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Veröffentlicht am 15.05.2021

Fast besonders

Blütenschatten
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Nach langer Zeit wollte ich ein Buch vom Diogenes Verlag lesen. Und da es um Kunst und Musen geht, und ich mich gern mit bildender Kunst beschäftige, habe ich das Buch angefordert.

Rezi enthält Spoiler.

Worum ...

Nach langer Zeit wollte ich ein Buch vom Diogenes Verlag lesen. Und da es um Kunst und Musen geht, und ich mich gern mit bildender Kunst beschäftige, habe ich das Buch angefordert.

Rezi enthält Spoiler.

Worum geht es?

Um eine Frau, die sich und die Kunst in den Mittelpunkt rückt. Eve befindet sich im steten Kampf - mit ihrem Mann, mit dem sie ein langweiliges Leben führt und dessen Affären sie mit Affären bestraft. Mit ihrer Tochter, von deren Leben als Influencerin sie nichts hält. Mit ihrer Erinnerung an den Künstler Florian, dessen Muse sie einst war, für den sie aber nur eine von vielen Affären war und der sogar Kapital aus ihrer Verletzlichkeit als junge Künstlerin geschlagen hat, indem er sie malte. Mit Konkurrentin Wanda, deren selbst-kasteiende Aktions-Kunst im krassen Gegensatz zu Eves Stillleben stellt. Doch die Angst zu versagen verdrängt sie mit dem unerschütterlichen Glauben an ihre Kunst. Und genau an diesem Stolz scheitert sie und reiht sich ein in die, die sie so sehr verachtet.

Treffend formuliert des der englische Untertitel: "Family life. Reputation. They took a lifetime to build and a second to wreck." (Familienleben. Anerkennung. Es braucht ein ganzes Leben, um sie aufzubauen. Und einen Augenblick, um sie zu zerstören.)

Wie ging es mir beim Lesen?

Die ersten 50 Seiten habe ich mich gelangweilt, weil das Buch eine Parallelmontage aus der Jetzt-Zeit, auf einem Spaziergang durch London, und Erinnerungen ist. Wer schonmal in London war, wird vieles wieder erkennen und ich vermute, dass sich die Leser in das Gefühl der Stadt fallen lassen können.

Interessant fand ich, dass sich die Spannung nach und nach aufbaut und sich meine Meinung von der Figur verändert hat. Anfangs hatte ich Mitleid, weil sie traurig durch den Regen läuft. Doch je weiter die Handlung voranschreitet und je mehr man von der Figur entdeckt, desto undurchsichtiger wird die Schuldfrage. Welchen Anteil hat sie an dem Unglück, das ihr widerfährt? Warum macht sie das Gefühl, dass jeder gegen sie ist, blind für die Menschen? Warum denkt sie, dass man mit Geld (für die Tochter, einen Ex-Lover ...) alles kitten kann? Und warum ändert sie nicht die Richtung, obwohl es deutliche Hinweise gibt, dass etwas nicht stimmt? »Das Problem mit dir ist, dass du eine als Rebellin verkleidete Traditionalistin bist.«, sagt Eves Mann bei 51 % des Buches. Und das zieht sich durch das ganze Buch.

Letztlich habe ich Eve so sehr gehasst, dass ich überlege, ob das Werk nicht eine Satire ist. Auf einen Künstler, der das Kunst-Schaffen über alles stellt. Und auf einen Kunstbetrieb, der noch so konservativ ist, dass man jemanden mit einer Affäre zu einem jüngeren Mann den Ruf ruinieren kann. Dass ausgerechnet die Kunst, die uns frei machen sollte, so deutliche Grenzen setzt, wenn es um's Geld geht. Besonders der Höhepunkt zeigt das. [Spoiler] Nachdem sich Eves Liebhaber, der sich als Intrige ihrer Konkurrentin Wanda entpuppte, versehentlich selbst verletzte und im Sterben liegt, ruft sie keinen Krankenwagen, sondern findet das Rot seines Blutes so schön, dass sie erst ihr Bild fertig malt. Sie erkennt die Tat nicht als Verbrechen, sondern das größere Verbrechen wäre es, das Bild unvollendet zu lassen. [Spoiler Ende] Bis zum Schluss glaubt sie, dass ihre Anerkennung als Künstlerin über allem steht.

Letztlich bekommt man einen guten Einblick in die Figur und das Buch entfaltet einen guten Sog.

Was hat mir nicht gefallen?

Mit Distanz betrachtet ist die Geschichte relativ simple und die Hinweise auf das Ende deutlich. [Spoiler] Der Täter ist ziemlich dumm, er versucht nicht, sich zu retten oder Eve zu beschwichtigen, und er hat sein Verbrechen nicht einmal gut verschleiert. [Spoiler Ende]

Ich fand es gut, einen Einblick in die Arbeit einer Künstlerin zu bekommen, deren Arbeit so weit von meinen Präferenzen entfernt liegt. Aber die Passagen über Farben und Blumen sind langatmig.

Aktionskunst vs. Stilleben

Ein Schwerpunkt des Buches ist der Gegensatz aus Wanda (Performance Art) und Eve (Blumen). Wanda, die sich Eve angeblich immer unterlegen fühlte, celebriert ihr Leiden. Beispielsweise steht sie drei Tage lang öffentlich vor einem Spiegel und starrt sich an. Oder sie hängt vollgeblutete Tampons an die Decke. Wanda steht für eine neue Form der Kunst, die für mehr Menschen zugänglich ist, weil sie verschiedene Sinne anspricht. Als Betrachter muss man keine geheimen Codes entschlüsseln, sondern man wird durch seine Rolle als Zuschauer Teil des Kunstwerkes. Man denkt über sie nach, kann mit ihr interagieren. Und ich glaube auch, dass die parasoziale Beziehung zwischen Künstler und Rezipient, an der Grenze zum Konsum, eine Erfahrung ist, nach der sich Menschen sehnen. Weil sie Gefühle sichtbar macht, über die die Gesellschaft selten spricht. Innerhalb des Kunstwerks darf man sie erleben, ähnlich wie Fremdscham, wenn man Reality-TV guckt.

Eve dagegen mag Stillleben und gibt damit einer Kunstform ein Gesicht, das lange als bloße Abbildung der Natur galt und in dem vor allem Frauen aktiv waren - ohne, dass man sie gesehen hat. Der Text zeigt, dass die Auswahl der Farben, die Anordnung der Blumen und die Wahl der Blüten ein bewusster Prozess ist. Das macht das Bild zur Kunst. Und obwohl sich Eve nicht wertgeschätzt fühlt, gibt es eine Käuferschicht für diese Richtung.

Genauso wie Wanda ihre Gefühle nach außen tragen muss, um sich gut zu fühlen, trägt Eve sie nach innen, indem sie sich penible dem Prozess widmet. Worin sich beide Frauen gleichen.

Fazit

"Blütenschatten", im Englischen düsterer "Nightshade" (Nachtschatten) ist ein Buch, das Eindruck hinterlässt. Es besticht mit seiner geradlinigen Figur, über die man gut nachdenken kann, und mit vielen Aspekten, die angesprochen werden. Trotzdem finde ich den Text ein bisschen altbacken, weil er ein eher traditionelles Bild von der Kunst und der Künstlerin zeichnet.

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Veröffentlicht am 14.04.2021

Nuancen eines Trainingsanzugs

Die Kobra von Kreuzberg
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Ich wollte eine amüsante Krimi-Komödie lesen, deswegen habe ich es angefordert. Was ich nun allerdings gelesen habe, weiß ich nicht einzuordnen - ist das kunstvoller Trash, wie manche Rezensenten behaupten? ...

Ich wollte eine amüsante Krimi-Komödie lesen, deswegen habe ich es angefordert. Was ich nun allerdings gelesen habe, weiß ich nicht einzuordnen - ist das kunstvoller Trash, wie manche Rezensenten behaupten? Ist das gute Unterhaltung? Oder soviel Kunst, dass ich sie nicht verstehe?

Worum geht es?

Beverly ist Teil einer Verbrecher-Dynastie - sämtliche männliche Verwandete (ohnehin gibt es nur wenige Frauen ...) haben legendäre Diebstähle begangen. Ihr selbst ist noch kein großer Coup gelungen, dafür soll es nur ein Kunstwerk von symbolischem Wert sein - die Quadriga vom Brandenburger Tor in Berlin.

Wie hat mir das Buch gefallen?

Dass es sich hier um eine Parodie handelt, erkannte ich daran, dass der Kommissar Ference Hotfilter heißt. Und fast alle Figuren nicht-deutsch-klingende Namen haben. Auch die Trainingsanzüge als Arbeitskleidung, der Clubchef, der ein Verhältnis mit seinem Security hat und die hipster-mäßig philosophierende Beverly, die sich mit ihrem Love-Interest hervorragend über die Frage unterhalten kann, wann man die Zahnbürste mit Wasser befeuchtet. Dass sich der Erzähler mehrere Seiten über eine fiktive Genderforscherin und ihre Rezeption auslässt, obwohl diese mit der Handlung nichts zu tun hat, ist eine Anspielung, die ich nicht kapiert habe, aber es zeigt für mich gut, dass sich auch "richtige" Krimis manchmal gern an Details aufhalten.

Ich glaube, dass man im Buch viele Anspielungen suchen und finden kann.

Die Geschichte selbst ist interessant und hat einen überraschenden Wendepunkt.

Letztlich bleiben aber die Figuren grob skizziert - man baut zu keiner einen Bezug auf, sie entwickeln sich kaum - aber sie sind bunt und bilden ein stimmiges Kollektiv.

Das Buch spielt mit Sprache, besonders mit Wortwiederholungen und das macht Spaß. Schnörkel, die in "normalen" Romanen oft gestelzt wirken, verleihen dem Buch Witz und Leichtigkeit.

Fazit

"Die Kobra von Kreuzberg" kann man lesen, muss man aber nicht. Es ist ein Buch, mit dem man seine Freude hat, während man von einem Ende Berlins zum anderen fährt. Ob man in der Handlung einen SInn findet, das sei dahingestellt. Aber es war nett zu lesen.

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Veröffentlicht am 21.02.2021

Dann ist es zu früh (zu früh)

Career Suicide
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Ich hatte das Buch angefordert, weil auch ich eine typische Gossip-Leserin war, die Tokio Hotel nur aus den Medien kennt und immer ein bisschen belächelt hat - zu laut, zu berühmt, zu viel geschminkt. ...

Ich hatte das Buch angefordert, weil auch ich eine typische Gossip-Leserin war, die Tokio Hotel nur aus den Medien kennt und immer ein bisschen belächelt hat - zu laut, zu berühmt, zu viel geschminkt. Und dann waren plötzlich Bills Haare ab, die Musik elektronischer und alles wirkte gewollt. Hinzu kam noch der Rummel, der um das Buch veranstaltet wurde - es gibt nur wenige bekannte Medien, die keine "Rezension" darüber geschrieben haben. Ich war gespannt, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen.

Erkenntnisse am Anfang: Was die Band in 5 Jahren erlebt hat, wieviel sie gearbeitet hat, das würde sich kaum jemand freiwillig antun. Dass sie das in einer Zeit getan hat, in der man sich normalerweise ausleben kann, macht es umso bitterer. Ich musste aber auch feststellen: Für eine Biografie ist es wohl noch zu früh. Kaulitz konnte sich erst mit Anfang, Mitte 20 von dem Trubel lösen und zu einer Persönlichkeit werden und ich merkte, dass viele Dinge noch zu nah sind, um reflektiert darüber zu sprechen. Daher ist besonders das letzte Drittel sehr oberflächlich.

Fakt ist aber auch: Es hat mich bewegt.

Worum geht es?

Um Bill Kaulitz. Weniger um Tokio Hotel, weniger um Kunst, manchmal um die Beziehung zu Bruder Tom. Überwiegend um Bill.

Das titelgebende Thema "Karriereselbstmord" wird immer wieder aufgegriffen und ist ein loser, roter Faden. Prägnant ist das Thema "Freiheit"

Inhalt

Im ersten Drittel erzählt Kaulitz von seiner Kindheit in der Wendezeit, was ich sehr interessant fand. Die Beziehung zu seiner Mutter ist tief und die Angst, sie zu verlieren, war groß. Genauso wie die Angst, später wieder am Existenzminimum leben zu müssen. Gleichzeitig erweisen sich die Brüder in Kombination als erstaunlich - sie ecken überall an, schaffen es aber durch geschickte Kooperationen, durch den Schulalltag zu kommen.

Zum Nachdenken gebracht hat mich, dass sich Kaulitz in der Schule, aber auch im Montessori-Kindergarten, nicht frei genug fühlte - ich vermute, dass die Methoden damals noch anders waren. Heutzutage gibt es Einrichtungen, die Kinder teilweise individuell fördern können. Allerdings ist Kaulitz' Schlussfolgerung "Für mich ist die DDR eh eines der größten Verbrechen" - ziemlich drastisch. Ich denke, dass manche Taten des Staates Verbrechen darstellen können, besonders, was die Überwachung und die Einschränkung mancher Rechte betrifft. Andererseits war die Intention damals nicht, der Bevölkerung zu schaden. Hinzu kommt der Generationenkonflikt - während die Eltern im System aufgewachsen sind und es ein Stück akzeptiert haben, sahen die Kinder die Folgen der Wende und den beginnenden Kapitalismus. Es ist eine These, über die man herrlich diskutieren kann. Sie zeigt aber auch, dass mangelndes Reflexionsvermögen eine Schwachstelle des Buches ist. Ich kann mir aber vorstellen, dass das ein Teil von Kaulitz' Persönlichkeit ist - geradlinig, immer nach vorn, wenig zurück.

Komischerweise findet die Mutter später kaum noch statt - nachdem Tokio Hotel durchgestartet waren, erfahren wir nur wenig. Auch das ist ein roter Faden.

Schwierig fand ich, dass Kaulitz ausführlich erzählt, dass er und seine Mitschüler sich ausprobiert haben. Und dass manche Mädchen mit sehr vielen Jungs rumgemacht haben - ich hatte an einer Stelle das Gefühl, dass er das belächelt oder ein bisschen negativ findet.

Eine weitere intensive Zeit mit vielen Infos war Tokio Hotel - mir war gar nicht bewusst, dass alle von der Situation überfordert waren und selbst die Eltern, von denen man als Außenstehender denkt, dass sie ihre Kinder schützen, die Brüder nicht schützen können, weil sie keine Erfahrung haben. Das, was als Spaß beginnt, wird schnell zum öden Alltag, in dem genau das fehlt, was Kaulitz so wichtig ist - Freiheit. Nicht vor die Tür gehen zu können, keine Erfahrungen machen dürfen, aus Angst, dass die Presse davor erfährt, das stelle ich mir schrecklich vor.

Interessant war, dass Kaulitz weder sein Aussehen noch seine Sexualität oder sein Gender thematisiert - er wollte Kunst machen und rechtfertigt sich nicht. Ich fand das gut, weil es zeigt, wie nebensächlich das ist.

Negativ in der Tokio Hotel-Passage fand ich, dass er erwähnt, die Verträge mit der Plattenfirma seien teilweise sittenwidrig gewesen, aber das nicht ausführt. Außerdem spielen nach dem Zusammenbruch aufgrund der Zysten auf den Stimmbändern die anderen Jungs der Band keine Rolle mehr.

Das letzte Drittel beschäftigt sich mit dem Fall und Wiederaufstieg. Hier kippte die Stimmung für mich ein bisschen. Einerseits entdeckt sich Kaulitz selbst, was ich toll fand, und er behält dabei seine Bescheidenheit. Ich dachte, dass er jetzt endlich erwachsen werden darf. Andererseits hoffte ich, mehr über ihn als Künstler zu erfahren. Die Begegnungen mit Karl Lagerfeld und Wolfgang Joop waren Lichtblicke, die aber schnell verschwanden, weil die Passagen so kurz sind. Ich hatte gehofft zu lesen, was Kaulitz bewegt, außer die Angst zu scheitern und andere zu enttäuschen. Leider gab's dazu wenig.

Ich habe aber Respekt davor, dass die Brüder ihr erstes eigenes Album fast allein auf die Beine gestellt haben - Musik machen ist nicht leicht.

Auf den letzten 30 Seiten implodiert das nicht-vorhandene Reflektieren - ja, man kann ihn wirklich arrogant finden; ich glaube aber, dass er manches verschweigt. Mich hat total irritiert, dass die Band nach dem Comeback-Album ein ähnliches Presse-Pensum erfüllt wie früher. Und anstatt zu gucken, wie man das bewältigen kann, ohne im nächsten Burn-Out zu landen, meckert Kaulitz darüber, wie langweilig das ist und wie anstrengend, wenn man verkatert zu Interviews erscheint. Weil er jetzt Party im Berghain macht. Und wie gut es ihm gelungen ist, immer die Fassade aufrecht zu erhalten. Ich habe mich gefragt, wie hart das Leben sein muss, wenn man nichts anderes zu tun hat, außer Party zu machen.

Dafür gibt's nette philosophische Sprüche über das Leben.

Das Thema Liebe kommt immer wieder auf, bleibt aber leider an der Oberfläche.


Schreibstil und Optik

Kaulitz schreibt sehr flüssig, geradlinig, nahbar. Ich empfand das Buch nicht als verkrampft erzählend, nicht als jemand, der unbedingt eine Botschaft vermitteln will, sondern wie jemand, der einfach nur plaudert. Manchmal duzt er den Leser, was ich unnötig fand. Aber ich sehe das als Mittel, um Nähe zum Leser herzustellen - das kann gefallen.

Probleme hatte ich mit den Zeitsprüngen, die besonders im letzten Drittel zunehmen. Beim Thema "toxische Beziehung" setzt Kaulitz mehrmals an, bricht aber immer wieder ab. Ich verstehe, dass das zu belastend ist, um darüber zu reden, vor allem öffentlich. Aber ich hätte es besser gefunden, wenn er die Beziehung nicht angesprochen hätte - denn das fördert die Neugier des Lesers und lenkt davon ab, was Kaulitz eigentlich zu sagen hat.

Und ja, Kaulitz spart nicht mit vulgären Ausdrücken. Kann man erregend finden, kann man abstoßend finden. Ich fand's unnötig, aber nicht extrem störend. Immerhin hat man mit 300 Seiten seinen Jahresvorrat an "lecken", "saugen", "kotzen" verbraucht.

Sehr benutzerfreundlich ist, dass die Fotos nach den Kapitelüberschriften gesetzt sind, nicht als extra Anhang, und dass sie unabhängig von der Schriftgröße sind - ich hatte keine Probleme bei der Darstellung als E-Book. Auch die Quellen sind direkt im Text angegeben.


Fazit

"Career Suicide" war weder so oberflächlich, wie ich anfangs gedacht hatte, noch so tiefgründig, wie ich in der Mitte gehofft hatte. Letztlich fand ich die Passage der Kindheit am stärksten. Sie zeigt, dass Kaulitz ein sensibler Mensch ist, der sich und vor allem andere beschützen will und von vielen Ängsten getrieben ist. Ein Mensch, der immer voran will, in die Praxis will, der sich aber schnell eingeschränkt fühlt. Letztlich ist Bill Kaulitz ein Mensch wie jeder von uns. Das hat das Buch immerhin gezeigt. Ich war trotzdem nicht komplett glücklich damit. Aber es war eine intensive Erfahrung und ein Buch, das im Gedächtnis bleibt.

PS: Das Vorwort hätte man sich sparen können. Künstlerisch abgehackte Bandwurmsätze, deren Inhalt schwer zu erfassen ist, waren weder gut noch passen sie zum Buch.

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Veröffentlicht am 23.01.2021

Gepupste Herzchen

The Music of What Happens
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Ich habe das Buch angefordert, weil ich die Idee des Food Trucks interessant fand und etwas über die Hintergründe des Food Trucks erfahren wollte. Letztlich ist das Buch eine süße Geschichte, die weniger ...


Ich habe das Buch angefordert, weil ich die Idee des Food Trucks interessant fand und etwas über die Hintergründe des Food Trucks erfahren wollte. Letztlich ist das Buch eine süße Geschichte, die weniger von Liebe und Erotik als von Freundschaft handelt.

Rezi enthält Spoiler.

Triggerwarnung: Der Text enthält eine Vergewaltigung und reißt deren Verarbeitung an.

Worum geht es?

Jordan und Max wirken unterschiedlich, haben aber ähnliche Probleme: Max kämpft mit den Folgen einer Vergewaltigung, Jordan um seine Mutter, die nach dem Tod des Vaters eine bipolare Störung (?) entwickelt hat. Außerdem fühlen sich beide innerhalb ihres kleinen Freundeskreises ausgeschlossen und nicht gesehen.

Die Charaktere

Max sieht sich als "Super-Max", als Kerl, der Probleme einfache weglächelt. Die Prägung rührt aus der Kindheit, als Jordans Vater, der später die Familie verließ, ihm sagte, er sollte nicht weinen. Auch heute noch kann der Vater mit Gefühlen schlecht umgehen. Im Laufe der Handlung erkennt Max, dass er nicht immer stark sein muss. Außerdem malt er, was eine Verbindung zu Jordan herstellt, der Gedichte schreibt. Die Malszene war für mich gut nachfühlbar. Ich denke, der Autor hat es geschafft, Kunst so zu beschreiben, dass man sie sich vorstellen kann - das ist selten! Der Schlüssel ist, das Max eine Emotion zeichnet, die ein paar Seiten zuvor schon beschrieben wurde - der Leser hat eine Beziehung dazu und spürt sie beim Entstehen des Bildes. Für mich war Max prägnant und ein guter Kontrast zu Jordan. Was die Beziehung zum Leser angeht, hat Max einen "Anfangsvorteil", weil die erste Szene des Romans von ihm und seiner Kindheit handelt.

Jordan war zuerst der "schwächere" Teil der Beziehung. Er leidet unter sozialen Ängsten, was auch im Buch als Trigger notiert ist. Das äußert sich besonders darin, dass er sich ständig selbst kritisiert und seine Freudinnen nicht zurecht weist, als diese seinen Hund ärgern. Ich konnte Jordans Ängste leider nicht nachfühlen, obwohl ich soziale Ängste aus der Realität kenne. Ich denke, dass Jordans Krankheit relativ einseitig geschildert wird - man sieht nur seine Innensicht, selten seine Außenwirkung. Für mich hat sich Jordan kaum von anderen Figuren des Typus' "schüchterner Kerl" unterschieden. Allerdings bewundere ich seine realistische Sicht auf seine Mutter - er erkennt, dass sie übertrieben dramatisch agiert und es ihr nicht um ihn geht, sondern um sich - auch bei seinen Problemen. Interessant fand ich, dass Jordan versucht zu gendern und dass es ihm wichtig ist, keinen Vorurteilen nachzugeben. Leider verläuft sich das im Laufe des Romans. Jordan schreibt Gedichte, die klingen, als hätte man sie aus einer Teenager-Zeitschrift ausgeschnitten - sie sind umgangssprachlich, wenn Reime vorhanden sind, sind sie eher zufällig. Sie enthalten nette Bilder, wirken aber sperrig und nicht schön. Letztlich ist das jedoch Geschmackssache.

Ich fand beide Figuren einzigartig, aber schwer zu unterscheiden, weil sie ähnlich deutliche Probleme haben. Besonders, dass die Beziehung zu ihren Freunden gleich ist. Ich hatte das Gefühl, dass Max' Bindung zu seinen "Amigos" tiefer geht, während Jordan seine Freundinnen "nur" hat, um nicht allein zu sein. Außerdem klingen beide stilistisch gleich.

Themen

Psychische Probleme: Einige Aspekte der Depression, kombiniert mit manischen Phasen, wirkten auf mich realistisch. Jordans Mutter liebt ihn, sie sieht ihn aber nicht. Für sie ist er kein 18-jähriger Junge, der seinen Vater verloren hat, sondern ein Freund, der sich um sie kümmert. Sie verleugnet ihre Krankheit, versucht sogar, sie zu vertuschen. Jordan wiederum spricht das nicht an, weil er Angst hat, dass sie weint. Die beiden befinden sich in einem Teufelskreis. Mich irritiert aber, dass das niemandem auffällt - keiner betreut die Familie, es scheint niemanden zu interessieren.

Vergewaltigung: Der Akt selbst wird grob geschildert, im entscheidenden Moment hält der Autor nicht drauf, sondern versetzt sich in Max, der das Geschehen außerhalb seines Körpers schemenhaft wahrnimmt. Ich fand das für die Figur traurig, aber nicht deutlicher, als unbedingt nötig. Danach widmet sich der Text der Frage der Opferrolle - wie groß muss ein "Nein" sein, um als "Nein" zu gelten? Warum hat sich Max nicht gewehrt? Ich fand diese Fragen sehr treffend. Allerdings fehlten mir die langfristigen Auswirkungen, weil der Roman nur eine Handlungszeit von einem Monat hat. Insgesamt geht der Text sehr feinfühlig mit dem Thema um.

Freundschaft: Jordan bezeichnet seine Frauen liebevoll als seine "Ehefrauen". Mir ist aufgefallen, dass sie ihn kaum in Gespräche einbeziehen und manchen Gag auf seine Kosten machen. Die Beziehung ist eher oberflächlich, von seinen Gedichten erzählt er kaum. Der Sinn der Beziehung besteht darin, über andere zu lästern, gegen etwas zu sein. Max' Freunde wirken netter, aber sie spielen meist Videospiele oder reden über Sport. Einer der beiden ist Poetry Slamer, wird aber eher belächelt. Ich denke, auch das ist realistisch - dass man mit 18, wenn man sich als Außenseiter fühlt, nicht die Wahl hat, mit wem man befreundet sich, sondern die Leute nimmt, die einen nicht hassen. Die Auflösung der Konflikte ist etwas geschönt, weil plötzlich Themen zur Sprache kommen, die vorher nicht einmal angedeutet wurden. Aber der Autor bemüht sich, jede Figur zu Wort kommen zu lassen und Harmonie darzustellen.

Paradox finde ich jedoch, dass es beiden darum geht, Grenzen zu akzeptieren, sie aber innerhalb der Beziehung übertreten werden. Max überredet Jordan dazu Football im Park zu spielen und ins Fitnessstudio zu gehen und er bestimmt, welche Geräte benutzt werden - er dominiert nicht, aber er übt im Rahmen der Freundschaft Druck aus. Max hätte Jordans Wunsch respektieren oder ein anderes Gerät suchen können.

Die Erotik

Im Buch wird geküsst und es gibt eine interessante Szene, die Sport und Erotik verknüpft. Allerdings fehlte mir das Knistern und selbst die Momente, die erotisch sein sollten z.B. wenn die beiden das Aussehen des anderen bewundern, wirkten auf mich nicht spürbar. Für mich sind die beiden eher gute platonische Freunde, die nach ein paar Monaten ein Paar werden KÖNNTEN. Man hätte die Erotik wegelassen und durch freundschaftliche, körperliche Nähe ersetzen können. Wer keine Akte mag, für den ist das Buch super. Ich hätte gern etwas mehr Action gehabt.

Die Dramaturgie

Ich fand den Roman sehr ausgeglichen - das Motiv des Foodtrucks beherrscht die erste Hälfte, danach geht es zunehmend um die tieferen Probleme der Jungs. Der Roman hat kreative Szenen, die ihn einzigartig machen, und manchmal kommt sogar Humor vor. Mich stört jedoch, dass es im letzten Viertel zuviel um Gedichte und Philosophie geht - kann man mögen, war mir zu schwermütig.

Schreib- und Erzählstil

Die Dialoge sind geprägt von Umgangssprache - Elipsen werden verwendet, "Alter" ist gängig. Ich fand's gut lesbar, natürlich und nicht übertrieben. Aber durchgängig. So konsequent habe ich das bisher nicht erlebt. Im Gegensatz dazu stehen sehr verkopfte Gedanken bei beiden Figuren, die dem Text das Tempo nehmen und beide gleich klingen lassen. Ich fand das nicht angenehm und habe manchmal den Anschluss verloren.

Cover, Titel und Formatierung

Das Titelbild gefällt mir wegen der Comic-Optik sehr gut, es ist einprägsam und verheißt eine lockere Geschichte. Auch wenn das nicht zutrifft, ist es ein wunderschönes Bild.

Den Titel finde ich nicht gut. Er ist dem Gedicht "Song" des Dichters Seamus Heany entnommen und bedeutet, sehr frei übersetzt, "Der Klang des Moments". Der Titel ist sperrig und es wird sehr spät aufgelöst, woher er kommt. Ich finde kaum einen Bezug zum Text - es geht um Gedichte, aber das war es. Für mich spiegelt der Titel weder das Grundthema noch die Grundstimmung wider.

In der Verlagsschrift der E-Pub-Version sind die Gedichte kursiv und in einer anderen Schriftart formatiert und daher nicht gut lesbar. Wählt man eine andere Schriftart aus, wird der Text nur kursiv formatiert.

Hübsch fand ich das Auto mit dem Herzchen am Auspuff am Anfang jedes Kapitels - das war witzig!

Fazit

"The Music ..." ist ein Text, der eher Top ist. Ich habe das Buch gern gelesen, es ist ein dezentes Werk, das nicht das Zusammenkommen in den Mittelpunkt rückt, sondern die Charaktere. Leider wirkt die Beziehung letztlich doch etwas gewollt - mit etwas mehr Seiten hätte man das aus meiner Sicht kitten können.

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Veröffentlicht am 25.10.2020

Heureka!

Find Me Finde mich
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Nachdem "Call me by your name" für mich eine Offenbahrung war, die das Gay Romance-Genre wieder auf seine Wurzeln zurückgeführt hat, zur klassischen Liebesgeschichte, war ich skeptisch, ob ich "Find me" ...

Nachdem "Call me by your name" für mich eine Offenbahrung war, die das Gay Romance-Genre wieder auf seine Wurzeln zurückgeführt hat, zur klassischen Liebesgeschichte, war ich skeptisch, ob ich "Find me" erwerben sollte. Denn die Kritiken zu Acimans weiteren Büchern sind durchwachsen und schon bei CMBYN fand ich den Stil eher denkend. Letztlich entschied ich mich für die englische Version und rezensierte ausführlich. Als Netgalley die deutsche Version als Rezensionsexemplar anbot, nutzte ich die Gelegenheit, um zu vergleichen.

**Inhalt in Kürze*

"Finde mich" ist in 5 Kapitel gegliedert, die mit italienischen Begriffen aus der Musik überschrieben sind und ziemlich passend sind. Das Buch schreitet chronologisch voran, beschreibt jedoch erst im letzten Kapitel die Beziehung zwischen Elio und Oliver. Davor widmet sich das Buch der Liebe seines Vaters Samuel zur jüngeren Miranda und der Liebe alten Michels zum jüngeren Elio. Das Alter herrscht als Thema vor, genauso wie die These, dass alle Dinge zum richtigen Zeitpunkt passieren und sich Kreise schließen.

*Was ist mir beim Lesen aufgefallen?*

Die Übersetzung: Thomas Brovot hat großartige Arbeit geleistet. Der Text liest sich flüssig und sämtliche Stolperstellen bzw. komische Worte erwiesen sich auch im Original als unstimmig. Ich habe das in Büchern bereits anders erlebt.

Das Sprachniveau: Ich hatte mit meinem englischen B1-Level vermutet, dass ich den Großteil verstehe und mir nur ein paar Details fehlen. Tatsächlich liest sich die deutsche Version genauso wie die englische, ich habe mich nur in Details geirrt und manche Aspekte wirkte in meiner Muttersprache deutlicher. Ich habe aber im Englischen manche Fehlstellen mit eigenen Gedanken gefüllt und mich gewundert, dass sie im Deutschen fehlen.

Das Grundthema: Aciman arbeitet sich am "Alter" ab und nachdem ich das Buch zweimal gelesen habe, fällt mir auf, wie wenig Substanz das hat. Philosophie-Freunde werden sich freuen, aber bis auf die Szene zwischen Elio und Oliver hat das nichts mit der Realität zu tun. Beziehungen mit Altersunterschieden gründen sich auf mehr als eine schwierige Beziehung zum (toten) Vater und ein paar pseudo-philosophischen Sprüchen. Sie basieren auf (zum Zeitpunkt des Kennenlernens) ähnlichen Einstellungen und Zielen - wie jede normale Beziehung. Aber natürlich gibt es Hürden, weil sich Körper unterschiedlich entwickeln - das bedeutet vor allem, Verantwortung für einen Partner zu tragen, der irgendwann hilfsbedürftig wird oder damit klarzukommen, dass es irgendwann so kommen könnte. Aciman romantisiert hier zum Wohle des gedanklichen Diskurses, was für mich nichts als eine Mogelpackung ist.

*Fazit**

"Finde mich" kann man lesen, muss man aber nicht. Es ist ein unterhaltsames Buch, das sich gut lesen lässt, aber man sollte gern philosophische Bücher lesen und Paare unterschiedlichen Alters nicht abstoßend finden.

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