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Veröffentlicht am 27.03.2021

Eine Großstädterin während des Lockdowns in der Provinz: ein bittersüßes Porträt unserer Gesellschaft - treffend formuliert und sehr unterhaltsam

Über Menschen
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Dora lebt mit ihrem Freund Robert zusammen in Berlin-Kreuzberg und arbeitet als Werbetexterin. Es ist Frühjahr 2020 und die erste Welle der Corona-Pandemie. Robert, der sich in den letzten Monaten zu einem ...

Dora lebt mit ihrem Freund Robert zusammen in Berlin-Kreuzberg und arbeitet als Werbetexterin. Es ist Frühjahr 2020 und die erste Welle der Corona-Pandemie. Robert, der sich in den letzten Monaten zu einem extremen Klimaschützer und Anhänger Greta Thunbergs und der "Fridays for Future"-Demonstrationen entpuppt hat, stresst Dora nun auch noch mit seinen Prophezeiungen als selbst ernannter Epidemiologe. Das zeitgleiche Homeoffice wird unerträglich, Dora fühlt sie wie ein Fremdkörper in der gemeinsamen Wohnung, für ihre übertrieben häufigen Spaziergänge mit ihrem Hund wird sie kritisiert. Dora zieht die Reißleine und flüchtet in das alte Gutsverwalterhaus, das sie sich von dem Erbe ihre Mutter gekauft hat. Dort, im 284-Seelendorf Bracken, ticken die Uhren anders. Der Nachbar stellt sich als "Dorf-Nazi" vor, skandiert das Horst-Wessel-Lied, Ausländer werden abwertend als "Pflanzkanacken" bezeichnet, die Einwohner wählen die AfD und schimpfen auf "die in Berlin", die Infrastruktur ist ein Witz.
Der Gegensatz Berlin und Provinz in Brandenburg ist überwältigend, sämtliche Vorurteile und Klischees scheinen sich zu bestätigen, so dass es Dora zeitweise Angst wird. Doch nicht alles ist Schwarz-Weiß, Dora lernt auch das andere Gesicht des Dorfes und seiner Bewohner kennen und beginnt ihr eigenes Leben neu zu sortieren.

Wie schon bei "Unterleuten" ist auch "Über Menschen" ein treffender Titel für diesen Roman. Er handelt von allerlei skurrilen Charakteren, die einerseits bekannte Stereotypen darstellen und damit die Wirklichkeit zeichnen, wie man sich ein Leben in einem abgelegenen Dorf in Brandenburg vorstellt. Menschen, die sich von den Politikern "da oben" nicht wahrgenommen fühlen und dann auch noch durch eine Pandemie und den Lockdown verunsichert werden. Durch die linksliberale Dora, die diesen Menschen begegnet, erhält man einen Blick auf all diese Menschen und bei näherem Betrachten stellt man fest, dass es dort mehr als nur den arbeitslosen, rechtsradikalen, vorbestraften Dorf-Nazi, den resignierten AfD-Wähler oder die überforderte alleinerziehende Mutter gibt, die im Existenzminimum lebt. Es herrscht hier auch eine ungefragte Solidarität, Nachbarschaftshilfe und Zusammenhalt. Jeder kennt jeden und hilft, wo er kann. Auch Dora gelangt so unvermittelt zu neuen Möbeln, gestrichenen Wänden und einem bestellten Beet. Selbst wenn sie sich politisch korrekt lieber von diesen Menschen fernhalten möchte, fühlt sie sich doch zu ihnen hingezogen und wird ein Teil der Dorfgemeinschaft.

Das Buch beschreibt den Alltag, wie sich die Großstädterin Dora in ihrem neuen Leben in der Provinz neu einfinden muss, ist durch ihre Begegnungen mit den Menschen vor Ort jedoch äußerst unterhaltsam, erschreckend, aber auch amüsant und immer wieder verblüffend. Die Lebenswirklichkeit in dem fiktiven Ort Bracken ist überspitzt beschrieben, enthält bei aller Ironie aber auch einen wahren Kern.
Wie Dora schwankt man, ob man die Menschen verurteilen soll oder mögen darf.
"Über Menschen" ist lebensnah und abwechslungsreich geschildert, unterhält durch die facettenreichen Figuren und die hintergründigen bewegenden Schicksale, die nachdenklich machen und ganz deutlich zeigen, dass man sich nicht von Vorurteilen lenken lassen, sondern sich stets ein eigenes Bild machen sollte.

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Veröffentlicht am 05.03.2021

Schockierende und spannende Dystopie über ein patriarchalisches Herrschaftssystem, in dem ein gefährlicher Aberglaube herrscht, und eine starke Heldin, die dagegen aufbegehrt

The Grace Year
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Als Tierney James 16 Jahre alt ist, beginnt ihr Gnadenjahr. Wie alle Mädchen in ihrem Alter wird sie von Wächtern in ein Camp außerhalb der Stadt gebracht, wo sie ihre Magie verlieren sollen. Diese Magie ...

Als Tierney James 16 Jahre alt ist, beginnt ihr Gnadenjahr. Wie alle Mädchen in ihrem Alter wird sie von Wächtern in ein Camp außerhalb der Stadt gebracht, wo sie ihre Magie verlieren sollen. Diese Magie der geschlechtsreifen Frauen sei dafür verantwortlich, Männer in Versuchung zu führen und in den Wahnsinn zu treiben. Nach dem Gnadenjahr werden die Mädchen, die vorab von einem Freier einen Schleier erhalten haben, verheiratet, während die anderen als Mägde in Haushalten, auf den Feldern oder schlimmstenfalls verstoßen in den Außenbezirken arbeiten müssen. Aber nicht alle werden das inzwischen 47. Gnadenjahr überleben. In der Wildnis sind die Mädchen auf sich alleingestellt und es sind nicht nur die Wilderer, die nach ihren Körpern lechzen, um von ihren magischen Fähigkeiten profitieren zu können, sondern die Mädchen selbst, die sich das Leben - frei von den Regeln von Garner County - zur Hölle machen.

Die Idee hinter der Geschichte erinnert an "Der Report der Magd" von Margaret Atwood, ist allerdings eher auf jugendliche Leser*innen ausgerichtet, aber ähnlich schonungslos und brutal geschildert.
Der Roman wird aus der Sicht der 16-jährigen Tierney erzählt, die die mittlere von insgesamt fünf Töchtern eines Arztes ist. Sie hinterfragt das System in Garner County, das Frauen als Hexen verteufelt, massiv in ihren Rechten einschränkt und mit willkürlichen Bestrafungen an Leib und Leben bedroht. Sie versteht nicht, dass die Frauen, die den Männern in ihrer Anzahl weit überlegen sind, nicht aufbegehren und das System zu ihrem eigenen Schutz stürzen. Ihr Traum ist es nicht, Ehefrau zu werden und sich einem Mann unterzuordnen. Im Gegensatz zu allen anderen Mädchen zieht Tierney die Feldarbeit vor, aber es ist nicht ihre Entscheidung.

Das System, das in dem dystopischen Garner County herrscht, ist erschreckend genug, aber das Gnadenjahr übertrifft alle Vorstellungen der Mädchen, die bisher nur ahnen konnten, warum nie alle wieder aus dem Camp zurückgekehrt sind. Neid, Argwohn, Eifersucht und Hass herrschen unter den Mädchen und die Situation im Camp führt bald zur Eskalation. Die Mädchen sind indoktriniert und glauben daran, dass sie magische Fähigkeiten haben, die sie in diesem Jahr tunlichst verlieren müssen, um befreit und gerettet zu werden. Wie sie versuchen, diese Magie herauszukitzeln und was die einzelnen schier kopflos dafür tun müssen, ist gnadenlos.

Tierney ist eine intelligente, freiheitsliebende und sympathische Rebellin, die von ihrem Vater viel gelernt hat, was ihr das Überleben in der Wildnis erleichtert. Dennoch ist es verwunderlich, was sie alles körperlich und auch psychisch aushalten kann, ohne sich selbst und die anderen Mädchen aufzugeben.
Der Roman ist so bildhaft und lebendig dargestellt, dass man unweigerlich mit Tierney, aber auch den anderen Gnadenjahrmädchen, mitleidet. Auch die Vorstellung eines Garner County, in der eine Minderheit von Männern eine Mehrheit von Frauen kleinhält und unterdrückt, ist nicht abwegig, sondern durchaus vorstellbar. Gespannt verfolgt man Tierney Überlebenskampf im Gnadenjahr, wobei eine Wendung auch noch für einen Hauch Romantik sorgt und Hoffnung schenkt, dass es selbst für Menschen aus Garner County noch die Chance auf eine freie Liebe geben kann.
"The Grace Year" ist eine schockierende und spannende Dystopie über ein patriarchalisches Herrschaftssystem, in dem ein gefährlicher Aberglaube herrscht, und einer starken Hauptfigur, die für Mut, Verstand, Rebellion, Freundschaft und Liebe steht. Das Ende, das Raum für eigene Interpretationen zulässt, ist passend gewählt für einen Ort, in dem man niemandem trauen kann, in dem es aber trotz allem zarte Bande gibt, die die Möglichkeit bieten, zu wachsen und früher oder später eine Veränderung herbeizuführen.

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Veröffentlicht am 26.02.2021

Bewegende Familiengeschichte mit vier schicksalhaften Generationen von Frauen im Mikrokosmos der Nordseeinsel Juist

Die vier Gezeiten
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Im Jahr 2008 soll das Familienoberhaupt der auf der Insel Juist alteingesessenen Familie Kießling, Eduard, das Bundesverdienstkreuz erhalten. Während der Vorbereitungen zu seiner Rede erhält die Familie ...

Im Jahr 2008 soll das Familienoberhaupt der auf der Insel Juist alteingesessenen Familie Kießling, Eduard, das Bundesverdienstkreuz erhalten. Während der Vorbereitungen zu seiner Rede erhält die Familie unerwartet Besuch von Helen aus Neuseeland, die Eduards Frau Adda unheimlich ähnlich sieht. Sie behauptet, adoptiert zu sein und aus Deutschland abzustammen und hat ein Foto aus den 1960er-Jahren bei sich, das Adda mit ihren Töchtern zeigt, was ihre Verbindung zur Familie eindeutig belegt. Die Kießlings schweigen zunächst und machen es Helen schwer, herauszufinden, wer ihre Eltern sind.
Adda blickt daraufhin auf ihr Leben zurück - auf ihre Kindheit, in der sie sich so sehr nach der Liebe ihrer Mutter Johanne gesehnt hat, auf ihre unglückliche Liebe und die abrupte Hochzeit mit Eduard, der Weihnachten 1956 in ihrem Hotel de Tiden eincheckte und blieb. Dabei kann sie ihrer Mutter endlich ein Familiengeheimnis entlocken, das ihre Distanziertheit zu Adda erklärt und deckt weitere Parallelen in ihren Leben auf, durch die ihnen ihr Glück verwehrt wurde.

"Die vier Gezeiten" erzählt eine Familiengeschichte, die 1934 beginnt und, ausgelöst durch den Besuch einer Fremden im Juni 2008, in verschiedenen Rückblenden auf die 1950er und 1960er-Jahre geschildert wird. Der Fokus wird dabei im Wesentlichen auf die mittlere Generation der Adda und ihre Beziehung zu ihrer früh verwitweten Mutter Johanne, die das familieneigene Hotel de Tiden aufbaute, und zu ihren vier Töchtern Wanda, Frauke, Thede und Marijke gerichtet.
Dabei steht zwar die Frage im Raum, ob und wer der vier Töchter die Mutter der 1982 geborenen Helen sein könnte, tatsächlich rückt jedoch die Geschichte der Familie Kießling mit ganz anderen, zumeist traurigen Details, in den Vordergrund und die Sprachlosigkeit, die unter den Generationen herrscht.
Dabei ist der Roman empathisch geschildert und liefert durch die Schicksalsschläge, die vor allem Johanne und Adda verarbeiten mussten, allmählich Erklärungen, warum die Frauen sich derart reserviert verhalten und mit welchen Entscheidungen aus der Vergangenheit sie hadern.
Auch wenn das plötzliche Erscheinen der Helen als Auslöser für die Aufarbeitung der Familiengeschichte etwas konstruiert wirkt, konnten mich die schicksalshaften Lebensgeschichten von Johanne und Adda, ihre unglücklichen Lieben und der Verzicht auf das eigene Glück für den Ruf der Familie, fesseln.
Beeindruckend ist auch das Tagebuch der ältesten Tochter Wanda, das sie als Teenager in den 1970er-Jahren geschrieben hat und in welchem sie ganz offen und ehrlich einen kritischen Blick auf ihren Vater Eduard, den "Provinzfürst", wirft, den sie durch ihre ungestüme Art so leidenschaftlich provozieren konnte. Sie träumte von Größerem und wollte sich weder gedanklich noch räumlich einschränken lassen, Grenzen, denen sich ihrer Mutter dagegen aussetzte. Das beklemmende Gefühl des Insellebens, wo jeder jeden kennt und nichts im Verborgenen bleiben kann, wo Abweichler von gesellschaftlichen Normen radikal ausgegrenzt werden und wo Ebbe und Flut so eng miteinander verbunden sind wie Liebe und Tod, ist durch die starken und lebendigen Charaktere, wunderbar nachvollziehbar geschildert.
Neben der fiktiven Geschichte der Kießlings werden auch die ganz realen Probleme der Nordseeinsel wie Umwelt- und Tierschutz, Klimawandel und bezahlbarer Wohnraum thematisiert und mit viel Geschick in den Roman eingebunden.

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Veröffentlicht am 13.02.2021

Abwechslungsreicher, humorvoller Roman voller unerwarteter Wendungen, der die Lebenswirklichkeit einer 40-jährigen Singlefrau ohne erfolgreiche Karriere ehrlich, warmherzig und mit einer gehörigen Portion Selbstironie beschreibt

Je größer der Dachschaden, desto besser die Aussicht
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Penelope Stevens, genannt Nell, ist Anfang 40 und fühlt sich im Leben gescheitert. Das Büchercafé, das sie mit ihrem Verlobten in Kalifornien geführt hat ist Konkurs und die Beziehung zu Ethan an der Geschäftsaufgabe ...

Penelope Stevens, genannt Nell, ist Anfang 40 und fühlt sich im Leben gescheitert. Das Büchercafé, das sie mit ihrem Verlobten in Kalifornien geführt hat ist Konkurs und die Beziehung zu Ethan an der Geschäftsaufgabe zerbrochen. Nell kehrt wieder in ihre Heimat England zurück, wo ihre Freunde inzwischen alle verheiratet sind, Kinder und Eigentum haben. Nell dagegen wohnt fortan zur Untermiete in einem Zimmer in London und schlägt sich mit einem Job als Nachlassschreiberin durch. Dabei lernt sie die doppelt so alte Witwe Cricket kennen und freundet sich mit ihr an. Zusammen mit ihrem Podcast und ihrer täglichen Dankbarkeitsliste findet Nell neuen Mut und packt ihr Leben noch einmal von vorn an.

Das Buch ist äußerst unterhaltsam und voller Selbstironie geschrieben. Nell vergleicht sich mit anderen Frauen in ihrem Alter, blickt auf ihre beruflich und privat erfolgreichen Freunde und fühlt sich als Versagerin. So wirkt sie auf den Leser jedoch gar nicht. Nell ist ein authentisch gezeichneter Charakter, der sich von Rückschlägen nicht unterkriegen lässt, sondern nach vorn schaut. Auch wenn sie immer wieder mit sich und ihrem Leben hadert, ist sie ein grundsätzlicher positiver Mensch und hat das Herz auf dem rechten Fleck.
Der Roman ist voller witziger Dialoge und Gedanken von Nell - ob sie sich mit ihrem extrem umweltbewussten Vermieter einen Schlagabtausch liefert oder sich über die neue, neureiche Freundin Annabel ihrer ehemals besten Freundin Fiona ärgert.
Auch die ungewöhnliche Freundschaft zu Cricket wirkt nicht aufgesetzt. Während Nell der Witwe hilft, den Tod ihres Ehemanns zu verarbeiten, kann Nell von ihrer Lebenserfahrung profitieren. Beide werfen sie Ballast ab und haben auf diese Weise die Chance, Vergangenes versöhnlich hinter sich zu lassen.
Die neue Liebe, der Nell begegnet, macht nicht den Kern der Geschichte aus, was auch symbolisch dafür steht, dass es keine Schande ist, mit über 40 alleinstehend zu sein. Auch entwickelt Nell, die mit der Zeit merkt, dass das Gras auf der anderen Seite des Hügels nicht unbedingt grüner ist und das Leben ihrer Freunde nur augenscheinlich rosiger, wieder mehr Selbstvertrauen, so dass sie auch alleine durchs Leben gehen könnte.

"Je größer der Dachschaden, desto besser die Aussicht" ist wie der ungewöhnliche Titel ein abwechslungsreicher, humorvoller Roman voller unerwarteter Wendungen, der die Lebenswirklichkeit einer 40-jährigen Singlefrau ohne erfolgreiche Karriere ehrlich, warmherzig und mit einer gehörigen Portion Selbstironie beschreibt.
Bei allem Witz und Ironie kann man zwischen den Zeilen viele Wahrheiten erkennen, was dem Roman Tiefgang verleiht. Er handelt von Freundschaft und von einem "Happy (Neu-)Anfang" und davon sich nicht mit anderen Gleichaltrigen zu vergleichen, unnötig Druck aufzubauen und sich falschen Erwartungen zu unterwerfen. Denn das Leben ist so schon Herausforderung genug.
Der Schreibstil ist dabei so mitreißend, dass man auch über das ein oder andere Klischee getrost hinwegsehen kann.
Fazit: ein lebensbejahender und Mut machendes Buch - nicht nur für Frauen über 40.

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Veröffentlicht am 09.02.2021

"Was wäre wenn?" Zauberhafter Roman mit einer motivierenden Botschaft, dass das Leben viele Möglichkeiten bietet, die genutzt werden wollen

Die Mitternachtsbibliothek
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Nora Seed ist Mitte 30, als sie, gebeutelt von vielen Enttäuschungen in ihrem Leben, beschließt, zu sterben. Bevor sich der in diesem Moment sehnlichste Wunsch nach Erlösung erfüllt, befindet sich Nora ...

Nora Seed ist Mitte 30, als sie, gebeutelt von vielen Enttäuschungen in ihrem Leben, beschließt, zu sterben. Bevor sich der in diesem Moment sehnlichste Wunsch nach Erlösung erfüllt, befindet sich Nora in einer Zwischenwelt, der Mitternachtsbibliothek, wieder. Dort begegnet sie ihrer Schulbibliothekarin Mrs. Elm, die ihr von den Büchern erzählt, die jeweils für ein anderes Leben von Nora stehen. Ausgehend von dem Buch der Reue überlegt Nora, was sie in ihrem Leben gerne anders gemacht hätte und findet sich dann dort mit allen Konsequenzen wieder.

"Die Mitternachtsbibliothek" ist ein Buch, das sich mit der Frage "Was wäre, wenn?" beschäftigt. Es handelt davon, wie das Leben verlaufen wäre, wenn man an einer Stelle einen anderen Abzweig gewählt und andere Entscheidungen getroffen hätte. Diese Fragen stellt man sich in der Regel, wenn man mit seiner aktuellen Situation unglücklich oder unzufrieden ist, wenn man sich mit anderen Menschen vergleicht und neidvoll auf sie blickt.
Nora hat ihren Job verloren, hat kaum noch Familienangehörige oder Freunde, an die sie sich wenden kann, fühlt sich einsam und nutzlos und denkt deshalb, dass es das Beste ist, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Doch statt dem Jenseits erwartet sie eine zweite Chance. Sie bekommt die Möglichkeit, Entscheidungen, die sie bereut, rückgängig zu machen und anders zu treffen. In ihrem eigentlichen Leben hat sie ihr Potenzial aus Angst nicht ausgeschöpft. Sie hat weder die Möglichkeit ergriffen, mit ihrer Freundin einen Roadtrip nach Australien zu machen, mit ihrem Bruder den Traum einer Karriere als Rockstar zu verwirklichen oder erfolgreiche Olympiaschwimmerin zu werden. All diese Möglichkeiten, ihr Leben neu und zufriedenstellender zu leben, bieten sich ihr in der Mitternachtsbibliothek.

Als Leser begleitet man Nora auf ihren Reisen und fragt sich unweigerlich selbst, ob man in der Vergangenheit nicht auch schon Entscheidungen getroffen hat, die man gerne rückgängig machen würde und wie das eigene Leben dann aussehen würde.
Nora kann all diese alternativen Leben leben. Dabei ist es aufschlussreich, wie sie darüber nachdenkt und erkennt, was sie so unglücklich gemacht hat. Als sie dem Tod bei der Begegnung mit einem Eisbär in die Augen blickt, spürt sie, dass sie eigentlich noch gar nicht sterben möchte. Auch stellt sie fest, dass es Glück nicht ohne Traurigkeit geben kann, denn all ihre vermeintlich besseren Leben sind auch nicht perfekt. Auch wenn das Schicksal eine große Rolle spielt, sind es doch die eigenen Entscheidungen, die das Leben beeinflussen.
So bleibt zweifelhaft, ob es überhaupt EIN Wunschleben gibt, in dem man rundum glücklich ist und in dem man einen Sinn für sein Leben erkennen kann.

"Die Mitternachtsbibliothek" ist ein Roman für ein breites Publikum. Es handelt von einer andauernden Sinnsuche, von dem Streben nach Glück, von ungelebten Träumen, dem Mut zur Veränderung und der Erkenntnis, dass das Leben unendlich viele Möglichkeiten bietet, die nur genutzt werden wollen.
Trotz der Selbstmordgedanken, Melancholie und Einsamkeit Noras ist es kein schwermütiges Buch, sondern eines, dass das Leben feiert und motiviert, trotz aller Sorgen nicht zu verzagen, sondern Schwierigkeiten anzupacken und selbst eine Veränderung herbeizuführen.

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