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Veröffentlicht am 09.04.2021

"Mit den Flügeln der Zeit fliegt die Traurigkeit davon." (Jean de la Fontaine)

Alles, was noch vor uns liegt
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Durch einen tragischen Tauchunfall haben die Schwägerinnen Eva und Angela ihre Ehemänner verloren. Seitdem treibt Floristin Eva ruhe- und antriebslos durchs Leben, während Angela sich zwischen diversen ...

Durch einen tragischen Tauchunfall haben die Schwägerinnen Eva und Angela ihre Ehemänner verloren. Seitdem treibt Floristin Eva ruhe- und antriebslos durchs Leben, während Angela sich zwischen diversen Jobs und der Erziehung ihrer drei Kinder mehr als aufreibt und dabei kaum noch Luft zum Atmen hat. Um die Trauer endlich zu durchbrechen und hinter sich zu lassen, schlägt Eva Angela, anstelle ihrer verstorbenen Ehemänner beim Ultramarathon in Neuseeland zu starten und ihr Andenken so hochzuhalten. Angela, die das alles erst für eine Schnapsidee hält, lässt sich dann doch auf das Abenteuer ein. Gemeinsam mit ihren Kindern und Schwiegermutter Sherry mieten Angela und Eva sich in einem Haus am Wanaka-See ein, um dort drei Monate nicht nur zu trainieren und am Ende den Marathon zu bestreiten, sondern auch ihrer Gedanken- und Gefühlswelt freien Lauf zu lassen und neu zu sortieren. Unterstützung erhalten die beiden Frauen dabei durch Laufkamerad Marc sowie Journalist Simon...
Lindsey Harrel hat mit „Alles, was noch vor uns liegt“ einen berührenden Roman vorgelegt, der vor der atemberaubenden Kulisse Neuseelands die Trauerverarbeitung zweier Witwen sehr real und intensiv in Szene setzt. Der flüssige, bildgewaltige und gefühlvolle Erzählstil schubst den Leser regelrecht hinein ins Geschehen, wo er schnell Zeuge der überwältigenden Trauer von Eva, Angela sowie deren Kinder wird. Die beiden Frauen könnten vom Lebensstil und ihrer Wesensart nicht unterschiedlicher sein, ebenso differenziert gehen sie mit dem Tod ihres Ehemanns um. Während Eva den Verlust ihrer großen Liebe Brent kaum ertragen kann, als kreativer Mensch jegliche Farbe und Fantasie verloren hat und wie eine Schiffbrüchige umhertreibt, ist Angela in all ihrem Handeln und Tun die Wut auf ihren Mann Wes anzumerken, fühlt sie sich mit den Kinder doch durch seine Risikobereitschaft im Stich gelassen. Die Hintergrundkulisse Neuseelands ebenso wie die täglichen Trainingsvorbereitungen für den Marathon fordern mehr und mehr die Gefühle der beiden Frauen heraus, denen sie sich stellen müssen, um endlich wieder nach vorne sehen zu können. Obwohl sie vorher eher selten etwas miteinander zu tun hatten, schafft die Autorin hier eine interessante Ausnahmesituation, in der die Frauen sich immer mehr annähern, sich gegenseitig Vertrauen entgegenbringen und sich Sachen auf den Kopf zusagen. Wenn diese Tatsachen auch wehtun und nicht wahrgenommen werden wollen, so müssen beide doch bewusst erkennen, wie recht die jeweils andere mit ihren Aussagen hat. Auch die Trauer der Kinder ist gut in die Geschichte miteingebunden, die auf einmal nicht nur ihren Vater verloren haben, sondern anscheinend auch die Mutter, die seitdem kaum noch lacht oder wirklich Zeit hat für sie. Der christliche Aspekt wurde sehr unaufdringlich in die Handlung integriert und bietet ein breites Spektrum von Schuld, Vergebung, Trauerverarbeitung, Selbstliebe, Vertrauen und Zuversicht.
Die Charaktere glänzen mit Lebendigkeit und Facettenreichtum, wirken wie reale Personen mit Ecken und Kanten, sodass der Leser sich gut mit ihnen identifizieren und mitfiebern kann. Eva ist eine Künstlerseele, offen und eher unbeschwert, doch die Trauer hat sie in ein Loch gezogen, wo es keine Farben mehr gibt. Aber sie ist eine Kämpfernatur, die sich auch unter widrigsten Umständen durchbeißt. Angela wirkt konstant unterkühlt, unwirsch und wütend, selbst ihren Kindern gegenüber. Innerlich hadert sie nicht nur mit sich selbst, sondern hat vor allem Angst. Sherry ist eine wunderbare Schwiegermutter mit viel Wärme und Weisheit, ebenso Joanne. Marc ist ein liebenswerter Kerl, auf den man sich immer verlassen kann. Simon hat das Herz am rechten Fleck und erfasst die Lage immer auf den Punkt. Kylie ist ein Teenager, der einiges verkraften muss, allerdings manchmal mehr bemerkt, als ihre Mutter wahrhaben will.
„Alles, was noch vor uns liegt“ nimmt den Leser mit ins atemberaubende Neuseeland, vor dessen Kulisse ihm die Seelen- und Gefühlswelt zweier Witwen offenbart wird, die ihn durch eine Achterbahn der Gefühle jagen. Verdiente Leseempfehlung für eine einfühlsame und empathische Erzählung.

Veröffentlicht am 08.04.2021

"Wer Sicherheit der Freiheit vorzieht, bleibt zu Recht ein Sklave." (Aristoteles)

Träume von Freiheit - Ferner Horizont
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19. Jh. Dresden. Zu der gehobenen Gesellschaft der amerikanischen Kolonie in Dresden gehörend, genießt Florence de Meli mit ihrer Familie ein recht komfortables Leben. Florence ist nicht auf den Mund gefallen ...

19. Jh. Dresden. Zu der gehobenen Gesellschaft der amerikanischen Kolonie in Dresden gehörend, genießt Florence de Meli mit ihrer Familie ein recht komfortables Leben. Florence ist nicht auf den Mund gefallen und deswegen gern gesehener Gast bei vielen Veranstaltungen. Ihrer Schwiegermutter Antoinette sowie ihrem Ehemann Henri ist das ein Dorn im Auge, gerade Henri leidet an krankhaften Eifersucht und spricht zudem dem Alkohol zu. Als ihm diesbezüglich der Geduldsfaden reißt, lässt er Florence entmündigen und in die Irrenanstalt Sonnenstein einweisen, wo diese von Dr. Lessing wegen ihrer krankhaften Hysterie behandelt werden soll. Nach einer Verlegung in ein Sanatorium ist es Florence möglich, von dort zu fliehen und über Umwege zu ihrer Familie nach Amerika zu gelangen. Von dort aus leitet sie die Scheidung ein und kämpft um ihre Kinder...
Silke Böschen hat mit „Träume von Freiheit-Ferner Horizont“ einen sehr unterhaltsamen historischen Roman vorgelegt, der nicht nur durch eine spannend skizzierte Lebensbiografie einer mutigen Frau besticht, sondern auch einen sehr guten Eindruck der damaligen Gesellschaft und ihren Moralvorstellungen präsentiert, während Fiktion und wahre Begebenheiten sich miteinander vermischen. Der flüssige, bildhafte und gefühlvolle Erzählstil lässt den Leser schnell an Florence Seite gleiten, um hautnah alle ihre Erlebnisse mitzuverfolgen und vor allem die ganze Dramatik ihrer Ehe mit Henri zu begleiten. Böschen hat gut recherchiert und den historischen Hintergrund wunderbar mit ihrer Handlung verwebt. Als Leser sträuben sich einem alle Haare, wenn man erleben muss, dass Frauen, die etwas unkonventionell für ihre Zeit waren, sehr schnell als hysterisch oder verrückt abgestempelt werden konnten und sogar in einer Heilanstalt landen konnten. Das damalige Gesellschaftsbild, was Frauen betrifft, ist erschreckend. Als Heimchen am Herd und Anhängsel des Mannes nur erwünscht, wenn sie den Mund hielt und wie eine Sklavin ihre Arbeit verrichtete. Doch als aufgeschlossenes und offenes Wesen mit eigenem Standpunkt konnte eine Frau oftmals entmündigt und nicht nur ihrer Freiheit beraubt werden, sondern auch ihrer Kinder. Ebenso erschütternd sind die Passagen zu lesen, die Florence als gesunde Frau in der Irrenanstalt zubringen musste. Ihr Schicksal steht für viele Frauen, die damals unliebsam aus dem Weg geräumt wurden. Die Autorin versteht es gut, ihre Handlung mit einigen Wendungen dauerhaft spannend zu machen, so dass man als Leser konstant mitfiebert, wie es mit Florence wohl weitergehen wird.
Die Charaktere sind liebevoll und facettenreich gezeichnet, sie wirken für die ihnen zugewiesene Zeit glaubwürdig und authentisch, so dass der Leser ihr Tun nachvollziehen kann und ihnen gerne folgt. Florence hat eine gewinnende, lebensbejahende, offene Art und trägt ihr Herz auf der Zunge. Ihre Impulsivität bringt sie manches Mal in Schwierigkeiten, doch sie lässt sich nicht unterkriegen und kämpft für die Dinge, die ihr wichtig sind. Henri ist ein Schlappschwanz, fast dauerhaft unter Alkoholeinfluss, ist er das Schoßhündchen seiner Mutter. Er ist einfach nur armselig, ihm fehlt jeglicher Ansporn, etwas aus seinem Leben zu machen. Antoinette ist ein Snob, die Florence ständig Steine in den Weg legt und ihr zu verstehen gibt, dass sie nie gut genug sein wird. Clara Jenkins ist Florence eine wertvolle Freundin, die ihr unterstützend zur Seite steht. Ebenso wissen einige andere Protagonisten zu überzeugen.
„Träume von Freiheit-Ferner Horizont“ lässt nicht nur die damalige Zeit wieder lebendig werden, sondern spiegelt auch ein Sittengemälde jener Epoche wider. Fundiert recherchiert und spannend erzählt, hält es den Leser durchgängig bei der Stange. Verdiente Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 07.04.2021

Drei Frauen auf der Suche...

Für immer und einen Sommer
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Der Abiturabschluss von Claudia, Ariane und Kathrin ist 22 Jahre her, auch während der Schulzeit hat die drei nicht wirklich etwas verbunden. Doch als Claudia sich auf der 40-Jahrfeier ihres Kölner Gymnasiums ...

Der Abiturabschluss von Claudia, Ariane und Kathrin ist 22 Jahre her, auch während der Schulzeit hat die drei nicht wirklich etwas verbunden. Doch als Claudia sich auf der 40-Jahrfeier ihres Kölner Gymnasiums einfindet und kurz darauf mit Ariane in einen kleinen Unfall verwickelt wird, so dass sie im Krankenhaus bei Kathrin in der Notaufnahme landen, die dort als Ärztin tätig ist, verbringen die drei einen ereignisreichen Morgen. Im gemeinsamen Gespräch wird allen drei Frauen klar, dass sie das große Glück in ihrem Leben bisher nicht erlebt oder es verloren haben. Von dem Gedanken angestachelt, etwas Grundlegendes in ihrem Leben zu verändern und lieber gemeinsam einsam zu sein, kommen sie auf die Idee, ihren alten Schulkameraden Marco in der Toskana zu besuchen, für den jede auf ihre eigene Art einmal geschwärmt hat. Was werden sie auf ihrer Reise erleben: große Gefühle oder Ernüchterung?
Nina Cavalli hat mit „Die Liebe heiligt die Mittel“ einen unterhaltsamen Roman vorgelegt, der nicht nur das Leben und die Entwicklung dreier unterschiedlicher Frauen präsentiert, sondern auch deren Träume und Sehnsüchte wieder ans Tageslicht befördert und das alles vor zauberhaft-malerischer toskanischer Kulisse. Der flüssige, farbenfrohe und gefühlvolle Erzählstil lässt den Leser schon zu Beginn mit Claudia ein eher ernüchterndes Schultreffen erleben, denn mit vielen hatte man sich schon während der damaligen Zeit nichts zu sagen und geändert hat sich seitdem nichts. Interessant ist immerhin die Tatsache, dass die Autorin gerade jene jetzt zusammenfinden lässt, die vorher kaum etwas miteinander zu tun hatten und doch haben sie eines gemeinsam: den alten Jugendschwarm. Auch versuchen sie zuerst, sich gegenseitig zu versichern, wie wunderbar und erfolgreich ihr Leben ist, um dann doch noch ehrlich die Tatsachen auf den Tisch zu packen, was sie gerade durchmachen. Durch wechselnde Perspektiven taucht der Leser nach und nach in die Gefühls- und Gedankenwelt der einzelnen Protagonistinnen in das Jahr 1994 ein, während nebenbei die gegenwärtige Auszeit der drei Frauen nebenherläuft. Die Handlung besticht nicht nur mit unerwarteten Wendungen und malerischen Landschaftsbeschreibungen, vor allem kitzelt die Tatsache, den alten Jugendschwarm doch noch einmal zu treffen, unterschwellig angestaute Gefühle loszuwerden oder sich endgültig von der Schwärmerei zu verabschieden. Dass alle drei potenzielle Kandidatinnen für Marco wären, ist dabei das Salz in der Suppe und gibt der Geschichte zuzügliche Spannungsmomente.
Die Charaktere sind liebevoll mit menschlichen Eigenschaften ausgestaltet, so dass sie lebendig und glaubwürdig wirken. Der Leser findet sich schnell in ihrer Mitte wieder und schließt sich ihrer verheißungsvollen Reise an, bei der er so manchen Seelenstriptease miterlebt und mit dem Frauenkleeblatt mitfiebert. Claudia muss gerade verdauen, dass ihr Ehemann sich eine Geliebte zugelegt hat. In der Schulzeit war sie als arrogant und verzogen verschrien, doch ist sie eher ruhig und „nur“ Hausfrau vor den Scherben ihrer Ehe. Schauspielerin Ariane zeigt sich sehr offen, selbst- und ernährungsbewusst, doch der berufliche Erfolg bleibt aus und beschert ihr Hartz 4. Ärztin Kathrin ist zurückhaltend und strebsam als Kind strenger katholischer Eltern aufgewachsen. Ihre Sehnsucht nach Ehemann und eigenem Kind hat sich bisher leider nicht erfüllt. Aber auch Marco, Klaus und Sophie haben gewichtige Rollen in diesem Stück und lassen so einiges an Überraschungen vermuten.
„Die Liebe heiligt die Mittel“ ist nicht nur eine unterhaltsame Frauenlektüre, sondern geht tiefer, denn die Sehnsüchte und Träume der drei Protagonistinnen sind vergleichbar mit denen der Frauen im Hier und Jetzt. Tiefgründig, realistisch, ausdrucksvoll und vor allem empathisch lässt die Geschichte den Leser an den Seiten kleben. Verdiente Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 07.04.2021

"Die Bande der Liebe werden mit dem Tod nicht durchschnitten." (Thomas Mann)

Sommerleuchten am See
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Der Tod seiner Ehefrau Becca hat Jack für lange Zeit in ein tiefes Loch fallen lassen. Doch durch die Begegnung mit Flora ein Jahr später sieht er endlich wieder Licht am Ende des dunklen Tunnels. Flora ...

Der Tod seiner Ehefrau Becca hat Jack für lange Zeit in ein tiefes Loch fallen lassen. Doch durch die Begegnung mit Flora ein Jahr später sieht er endlich wieder Licht am Ende des dunklen Tunnels. Flora dagegen steht vor großen Herausforderungen, denn sie hat mit Jack nicht nur eine neue Liebe gefunden, sondern hat es sich zur Herzensaufgabe gemacht, auch für seine Töchter Molly und Izzy eine Bezugsperson zu werden, doch die heißen sie nicht gerade herzlich willkommen. Vor allem die Älteste, Izzy, trauert noch sehr um ihre Mutter und will Flora so gar keine Chance geben. Aber auch Beccas beste Freundin Clare hat so ihre Vorbehalte gegenüber Flora. Als Jack mit seinen Töchtern wieder für den Sommerurlaub bei Claire und ihrem Mann im Lake District anreist, bringt er auch Flora mit…
Sarah Morgan hat mit „Sommerleuchten am See“ einen tiefgründigen und feinfühligen Unterhaltungsroman vorgelegt, der nicht nur drei starke Frauen zu Wort kommen lässt, sondern auch mit einer großen Bandbreite an Emotionen punktet. Der flüssige, farbenfrohe und gefühlvolle Erzählstil lässt den Leser gemeinsam mit Flora, Jack und den Töchtern zu Clare in die englische Grafschaft Cumbria reisen, um dort am malerischen Lake District die Ferien zu verbringen und gleichzeitig der Gedanken- und Gefühlswelt der Protagonisten auf den Grund zu gehen. Über wechselnde Perspektiven begibt sich der Leser mal in die Fußstapfen von Flora, mal von Clare und mal von Izzy und erlebt dabei die unterschiedlichen Sichtweisen der drei Frauen und ihre zwischenmenschlichen Beziehungen zu ihrem Umfeld. Interessant zu beobachten ist dabei, dass sich in der Geschichte nicht nur ein Geheimnis versteckt, sondern es mehrere gibt, die sich nach und nach offenbaren. Morgans großes Talent ist, die Emotionen ihrer Protagonisten wunderbar in Worte zu kleiden, sodass der Leser sie gut nachvollziehen kann und regelrecht an den Seiten klebt, um nur keine Nuance zu verpassen. Themen wie Verlust, Trauerbewältigung, Familienzusammenhalt, aber auch Neubeginn und Freundschaft greifen ineinander und werden innerhalb der Geschichte verarbeitet. Flora kann einem geradezu leidtun, denn für den Mann, den sie liebt, muss sie es mit einer Frau aufnehmen, die sie nie kennengelernt hat und die bei vielen eine große Lücke hinterließ. Jeder hat seine Erfahrungen mit Becca gemacht, und unterschwellig muss Flora immer wieder dem Vergleich standhalten. Die Autorin hat dies in ihrer Handlung sehr gut und nachvollziehbar umgesetzt.
Die Charaktere sind durchgehend sehr realistisch und glaubwürdig ausgestaltet. Aufgrund ihrer sehr menschlichen Züge findet sich der Leser alsbald in ihrer Mitte wieder und kann mit ihnen leiden, hoffen, bangen und mitfiebern. Flora ist eine sehr sympathische Protagonistin mit viel Einfühlungsvermögen und Geduld, allerdings auch mit einem Hang zur Selbstaufgabe, was ihr einiges abverlangt. Izzy hat wie ihre kleine Schwester Molly nicht nur am Verlust der Mutter zu tragen, sondern auch die Verantwortung für ihre jüngere Schwester übernommen. Innerlich ist sie voller Verzweiflung und Angst, nach außen wirkt sie oftmals wie eine verzogene Göre, kalt und unberechenbar. Jack ist ein sehr liebevoller und empathischer Vater, der seine Kinder ebenso vergöttert, wie er es mit Becca gemacht hat. Clare trauert nicht nur um Becca, sondern ist gleichzeitig voller Wut über das Geheimnis, dass sie in Beccas Namen hüten soll. Dabei ist sie auch immer eine enge Bezugsperson für Jack und die Kinder.
Bei „Sommerleuchten am See“ ist der Leser nicht nur dabei, sondern mittendrin in einer sehr gefühlsbetonten Geschichte. Ein Potpourri an Themen regt zum Nachdenken an, während man als Leser hofft, dass sich alles fügen wird. Ein echter Pageturner mit Nachwirkungen! Verdiente Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 07.04.2021

"Die Last wird leicht, wenn mit Geschick man sie trägt." (Ovid)

Das Fräulein mit dem karierten Koffer
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1964 München. Die 19-jährige Sabine hat es nicht leicht, sie stammt aus einfachen Verhältnissen und muss sich mit den Bevormundungen ihrer Mutter Brigitte und ihres Stiefvaters Heinz herumschlagen, die ...

1964 München. Die 19-jährige Sabine hat es nicht leicht, sie stammt aus einfachen Verhältnissen und muss sich mit den Bevormundungen ihrer Mutter Brigitte und ihres Stiefvaters Heinz herumschlagen, die ihr immer wieder suggerieren, wie wichtig ein guter Leumund ist. Als sie den reichen Unternehmersohn Michael Dornheim kennenlernt und sich in ihn verliebt, scheint es, als hätte sie die perfekte Partie gemacht und sähe einer rosigen Zukunft entgegen. Eine ungeplante Schwangerschaft lässt diesen Traum schnell zerplatzen, denn Michael kann Sabine gar nicht schnell genug verlassen. Nun steht sie schwanger, ohne Ehemann, ohne Arbeit und Dach über dem Kopf, nur mit einem gepackten karierten Koffer auf der Straße, weil auch ihre Eltern nichts mehr mit ihr zu tun haben wollen. Sabines mühseliger Kampf, sich und ihr Kind allein durchzubringen, beginnt…
Claudia Kaufmann hat mit „Das Fräulein mit dem karierten Koffer“ einen unterhaltsamen historischen Roman vorgelegt, der die 60er Jahre wieder lebendig werden lässt, aber vor allem die Rolle der Frau zur damaligen Zeit sehr kraftvoll widerspiegelt. Der flüssige, bildhafte und gefühlvolle Erzählstil der Autorin lässt den Leser eine Zeitreise in die jüngere deutsche Vergangenheit antreten, um sich dort an Sabines Fersen zu heften und ihren harten, ereignisreichen Weg zu begleiten. Während der Leser miterlebt, wie sehr sich Menschen der Gesellschaft unterwerfen und ihnen die Meinung anderer wichtiger ist als die eigene Familie, sieht er gleichzeitig, wie vehement Sabine sich als Frau und alleinerziehende Mutter durch die Widrigkeiten des Alltags und die Vorurteile ihres Umfelds kämpft. Frauen hatten zur damaligen Zeit kaum Rechte, konnten ohne die Erlaubnis ihres Ehemanns nicht mal den Führerschein machen. Die meisten sahen in einer Ehe eine Versorgungseinheit, die ihnen Sicherheit bot, wofür sie demütig dem Manne untertan waren. Der Staat fungierte bei alleinstehenden Müttern als Vormund für deren Kind, so dass die Frau bei der Erziehung ihres eigenen Kindes eingeschränkt wurde und sie öffentlich als „unfähig“ und gefallene Frau brandmarkte. Neben dem moralischen Gesellschaftsbild lässt die Autorin auch noch andere historische Feinheiten in ihre Geschichte miteinfließen. So gab es z. B. damals noch den Paragrafen 218, der eine Abtreibung verbot, ebenso war Homosexualität zu jener Zeit noch eine Straftat. Kaufmann hält dem Leser im wahrsten Sinne des Wortes den Spiegel vor und macht eindrucksvoll deutlich, wie sehr sich die Gesellschaft und die Rolle der Frau in den letzten 60 Jahren verändert hat, obwohl es auch heute noch auf vielen Gebieten Nachholbedarf gibt.
Die Charaktere sind liebevoll ausgestaltet und mit menschlichen Ecken und Kanten in Szene gesetzt. Mit ihrer Authentizität und Glaubwürdigkeit geben sie dem Leser die Möglichkeit, ihnen über die Schulter zu schauen und ihre Gedanken- und Gefühlswelt zu erkunden und nachzuvollziehen. Der Leser begegnet zuerst noch einer naiven, etwas verträumten, zurückhaltenden jungen Frau, die noch an die große Liebe glaubt. Als verlassene alleinstehende werdende Mutter sieht sie sich dann plötzlich als gesellschaftlich ausgestoßen und verachtet und kämpft praktisch gegen Windmühlen, was sie erwachsen werden lässt und sie zu einer selbstsicheren und starken Frau heranreifen lässt. Ihre Mutter Brigitte sucht sich lieber einen Versorger, so dass sie sich finanziell sicher fühlt und gesellschaftlich anerkannt ist. Interessant zu beobachten ist die Tatsache, dass Sabine das Handeln ihrer Mutter erst in Frage stellt, sich dann allerdings in die gleiche Richtung bewegt. Michael wirkt wie ein Hasenfuß, wobei es wohl auch an dem Einfluss der Familie liegt, denn Sabine war keine akzeptable Partie. Wichtige Rollen in dieser Geschichte sind auch Alexander, Holger und Anne vorbehalten, die für Sabine Rückhalt und Freundschaft bereithielten.
„Das Fräulein mit dem karierten Koffer“ ist eine anrührende Zeitreise in die 60er Jahre mit einer Handlung voller Tragik und Dramatik. Doch am Ende gibt es einen Hoffnungsschimmer, denn wie sehr hat sich die Position der Frau bis heute verändert. Eine mit vielen Bildern angefüllte, eindrucksvolle Geschichte, die noch nachklingt, nachdem das Buch gelesen ist. Verdiente Leseempfehlung!