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Veröffentlicht am 23.08.2021

Politische Fiktion meets Familiensaga – ein explosiver Mix

Heimatsterben
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Mit „Heimatsterben“ legt Sarah Höflich ein besonders aktuelles Buch vor, denn es geht in dem Roman um nichts Geringeres als einen politischen Umsturz in Deutschland und eine Machtergreifung von rechts. ...

Mit „Heimatsterben“ legt Sarah Höflich ein besonders aktuelles Buch vor, denn es geht in dem Roman um nichts Geringeres als einen politischen Umsturz in Deutschland und eine Machtergreifung von rechts. Erschreckend nah an der gegenwärtigen Realität erzählt „Heimatsterben“ die Geschichte einer Familie, die eng mit dem Schicksal Deutschlands verbunden ist, und ist dabei zwar nie effektheischend, aber immer aufwühlend.

Die Protagonistin Hanna kehrt nach einem langen Aufenthalt in den USA in ihre Heimat Deutschland zurück und muss feststellen, dass ihr Schwager Felix (seines Zeichens alter Adel und Kanzlerkandidat der neu gegründeten BürgerUnion) kurz davor steht, der mächtigste Mann des Landes zu werden. Die konservativen Werte, die er nach außen trägt, entsprechen zwar nicht Hannas Vorstellungen, aber nichtsdestotrotz lässt sie sich in seinen Wahl- und Machtkampf hineinziehen. Bald muss sie feststellen, dass die wahre Gefahr die Strippenzieher hinter Felix sind und die bürgerliche Fassade schnell zu bröckeln beginnt.

„Heimatsterben“ verbindet die Geschichte von Hannas Familie gekonnt mit den politischen Entwicklungen in einem Deutschland, das unserem heutigen so stark ähnelt, dass man es mit der Angst zu tun bekommen kann. Schonungslos und in journalistischem Stil deckt Sarah Höflich auf, wie zerbrechlich unsere Demokratie ist. Zugleich erzählt sie immer von den Menschen hinter den politischen Überzeugungen: von Hannas Großmutter, die erzkonservativ, aber immer Demokratin war, vom verstoßenen schwulen Onkel Carl-Friedrich, von ihrer Schwester Trixie, die sich so sehr einen Traumprinzen und eine heile Welt wünscht und dabei sich selbst und ihre eigenen Überzeugungen zu vergessen droht …

„Heimatsterben“ ist ein spannendes, hoch politisches, brandaktuelles Buch, das auf jeder Seite neuen Stoff zum Nachdenken liefert. Es präsentiert seine Figuren nicht in Schwarz und Weiß, sondern in Grautönen, verliert dabei aber nie eine klare Botschaft aus den Augen, die lautet: Wehret den Anfängen! Ein Roman, den man unbedingt gelesen haben sollte.

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Veröffentlicht am 20.08.2021

Ein sanftes, aber zugleich sprachgewaltiges Debüt voller Tragik und Poesie

Greta und Jannis
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„Greta und Jannis. Vor acht oder in einhundert Jahren“ – schon der Titel dieses wunderbaren Debütromans von Sarah Kuratle drückt aus, was uns das ganze Buch über begleitet: eine surrealistisch angehauchte ...

„Greta und Jannis. Vor acht oder in einhundert Jahren“ – schon der Titel dieses wunderbaren Debütromans von Sarah Kuratle drückt aus, was uns das ganze Buch über begleitet: eine surrealistisch angehauchte Liebes- und Familiengeschichte in überaus poetischer Sprache. Kein leichtes Buch, aber ein unglaublich lohnenswertes Leseerlebnis, das noch lange nachhallt.

Greta und Jannis sind im letzten Dorf im Gebirge groß geworden und durch ein besonderes Band miteinander und mit der wilden Natur verbunden. Greta wächst mit drei Ziehgeschwistern bei ihrer Großtante auf, Jannis als Einzelkind eines alleinerziehenden Vaters. Im Erwachsenenalter zieht Jannis in die Stadt, Greta kehrt immer wieder in die Heimat zurück, aber das Band zwischen ihnen bleibt bestehen. In langsamen, nachdenklichen Episoden erzählt der Roman im stetigen Wechsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart von ihrer Kindheit, ihrer Jugend, ihrem Jetzt. Im Zentrum stehen immer diese beiden, aber sie sind umgeben von anderen Schicksalen – ihren Familien, dem geheimnisvollen Nachbarn Cornelius und der stets präsenten gewaltigen Natur, die wie eine eigene Figur in Form von Feuervögeln, Steinböcken und Goldäpfeln in Erscheinung tritt.

Der poetische Stil des Romans entwickelt einen Sog, dem man sich kaum entziehen kann, voller Schönheit und Anmut, aber auch Tragik und Verzweiflung. Die sanfte, ästhetische Sprache täuscht über die Tragweite der teils dramatischen Entwicklungen hinweg, lullt mich als Leserin beinahe ein, sodass die Realisierung des Unaussprechlichen, wenn sie dann kommt, umso erschütternder ist. Kuratle reizt die Grenzen dessen, was in der deutschen Sprache möglich ist, auf enorm ästhetische Art und Weise aus und erreicht damit eine Sprachgewalt, die vor allem durch ihre Zartheit gekennzeichnet ist. Mensch und Natur sind in traumschönen Metaphern untrennbar miteinander verbunden, und über der Szenerie schwebt stets die Frage nach der Realität, denn Raum und Zeit scheinen im letzten Dorf im Gebirge irgendwie anders zu funktionieren.

Märchenhaft, teils surreal, dabei poetisch und von einer tragischen Ästhetik durchzogen bietet „Greta und Jannis“ ein ungewöhnliches Leseerlebnis, das sowohl auf sprachlicher als auch auf inhaltlicher Ebene sehr tief berührt und beeindruckt. Eine unbedingte Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 15.08.2021

Anrührend, bestürzend und meisterhaft erzählt

Die Überlebenden
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Mit „Die Überlebenden“ entwirft Alex Schulman das episodenhaft konstruierte Porträt einer Familie, die ihre Dysfunktionalität erst nach und nach offenbart – mit jeder nebenbei erwähnten Enthüllung wird ...

Mit „Die Überlebenden“ entwirft Alex Schulman das episodenhaft konstruierte Porträt einer Familie, die ihre Dysfunktionalität erst nach und nach offenbart – mit jeder nebenbei erwähnten Enthüllung wird schmerzlich klarer und klarer, welche Konsequenzen die ungesunde Familiendynamik für die drei Kinder hat.

Auf zwei Zeitebenen wird die Geschichte der drei Brüder Benjamin, Pierre und Nils erzählt: Da sind zum einen ihre Kindheitserinnerungen an die Sommer im Ferienhaus der Familie, zum anderen die anti-chronologisch erzählte Gegenwart, in der sie an diesem Ort die Asche ihrer Mutter verstreuen und sich ihrer Vergangenheit stellen müssen. Nach und nach kommt in dieser meisterhaft und spannend konstruierten Erzählweise die Wahrheit zum Vorschein, das ganze Ausmaß der Tragik dieser Familiengeschichte: die kleinen und größeren Verfehlungen der Eltern, die kleinen und größeren Streitigkeiten zwischen den Brüdern. Dabei ist der Roman nie pathetisch, sentimental oder überfrachtet. In klaren, nüchtern-poetischen Worten werden Episoden geschildert, die wie nebenbei verdeutlichen, dass dieses Familienleben alles andere als glücklich war. Eine Wahrheit, die sich Protagonist Benjamin erst Jahre später vor Augen führt. Eine Wahrheit, deren schiere Unbegreiflichkeit auch uns Lesende erst spät und unvermittelt ereilt und dem Buch eine ganz neue Dimension hinzufügt.

Ebenso meisterhaft wie der Erzählmodus von „Die Überlebenden“ ist das psychologische Fingerspitzengefühl, das Alex Schulman bei der Zeichnung seiner Charaktere an den Tag legt. Benjamin, Pierre und Nils teilen ein Trauma, das jedoch jeder von ihnen anders erlebt hat. Und so unterschiedlich wie ihre individuellen Erfahrungen sind auch ihre Reaktionen, sodass sie als Erwachsene völlig voneinander entfremdet sind, der letzten Möglichkeit beraubt, sich durch Zusammenhalt Trost zu spenden. Ihr erzwungenes Zusammenkommen nach dem Tod der Mutter ist also gleichzeitig auch eine Chance auf Versöhnung. Bei aller Tragik des Buchs schwebt diese Möglichkeit von Frieden und Vergebung immer über ihren Köpfen und versichert uns Lesende, dass die drei nun einmal Überlebende sind.

Dieser Roman ist ein stilles, kleines Meisterwerk, das so viel über Familie, Schuld und Vergebung aussagt, dabei aber immer den leisen Zwischentönen verhaftet bleibt. Ein Buch, das im allerbesten Sinne die Möglichkeit zur emotionalen Bildung bietet.

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Veröffentlicht am 21.06.2021

Ein packender Kriminalfall mit faszinierenden Einblicken in das Wien der 1890er

Das Buch des Totengräbers (Die Totengräber-Serie 1)
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Oliver Pötzsch ist mit „Das Buch des Totengräbers“ ein meisterhafter historischer Kriminalroman gelungen, der spannende Phänomene des späten 19. Jahrhunderts aufgreift, z. B. die Etablierung des Fahrrads, ...

Oliver Pötzsch ist mit „Das Buch des Totengräbers“ ein meisterhafter historischer Kriminalroman gelungen, der spannende Phänomene des späten 19. Jahrhunderts aufgreift, z. B. die Etablierung des Fahrrads, das Aufkommen von einfach verfügbarer Photographie und die Kriminalistik. Im Vordergrund stehen dabei immer die randständigeren Figuren der Wiener Gesellschaft: ein deutscher Ermittler mit jüdischen Wurzeln, eine junge Telefonistin mit Ambitionen, ein Totengräber …

Ausgangspunkt der Geschichte sind die grausamen Morde an einer Reihe junger Frauen. Leo von Herzfeldt ist neu in Wien, genau wie seine Ermittlungsmethoden. Der junge Inspektor wendet begeistert alle technischen Möglichkeiten, die ihm zur Verfügung stehen, an, um die Tatorte zu analysieren, einschließlich der gerade aufkommenden individuellen Photographie – dabei stößt er jedoch bei seinen traditionsverbundenen Kollegen und Vorgesetzten meist auf taube Ohren. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als auf eigene Faust zu ermitteln. Unterstützt wird er dabei von der Telefonistin Julia und dem Totengräber August, der zwar eine Menge Know-how mitbringt, Leo jedoch als der komische Kauz, der er ist, auch gehörig auf die Palme bringt.

„Das Buch des Totengräbers“ ist sowohl ein wunderbar konstruierter Krimi mit vielen Wendungen und sich stetig aufbauender Spannung als auch ein hervorragend recherchierter historischer Roman. Persönlichkeiten der 1890er Jahre in Wien wie die Musiker-Familie Strauss werden organisch in den Handlungsverlauf eingewoben, damals neue Technologien werden mit all ihrem Diskussionspotenzial geschickt eingesetzt, um ein authentisches Bild der Gesellschaft dieser Zeit und ihrer Herausforderungen zu schaffen. Dabei stehen der Kriminalfall und Leos Ermittlungen, die ihn in immer düstere Bereiche der Wiener Oberschicht führen, stets im Vordergrund – historische Informationen werden nie um ihrer selbst willen gegeben, sondern fügen sich stets organisch in den Handlungsverlauf ein und sind Teil der Geschichte, die erzählt wird. Der Wiener Zentralfriedhof, Augusts Wirkungsstätte, wird dabei trotz seiner abgelegenen Lage zu einem zentralen Schauplatz der Geschichte, der Ton und Atmosphäre des ganzen Romans deutlich prägt.

Ein unglaublich spannender Krimi mit authentischen Figuren und ein detailliertes Porträt der Stadt Wien in den 1890ern. All das in einer stets düster oder verrucht anmutenden Atmosphäre mit viel Friedhofsromantik. Eine unbedingte Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 08.06.2021

Ein humorvoller Krimi mit echtem Pfälzer Charme – und einer Prise Phantastik

Rieslingmord
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Wer das kleine Pfälzer Dorf Elwenfels sucht, wird wohl vergeblich auf die Karte starren – denn (nicht unähnlich einem gewissen Dorf von unbeugsamen Galliern) ist dieser idyllische Ort und Schauplatz von ...

Wer das kleine Pfälzer Dorf Elwenfels sucht, wird wohl vergeblich auf die Karte starren – denn (nicht unähnlich einem gewissen Dorf von unbeugsamen Galliern) ist dieser idyllische Ort und Schauplatz von „Rieslingmord“ der Phantasie des Autorenpaars Britta und Christian Habekost entsprungen. Aber auch in der Idylle passieren Verbrechen – und das bereits zum dritten Mal, denn es handelt sich um den dritten Band der Reihe um den Hamburger Ermittler Carlos und die schräg-sympathischen Bewohner des kleinen Dorfs, das sie mit Geistern und Elwetritschen teilen.

Als Carlos vor ein paar zwielichtigen Gestalten aus Hamburg fliehen muss, versteckt er sich in Elwenfels. Jedoch ist er nicht der einzige unerwartete Besucher im Ort, denn eine Gruppe von Yoga-Enthusiastinnen auf Selbstfindungstrip, frisch aus Indien angereist, hat das Dorf ebenfalls zu ihrer neuen Wirkungsstätte erklärt. Als einer von ihnen jedoch unter mysteriösen Umständen zu Schaden kommt, ist Carlos’ Schnüfflernase gefragt … denn nicht alles ist so ideal und harmonisch, wie es scheint.

Mit viel Witz, schrägen, jedoch warmherzigen Charakteren und einer großen Portion Lokalkolorit erwecken Britta und Christian Habekost das kleine Dörfchen Elwenfels zum Leben. Dass dort auch einmal ein Geist auftaucht und manche Probleme sich mit Zauberwein lösen lassen (und natürlich alle Probleme mit Rieslingschorle!), macht das ganz besondere Flair dieses Romans aus. Denn der magische Realismus beißt sich so gar nicht mit dem leicht gemütlichen, manchmal schroffen, aber immer warmherzigen Charme der Einheimischen. Dass nebenbei noch ein Verbrechen aufgeklärt werden muss, trübt die Stimmung kaum, sorgt aber für das nötige Maß an Spannung und so manchen Lacher.

Elwenfels ist (trotz dem ein oder anderen Mord) ein Sehnsuchtsort und wird die, die noch keine Liebhaber
innen der Pfalz sind, dazu machen.

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