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heinoko

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 11.04.2017

Seelenwärme

Das Brombeerzimmer
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Es gibt Bücher, die einfach nur unterhalten oder Bücher, die den Leser vor Spannung kaum atmen lassen, es gibt Bücher, die informieren oder Bücher, die trivial sind. Und es gibt Bücher, die berühren, so ...

Es gibt Bücher, die einfach nur unterhalten oder Bücher, die den Leser vor Spannung kaum atmen lassen, es gibt Bücher, die informieren oder Bücher, die trivial sind. Und es gibt Bücher, die berühren, so wie dieses hier. Aber dieser Roman beinhaltet noch mehr: Er transportiert eine Form von Seelenwärme, die weit jenseits esoterischer Heilsversprechung liegt.
Nora, Ende 30, eine Lebensmittelchemikerin, die Tiefkühlkost entwickelt, hat eine große Leidenschaft, nämlich das Zubereiten von Marmeladen nach eigenem Rezept. Wir steigen ein in Nora’s Geschichte, als ihr über alles geliebter Mann Julian gerade mal ein Jahr tot ist und Nora immer noch völlig gefangen ist in ihrer Trauer. Diese Trauer verwandelt sie in ausgefallene Marmeladenkreationen. Da taucht überraschend ein Brief von Großtante Klara auf, geschrieben vor mehr als einem Jahr an Julian, enthaltend ein Familienrezept für Brombeermarmelade. Nora macht sich auf den Weg von Oberhausen nach Vorpommern, um Tante Klara kennenzulernen. Dass sie noch viel mehr entdecken wird als weitere Marmeladenrezepte, ahnt sie noch nicht…
Das Buch ist geschrieben in einer einfachen, klaren Sprache ohne Schnickschnack, was es leicht lesbar macht. Ich habe lange überlegt, weshalb mich dieses Buch so besonders stark angerührt hat. Vielleicht sollte ich es so ausdrücken: In diesem Buch steckt mehr ehrliche Liebe als in jedem ausgewiesenen Liebesroman, Liebe zu Mensch und Tier, zur Natur. Hinter allem Traurigen blitzt Humor auf. Freundschaft ist unsagbar wichtig und Mut zur Kreativität. Rundum: Ein Buch, das die Leser-Seele streichelt, ganz und gar unspektakulär, aber dennoch lange nachwirkend…

Veröffentlicht am 05.04.2017

Rabenschwarze, genial aufgebaute Spannung

Ragdoll - Dein letzter Tag (Ein New-Scotland-Yard-Thriller 1)
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Da haben wir endlich wieder so ein Die-Nacht-Durchgelesen-Buch, ein Buch, das man nicht aufhören kann zu lesen, ein Buch von grausamer Härte, durch das man Seite um Seite jagt, so schnell die Augen mitmachen.
Detective ...

Da haben wir endlich wieder so ein Die-Nacht-Durchgelesen-Buch, ein Buch, das man nicht aufhören kann zu lesen, ein Buch von grausamer Härte, durch das man Seite um Seite jagt, so schnell die Augen mitmachen.
Detective William Layton-Fowkes, genannt Wolf, hat eine umstrittene Vergangenheit mit Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik. Da er jedoch ein herausragender Ermittler ist, wird er nach seiner Suspendierung doch wieder in den Dienst der Londoner Polizei genommen. Das Buch beginnt mit einer fulminanten Szene: Eine aus Teilen von 6 verschiedenen Menschen zusammengesetzte bzw. zusammengenähte Leichenpuppe (Flickenpuppe = Ragdoll) schwebt von der Decke, ein Finger weist genau auf die gegenüber liegende Wohnung von Detective Wolf. Als eine Liste auftaucht von weiteren potentiellen Opfern mit deren genau benanntem Todeszeitpunkt, beginnt das Team rund um Wolf eine atemlose Suche, wobei der Mörder immer einen Schritt voraus ist und zu unglaublichen, perfiden Mitteln greift.
Neu und genial ist für mich in diesem Buch die Darstellung der Polizei, denn üblicherweise empfindet man Sympathie für die Hauptpersonen. Hier aber sind auf sehr befremdliche Weise die Personen auf der „guten“ Seite geradezu abstoßend geschildert, Ermittler in ihren sehr ausgeprägten unterschiedlichen Persönlichkeiten, allesamt auf die eine oder andere Weise kaputt, bissig, giftig. Und je weiter man liest, desto verwirrter wird man, wer nun wirklich „böse“ und wer „gut“ ist… Faszinierend und lange nachwirkend!

Veröffentlicht am 27.03.2017

Ein Buch wie ein Bilderteppich

Aimées geheimer Wunsch
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Da ist der Autorin etwas sehr Schönes gelungen, eine Geschichte über das Lebensgefühl der Frauen in unterschiedlichen Zeiten, aber dennoch mit immer der gleichen Sehnsucht nach Liebe und Erfüllung.
Im ...

Da ist der Autorin etwas sehr Schönes gelungen, eine Geschichte über das Lebensgefühl der Frauen in unterschiedlichen Zeiten, aber dennoch mit immer der gleichen Sehnsucht nach Liebe und Erfüllung.
Im Jahr 1891 stickt Aimée mit Hingabe an einem Kragen, der für ihr Hochzeitskleid gedacht ist. Sie kennt ihren zukünftigen Mann nicht und blickt deshalb sehr unsicher in die Zukunft. Ihr strenger Vater erlaubt ihr keine Bildung, und so liest sie heimlich, wissbegierig wie sie ist.
Mit der leider nicht sehr ausführlichen Geschichte Aimées umrahmt das Buch die Geschichte dieses gestickten Kragens, der in viele unterschiedliche Hände gerät. So viele unterschiedliche Leben, so viel Unglück in all diesen Schicksalen, ob in London, Paris, Rom oder Istanbul. Verbindend dazwischen gesetzt ist das Leben von Maggie und ihrer Familie in der Jetzt-Zeit. Maggie ist Auktionatorin und Gutachterin, liebt alte Dinge und forscht nach deren jeweiliger Geschichte. Sie reibt sich auf zwischen Arbeit und Familie, will allem und allen gerecht werden und trägt doch selbst eine tief verborgene geheime Not in sich.

Bewundernswert ist der Schreibstil, der gekonnt in die jeweilig dargestellte Zeit und Person schlüpft und sehr bildhaft Sequenzen aus deren Leben beschreibt. Wie ein Bilderteppich webt sich dieses Buch durch die Zeiten, einzige Konstante der perlenbestickte Kragen... Faszinierend und wunderschön!

Veröffentlicht am 23.03.2017

Hoffnung und Elend eines Glückssuchers

Das Leben wartet nicht
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Hoffnung und Elend eines Glückssuchers

Sizilien: Ninetto erlebt die armseligste Kindheit, die man sich nur vorstellen kann. Hunger und Schläge sind Alltag. Gespielt wird auf der Straße, nur bekleidet ...

Hoffnung und Elend eines Glückssuchers

Sizilien: Ninetto erlebt die armseligste Kindheit, die man sich nur vorstellen kann. Hunger und Schläge sind Alltag. Gespielt wird auf der Straße, nur bekleidet mit einer Unterhose. Die Mutter ist nach einem Schlaganfall ein Pflegefall. Der Vater ist hart, fast brutal, und schweigsam. Dennoch wirkt Ninetto auf eine seltsame Weise glücklich, frei, ungezwungen und vor allen Dingen furchtlos. Er hat Freunde. Und er hat Lehrer Vincenzo, der in ihm mehr sieht als einen verlotterten armseligen Jungen. Und er setzt Hoffnung in die Zukunft.
Mailand: Ende der 50er Jahre beginnt ein Auswandererstrom aus dem Süden in den Norden, in die Industriestädte, auf der Suche nach Arbeit. Auch Ninetto ist dabei, mit nur 10 Jahren! Er übernimmt für eine Wäscherei in Mailand Botengänge und schlägt sich mehr schlecht als recht durch. Mit 15 heiratet er Maddalena, und arbeitet schließlich mehr als 30 Jahre in einem Werk von Alfa Romeo, immer die gleiche Arbeit, tagaus tagein.
So beginnt die Geschichte. Eingestreut sind kurze Sequenzen, in denen Ninetto 57 Jahre alt ist, 10 Jahre im Gefängnis verbracht hatte und zu Maddalena zurückkehrt. Diese Zeitsprünge sind genial eingesetzt, um die vielen nur angedeuteten Themen zu vertiefen, die Ninetto sein Leben lang begleiten.

Dem Autor ist ein sprachliches Meisterstück gelungen! Er schlüpft sprachlich in den hoffnungsfrohen kindlichen Ninetto, der seine Welt durch Beobachtung, noch fast ganz ohne Wertung, wahrnimmt. „Kindheit … ist, wenn man innen noch sauber ist.“ Er schlüpft in den älter werdenden, sein Schicksal annehmenden Ninetto. Und er schlüpft in den strafentlassenen, verstummten Ninetto: „Rede nur, wenn die Henne pinkelt“, also nie. Er schreibt in kurzen, klaren Sätzen, die so intensiv sind, dass man sich der inneren Bilder und Gefühle nicht erwehren kann. „Hässlich wie ein Apfelbutzen…“ Und er malt in diesen geraden Sätzen eine symbolhafte Geschichte für Auswandern, Ausgrenzung, für Schuften ohne Perspektive und für die Unmöglichkeit, seinem eigenen So-Sein zu entkommen.

Veröffentlicht am 17.03.2017

Mut und Herzenswärme

Überleben ist ein guter Anfang
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Manchmal geschieht es, dass ein Buch wärmt wie eine Tasse Tee oder wie ein anerkennendes Wort oder wie das Lächeln eines Fremden. Das vorliegende Buch ist ein solches Wärme-Buch. Es führt mich ab dem ersten ...

Manchmal geschieht es, dass ein Buch wärmt wie eine Tasse Tee oder wie ein anerkennendes Wort oder wie das Lächeln eines Fremden. Das vorliegende Buch ist ein solches Wärme-Buch. Es führt mich ab dem ersten Satz ohne Schwere hinein in die Welt von Anja, einer Frau mittleren Alters, die an Brustkrebs erkrankt ist, mit Knochenmetastasen und entsprechend wenig Hoffnung auf ein langes Leben. Anja nimmt trotz aller Vorbehalte ihren Mut zusammen und schließt sich einer Selbsthilfegruppe an, was zu völlig neuen Erfahrungen führt. Die Gruppe, deren Mitglieder nicht unterschiedlicher sein könnten, wächst durch den Tod eines Mitgliedes zusammen und begibt sich schließlich auf eine Weltreise. Diese Reise bewirkt bei jeder der Frauen einen ganz besonderen Entwicklungsprozess, gegenseitig stützen sie sich in ihrem individuellen So-Sein, sie ermutigen sich, stützen sich, loten ihre Grenzen aus und spüren durch neue Erfahrungen das kostbare Leben.
Der Schreibstil ist sehr eindrücklich, weil er so einfach ist, so klar, so nüchtern, und dabei genau beobachtend. Da ist nichts Larmoyantes, nichts Weinerliches, nichts Betuliches. Die sehr unterschiedlichen Frauen werden mit liebevoller Achtung und einem ebenso liebevollen Blick aufs Komische geschildert. Es ist nicht wichtig, dass diese spontane Weltreise recht märchenhaft klingt, als nicht wirklich realisierbar. Wichtig ist das innere Lächeln, dieses Gefühl der Wärme, mit dem man das Buch am Ende weglegt, wichtig ist das Fünkchen mehr Mut, das Leben jetzt, hier und heute, auszukosten. Ein starkes Buch!