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Veröffentlicht am 02.04.2017

Eine besondere Vater-Tochter-Beziehung

Mit jedem Jahr
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Der alkoholkranke, gewaltbereite, vorbestrafte Jason nimmt nach dem Unfalltod seines Bruders und seiner Schwägerin nach geschicktem Intervenieren einer Sozialarbeiterin deren kleine, ihm bis dahin unbekannte ...

Der alkoholkranke, gewaltbereite, vorbestrafte Jason nimmt nach dem Unfalltod seines Bruders und seiner Schwägerin nach geschicktem Intervenieren einer Sozialarbeiterin deren kleine, ihm bis dahin unbekannte Tochter Harvey bei sich auf. Zwar kann er ihr nur ein bescheidenes Leben bieten. Doch sind es kleine Begebenheiten im alltäglichen Zusammenleben, die beide im Laufe der Zeit mehr und mehr zusammenschweißen, wodurch sogar Jasons Leben eine Wendung zum Positiven nimmt.

Es ist einfach schön, diese Geschichte über eine sich entwickelnde Vater-Tochter-Beziehung zwischen zwei Menschen zu lesen, die vermeintlich als Onkel und Nichte blutsverwandt sind. Welche persönlichen Bande tatsächlich zwischen ihnen bestehen, birgt noch ein besonderes Geheimnis, das erst ganz am Ende aufgelöst wird, und zwar nur für den Leser, nicht für die Romanfiguren. Der Autor präsentiert die Geschichte in besonderer Weise, indem er Erinnerungsstücke einführt, die Harvey Jason bei einem Besuch zum Vatertagsgeschenk macht, und ausgehend von ihnen in Rückblenden erzählt, wie Jason und Harvey einst zusammenfanden.

Dem Buch gebe ich eine unbedingte Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 24.03.2017

Spannender Psychothriller um ein entführtes Baby

The Couple Next Door
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Das Ehepaar Anne und Marco Conti nimmt eine Abendeinladung bei den Nachbarn an. Ihr sechsmonatiges Baby Cora sollte eigentlich in der Obhut einer Babysitterin bleiben. Nachdem diese kurzfristig abgesagt ...

Das Ehepaar Anne und Marco Conti nimmt eine Abendeinladung bei den Nachbarn an. Ihr sechsmonatiges Baby Cora sollte eigentlich in der Obhut einer Babysitterin bleiben. Nachdem diese kurzfristig abgesagt hat, lassen Anne und Marco das Baby allein zu Hause zurück und gehen im halbstündigen Wechsel nach ihm schauen. Bei ihrer Rückkehr ist das Baby verschwunden. Die Polizei geht von einer Entführung aus. Ist es tatsächlich so und wird Cora lebend zu ihren Eltern zurückkehren?

Das Buch erfüllt für mich alle Kriterien eines guten Psychothrillers. Es geht nicht allzu blutrünstig zu (obwohl es durchaus zu zwei Morden kommt, von denen vor allem der eine ganz am Ende einen Überraschungseffekt bietet). Anstelle von viel Handlung spielt sich Vieles in der Gedankenwelt der Romanfiguren ab. Das wirklich Fesselnde daran ist, dass alle zu wissen glauben, wie die Geschehnisse abgelaufen sind, und trotzdem zunehmend verunsichert sind, an sich zweifeln und den anderen misstrauen. Auf diese Weise wird für den Leser der mögliche Handlungsablauf immer wieder mit allen Möglichkeiten durchgespielt und er weiß lange Zeit nicht, was denn nun wirklich geschehen ist. Der ermittelnde Detective meint übrigens schon frühzeitig auf der richtigen Fährte zu sein, ohne dass der Leser allerdings schon da erfährt, ob er tatsächlich richtig liegt. Recht faszinierend ist, dass so ziemlich alle wichtigen Personen Geheimnisse mit sich herumtragen. Da gibt es psychische Probleme, finanzielle Schwierigkeiten, Ehebruch, Lügen – kurzum viele menschliche Abgründe tun sich auf, die sie zusätzlich verdächtig erscheinen lassen. Gelungen und nachvollziehbar ist auch die Darstellung, wie Anne und Marco nach dem Verschwinden ihres Kindes die Hölle durchmachen.
Für mich ist das Buch absolut lesenswert.

  • Einzelne Kategorien
  • Figuren
  • Handlung
  • Atmosphäre
  • Spannung
  • Cover
Veröffentlicht am 14.03.2017

Über Liebe und Einsamkeit im Alter

Unsere Seelen bei Nacht
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Ein treffendes Sprichwort, um dieses nur 197 Seiten umfassende Büchlein zu charakterisieren, wäre „In der Kürze liegt die Würze“. Schon mit dem Einleitungssatz „Und dann kam der Tag, an dem Addie Moore ...

Ein treffendes Sprichwort, um dieses nur 197 Seiten umfassende Büchlein zu charakterisieren, wäre „In der Kürze liegt die Würze“. Schon mit dem Einleitungssatz „Und dann kam der Tag, an dem Addie Moore bei Louis Waters klingelte“ wird der Leser mitten hinein ins Leben der beiden verwitweten, einander nur flüchtig bekannten Nachbarn, beide jenseits der 70, geworfen. Addie macht Louis den kühnen Vorschlag, hin und wieder nachts bei ihr zu schlafen und zu reden. Es solle nicht um Sex gehen, sondern darum die Nacht zu überstehen. Tatsächlich liegen sie dann nachts beieinander und erzählen sich ihre – durchaus tragischen – Lebensgeschichten. Gemeinsame Unternehmungen folgen. Es ist der Beginn einer Liebesgeschichte. Leider sehen sie sich den Vorurteilen der meist intoleranten Kleinstädter ausgesetzt und vor allem dem erbitterten Widerstand von Addies Sohn. Ob sie „darüber stehen“ werden, muss man unbedingt selbst lesen. Die Geschichte liest sich auf jeden Fall sehr gut. Dabei schadet es überhaupt nicht, dass wörtliche Reden, aus denen der Text überwiegend besteht, nicht kenntlich gemacht sind. Viele Beschreibungen von Natur und von Begebenheiten erinnern dem Schreibstil nach an Schulaufsätze jüngerer Kinder, da kurze Sätze aneinandergereiht werden. Die eine oder andere Passage ist amüsant. Mit einem Gespräch unserer beiden Protagonisten über einen Autor aus Colorado, der Bücher über Holt schreibt – eben jener fiktiven Kleinstadt, in der die Geschichte angesiedelt ist -, („Er könnte Bücher über uns schreiben“ sagt Addie. „Ich will in keinem Buch vorkommen“ antwortet Louis) landet Haruf einen besonderen Coup. Denn von ihm selbst ist die Rede.

Das Buch lehrt uns, toleranter gegenüber Liebe unter Senioren zu werden und ist absolut lesenswert.

Lohnenswert ist auch, das Buchcover zu betrachten. Wie beim Diogenes-Verlag üblich, wird auf bekannte Motive zurückgegriffen – hier „Yellow House 1“ von Alex Katz.

Veröffentlicht am 08.03.2017

Über Sterben und Sterbenlassen und dennoch kein bisschen traurig

Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster
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Wer die Bedeutung der Überschrift kennt, weiß, worum es in dem Buch geht. Das Fenster im Zimmer eines gerade Gestorbenen wird geöffnet, damit seine Seele entweichen kann. Thema ist also der Tod, was aber ...

Wer die Bedeutung der Überschrift kennt, weiß, worum es in dem Buch geht. Das Fenster im Zimmer eines gerade Gestorbenen wird geöffnet, damit seine Seele entweichen kann. Thema ist also der Tod, was aber von der Lektüre überhaupt nicht abschrecken muss. Der Sonderling Fred, allein erziehender Vater und übergewichtig, ist ehrenamtlicher Sterbebegleiter und versucht dieser schweren Aufgabe zum ersten Mal im Fall der unheilbar an Krebs erkrankten Karla gerecht zu werden. Anfangs macht er alles falsch, was nur falsch gemacht werden kann, weil er es eigentlich nur gut meint. Leicht hat er es aber ohnehin nicht mit der starrköpfigen, unfreundlichen Karla. Erst durch den Hausmeister in Karlas Haus und seinen 13jährigen Sohn Phil – Sonderling wie er, der Lyrik verschrieben, kleinwüchsig -, dem er bei Karla einen Job als Fotoarchivar verschafft, bekommt er einen Draht zu Karla. Ja, und am Ende wird Fred es sein, der ihr Fenster öffnet.

Das Buch ist ein schöner Beitrag dazu, sich einmal mit unangenehmen Tabuthemen wie Tod, Sterben, Sterbebegleitung zu beschäftigen. Alles wird sehr einfühlsam, manchmal humorvoll und vor allem überhaupt nicht traurig geschildert. Die Dialoge der ehrenamtlichen Sterbebegleiter in ihren regelmäßigen Supervisionssitzungen lesen sich recht amüsant. Alle Romanfiguren gehen am Ende gestärkt aus dem Geschehen hervor, auch in ihren Beziehungen zueinander. Vor allem die Vater-Sohn-Beziehung von Fred und Phil entwickelt sich zum Positiven. Es gibt sogar ein Familiengeheimnis in Karlas Vergangenheit, dessen nähere Umstände man allerdings nur erahnen kann. Wechselnde Perspektiven sorgen für Abwechslung beim Lesen.

Ich kann das Buch wirklich empfehlen.

Veröffentlicht am 05.03.2017

Wie es ist, als Sohn eines Kriminellen aufzuwachsen

So, und jetzt kommst du
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Mit diesem Buch präsentiert uns der 1971 geborene Autor seine eigene Familiengeschichte.
Geschildert werden im Wesentlichen die beginnenden 80er Jahre. Vom Wunsch beseelt, das große Geld zu machen und ...

Mit diesem Buch präsentiert uns der 1971 geborene Autor seine eigene Familiengeschichte.
Geschildert werden im Wesentlichen die beginnenden 80er Jahre. Vom Wunsch beseelt, das große Geld zu machen und was Besseres zu sein, hängt der Vater seine Arbeitsstelle an den Nagel und tätigt windige Geschäfte. Mit dem Geld aus einer Unterschlagung flüchtet er vor der Polizei mit Frau und drei Kindern nach Südfrankreich. Zunächst lebt die Familie recht komfortabel, bis das Geld zur Neige geht und Interpol den Vater aufspürt. Wieder auf der Flucht landen sie in Portugal, Paris, ihrer Heimat Kaiserslautern und München. Der soziale Verfall ist unaufhaltsam.

Obwohl die Kindheit des Autors sehr tragisch ist und man mit ihm weiß Gott nicht hätte tauschen mögen, ist der Grundtenor der Geschichte überhaupt nicht traurig oder anklagend, sondern hat durchaus komische und groteske Züge, so dass das Lesen Spaß macht. Die einzelnen Stationen der langen Odyssee werden eher fragmentarisch dargeboten. Das beruht wohl darauf, dass der Autor immerhin noch ein Kind war und entsprechend unvollständig seine Erinnerungen sind. Ebenfalls nur angedeutet werden aus diesem Grund viele der Machenschaften des Vaters, die ein Kind altersgemäß kaum ermessen kann. Doch fällt es dem Leser nicht schwer, die nötigen Schlussfolgerungen selbst zu ziehen. Bewundernswert ist der starke Familienzusammenhalt. Es konnte immer schlimmer werden und sich der Strick um den Vater immer enger schließen - die Familie hat sich nie getrennt und sogar noch Hunde in den Verband aufgenommen, obwohl sie selbst kaum zu essen hatte. Wer die 80er Jahre selbst erlebt hat, wird manchen, Erinnerungen weckenden Hinweis auf sie finden, wie z.B. die Erwähnung der braunen Alpecin-Haarwasserflasche oder von Revell-Bausätzen. Der Buchtitel ist passend zur Geschichte gewählt. Es handelt sich um einen mehrfach benutzten Spruch des Vaters gegenüber seinem Sohn, wenn dieser erwartungsgemäß den hochtrabenden Plänen seines Vaters nichts entgegenzusetzen hat.

Das Buch hat mir sehr gut gefallen.