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Veröffentlicht am 17.02.2021

Die mittelmäßige Bibliothek

Die Mitternachtsbibliothek
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Die Protagonistin des Romans, Nora, steckt inmitten einer depressiven Phase, als wir sie in dieser Geschichte kennenlernen. Sie hat gerade ihren Job verloren, Stress mit ihrem Exfreund, ihr Bruder meldet ...

Die Protagonistin des Romans, Nora, steckt inmitten einer depressiven Phase, als wir sie in dieser Geschichte kennenlernen. Sie hat gerade ihren Job verloren, Stress mit ihrem Exfreund, ihr Bruder meldet sich nicht, und dann stirbt auch noch ihre Katze. In ihr manifestiert sich der traurige Entschluss, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Doch statt im Himmel, der Hölle, oder dem ewigen Nirvana, landet sie zu ihrem Erstaunen in einer Bibliothek. Ihre ehemalige Schulbibliothekarin Mrs. Elm leitet diese und erklärt ihr, dass es sich hierbei um die Mitternachtsbibliothek handle, einen Ort zwischen Leben und Tod. Jedes der unzähligen Bücher dieser Bibliothek enthält eine Version ihres Lebens, in der sie sich an irgendeinem Punkt anders entschieden hat, als in ihrem bisherigen Leben. Nora lässt sich darauf ein, diese anderen Varianten ihrer Selbst zu erforschen und wir dürfen als Leser natürlich dabei sein.

Als ich den Klappentext dieses Buches gelesen habe, war ich sofort begeistert. Die Mitternachtsbibliothek ist als Konzept wahnsinnig interessant und eröffnet zahlreiche Möglichkeiten für Geschichten und Gedankenexperimente. Leider wird das Potential dieser Idee von Matt Haig nur oberflächlich genutzt. Aber von Anfang an:

Zunächst muss unbedingt eine Triggerwarnung ausgesprochen werden, die dem Buch leider nicht vorangestellt ist. Die ersten Kapitel behandeln Suizid und suizidales Denken. Die Wahl der Kapitelüberschriften und die Beschreibung von Noras letzten Tagen hat extremes Triggerpotential. Ich könnte das Buch wirklich niemandem guten Gewissens in die Hand geben, der unter ernsten Depressionen leidet. Ich selbst habe es stellenweise aus der Hand gelegt. Ich finde das Buch hätte ohne Verlust direkt in der Mitternachtsbibliothek einsteigen können.

Von dort aus reisen wir nun also in die verchiedenen Leben, die Nora nicht gelebt hat. Dabei begegnen wir immer wieder bekannten Charakteren, die sich aber in jeder Version von Noras leben unterschiedlich verhalten. Das hat Spaß gemacht. Leider kratzt das Buch bei der Auswahl der Leben, die Nora besucht aber nur an der Oberfläche und ist auch einfach unrealistisch. [Achtung der nächste Satz enthält einen ganz kleinen Spoiler] Fast immer ist Nora in irgendeiner Art und Weise berühmt, als Polarforscherin, Olympiaschwimmerin oder Leadsängerin einer weltweit bekannten Band. [Spoiler Ende] Ich hatte mich eigentlich darauf gefreut, mit diesem Buch die kleinen Momente im Leben zu bereisen, die kleinen Entscheidungen und ihre Konsequenzen. Ich hatte fast auf einen "täglich grüßt das Murmeltier"-Moment erwartet, dieselbe Geschichte, aber immer wieder mit neuen Nuancen, sodass man am Ende am Kern des eigenen Selbst ankommt.

Diese Tiefe erreicht die Erzählung aber nicht. Das Ende hinterlässt zwar ein warmes Gefühl im Bauch, ist aber auch recht erwartbar. Auch sprachlich bleibt das Buch, zumindest in der deutschen Übersetzung, oberflächlich, daran ändern auch die zahlreichen pilosophischen Bezüge nichts. Es ist ein schönes Buch, dass man gut an zwei regnerischen Tagen weglesen kann. Ich hoffe aber, dass die Idee der Mitternachtsbibliothek irgendwann noch einmal die Geschichte erhält, die sie verdient hat.

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Veröffentlicht am 17.02.2021

Mein sehr langer Sommer mit Fräulein Nette

Fräulein Nettes kurzer Sommer
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Fräulein Nettes Kurzer Sommer ist ein historischer Roman über die Göttinger Studentenszene zu Zeiten Grimms und ihre Verstrickungen mit dem Leben der Dichterin Anette von Droste-Hülshoff. Der Roman versteht ...

Fräulein Nettes Kurzer Sommer ist ein historischer Roman über die Göttinger Studentenszene zu Zeiten Grimms und ihre Verstrickungen mit dem Leben der Dichterin Anette von Droste-Hülshoff. Der Roman versteht sich entsprechend des Klappentextes als Liebesgeschichte, tatsächlich bestimmt diese aber nur auf einem kleinen Teil der über 500 Seiten die Handlung. Das ist schade. Nicht, weil man gerne mehr historische Schnulzgeschichten lesen würde, sondern weil sich alles, was sich abseits der Liebesgeschichte zwischen Anette und Straube abspielt, leider recht zäh liest. Die Handlung verliert sich gerade zu Beginn des Buches über mehrere Kapitel in reichlich irrelevantem Geplänkel rund um eine Gruppe Göttinger Studenten. Da ich selbst Verbindungen zur Uni Göttingen habe, habe ich mich zumindest über die Ortsangaben freuen können. Ansonsten hätte ich das Buch in diesem Abschnitt vermutlich zur Seite gelegt. Auch so habe ich über ein halbes Jahr lang an den ersten 150 Seiten geknabbert. Als danach die Liebesgeschichte aber in Gang kommt, habe ich das Buch streckenweise mit Vergnügen gelesen. Die Erzählweise, die immer wieder zwischen der Sichtweise der Charaktere hin- und herspringt ist spannend und gibt trotzdem Einblick in die turbulenten Gefühle des Fräulein Nette. Da kam dann doch endlich ein wenig Downton-Abbey-Gefühl auf, auch wenn das nun nicht unbedingt war, was ich von dem Buch erwartet hatte.

Ich hatte ursprünglich mit einem Roman gerechnet, der mich Anette von Droste-Hülshoff näher bringt, vielleicht ein Grund, sich mehr mit ihrem Schaffen auseinanderzusetzen oder der Anreiz, eine Bildungslücke zu schließen. Stattdessen kenne ich nun den Stammbaum dieser riesigen Familie auswendig, der dankenswerter- und notwendigerweise vorne mit abgedruckt ist. Ansonsten geht es häufiger als um Nette um die ganzen Männer in diesem Stammbaum und zusätzlich um die Grimms und einen gewissen Straube. Heinreich Heine taucht auch kurz auf, ohne für die Handlung in irgendeiner Weise relevant zu sein. Dass sich diese Männer in der Erzählung immer wieder penetrant in den Vordergrund drängen obwohl man lieber mehr von Fräulein Nette erfahren würde passt wiederum zur Thematik des Buches.

Insgesamt kann ich das Buch an interessierte (!) Leser empfehlen, obwohl es nicht unbedingt puren Lesegenuss bereithält.

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Veröffentlicht am 06.04.2021

Ein wilder Roadtrip mit Alex und Maxine

Reise mit zwei Unbekannten
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Ich habe "Reise mit zwei Unbekannten" gelesen und saß plötzlich mit Alex und Maxine in einem viel zu kleinen Auto auf dem Weg nach Brüssel. Er ist 26 und schüchtern, hat sich in eine zum Scheitern verurteilte ...

Ich habe "Reise mit zwei Unbekannten" gelesen und saß plötzlich mit Alex und Maxine in einem viel zu kleinen Auto auf dem Weg nach Brüssel. Er ist 26 und schüchtern, hat sich in eine zum Scheitern verurteilte Liebe verrannt und will in Brüssel neu anfangen. Sie ist schon über 90, quirlig und verrückt. Die Selbstdiagnose Alzheimer nimmt ihr jedoch die Freude am Leben und sie fährt nach Brüssel, um dort selbstbestimmt zu sterben.

Mit diesem ungleichen Paar war ich also unterwegs und es gab so manche Irrungen und noch mehr Wirrungen. Die beiden Unbekannten geraten ständig aneinander als sie versuchen, sich kennenzulernen. Zwischen flotten Sprüchen, großen und kleinen Gefühlen und einer überraschenden Verfolgungsjagd entsteht ein Bündnis zwischen zwei Menschen, die sich eigentlich nie getroffen hätten.

Als Gast auf dem Rücksitz fand ich mich dabei ständig hin. und hergeworfen. Mal ging es oberflächlich zu, dann wurden plötzlich ganz schwere Themen behandelt. Dann wieder Witze, dann derselbe Witz nochmal, eine Lebensweisheit, die Polizei, Anspannung, Entspannung, wieder der Witz, sind wir im Kreis gefahren?

"Wo wollen wir hin?" ist die große Frage, die ich mir immer wieder gestellt habe. Denn während Maxine und Alex mehr oder weniger nach Brüssel fahren, wusste ich nie so recht, was dieser Roman sein möchte. Humor? Gesellschaftssatire? Ein Entwicklungsroman? Für einen lustigen Roman waren die Zwischenklänge zu ernst, aber gleichzeitig bleibt die Geschichte so oberflächlich, dass man mehr als drei Stunden Unterhaltung daraus nicht mitnehmen kann.

Ich ärgerte mich immer wieder darüber, dass Alex "depressiv" genannt, aber gleichzeitig so gezeichnet wurde, dass Depressive als traurige Jammerlappen dastanden. Bei solchen Klischees wäre ich fast ausgestiegen. Letztlich bin ich dann aber doch irgendwie angekommen. Die Reise war ein wilder Ritt und ich habe auch gelacht. Ich glaube aber, nächstes Mal suche ich mir eine andere Mitfahrgelegenheit.

Meinen Humor hat dieses Buch nicht getroffen, aber das ist subjektiv! Ich empfehle das Buch trotzdem für alle, die jetzt Lust bekommen haben, einzusteigen!

2,5 Sterne, das heißt: Eine solide Geschichte, die mich nicht überzeugen konnte.

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