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Veröffentlicht am 15.11.2021

Wohlfühlroman an der Grenze zum Kitsch

Das geheime Leben des Albert Entwistle
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Dieser Roman hat zwiespältige Gefühle in mir ausgelöst. Er wird als "Eine herzerwärmende Feel-Good-Geschichte über einen Postboten mit Sozialphobie" vermarktet. Und natürlich ist es herzerwärmend, wenn ...

Dieser Roman hat zwiespältige Gefühle in mir ausgelöst. Er wird als "Eine herzerwärmende Feel-Good-Geschichte über einen Postboten mit Sozialphobie" vermarktet. Und natürlich ist es herzerwärmend, wenn ein trauriges Schicksal sich zum Guten wendet. Der Autor schreibt gut, die Geschichte liest sich sehr gefällig, aber es ist zu viel des Guten: die Menschen, die Albert zu diesem Zeitpunkt seines Lebens begegnen, sind einfach zu freundlich, zu herzlich, zu hilfsbereit; Albert selbst ist Mitte 60 und ändert sich plötzlich total, ausgelöst durch den bevorstehenden Renteneintritt und den Tod seiner geliebten Katze. Ich hatte aus dem Verlagstext geschlossen, dass er vielleicht unter einem Asperger-Syndrom leidet. Das ist nicht der Fall, aber auch eine Sozial-Phobie ist eine Krankheit, die nicht so einfach von heute auf morgen verschwindet. Das geht alles viel zu einfach, ein seit 50 Jahren eingeübtes Verhalten legt man nicht so schnell ab.
Nach einem einschneidenden Erlebnis in seiner Jugend (ich will hier nicht spoilern), hat Albert sich mehr und mehr in sich zurückgezogen, lebt nur für seine Arbeit als Postbote, die immer gleiche Routine gibt ihm Halt. Kontakte beschränkt er auf das Nötigste, einzige Gesellschaft ist seine Katze, die aber schon recht alt ist und dann leider stirbt. Albert fällt in ein tiefes Loch und zieht sich dann quasi am eigenen Zopf wieder heraus, das hat mich gefreut und ich habe es einerseits gern gelesen und ihm gegönnt, andererseits aber nie das Gefühl abschütteln können, dass das alles vollkommen unrealistisch ist, ein Märchen. Albert macht eine komplette Kehrtwendung. Ab einem gewissen Zeitpunkt wird dann alles sehr vorhersehbar.
Der Roman wechselt die Zeitebenen, einmal das Hier und Jetzt, einmal Erinnerungen an seine Teenagerzeit, an das Ereignis, das ihn zu dem gemacht hat, der er heute ist.
Fazit: Eine schöne Geschichte, aber mir tropfte da zu viel Zuckerguss aus den Seiten, zu viel Friede, Freude, Eierkuchen. Ein Erbauungsroman sozusagen. Wer sich auf Märchen einlassen kann, dem wird diese durch und durch positive Geschichte gefallen!

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Veröffentlicht am 27.06.2021

Etwas überfrachtet

Im Reich der Schuhe
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Der Autor hat in seinen Erstlingsroman etwas zu viele Themen hineingestopft: Einen Generationenkonflikt, Kapitalismuskritik, Kritik an der chinesischen Politik, das Erwachsenwerden eine Unternehmersohnes ...

Der Autor hat in seinen Erstlingsroman etwas zu viele Themen hineingestopft: Einen Generationenkonflikt, Kapitalismuskritik, Kritik an der chinesischen Politik, das Erwachsenwerden eine Unternehmersohnes ...
Der 26jährie Alex Cohen ist seit einem Jahr in Südchina, wo sein Vater Fedor eine Schuhfabrik betreibt. Dieser macht seinen Sohn zwar zum Teilhaber, gewährt ihm aber keine Entscheidungskompetenz, was diesen naturgemäß frustriert. Besonders nachdem er die Arbeiterin und politische Aktivistin Ivy kennen und lieben gelernt hat, will er die Lage der chinesischen Arbeitskräfte verbessern und auch sonst eine ganz andere Geschäftsstrategie verfolgen als sein Vater, der nur Billigschuhe für amerikanische Kaufhausketten produziert, die bei allen Entscheidungen ein Mitspracherecht haben.
Etwas weniger wäre vermutlich mehr gewesen, denn nach einem gelungenen, humorvollen Einstieg wird die Lektüre zwischendurch manchmal etwas zäh, auch weil man als Leser nicht so richtig weiß, in welche Richtung das gehen soll.
Für mich hat sich der Vater-Sohn-Konflikt als Hauptthema herauskristallisiert, die Beschreibung der Arbeitsbedingungen und der Rebellion der Arbeiter bilden nur den Hintergrund dafür. Eine durchaus interessante Geschichte, die aber in der Umsetzung nicht ganz überzeugt!

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Veröffentlicht am 22.03.2021

Emanzipation oder purer Egoismus? Dramatischer Lebensweg einer jungen Schauspielerin im Wien der 50/60er Jahre

Johanna spielt das Leben
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Johanna hat es geschafft: aus ärmlichen Verhältnissen kommend landet sie schon als Neunzehnjährige mit großem Erfolg am Wiener Burgtheater.
Dann verliebt sie sich unseligerweise in einen jungen Juristen ...

Johanna hat es geschafft: aus ärmlichen Verhältnissen kommend landet sie schon als Neunzehnjährige mit großem Erfolg am Wiener Burgtheater.
Dann verliebt sie sich unseligerweise in einen jungen Juristen und wird bald darauf schwanger. Was nun? Man beschließt zu heiraten und Johannas Aufstieg in die obere Mittelschicht ist besiegelt.
Bald zeigt sich allerdings, dass diese Ehe auf sehr wackeligen Füßen steht.
Der Roman wird auf zwei unterschiedlichen, nicht sehr weit auseinanderliegenden Zeitebenen erzählt, 1948-51 und 1961.
Johanna will alles haben, Ehe, Kind und Karriere. Das ist natürlich schwer unter einen Hut zu bringen, speziell in den Fünfziger Jahren, als ein Ehemann seiner Frau noch verbieten konnte zu arbeiten. Sie lässt sich allerdings nichts verbieten, aber das Wichtigste ist ihr doch ihre Schauspielkarriere und der damit verbundene Ruhm, so dass Ehe und Kinderversorgung auf der Strecke bleiben. Nichts ist gegen den Karrierewunsch einzuwenden, aber dann sollte man sich überlegen, ob das mit einer Familie, speziell mit einem Kind vereinbar ist.
Für mich ist Johanna keine starke Frau, sondern eine, die ohne Rücksicht auf Verluste ihre Interessen durchsetzt und ihre Rolle als Ehefrau und Mutter nur „spielt“, wenn es ihr gerade in den Kram passt. Sie erscheint selbstverliebt, egoistisch und ziemlich unreif und wurde mir beim Lesen zunehmend unsympathischer.
Johannas Entscheidungen sind für mich nicht nachvollziehbar, auch nicht die ihres Ehemannes Georg. Das mag daran liegen, dass die Figuren nicht ausreichend charakterisiert werden, man sie nur oberflächlich kennenlernt.
Am Ende wird noch unvermittelt ein Familiengeheimnis aufgetischt, das ich schon eine ganze Weile geahnt hatte, das aber eigentlich keinen besonderen Einfluss auf den Fortgang der Geschichte hat. Zum abrupten Schluss dann ein versöhnlicher Epilog in der Jetztzeit, der aber viele Fragen über die inzwischen verstrichene Zeit offen lässt.
Zu Beginn hat mir der Roman sehr gut gefallen, doch je unsympathischer die Protagonistin mir im Verlauf der Handlung wurde, desto weniger konnte ich mich für sie begeistern. Der Schreibstil der Autorin ist größtenteils gut lesbar, jedoch erforderten die von ihr gern genutzten langen Schachtelsätze des öfteren einen Rückblick um zu schauen, welches Subjekt denn zum Verb gehört.
Eine durchaus interessante Story-Idee, deren Umsetzung aber nicht die Erwartungen erfüllen kann, die der Klappentext und das sehr gelungene Titelbild geweckt haben.

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Veröffentlicht am 25.02.2021

Zwiespältig

Kim Jiyoung, geboren 1982
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Ist es ein Roman? Oder eher eine sozialwissenschaftliche Abhandlung? Etwas von beidem. Zwischendurch gibt es immer wieder Fußnoten, wie in einer wissenschaftlichen Arbeit Angaben zur Herkunft der demographischen ...

Ist es ein Roman? Oder eher eine sozialwissenschaftliche Abhandlung? Etwas von beidem. Zwischendurch gibt es immer wieder Fußnoten, wie in einer wissenschaftlichen Arbeit Angaben zur Herkunft der demographischen Daten, die im Text mitgeteilt werden. Das ist meiner Meinung nach auch die Crux dieses Romans: man erfährt sehr viel über die Situation der Frauen in Südkorea, die so viel anders nicht ist als bei uns vor ca. 70 Jahren, aber das Einzelschicksal von Jiyoung wird so kühl geschildert, dass einen zwar die Fakten erschüttern, die Erzählung einen jedoch emotional nicht packen kann. Das Buch liest sich trotz Fußnoten durchaus flüssig, aber es fehlt der gewisse Hoffnungsschimmer, damit es einem Spaß machen könnte. Jiyoungs Lage ist ziemlich hoffnungslos, die gesellschaftlichen Erwartungen erdrücken sie. Nachdem es ihr tatsächlich gelungen ist zu studieren und schließlich auch einen relativ guten Job zu finden (immer unterstützt von ihrer Mutter, die ihrer Tochter gern ihr eigenes Schicksal ersparen möchte), lernt sie einen netten jungen Mann kennen und heiratet ihn. Aber nun ist auch die Schwiegerfamilie im Spiel, die dringend einen Stammhalter erwartet ... viel früher, als es Jiyoung lieb ist. Als sie schwanger wird, erscheint es für alle logisch, dass sie ihren hart erkämpften Job aufgibt. Das Geld, das ihr Mann nach Hause bringt, reicht hinten und vorne nicht, weshalb sie sich dann schließlich einen schlecht bezahlten Teilzeitjob sucht, der sich mit Kinderversorgung und Haushalt kombinieren lässt. Und dafür hat sie studiert? Sie fühlt sich ständig müde und ausgelaugt und wird depressiv und psychisch krank. Das ist sehr traurig und deprimierend. Sicher ein wichtiges feministisches, und für Korea bahnbrechendes Buch, aber dass es zum Bestseller geworden ist, erstaunt mich.
Für uns als westliche Leser wirkt das alles sehr weit entfernt und exotisch, dabei sind dieselben Denkweisen - wenn auch in abgeschwächter Form - doch auch bei uns immer noch gang und gäbe!

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Veröffentlicht am 30.11.2020

Authentische Schilderung der Nachkriegsgeneration in West-Berlin

Ada
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Dies war mein erstes Buch von Christian Berkel und der Autor versteht es, eine unterhaltsame und fesselnde Geschichte zu erzählen. Dass es sich bei diesem Roman um den zweiten Band einer Trilogie handelt, ...

Dies war mein erstes Buch von Christian Berkel und der Autor versteht es, eine unterhaltsame und fesselnde Geschichte zu erzählen. Dass es sich bei diesem Roman um den zweiten Band einer Trilogie handelt, war mir vor der Lektüre nicht bewusst, aber ich kam auch ohne die Kenntnis des ersten Bandes problemlos in die Geschichte hinein. Ich bin ein paar Jahre jünger als die fiktive Ada, aber in vielem decken sich ihre Erlebnisse einer westberliner Nachkriegsjugend mit meinen. Besonders eindrückliche Ereignisse waren der Mauerbau, das Stones-Konzert in der Waldbühne, die Ermordung von Benno Ohnesorg während der Demos anlässlich des Schah-Besuchs, die Studentenrevolte und Woodstock (dort war ich zwar nicht, aber trotzdem gehört das irgendwie zur kollektiven Erinnerung).
Die gesamte Familie durchläuft die typische Entwicklung im Wirtschaftswunderland, man kommt allmählich zu Geld und hat einen - ziemlich spießigen - Freundeskreis, mit dem man regelmäßig zusammenkommt. Die Mutter ist Jüdin und war deshalb mit ihrer Tochter aus Deutschland geflohen: erst nach Paris, dann nach Argentinien. Als sie mit der neunjährigen Ada nach Berlin zurückkehrt, ist es für das kleine Mädchen sehr schwierig, sich dort zu Hause zu fühlen. Dann heiratet die Mutter Adas Vater (wobei die tatsächliche Vaterschaft ein Rätsel bleibt), einen Arzt mit eher nicht ganz reiner Weste während der Nazizeit. Die Mutter, Sala, erzieht ihre Kinder katholisch, das jüdische Erbe wird ausgespart. Überhaupt wird in der Familie über viele Themen nicht gesprochen und Ada beginnt, sich zur Rebellin zu entwickeln.
Das ist gut lesbar und interessant, allerdings bin ich trotzdem mit Ada nicht richtig warm geworden. Das mag zum einen daran liegen dass ein Mann in der Ich-Form als Frau erzählt, was manchmal nicht so ganz hinhaut, zum anderen daran, dass ich Adas Aktionen und Reaktionen nicht immer ganz nachvollziehbar fand.
Fazit: Eine unterhaltsame Lektüre, die Erinnerungen weckt und zum Nachdenken anregt.

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