahren wir erst am Ende, wenn die Geschichte zum Schluss hin immer klarer wird, der Fall aufgedröselt, die Motive verstanden, und die Warums gelöst werden. Außerdem mag ich, die Vielschichtigkeit der Aspekte im Thriller, dass es nicht einfach nur eine Geschichte ist, in der ein kranker Mörder gesucht wird, der schlimme Dinge anstellt. Hier sind viel mehr Facetten vorhanden, und am Ende muss man sich Fragen stellen, auch der psychologischen Aspekte und Komponenten wegen. Denn davon lebt die Geschichte. Alles ist psychologisch durchdacht, und manchmal weiß man selbst nicht mehr, ob ein menschlicher psychischer Abgrund wirklich als das bezeichnet werden kann, oder eine andere psychologische Bedeutung hat. Und, ob die „normale“ Welt nicht viel schlimmere Abgründe versteckt, die aufgedeckt werden sollten. Wer also festlegt, was normal ist, und was nicht, oder ob die Natur der Dinge, die Natur in ihrem Sein seit Anbeginn der Zeit, einfach ihren Lauf nimmt. Selbst wenn wir Menschen es durch unsere moderne Gesellschaft, in der alles geordnet ist, so schön zu vertuschen suchen. am Ende gelöst wird, dessen Wahrheit sich erst dann offenbart. Das Buch spielt mit Urinstinkten bei Tier und Mensch, mit Familie, Schutz, Beschützerinstinkten und drohender Gefahr, und mit einer krankhaften Sicht auf die Welt mit all diesen Gefahren.

Das Buch lebt von den Charakteren, hier besonders Ruben Hattinger. Dieser ist manchmal emotionslos, gar kalt, wenig empathisch, zumindest bei der Arbeit, dafür aber sehr genau was Indizien und Hinweise und ganz kleine Dinge angeht, die zur Lösung des Falles beitragen. Kurz gesagt….Im Arbeitsmodus nimmt er seine Umgebung besser wahr, als jeder andere. Da lasse ich ihm auch alle seine Eigenarten. Was mir noch sehr gut gefällt ist, dass die anderen Charaktere sehr menschlich agieren, nichts unterdrücken, sondern ihren Emotionen freien Lauf lassen, wenn sie ein Opfer ansehen müssen, und sich der Schrecklichkeit der Tat gewahr werden. Und auch, dass Gefühle und Tränen vorkommen. Oh. Und irgendwie sehr viele nackte Leute. Was das genau bedeutet, müsst ihr aber selbst herausfinden. Nackt und schutzlos und verletzlich sind sie eben, ohne die Sicherheit der Kleidung.

Sind es nur zwei Geschichten in einer? Fast scheint es so, als ob ganz viele Geschichten in der einen stecken, die allesamt miteinander zusammenhängen, eine Verkettung von Umständen sind, wo eines zum anderen führt. Alles vermischt sich, alles hängt miteinander zusammen, ist verwoben. Und mitten im Buch werden wir an der Nase herumgeführt, und alle Lösungen, die sich im Kopf gebildet haben, fallen zusammen wie ein Haus auf weicher Erde, die Sicherheit zerbröselt wie vom Regen verwaschene Spuren.

Für mich war dies Ruben Hattingers erster Fall, und das, obwohl es eigentlich schon sein dritter ist. Den man übrigens auch ohne die Vorgänger lesen kann. Ruben als Figur, Ermittler und Charakter ist ganz besonders. Trotzdem ist er nicht blass geblieben, und nach einer Weile war für mich seine Handelsweise verständlich, und machte irgendwie Sinn. Auch wenn solch eine Art von Mensch auf viele Menschen unnahbar und merkwürdig wirkt. Aber gerade das mag ich ja an Charakteren. Wenn sie NICHT so sind, wie alle. Und ja, die Einsamkeit und die damit verbundene Sicherheit spiegelt sich auch in ihm wieder. Zumindest ein bisschen. Ist er doch einer der Sorte Mensch, die alles lieber alleine tun, sich in Gruppen von Menschen nicht wohlfühlen, keine Nähe oder Berührung erträgt, soweit es sich nicht um seine eigene Familie handelt? Auch das deutet auf Schutz hin, denn manchmal will man sich auch einfach nur vor anderen Menschen schützen.

Der psychologische Aspekt im Buch ist so gut durchdacht, dass man kann nicht genau zuordnen kann, was Böse, und Gut ist. Leicht schwammig muss man für sich entscheiden, wer Beschützer ist, und wer Täter, was Schutz bedarf, oder ob einfach jemand psychisch krank ist. Die richtige Einteilung in Schwarz und Weiß gibt es also hier nicht. Wir befinden uns im Zwielicht des Waldes, weder in der Dunkelheit, noch im Licht. Und dort gefangen in Kellern, in eigenen Gedanken, in seiner eigenen Welt, die man sich zusammenreimt.

Doch wo die Jagd vorkommt, gibt es unweigerlich auch das Thema der Sicherheit und des Schutzes, das hier in vielerlei Form vorkommt. Schutz für Kinder und Mütter (Und was könnte ursprünglicher sein, als genau dieser Trieb, Kinder vor allem Bösen zu beschützen?), der Schutz der Familie (der für uns alle am wichtigsten sein sollte), Schutz in Beziehungen, wie auch immer diese aussehen mögen. Der Schutz eines Mutterleibes, der wohl ultimative Schutz vor einer Welt, die uns Böses antun könnte, uns aber auch schöne Dinge beschert. Schutz für Frauen, vor Frauen, vor der Welt und der Unruhe in ihr, vor bösen Menschen und netten, vor Abartigkeit, und davor, die eigene Abartigkeit nicht als das zu erkennen, was sie ist. Schutz vor der Wahrheit, und Schutz vor Verletzungen, die tiefer gehen, als äußerliche Wunden. Schutz, der darin besteht, dass man sich ein eigenes Lügengebilde aufbaut, an das man glaubt, das nur für sich selbst die Wahrheit wiederspiegelt, und für den Rest der Welt eine Lüge ist. Der Schutz des Beschützers bedarf Schutz von Menschen, die einen beschützen wollen. Falls das einer versteht :). Die Sicherheit von 4 Wänden, in denen wir uns verstecken können. Die Sicherheit einer Hütte im Wald. Ich mag die Gegensätzlichkeit der Darstellungen ein und derselben Situation. Der Schutz, für die Welt unsichtbar zu sein. Und das nicht im Sinne davon, dass wir nicht mehr zu sehen sind. Oder irgendwie schon. Doppeldeutigkeit eben. Was dem einen Schutz gibt, kann des anderen Gefahr sein. Und manchmal ist das Gute das Böse, und umgekehrt. Wir haben also Jagd, Sicherheit, Gefahr, Schutz, Angst und Schutzlosigkeit, und Beschützerinstinkt, in allen Formen. Und am Ende die Erkenntnis, dass sich Tiersein und Menschsein gar nicht so sehr unterscheidet, wenn es um unsere Verteidigung von Leib und Leben geht. Vielleicht beschützt ein Wald sich auch selbst durch seine dunklen Schatten, die Dunkelheit und Stille, und damit alles, was in ihm passiert. Was für den einen die Haut ist, das ist für den anderen zum Schutz das Fell. Und so finden wir uns in der Geschichte wieder, die in unserer modernen Zeit spielt, aber auch ein wenig ein Urthema der Menschheit anspricht. Und plötzlich fühlt man sich in seiner eigenen Haut nicht mehr sicher. Wortwörtlich. So ist es auch beim Lesen. Mal fühlt man sich wohl im Wald, verborgen und beschützt, und an anderen Stellen ist der Wald einem unheimlich, und wirkt auf einen wie eine Bedrohung. Dass man dies alles beim Lesen fühlt, hat mir sehr gut gefallen. Selbst die Bedrohung. Denn sicher in seinem Zuhause, die Geschichte in einem Buch gebannt…. Da kann man auch mal einen Thriller lesen.

Die Wanderwege, durch das Gestrüpp durch, und auf Anhöhen hinauf, führt uns nicht nur durch den Thüringer Wald, der uns wundervoll beschrieben wird. Viel mehr landen wir am Ziel nicht nur unter Bäumen, Tannen, und an Felsen. Nein, sondern wir landen auch in den Abgründen der menschlichen Seele. In Wahnsinn und Grausamkeit, die oftmals in verschiedenen Verkleidungen daherkommen, und manchmal sogar unter der Maske der Normalität ruhen. Und uns wird aufgezeigt, dass keiner ganz ohne Schuld ist…..

Und so ganz nebenbei zeigt uns das Buch dann auch noch auf, wie es ist, tolerant gegenüber Menschen zu sein, die sich etwas merkwürdiger benehmen, als es im Normalfall sein sollte. Und Andersartigkeit finde ich meist sehr gut. Und dann birgt das Buch noch eine Lehre. Wer im Wald rennt, oder auch spazieren geht, sollte immer schauen, wohin er tritt. Nicht dass er noch stürzt, und sich wehtun könnte. Ist ja nur zur Sicherheit, und um die geht’s hier doch :).

Das heutige Rezensionslied sagt uns also, dass wir laufen sollen, wenn uns was verfolgt:

„Da ward sie eine Schwalbe, entflog ihm himmelwärts. Der Müller aber flug als Falke ihr schon hinterher. Sie ward zu einem Ross so weiß, sprang durch das erste Gras. Er aber war der Sattel, der Ihr fest am Rücken saß.

Lauf, Liebes, lauf. Und pass gut auf dich auf. Der Herr der schwarzen Mühle will dich heute Nacht zur Frau.“

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere