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Veröffentlicht am 09.07.2021

Nichts bleibt, wie es ist

Der Brand
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Im Mittelpunkt von Daniela Kriens neuem Roman steht das Ehepaar Rahel und Peter Wunderlich. Sie wollen Urlaub in einer Hütte in Oberbayern machen. Dann erfahren sie, dass ihr Quartier abgebrannt ist. Noch ...

Im Mittelpunkt von Daniela Kriens neuem Roman steht das Ehepaar Rahel und Peter Wunderlich. Sie wollen Urlaub in einer Hütte in Oberbayern machen. Dann erfahren sie, dass ihr Quartier abgebrannt ist. Noch ehe sie neue Pläne machen, erreicht sie ein Hilferuf von Ruth, einer alten Freundin der Familie. Ihr Mann Viktor liegt sterbenskrank in einer Klinik, und niemand kann sich um den alten Bauernhof und die Tiere in der Uckermark kümmern. Rahel sagt zu. Peter versorgt die Tiere, als hätte er nie etwas anderes gemacht, Rahel kümmert sich um den Haushalt und den Garten. Der Urlaub schafft für das seit fast 30 Jahren verheiratete Paar die Gelegenheit, sich gründlich mit den Problemen in ihrer Ehe auseinanderzusetzen. Sie haben sich im Laufe der Jahre auseinandergelebt, denken aber nicht an Trennung. Durch eine Affaire weiß Rahel, dass es die ganz große Leidenschaft in ihrer Ehe nie gegeben hat. Inzwischen fehlt auch jede körperliche Nähe, und diese Tatsache wird Rahel immer schmerzlicher bewusst. Dann kommen die erwachsenen Kinder Selma und Simon zu Besuch. Rahels Beziehung zu Selma war immer schon konfliktbeladen, während das Verhältnis zu ihrem Sohn ausgesprochen innig ist. Dann entdeckt Rahel in Viktors Atelier Bilder und Skulpturen von ihrer Mutter und von sich selbst, und sie sucht erneut eine Antwort auf die lebenslange Frage, wer ihr Vater ist.
Daniela Krien legt ein interessantes und gut lesbares Porträt einer Familienkonstellation vor, das mir auch sprachlich sehr gut gefällt. Wir begleiten die sympathischen Figuren, deren Charakterisierung ausgesprochen gelungen ist. Brandaktuell wird der Roman dadurch, dass er während der aktuellen Pandemie spielt. Ein empfehlenswertes Buch für Leser von ruhigen Geschichten, die keine reißerische Spannung brauchen.

Veröffentlicht am 08.07.2021

Vater-Sohn-Konflikt vor chinesischem Hintergrund

Im Reich der Schuhe
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Der 26jährige Bostoner Jude Alex Cohen hält sich seit einem Jahr in Foshan in Südchina auf, wo sein Vater Fedor eine Schuhfabrik betreibt. Alex soll in die Geschäfte eingeführt werden, und sein Vater macht ...

Der 26jährige Bostoner Jude Alex Cohen hält sich seit einem Jahr in Foshan in Südchina auf, wo sein Vater Fedor eine Schuhfabrik betreibt. Alex soll in die Geschäfte eingeführt werden, und sein Vater macht ihn auf dem Papier zu seinem Partner. Tatsächlich gibt er nichts von seiner Macht ab und bleibt so dominant und egozentrisch wie eh und je. Alex verliebt sich in die 10 Jahre ältere chinesische Arbeiterin Ivy, eine Menschen- und Arbeitsrechtsaktivistin, die 25 Jahre zuvor die Proteste auf dem Platz des himmlischen Friedens miterlebt hat. Bei der blutigen Niederschlagung dieser Proteste kam ihre ältere Schwester ums Leben. Durch Ivy erhält Alex Einblick in die unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen der Wanderarbeiter, die extrem wenig verdienen. Sie arbeiten unter enormen Druck, und den Aufsehern ist jeder noch so lächerliche Grund wie ein Toilettengang mehr als erlaubt oder das Summen einer Melodie recht, ihren mickrigen Lohn noch weiter zu kürzen. Fedor Cohen weiß das alles, aber er sieht keinerlei Veranlassung westliche Wertvorstellungen auf chinesische Verhältnisse zu übertragen. Im Gegenteil. Ihm geht es lediglich darum, mit geringem finanziellem Aufwand den größtmöglichen Profit zu erwirtschaften. Dennoch geht es mit der Firma bergab, denn sein Kunde nimmt immer weniger Ware ab, und er verliert einen Teil seines Gewinns ohnehin durch Schmiergeldzahlungen an den mächtigen Bürgermeister des Ortes.
Es ist spannend zu lesen, wie sich unter diesen Bedingungen der Vater-Sohn-Konflikt entwickelt, in dem Alex, der Veränderungen durchsetzen will und kreative Ideen für hochwertigere Schuhe hat, zunächst chancenlos ist. Ivy ist Teil einer fortschrittlich gesinnten Gruppe, und irgendwann muss Alex Position beziehen. Wird er sich aus dem Klammergriff seines Vaters befreien können? Alex und Ivy sind sehr sympathische Charaktere, während der geldgierige Fedor teilweise fast zur Karikatur gerät.
Ich habe den Roman, in dem der Autor eigene Erfahrungen authentisch verarbeitet, gern gelesen und empfehle ihn weiter.

Veröffentlicht am 13.06.2021

Hier hat fast jeder ein Geheimnis

Der Donnerstagsmordclub (Die Mordclub-Serie 1)
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In Richard Osmans Debütroman geht es um die Bewohner der Seniorenresidenz Coopers Chase auf dem Gelände eines ehemaligen Klosters in der Grafschaft Kent. Hier genießen die finanziell gut gestellten Senioren ...

In Richard Osmans Debütroman geht es um die Bewohner der Seniorenresidenz Coopers Chase auf dem Gelände eines ehemaligen Klosters in der Grafschaft Kent. Hier genießen die finanziell gut gestellten Senioren ihren Lebensabend bei zahlreichen interessanten Aktivitäten. Unter anderem treffen sich die vier Mitglieder des Donnertagsmordclubs jede Woche im Puzzlezimmer, um anhand von alten Akten ungelöste Fälle zu bearbeiten. Die Akten hatte die ehemalige Polizistin Penny Gray kopiert, die inzwischen im Wachkoma liegt. Ihren Platz nimmt die ehemalige Krankenschwester Joyce ein. Außerdem gehören Ibrahim Arif, der Psychiater, Ron Ritchie, der Gewerkschafter und Elizabeth, ehemals beim Geheimdienst, gut vernetzt mit den alten Kontakten, die ihr auch jetzt noch gern einen Gefallen tun. Dann kommen die Dinge ins Rollen, weil Investoren mit zweifelhaften Partnern die Anlage erweitern und dabei den alten Friedhof beseitigen wollen. Es gibt direkt vor der Tür den ersten Toten, dann einen weiteren. Im Wettstreit mit der Polizei - DCI Chris Hudson und PC Donna de Freitas, der Elizabeth durch ihre Verbindungen zur Teilnahme an den Ermittlungen verhilft - untersuchen die vier Senioren die Mordfälle und sind dabei öfter der Polizei einen Schritt voraus. Da ist es sehr hilfreich, dass auch die Polizisten die Vorteile einer Zusammenarbeit sehen und man Informationen miteinander teilt. Die Geschichte wird zunehmend verwickelter, weil hier fast jeder ein Geheimnis hat, sogar in der Vergangenheit Verbrechen begangen hat, und die zum Teil Jahrzehnte zurückliegenden Taten jetzt ans Licht kommen, jedoch in vollem Umfang nur für den Leser. Wenn der Zweck die Mittel heiligte, wenn es ein „guter“ Mord an einem Verbrecher war, bleibt die Tat ungesühnt.
Der Roman liest sich sehr gut. Das liegt an der humorvollen Darstellung und an der hervorragenden Charakterzeichnung. Mir gefällt vor allem auch, dass der Autor ohne blutrünstige Beschreibungen auskommt und die Geschichte dennoch interessant und hinreichend spannend ist. Eine klare Empfehlung dafür.

Veröffentlicht am 13.06.2021

Verhämmerung und andere Scheußlichkeiten

Letzte Ehre
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Ein siebzehnjähriges Mädchen verschwindet spurlos nach einer Party im Haus des Partners der Mutter, der zu der Zeit abwesend war. Oberkommissarin Fariza Nasri ermittelt und führt Gespräche mit Zeugen. ...

Ein siebzehnjähriges Mädchen verschwindet spurlos nach einer Party im Haus des Partners der Mutter, der zu der Zeit abwesend war. Oberkommissarin Fariza Nasri ermittelt und führt Gespräche mit Zeugen. Stephan Barig, der Freund der Mutter, beantwortet ihre Fragen scheinbar ehrlich, aber die Polizistin glaubt ihm nicht. Sie hat ein Gespür für Wahrheit und Lüge und merkt, dass hier irgendetwas nicht stimmt. Dann wird eine ältere Frau namens Ines Kaltwasser vernommen, die in Stephan Barig den Sohn von Curt Barig erkennt, der ihr Leben ruiniert hat. Sie öffnet sich der für einfühlsame Vernehmungen bekannten Polizistin zum ersten Mal in ihrem Leben und enthüllt eine furchtbare Geschichte von sadistischem, überaus grausamem Missbrauch in ihrer Kindheit. Fast zeitgleich wird Catrin Hagen, die beste Freundin von Fariza und Ehefrau eines Kollegen in ihrer Wohnung überfallen und so schwer verletzt, dass sie keine Überlebenschancen hat. Weil Fariza als befangen gilt, darf sie in diesem Fall eigentlich nicht ermitteln, tut es aber dennoch, weil sie glaubt, es ihrer Freundin schuldig zu sein. Was sie bei all diesen Ermittlungen erfährt, ist so furchtbar, dass die Polizistin, die mit ihren eigenen Dämonen aus vergangenen Erlebnissen kämpft, an ihre Grenzen gerät und einem Zusammenbruch nahe ist.
Anis Buch ist ein komplexer literarischer Krimi, sprachlich so, wie man es von ihm kennt mit den für ihn typischen Dialektausdrücken, untypisch im Aufbau und vor allem in der unerwarteten Auflösung, bei der die Logik der Erzählstruktur etwas auf der Strecke bleibt. Den Leser lassen die geschilderten Gewalterfahrungen nicht unberührt. Es ist ein lesenswertes Buch, allerdings nicht durchweg spannend, dabei unendlich düster.

Veröffentlicht am 30.05.2021

Perfekte Ehen gibt es nicht

Eine perfekte Ehe
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In Kimberly McCreights Roman “Eine perfekte Ehe“ hat die Anwältin Lizzie Katsakis wenige Monate zuvor ihren Job bei der Staatsanwaltschaft aufgegeben und eine besser bezahlte Stelle in einer renommierten ...

In Kimberly McCreights Roman “Eine perfekte Ehe“ hat die Anwältin Lizzie Katsakis wenige Monate zuvor ihren Job bei der Staatsanwaltschaft aufgegeben und eine besser bezahlte Stelle in einer renommierten Anwaltskanzlei angenommen, um die von ihrem Mann Sam verursachten gewaltigen Schulden zu begleichen, als sie einen Anruf von ihrem Studienkollegen Zach Grayson bekommt, den sie seit vielen Jahren nicht gesehen hat. Er sitzt unter Mordverdacht im berüchtigten New Yorker Gefängnis Rikers Island ein und bittet Lizzie, ihn zu vertreten. Widerstrebend übernimmt die Anwältin seinen Fall und ermittelt schon bald selbst, weil die Polizei Zach für den Schuldigen am Mord seiner Frau Amanda hält und keine Anstrengungen unternimmt, anderen Spuren zu folgen. Amanda starb nach einer Party mit Ehepaaren, die alle im vornehmen Viertel Park Slope in Brooklyn leben und ihre Kinder zu derselben exklusiven Schule schicken. Diese Tatsache spielt eine Rolle in einer Nebenhandlung. Der Computer der Schule wurde gehackt, und die Eltern bekommen Drohbriefe und werden erpresst.
Im Laufe ihrer Ermittlungen findet Lizzie heraus, dass hier jeder Geheimnisse hat und der äußere Schein trügt: in allen Ehen gibt es Probleme, nicht zuletzt auch bei Lizzie mit ihrem alkoholabhängigen Ehemann, den sie zeitweise verdächtigt, etwas mit Amandas Tod zu tun zu haben. Es gibt etliche falsche Fährten und immer neue Details, auch durch die eingefügten Vernehmungsprotokolle. Für den Leser ist das spannend und zugleich verwirrend, denn die Auflösung kann man nicht erraten. Gut hat mir auch der Kontrast von zwei Zeitebenen gefallen: das Auf und Ab der Ermittlungen nach dem Verbrechen und die letzten Tage in Amandas Leben vor der Party bis zu ihrem Tod in derselben Nacht.
Der Roman ist zwar nicht frei von Längen, hat mir aber insgesamt gut gefallen.