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Veröffentlicht am 07.03.2021

Poetisch und tief bewegend

Nächstes Jahr in Berlin
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Ein Buch, das den Verstand ebenso beansprucht wie das Gefühl. Ein Buch, das poetisch ist und politisch. Ein Buch, das mich tief bewegt hat. Ganz gewiss keine leichte Kost, aber purer Genuss für alle, ...


Ein Buch, das den Verstand ebenso beansprucht wie das Gefühl. Ein Buch, das poetisch ist und politisch. Ein Buch, das mich tief bewegt hat. Ganz gewiss keine leichte Kost, aber purer Genuss für alle, die Sprache auf hohem Niveau zu schätzen wissen. Nicht der Leser verschlingt das Buch – das Buch verschlingt den sensiblen Leser mit Haut und Haaren.

Der Inhalt in aller Kürze. Die Mutter ist gestorben. Die Tochter beginnt auf- und auszuräumen und wird dabei hineingezogen in das erlittene Schicksal der Mutter während des Zweiten Weltkrieges, beginnend von der Flucht aus Ostpreußen bis zur Nachkriegszeit in Deutschland. Die Tochter verliert dabei – zu spät - zunehmend ihre langjährige innere Distanz zur Mutter, einer Frau, die bereits viele Jahre vor ihrem Tod an ihrem Schicksal zerbrochen war.

Astrid Seeberger schreibt atemberaubend gut. Schon vom grandiosen Roman „Goodbye Bukarest“ war ich hingerissen. Doch der vorliegende Roman ergriff mich noch mehr, wohl weil die Autorin hier sehr viel mehr von sich selbst preisgibt. Ich hatte das Bedürfnis, ganz langsam lesen zu müssen, Wort für Wort sorgsam einsammelnd, um nichts zu übersehen, nichts zu verlieren von den Gedankenbildern. Und es sind, wie im ersten Roman, gerade die Nebenbei-Sätze, die besonders schmerzhaft sind. Der poetisch schöne, bildreiche Schreibstil ist oftmals so treffend, dass er geradezu schmerzhaft in mein lesendes Herz hineinfuhr. Dass man vergangener Lebenszeit solch eine Stimme geben kann, dass selbst das Unscheinbarste zum Gleichnis oder zur Metapher wird, gibt dem Erleben und Erinnern eine unfassbare Tiefe, in allen Schattierungen. „Die Toten bleiben in unserem Leben zurück.“ Astrid Seeberger gestaltet den Bericht des Entsetzlichen, des eigentlich Unerzählbaren von Krieg und Flucht, vom Geruch der Angst und des Todes in einer Sprache, die präzise ist, ohne jegliche Larmoyanz. Mit genauem Blick verknüpft die Autorin Vergangenes mit der Gegenwart und lässt durch ihre Wortbilder das eigentlich Unsagbare des Schmerzes nachspüren. Aber es gibt auch Trost, so wie von der Großmutter überliefert, die verstand, „dass man wegsingen kann das, was wehtut“.

Ein anspruchsvolles, ein einfühlsames, ein ganz und gar wunderbares Buch.

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Veröffentlicht am 05.03.2021

Wachsen und Werden

Frau Noahs Garten
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Von Noah und seiner Arche, mit der er die Tiere der Welt vor der Sintflut rettete, hat sicher das eine oder andere Kind schon einmal etwas gehört. Aber Frau Noah, die es ja zweifellos auch gab, war mir ...


Von Noah und seiner Arche, mit der er die Tiere der Welt vor der Sintflut rettete, hat sicher das eine oder andere Kind schon einmal etwas gehört. Aber Frau Noah, die es ja zweifellos auch gab, war mir bislang nicht bekannt, insbesondere da ich das Vorgänger-Bilderbuch von Jackie Morris nicht kenne. Herr Noah ist der kraftvolle Macher, Frau Noah dagegen ist die mit dem feinen Gespür und mit Samen in der Manteltasche. Sie sehnt sich nach einer neuen Heimat, die sie mit einem Garten gestalten möchte. Mit Hilfe der Kinder legt sie sehr sorgfältig, kenntnisreich und mühevoll diesen ersten Garten nach der Sintflut an und erweckt damit die Natur zu einem neuen Leben. Blüten, Vögel und Insekten finden damit eine neue Heimat ebenso wie die Kinder und Herr und Frau Noah.

Die weise Geschichte über das Wunder, das Zeit und Geduld vollbringen, wenn man mit Mühe und Arbeit den Grundstock schafft für das Entstehen von Neuem, ist durch die kurzen, leicht verständlichen Texte bereits von den Kleinen ab 4 Jahre gut zu erfassen. Was an diesem Bilderbuch besonders besticht, ist die grandiose Farbenfreude, die den Betrachter auf nahezu jeder Seite anspringt. Neben den Puzzleteilen, die kräftig mit Stiften gezeichnet sind, fügen sich holzschnittartige Collagen aus Papier oder Stoffstückchen zu aussagekräftigen Illustrationen, die die Handlung lebendig werden lassen. Mystische Figuren beleben zusätzlich die Bilder und setzen die Magie der Natur mit ihrem unermüdlichen Wachsen und Werden symbolhaft bildlich um.

Ein schönes, liebevoll gestaltetes, fantasievolles Bilderbuch über das Wunder der Natur und wie wir mit Eifer und Geduld gleichermaßen dieses Wunder erfahren können.

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Veröffentlicht am 05.03.2021

Ein perfekt komponierter Historienschmöker

Die Kannenbäckerin
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Eigentlich lese ich historische Romane gar nicht so gerne. Aber „Die Kannenbäckerin“ hatte mich von der ersten Seite an eingefangen, und zwar so sehr, dass ich den Roman fast in einem Zug durchlesen musste.

Annette ...


Eigentlich lese ich historische Romane gar nicht so gerne. Aber „Die Kannenbäckerin“ hatte mich von der ersten Seite an eingefangen, und zwar so sehr, dass ich den Roman fast in einem Zug durchlesen musste.

Annette Spratte ist es mit ihrer bildlich-plastischen Erzählweise gelungen, mein Kopfkino mit einer wahren Bilderflut zu füllen. Oft waren es grausame Bilder, aber es gab auch die ruhigeren, die schönen Momente. Kurzum, Annette Spratte erzählt das Leben der jungen Johanna während des 30-jährigen Krieges im Westerwald in seiner ganzen Bandbreite so intensiv, dass man als Leser mitten dabei ist. Wie die Pest tobt und die gesamte Familie von Johanna ausrottet, wie sie als Junge verkleidet sich ganz alleine durchschlägt zu ihrem einzigen noch lebenden Verwandten, einem Onkel, der sie schließlich das Töpferhandwerk lehrt, wie Johanna ganz ungewöhnlich große, geradezu künstlerische Fertigkeiten in diesem den Männern vorbehaltenen Handwerk entwickelt, immer mit der Angst, als Mädchen entdeckt zu werden, ist als Gesamtkomposition ganz großes Kino. Die Autorin schildert detailgenau und sehr lebendig. Man spürt die sorgfältige Recherche, insbesondere was das alte Töpferhandwerk betrifft. Und man spürt ihre Liebe zu starken Charakteren wie Johanna, die mit Können „ihren Mann steht“. Und obendrein ist der Roman sehr fesselnd und durchweg spannend zu lesen, weil er perfekt komponiert ist im Zusammenspiel zwischen historischen und allgemein menschlichen Themen, sodass man das Buch bis zum Schluss nicht mehr aus der Hand legen möchte.

Fazit: Ein leicht lesbarer, fesselnder Historienschmöker. Sehr empfehlenswert.

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Veröffentlicht am 22.02.2021

Für mich das beste Jugendbuch seit langem

Die ganze Wahrheit (wie Mason Buttle sie erzählt)
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Habe ich je ein bewegenderes Jugendbuch gelesen, das mich mit so leisen, sensiblen Schritten in eine Welt gehen lässt, die mir bislang fremd war, und zwar mitten hinein, so tief hinein, dass ich tatsächlich ...


Habe ich je ein bewegenderes Jugendbuch gelesen, das mich mit so leisen, sensiblen Schritten in eine Welt gehen lässt, die mir bislang fremd war, und zwar mitten hinein, so tief hinein, dass ich tatsächlich lernte zu verstehen?

Mason Buttle ist groß, sehr groß. Er schwitzt übermäßig. Er kann so gut wie gar nicht lesen oder schreiben. Und er kann nur die Wahrheit sagen - wenn er gefragt wird. Von seinen Mitschülern wird er entsetzlich gequält und aufs Übelste gehänselt und gedemütigt. Vor Jahren hatte Mason einen besten Freund, Ben. Doch dieser lag eines Tages tot auf der Obstwiese der Buttles unterhalb des Baumhauses. Seither wird Mason von den Erwachsenen mit diesen besonderen Augen angeschaut. Doch Mason findet einen neuen Freund, Calvin, diesen schlauen und ungewöhnlich kleinen und dünnen Jungen. Sie bauen zusammen mit viel Mühe ein Geheimversteck, eine unterirdische Höhle, um den Angriffen der anderen Kinder entfliehen zu können. Als Calvin plötzlich verschwindet, richten sich die besonderen Augen der Erwachsenen erneut auf Mason….

Die Autorin schreibt im Präsens, das heißt hautnah, und zwar mit den Worten von Mason. Sie ist in seine Sicht der Dinge so tief hineingeschlüpft, dass man als Leser zu verstehen beginnt, wie es ist, wenn die Welt um einen herum eindimensional ist und welch grenzenlose Verwirrung jegliche Überforderung stiftet. Ganz selten streut Leslie Connor Fachbegriffe ein, zum Beispiel für das „Sehen“ von Gefühlen in Farben, oder für das extreme Schwitzen. So weiß der Leser, dass Mason keine erdachte Fantasiefigur ist. Dass es Menschen wie Mason wirklich gibt, liebenswert, von Herzen gut, schlicht und gerade im Denken, aber dennoch intuitiv die Wahrheiten unter den Menschen erfassend. Und dass sie wie alle Menschen Familie und Freundschaft und Zugehörigkeit brauchen, um aufzublühen. Der Autorin ist etwas ganz Großartiges gelungen mit diesem Buch, zutiefst menschlich nah und sehr, sehr berührend und bewegend, kraftvoll und intensiv.

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Veröffentlicht am 16.02.2021

Herzerfrischend komisch und klug

Mein geniales Leben
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Ein Jugendbuch von ganz besonderer Qualität, wie ich finde. Mit herzerfrischend komischen Szenen, herzerfrischend liebevoll geschilderten Familienmitgliedern und herzerfrischend klugem Umgang mit einigen ...


Ein Jugendbuch von ganz besonderer Qualität, wie ich finde. Mit herzerfrischend komischen Szenen, herzerfrischend liebevoll geschilderten Familienmitgliedern und herzerfrischend klugem Umgang mit einigen schwierigen Themen. Einzig das Cover finde ich persönlich außerordentlich hässlich und irreleitend. Dieses tolle Jugendbuch hätte ein kreativeres und passenderes Cover verdient!

59 Ferientage liegen vor Sigge, eine schier grenzenlose freie Zeit, in der es Sigge gelingen muss, nein gelingen wird, sich völlig neu zu erfinden. Denn Sigge möchte nicht mehr gehänselt und gemobbt werden, er möchte beliebt sein, Freunde haben, einfach ungezwungen plaudern können mit anderen, ohne sich qualvoll jedes Wort überlegen zu müssen. Gar nicht so einfach, dieses Vorhaben! Sigge, 12, ist mit seiner Mutter und seinen beiden Schwestern von Stockholm in den kleinen Ort Skärblacka ins Hotel seiner Großmutter gezogen. In 59 Tagen muss er in eine neue Schule, in eine neue Klasse, und bis dahin muss die Mission „ich bin beliebt“ gelungen sein.

Was die Leser in diesen 59 Tagen mit Sigge und seiner ziemlich schrägen Familie erleben, ist so berührend und komisch zugleich, dass man beim Lesen ständig wechselt zwischen Lachen und mitfühlenden Gedanken. Der so überaus liebenswerte leicht schielende Außenseiter Sigge rührt an in seinem nicht endenden Bemühen zu gefallen. Cool will er sein und sozial und Witze machen und nicht zu viel mit den Händen herumfuchteln. Er beobachtet sich selbst, er überfordert sich ständig und scheitert immer wieder, bis etwas geschieht, was seine Blickrichtung völlig verändert. Sigge stellt fest, dass es richtig wichtig ist, Freunde zu haben, auf die man sich verlassen kann. Diese Entwicklungsgeschichte ist wunderbar ideenreich erzählt, mit urkomischen Dialogen versehen und mit originell-schrägen Menschen und Tieren ausgeschmückt, wobei das ausgestopfte Zebra im Flur nicht das Seltsamste in Sigges Leben ist. Eine großartige Mischung von Spaß und Ernst, die Jenny Jägerfeld hier gelungen ist.

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