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Veröffentlicht am 08.05.2021

Der bewegungslose Moment der Mitte

Alte Sorten
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„Sie sah, dass keiner verstand, warum man keine Fragen stellte, wenn man sah, dass man keine Antworten bekommen würde.“

Inhalt

Sally und Liss sind Einzelgängerinnen, sie fühlen sich von anderen Menschen ...

„Sie sah, dass keiner verstand, warum man keine Fragen stellte, wenn man sah, dass man keine Antworten bekommen würde.“

Inhalt

Sally und Liss sind Einzelgängerinnen, sie fühlen sich von anderen Menschen bevormundet, gegängelt oder schlicht und einfach missverstanden, deshalb lebt jede ihr Leben in einer Blase. Sie empfinden menschliche Nähe als Möglichkeit, ziehen aber die Einsamkeit vor, weil sie sich der zahlreichen Auseinandersetzungen nicht gewachsen fühlen, die Kommunikation mit sich zu bringen scheint. Doch während die 17-jährige Sally erst kürzlich ihre Zeit in einer Klinik für Essgestörte verbrachte, hat sich die 50-jährige Liss ein einfaches Leben auf dem elterlichen Bauernhof aufgebaut, den sie nun fast allein bewirtschaftet. Seltsamerweise fühlen sich die beiden Frauen auf Anhieb miteinander wohl, weil sie die gleiche Lebenseinstellung teilen und plötzlich merken, dass sie gar nicht allein dastehen, auch wenn man sie jahrelang so behandelt hat, als wäre es ihre eigene Schuld, dass sich keiner mit ihnen wahrhaftig beschäftigen möchte. Sally beschließt auf unbestimmte Zeit bei Liss zu bleiben und ihr bei den zahlreichen Arbeiten auf dem Hof zu helfen, Liss weiß, dass die gemeinsamen Stunden endlich sind, denn schließlich ist Sally weggelaufen und wird schon als vermisst gemeldet, dennoch gibt sie der jungen Frau ein Alibi und lässt sie bei sich wohnen. Denn auch sie merkt, wie schön es ist, einen Menschen bei sich zu haben, der so viele Erinnerungen weckt, der die Vergangenheit wieder lebendig werden lässt und dabei zwar in alten Wunden rührt, aber auch neue Hoffnung weckt …

Meinung

Nachdem ich vor kurzem den Roman „Der große Sommer“ des deutschen Autors Ewald Arenz gelesen habe und davon sehr begeistert war, habe ich mir kurzentschlossen dieses Buch geholt, um abermals in die Welt seiner erschaffenen Protagonisten einzutauchen. Dementsprechend hoch war auch meine Erwartungshaltung an die Lektüre, die von zahlreichen Lesern als positiv und empathisch bezeichnet wird. Doch leider kann ich mich dieser weitläufigen Meinung nur bedingt anschließen, weil dieses Buch für mich eher ein schön geschriebener Wohlfühlroman mit wenig Berührungspunkten war. Ich möchte ihn als klassische Unterhaltungsliteratur mit einprägsamen Naturbeschreibungen kennzeichnen, die mir aber gerade auf emotionaler Ebene sehr fremd und wenig aussagekräftig blieb.

Prinzipiell ordne ich meine Kritikpunkte aber den persönlichen Befindlichkeiten unter, denn dieses Buch trifft sicherlich den Nerv vieler Leser, weil es in einem einprägsamen, alltagstauglichen aber gleichermaßen schönen Schreibstil verfasst wurde, der sich flüssig lesen lässt, zum Verweilen einlädt und eine eigene kleine Welt heraufbeschwört. Mein Missfallen bezieht sich auch in erster Linie auf den Inhalt, weniger auf die Ausführung.

Diesen Roman kennzeichnet eine gewisse Handlungsarmut, denn das Augenmerk liegt oft im Bewältigen der zahlreichen Aufgaben, die ein Bauernhof mit sich bringt. Deshalb erfährt der Leser meines Erachtens zu detailliert, wie Brot gebacken, Kartoffeln geerntet, Trauben gelesen, Schnaps gebraut und Traktoren gefahren werden. Dadurch entsteht zwar ein gewisses Flair, welches das Landleben gekonnt heraufbeschwört, es ergibt sich aber auch eine Entschleunigung, die mir hier eher kontraproduktiv erschien.

Gerade der zwischenmenschliche Bereich kommt in der ersten Hälfte des Buches zu kurz, denn entweder gehen sich die Protagonisten aus dem Weg, oder sie schreien sich an oder sie versinken in ihrer eigenen Welt, zu der ich keinen Zugang gefunden habe. Besonders schade fand ich die Tatsache, dass gerade die Vergangenheit der beiden Frauen eher stiefmütterlich behandelt wird, denn das wäre genau der Punkt gewesen, der mich interessiert hätte – warum sind sie so geworden, was ist ihnen zugestoßen? Dieser Thematik widmet sich der Autor allerdings erst im letzten Drittel und dann nimmt der Text zwar an Fahrt auf, aber es bleibt einfach zu wenig Zeit, um die Hintergründe noch entsprechend zu würdigen, zumal sich die ein oder andere dramatische/ aufgesetzte Wende ergibt. Tatsächlich lädt der bildhafte Schreibstil zu einer Verfilmung ein, die ich hier wahrscheinlich sogar besser finden würde, als das Buch.

Fazit

Ich vergebe leicht enttäuschte 3 Lesesterne für diesen etwas glatten, für mich unbedeutenden Wohlfühlroman, der zwar einprägsame Bilder heraufbeschwört und eine nette Geschichte erzählt aber längst nicht mit meinen Erwartungen Schritt halten konnte. Ich habe mich stellenweise etwas gelangweilt und vergeblich versucht, den beiden Protagonistinnen etwas abzugewinnen oder wenigstens ihr Wesen besser zu verstehen. Beides ist mir nicht gelungen. Die Prämissen, die mir bei der Bewertung einer Lektüre wichtig sind, wurden hier vernachlässigt und ich werde den Inhalt deshalb nicht in Erinnerung behalten. Das Buch ist mir zu seicht, zu unbedeutend und zu wenig mitreißend verfasst. Das sich alles in Wohlgefallen auflöst, passt zum Kontext, erscheint mir aber irgendwie irrelevant, weil mich die Geschichte davor einfach nicht richtig packen konnte.

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Veröffentlicht am 01.05.2021

Diener der idealen Gerechtigkeit

Das Haus des Windes
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„Und wie seltsam, wie merkwürdig, dass etwas so mächtig werden kann, wenn es am falschen Ort Wurzeln schlägt. Ideen auch, murmelte ich. Ideen.“

Inhalt

Joe Coutts steht an der Schwelle zur Pubertät und ...

„Und wie seltsam, wie merkwürdig, dass etwas so mächtig werden kann, wenn es am falschen Ort Wurzeln schlägt. Ideen auch, murmelte ich. Ideen.“

Inhalt

Joe Coutts steht an der Schwelle zur Pubertät und verbringt seine Nachmittage gerne draußen im Indianerreservat in Gesellschaft seiner Freunde, mit denen er alle Gedanken teilt, die sich ihm aufdrängen. Bis eines Tages seine Mutter Opfer einer Vergewaltigung wird und sich wie ein Häufchen Elend in ihr Zimmer verzieht und fortan weder für den Vater, noch den Sohn ansprechbar ist. Für Joe bricht eine Welt zusammen, nicht nur weil die Erwachsenen mehr zu wissen scheinen als er, sondern vor allem weil sein geordneter, friedvoller Familienalltag vollkommen auf den Kopf gestellt wurde. Langsam nähert sich der Heranwachsende einer Wahrheit, die er zwar eigentlich nicht kennen möchte, die ihm aber hoffentlich die Mutter zurückbringt, deren körperliche Hülle mittlerweile wieder durchs Haus eilt, die aber dennoch eine gebrochene Frau ist. Als der mutmaßliche Vergewaltiger wieder ganz in der Nähe auftaucht, reift in Joe ein mörderischer Plan, denn Gerechtigkeit, die nicht vollzogen wird, macht nichts ungeschehen und wenn kein anderer dazu fähig ist, Rache zu üben, dann wird er eben selbst die Dinge, die getan werden müssen, in die Hand nehmen …

Meinung

Der vorliegende Roman der amerikanischen Bestsellerautorin, die hiermit den National Book Award für den besten Roman des Jahres erhielt, thematisiert nicht nur die Vergewaltigung und Selbstjustiz, sondern zeigt ein buntes Leben zwischen der Tradition und der Moderne in den Indianerreservaten von North Dakota. Während die Handlung des Buches im Jahre 1988 angesiedelt ist, schildert der Erzähler die Dinge aus seiner Erinnerung, die durchsetzt ist mit zahlreichen Momentaufnahmen, zwischen dem ganz normalen Leben als Teenager, seiner Identität und Herkunft im Reservat und den Handlungen, denen er sich schuldig gemacht hat. Es sind also eine Menge Hintergründe und viele Jahre des Lebens, die sich hier auf eine relativ kurze Zeitspanne erstrecken und an deren Ende ein abgeschlossener Reifungsprozess steht, bei dem ein Junge zum Mann geworden ist.

Das Buch stand nun schon etliche Jahre ungelesen im Regal, da ich aber nach dem Werk „Der Gott am Ende der Straße“, welches ich im Erscheinungsjahr gelesen habe, unbedingt noch ein weiteres Buch der Autorin kennenlernen wollte, habe ich nun dieses hier in Angriff genommen und bin mit einer bestimmten Erwartungshaltung an die Lektüre herangegangen. Erhofft habe ich mir einen emotional-intensiven Roman über die Frage der Schuld und die Fallen der Entscheidungsgewalt in Verbindung mit dem Leben eines Jungen, der Rache üben möchte und dem es auch gelingt – jedoch mit der Ambivalenz widerstreitender Gefühle, die die Grenzen zwischen Recht und Gerechtigkeit verwischen lassen. Und dieser Sachverhalt wird im vorliegenden Text stiefmütterlich behandelt, weil er eigentlich nur der Aufhänger für die Story ist und das eigentliche Setting ganz andere Prioritäten setzt.

Viel intensiver und konkreter wird das alltägliche Leben im Reservat beleuchtet, ebenso wie die Gefühlswelt heranwachsender Jungen, die sich plötzlich fürs weibliche Geschlecht interessieren und heimlich Bier trinken. Es geht um Freundschaft und Zusammenhalt, um ein Leben in einem Grenzgebiet, wo es klare Richtlinien und unterschiedliche Gesetze gibt und die Menschen sehr genau darauf achten, wer mit wem Umgang pflegt. Tatsächlich hat mir dieser ausufernde, umfassende Stil, der so viele Aspekte aufgreift am allerwenigsten gefallen, denn der Text mäandert und kommt vom Hundertsten ins Tausendste, ohne eine klar erkennbare Linie, eine zielgerichtete Struktur. Die Inhalte, die der Klappentext verspricht, sind dabei eher Nebensächlichkeiten und gehen irgendwo zwischen der Stimmung und den Menschen der Geschichte verloren.

Sprachlich hingegen habe ich kaum etwas zu meckern. Louise Erdrich schreibt formschön, lässt Bilder lebendig werden und bündelt Gefühle an der richtigen Stelle, dass die Inhalte dabei schwanken, ist für die Geschichte rund um Joe Coutts nicht störend, wohl aber für die Gesamtausrichtung des Romans. Für mich war das Lesen ein ständiges Auf und Ab, ein Wechsel zwischen langatmigen, uninteressanten Passagen und dann wieder dem Aufblitzen genialer Gedankengänge, denen ich voller Eifer folgen konnte. Die Story ist also weder langweilig noch absolut spannend, sie entspricht nur nicht meinen persönlichen Ansprüchen.

Fazit

Ich vergebe 3 Lesesterne für diesen Roman über das Erwachsenwerden eines jungen Mannes, der von Rachegelüsten gequält wird und der in einer Welt aufwächst, die sehr genau zwischen Gut und Böse unterscheidet. Leider konzentriert sich das Buch vielmehr auf das Leben im Indianerreservat als auf die tatsächlichen Ereignisse zwischen Vergewaltigung, Rachegedanken und Mord und dadurch hat es mir diesbezüglich eindeutig zu wenig Input geliefert. Die fehlende Ausrichtung und die verschwimmenden Konturen sind Kritikpunkte, die mich ebenfalls sehr gestört haben, so dass ich ein im Kern gutes Buch eher als enttäuschend empfand und es nur bedingt weiterempfehlen kann.

Zunächst dachte ich, dass ich mit „Der Gott am Ende der Straße“ ein inhaltlich schwächeres Buch der Autorin erwischt hätte, doch nun merke ich, dass auch dieses hier nicht ganz meinen Geschmack trifft. Im Regal wartet nun noch „Ein Lied für die Geister“ auf mich, sollte auch dieses nur eine mittelmäßige Bewertung schaffen, dann werde ich die Autorin von meiner Liste streichen, nicht weil sie schlecht schreibt, sondern weil mir die Bücher zu wenig Gedankenfutter liefern und mich emotional nicht erreichen können.

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Veröffentlicht am 14.04.2021

Meine Geschichte zu ihren Ideen

Die Geschichte eines Lügners
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„Ich hatte zu allen eine Meinung und hielt auch nie damit hinter dem Berg, war äußerst zufrieden mit mir, wenn eine meiner wohlplatzierten Herabwürdigungen gelegentlich für Zündstoff sorgte und ich dann ...

„Ich hatte zu allen eine Meinung und hielt auch nie damit hinter dem Berg, war äußerst zufrieden mit mir, wenn eine meiner wohlplatzierten Herabwürdigungen gelegentlich für Zündstoff sorgte und ich dann bei der nächsten Begegnung mit dem jeweiligen Autor behaupten konnte, die Bemerkung sei völlig aus dem Zusammenhang gerissen worden.“

Inhalt

Achtung enthält Spoiler

Maurice Swift hat zwei Ziele im Leben: ein erfolgreicher Romanautor zu werden und Vater eines Kindes. Beides gelingt ihm, allerdings nicht auf dem herkömmlichen Weg, sondern mittels seines Talents, sich anderen erfolgreich zu verkaufen und ihr Vertrauen zu erschleichen, nur um sie dann, nach dem Erreichen des Etappenziels fallenzulassen und sich nach der nächsten lukrativen Möglichkeit umzuschauen. Schon in jungen Jahren schmuggelt er sich förmlich in die Literaturszene, indem er einfach die pikante Lebensgeschichte eines bereits anerkannten Autors aufschreibt und sie ohne dessen Wissen, gewinnbringend vermarktet.

Immer wieder braucht er andere, um sein eigenes künstlerisches Schaffen voranzutreiben, denn ihm fehlen einfach die Ideen für neuen Romanstoff. Dabei ist es ihm gleichgültig, wen er verletzt und ausnimmt, er folgt konsequent seinen Zielen und geht dabei auch über Leichen. Sein skrupelloses Vorgehen kennt keine Grenzen und er verspielt seine Lorbeeren nach und nach, denn irgendwann kommen neue Autoren, die besser sind als er und Kritiker, die seine Vorgehensweise durchschauen. Für Maurice bleibt irgendwann nur noch die Einsamkeit und der Alkohol übrig und sein letzter Wunsch, endlich jene Anerkennung zu finden, nach der er Zeit seines Lebens lechzte …

Meinung

Der irische Bestsellerautor John Boyne gehört zu meinen Lieblingsautoren, denn er vermag es fiktive Geschichten so lebensnah und emotional zu gestalten, wie ich es mag. Deshalb war ich auf sein neuestes Buch sehr gespannt und bin natürlich mit einer entsprechend hohen Erwartungshaltung an die Lektüre gegangen.

Aber schon im ersten Drittel des Buches wurde mir klar, dass die Geschichte um den aalglatten und berechnenden Maurice, nicht in der Liga seiner anderen Romane mitspielen würde. Dabei liegt das nicht mal an dem durch und durch unsympathischen Protagonisten, sondern zunächst an dem scheinbar willkürlichen Aufhänger der Homosexualität. Viel Zeit vergeht im Handlungsverlauf, die mir nur veranschaulicht, wie die Literaturszene gestrickt ist und warum junge, attraktive Männer ein leichtes Spiel haben, zu Emporkömmlingen zu werden. Ganz klar, hier hätte ich mir einen anderen Einstieg gewünscht, zumal die sexuelle Präferenz im Folgenden keine wesentliche Rolle mehr spielt.

In der Folge erzählen dann diverse Protagonisten über ihr Leben in der unmittelbaren Nähe zu Maurice, sie schildern ihn in zahlreichen Facetten und lassen das ganze Ausmaß seiner vernichtenden Ambitionen deutlich werden – dennoch bleibt die zentrale Figur seltsam blass, obwohl mir die Perspektivenvielfalt anderer Erzählstimmen ganz gut gefallen hat. Nach der Hälfte des Romans hätte ich am liebsten das Prädikat – langweilig - vergeben, auch wenn es das nicht ganz trifft, aber die Gründe weiterlesen zu wollen, haben nur indirekt mit dem Roman zu tun. Eher die Hoffnung auf eine klare Wende im Buch haben mich bei der Stange gehalten.

Nach wie vor bin ich großer Fan des Erzählstils des Autors, seine Wortwahl, seine bildhaften Szenen, seine detaillierten und anschaulichen Darstellungen sowohl von Menschen als auch von Situationen gefallen mir ausgesprochen gut, sicherlich ein Bonus, der sich über die Zeit entwickelt hat, aber auch hier in der schriftstellerischen Umsetzung positiv erwähnt werden sollte, eben deshalb, weil der Plot um Maurice Swift so wenig vereinnahmend ist.

Fazit

Das war mein bisher schwächstes Buch von John Boyne und ich kann wirklich nur 3 Lesesterne vergeben, zu Vieles hat nicht gepasst. Vielleicht kann man mit dem Text mehr anfangen, wenn man ein echtes Interesse am Funktionieren des Literaturbetriebes hat oder wenn man einem Menschenfeind durch sein Leben folgen möchte und dessen Handlungsmuster verstehen will. Dadurch das ich schon zahlreiche Bücher mit der Thematik des Betrugs gelesen habe, bringt mir dieses hier keine neuen Erkenntnisse und spricht mich in seiner behäbigen, ausufernden Umsetzung auch nicht an.

Handlung und Charaktere sind wenig ansprechend umgesetzt und wirklich gefesselt hat mich das Gelesene nicht. Ein klarer Fall von: Kann man lesen, muss man aber nicht. Leider komme ich mir selbst etwas betrogen vor, hatte ich doch eine ganz andere Vorstellung von dieser Lektüre - nun gut damit schließt sich der Kreis: ein Betrüger betrügt auch den Leser, in diesem Fall um eine gute Geschichte.

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Veröffentlicht am 12.03.2021

Eine Welt, die jeden Moment kippen kann

Das Lied der Arktis
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„Während meines langen Lebens als Inuit habe ich gelernt, dass Macht etwas stilles ist. Etwas, das man empfängt und das – genau wie für Kinder und Lieder – durch einen durchgeht. Und das man wieder loslassen ...

„Während meines langen Lebens als Inuit habe ich gelernt, dass Macht etwas stilles ist. Etwas, das man empfängt und das – genau wie für Kinder und Lieder – durch einen durchgeht. Und das man wieder loslassen muss.“

Inhalt

Uqsuralik, die Frau aus Stein mit dem Wesen eines Bären und dem Namen eines Hermelins führt den Leser durch diese Geschichte. Sie selbst wurde in jungen Jahren von ihrer Sippe getrennt, weil die Packeisscholle auf der die Familie lebte, zerbrach. Und fortan ist sie sich dessen bewusst, dass sie in einer Welt lebt, die jeden Moment kippen kann. Als Mensch ist man in der kalten, eisigen, unberechenbaren Natur der Arktis vor allem auf andere Menschen angewiesen, auf deren Schutz und Know-How bezüglich der Jagd und des täglichen Überlebenskampfes.

Und so begleiten wir die junge Frau, die am Ende des Buches auf ein langes, erfülltes Leben zurückblickt, durch die Sommer und Winter ihrer Lebenszeit auf Erden. Sie schildert einfühlsam mit großer, klarer Ruhe die Höhen und Tiefen ihres Alltags, sie geht auf die Bräuche und Sitten ihrer Volksgruppe ein und zeigt, wie nah die Geister den Menschen kommen und warum man sich gut mit ihnen stellen sollte. Für Uqsuralik sind die lebensbedrohlichen Gefahren Normalität, sie kommt zurecht mit einem unerschütterlichen Gespür für die Begrenztheit des eigenen Daseins und einer vollkommen normalen Einstellung zu dem, was in ihrer besonderen Welt möglich ist und was nicht …

Meinung

Auf dieses Buch bin ich nach den vielen begeisterten Leserstimmen sehr neugierig geworden und habe es mit einer konkreten Erwartungshaltung begonnen – möglicherweise war das ein Nachteil für die Gesamtbewertung des Romans. Zunächst einmal hat mich der Einblick in die fremde Welt der Inuit sehr begeistert, denn auf leichte und poetische Art und Weise transportiert die französische Autorin Bérengère Cournut komprimiert auf den Seiten eines Buches wahnsinnig viel Inhalt über das Leben und Denken dieser Volksgruppe.

Angefangen bei der Versorgung, hin zur Jagd, zu den Bräuchen und Glaubensgrundsätzen, zu den verschiedenen Lebensmodellen und dem Zusammenleben innerhalb einer Gruppe – all das ist sehr informativ, fremd aber hochinteressant und liefert ein umfassendes Bild über die Tage im ewigen Eis und die Dankbarkeit derer, die so nah und unmittelbar an der Natur und der göttlichen Schöpfung teilhaben dürfen.

Leider behält dieser Roman seinen informativen Charakter bei und beschreibt mehr das Leben selbst, als die Emotionen der Protagonisten. Dabei sind es zwei Dinge, die mir nach und nach immer weniger gefallen haben: zum einen wird der Fließtext immer wieder durch kurze, situationsbezogene Lieder/Gedichte unterbrochen, die allerdings keinen erkennbaren Mehrwert für mich hatten, zum anderen trifften die Gedanken der Erzählerin immer wieder ab, ganz in die Nähe der Geisterwelt, mit der sie in Kontakt steht und die in teils kryptischen Erscheinungen Zugang zur diesseitigen Welt erhält. Gerade diese Passagen erhöhen zwar die Glaubwürdigkeit der Erzählerin, denn es ist mir absolut verständlich, dass sie alles und jedem eine Bedeutung zumisst, aber dadurch bleibt mir die ohnehin schon fremde Welt, gänzlich unverständlich.

Fazit

Hier werden es leider nur 3 Lesesterne, weil es diesem Roman nicht gelungen ist, meine emotionale Seite anzusprechen. Als erweitertes Sachbuch mit diversen Textauszügen, Bildmaterial am Ende des Buches und einem Abriss über das harte, naturverbundene Leben der Inuit, hätte das ganze eine gute Bewertung bekommen, doch da mir immer mehr der Zugang zu den Personen gefehlt hat und ich einfach nicht mit ihren Gedanken mitgehen konnte, verschließt sich mir eine tiefere Bedeutung und vor allem eine gewisse Aussagekraft.

Die erzählerische Komponente kommt mir zu kurz, gerade weil der Zeitraum eines ganzen Menschenlebens wiedergegeben wird, begleitet durch Hungersnöte, Geburten, Krankheiten und dem Tod und dort im ewigen Eis, scheint dieser Prozess nur eine Art Durchgangsstation zu sein – von allen akzeptiert, von allen gelebt, mit Erinnerungen durchsetzt. Und doch sind die Menschen dieser Welt in der sie existieren, so ausgeliefert, dass sie nehmen, was sie bekommen und jeder Tag ein besonderer ist, weil er gleichzeitig auch der letzte sein könnte – darin liegt viel Wahrheit, wenn man diesem Gedankengut etwas abzugewinnen vermag.

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Veröffentlicht am 10.02.2021

Der Wunsch danach, gehört zu werden

Das Buch Ana
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„Irgendwann fühlte die zeitweise Leere sich nicht mehr an wie ein Speer in meiner Seite, sondern nur noch wie ein Splitter in meinem Fuß.“

Inhalt

Als die 14-jährige Ana, Tochter aus gut betuchtem Haus ...

„Irgendwann fühlte die zeitweise Leere sich nicht mehr an wie ein Speer in meiner Seite, sondern nur noch wie ein Splitter in meinem Fuß.“

Inhalt

Als die 14-jährige Ana, Tochter aus gut betuchtem Haus auf dem Markt ihrem zukünftigen Ehemann versprochen wird, lernt sie dort Jesus kennen, der ihr durch sein vorbildliches Verhalten sofort auffällt. Sie setzt alles daran ihrer aufgezwungenen Ehe zu entkommen und stattdessen Jesus näher zu kommen. Mehrere glückliche Zufälle lassen sie dieses Ziel tatsächlich erreichen, auch wenn sie dadurch ihren Status verliert und fortan in Armut leben muss. Aber bald schon geht Jesus seinen eigenen Weg, wird zum Prediger, dem sein Glaube mehr bedeutet als alle andere und Ana muss einsehen, dass sie in ihrer von Männern dominierten Welt niemals einen gleichberechtigten Stand erhalten wird. Erst während ihrer Flucht vor alten Widersachern, offenbart sich ihr endlich die Möglichkeit, ihren eigenen Weg zu gehen, selbst wenn das eine dauerhafte Trennung von ihrem Geliebten zur Folge hat …

Meinung

Die Idee hinter diesem Buch klingt reizvoll, denn sie impliziert die Möglichkeit, dass Jesus zu seiner Lebenszeit eine weibliche Gefährtin gehabt haben könnte. Die aus Georgia stammende Autorin Sue Monk Kidd widmet dieser fiktiven Frau die Erzählung, um genau jene unbestimmte Variable mittels literarischer Freiheit lebendig werden zu lassen.

Ich bin vor allem auf Grund der zahlreichen positiven Leserstimmen auf diesen Roman aufmerksam geworden, von dem ich mir ein interessantes Bild vergangener Tage versprochen habe. Zunächst einmal fällt auf, dass es sich um ein unterhaltsames, vielseitiges Buch handelt, welches sich sehr flott lesen lässt und auf die fiktive, abenteuerliche Reise einer jungen Frau quer durchs ganze Land führt. Prinzipiell liegt der Schwerpunkt der Geschichte auf dem Lebensweg von Ana, deren Schicksal eng verknüpft ist mit dem anderer Frauen ihrer Zeit. Ihr Glaube an sich selbst, ihr beharrliches Warten auf das Finden ihrer Bestimmung in Verbindung mit ständigem Aufbegehren gegen gesellschaftliche Beschränkungen sind die zentralen Themen des Buches. Dabei gibt es etappenweise Überschneidungen mit dem Lebensweg Jesu, jedoch viel weniger als von mir erhofft.Der detaillierte, erzählende Schreibstil in blumiger Sprache spiegelt den Zeitgeist wider, insbesondere das Machtgefälle zwischen Männern, die zu Gewalt neigen und Frauen, die sich ihnen unterzuordnen haben. Ana jedoch ist anders, sie strahlt selbst im größten Leid Stärke aus und agiert als heldenhafte Protagonistin.

Mein größter Kritikpunkt an diesem Buch ist die Kombination zwischen der erdachten Geschichte, die weder sonderlich realistisch noch sachlich wirkt und den wenigen historischen Bezugspunkten. Dieser Roman zielt bedacht auf Emotionen, erschafft Bilder und bietet viel Unterhaltungswert. Dafür leidet der Anspruch, weil das Augenmerk auf Nebensächlichkeiten ruht und es kaum einen Mehrwert der Erzählung gibt. Die Geschichte und das Wirken Jesu findet anderswo statt, der Leser wird außen vorgelassen und bleibt an der Seite Anas, einer Frau, die es so gar nicht gab.

Fazit

Hier werden es leider nur 3 Lesesterne für die vielen starken Frauenpersönlichkeiten und ein kurzweiliges, aber triviales Buch, bei dem zu wenig den Tatsachen und zu viel der Fantasie der Autorin entspringt. Ich hätte mir eine wesentlich stärkere Einbeziehung der christlichen Geschichte gewünscht, die hier immer nur kurz angerissen und zu Gunsten einer erdachten Frauengestalt mit diversen Sorgen und Nöten vernachlässigt wird.

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