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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 29.07.2021

Sachlich aber auch persönlich

Was fehlt dir
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Was fehlt dir? Fehlt dir etwas? Eine Frage, die wir alle schon einmal gestellt oder beantwortet haben. In Sigrid Nunez neuem Buch geht sie dieser Frage auf die Grund und was das Schicksal anderer mit einem ...

Was fehlt dir? Fehlt dir etwas? Eine Frage, die wir alle schon einmal gestellt oder beantwortet haben. In Sigrid Nunez neuem Buch geht sie dieser Frage auf die Grund und was das Schicksal anderer mit einem selbst macht. Die Protagonistin begleitet eine schwer kranke Freundin auf deren letztem Weg und versucht ihr einen fast unvorstellbaren Wunsch zu erfüllen. Für sie da zu sein und ihr bei einem selbstbestimmten Sterben zur Seite zu stehen.

Ich glaube, die vielen negativen Rezensionen entstanden aus falschen Erwartungen. "Was fehlt dir" ist kein Roman, es ist nicht mal wirklich eine Geschichte. Wer das erwartet, wird zwangsläufig enttäuscht sein mit dieser Lektüre. Es ist viel mehr ein tagebuchartiges Essay, ein unverstellter Blick auf das Leben und das Sterben, der sich nicht darum schert, was der Leser davon hält. Es ist der Versuch, einen Menschen zu betrachten, der sterben muss, der leidet und Schmerzen hat und der das Ende selbst wählen möchte. Doch was macht ein solcher Wunsch mit anderen Menschen? Was macht es mit der Protagonistin?

Hier passiert nichts spannendes, es passiert nahezu überhaupt nichts. Stattdessen bekommt man alltägliche Schilderungen auf dem Weg der beiden Frauen. Und das alles mit einer sehr klaren aber anspruchsvollen Sprache. Für mich gestaltete sich dieses Buch als sehr persönlich und eindrucksvoll. Nunez schildert Schmerz, Krankheite und Alter in der reinsten Form, die man sich vorstellen kann, sie beschreibt, ohne zu werten und öffnet dadurch ihr Innerstes.

Ich habe mit "Der Freund" die Sprache und Schreibart von Sigrid Nunez lieben gelernt und wurde auch von "Was fehlt dir" nicht enttäuscht. Themen wie Trauer, Tod, Krankheit und Schmerzen sind in diesem Buch stets präsent, doch Nunez versinkt nicht in Sentimentalität oder ähnlichem. Stattdessen knüpft sie Verbindungen aus Vergangenheit und Gegenwart, aus literarischen Anspielungen und Momentaufnahmen, aus den eigenen Empfindungen und denen der anderen. "Was fehlt dir" istvein ruhiges Buch, das mich in seiner Mischung aus Sachlichkeit und persönlicher Schilderungen begeistern konnte. Erwartet keinen Roman, dann könnt ihr dieses Buch vielleicht genauso sehr genießen wie ich.

Veröffentlicht am 14.06.2021

Eine Reise ans Meer

Unterwasserflimmern
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Die namenlose Ich-Erzählerin, Anfang 30, lebt mit Emil, ihrem Partner, in einer gemeinsamen Wohnung. Für sie könnte das reichen, doch Emil will mehr. In einer anderen Wohnung wartet ein Bett auf sie, das ...

Die namenlose Ich-Erzählerin, Anfang 30, lebt mit Emil, ihrem Partner, in einer gemeinsamen Wohnung. Für sie könnte das reichen, doch Emil will mehr. In einer anderen Wohnung wartet ein Bett auf sie, das Bett von Leo, mit dem sie eine Affäre hat und der selbst verheiratet ist. Zwischen diesen beiden Männern fühlt sie sich hin und her gerissen, der eine fordernd, der andere verständnisvoll. Sie flieht vor einer Entscheidung, vor sich selbst und dem Leben, das sie lebt. Denn sie weiß nicht, was sie will, wer sie ist, wie sie leben will und v.a. mit wem.

Ich hatte im Vorfeld einige Rezensionen gelesen und war danach vorbereitet auf obszöne Sexszenen und vulgäre Beschreibungen. Doch gefunden habe ich beides bis zum Schluss nicht. "Unterwasserflimmern" ist trotz einiger expliziter Stellen ganz sicher kein schockierender Erotikroman. Ja, die Protganistin hat Sex, manchmal härter, manchmal sanfter, aber Katharina Schaller schafft es, der Situation entsprechend zu schreiben. Teils schildert sie die Szenen in direkter und sexualisierter Sprache, doch dann auch wieder sehr leicht, so dass man das Geschehen nur erahnen kann. Sie lässt Raum für das Beobachten und Fühlen, abseits vom Verstehen. Schaller hat hier eine Protagonistin geschaffen, die ihre Sexualität auslebt, sie geniest und auch als Werkzeug missbraucht, die sich erst noch finden muss, die nicht weiß, wo sie hin will mit ihrer Zukunft. Ich empfand sie dabei in keinster Weise überspitzt oder oberflächlich.

Zugegebenermaßen kreist sie v.a. im zweiten Teil des Buches etwas sehr um sich selbst, doch steht das nicht auch jedem zu? Diese junge Frau ist auf der Reise, auf der Suche, sie findet viele Menschen auf ihrem Weg, mit manchen verbindet sie bei der Abreise mehr als mit anderen, doch allen geht sie offen entgegen. Sie ist ohne Ziel, dreht sich im Kreis, geht vor und wieder zurück, versucht das Ende und die Zeit für Entscheidungen hinaus zu zögern, so lange sie kann. Sie wird konfrontiert mit Gedanken und Gefühlen, an das was war und das was erst noch kommt, nur die Gegenwart bekommt kaum Raum obwohl sie doch im Hier und Jetzt steht. Sie ist voller Zweifel und Ungewissheit aber genau das hat mir gefallen an ihr.

Ich hatte nicht viel erwartet von diesem Buch aber Katharina Schaller hat es mir mit ihrer schönen Schreibweise leicht gemacht, mich darin zu verlieren. Sie vermischt lange Schilderungen mit kurzen aussagekräftigen Sätzen, die in ihrer Direktheit und Kürze zu überzeugen wissen. Dadurch hat sie für mich ein sehr intensives Leseerlebnis geschaffen und mich ihrer Protagonistin näher gebracht. "Unterwasserflimmern" ist ein Buch für alle, die hinter die Fassade blicken wollen und die sich nicht von einer Protagonistin abschrecken lassen, die sich nicht für ihren Körper und ihre Sexualität schämt. Ein Buch für alle, die sich entführen lassen wollen auf eine Reise ans Meer und darüber hinaus.

Veröffentlicht am 12.05.2021

Jahreshighlight

Der Tod des Vivek Oji
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Eines Tages liegt Vivek tot vor der Tür seiner Eltern, vollkommen nackt. Seine Mutter versucht zu begreifen, was passiert ist und so befragt sie seine Freunde. Doch die schweigen um ihn und sich selbst ...

Eines Tages liegt Vivek tot vor der Tür seiner Eltern, vollkommen nackt. Seine Mutter versucht zu begreifen, was passiert ist und so befragt sie seine Freunde. Doch die schweigen um ihn und sich selbst zu schützen.

Vivek war schon immer anders, er hatte früher Ohnmachtsanfälle und Aussetzer, bei denen er nicht ansprechbar ins Leere starrt.

Nach und nach erfährt man in Rückblicken mehr über Viveks Vergangenheit. Langsam eröffnet sich ein Bild von einem sensiblen jungen Mann, der versucht zu sich selbst zu finden ohne sich verstellen zu müssen.

"Der Tod des Vivek Oji" ist ein sehr emotionales und berührendes Buch über Vertrauen, Treue und den Mut zu seiner eigenen Identität zu stehen. Mit unglaublich toller Sprache erweckt Akwaeke Emezi ihre Figuren zum Leben. Sehr atmosphärisch schildert sie die Szenen in Viveks Leben. Immer wieder lässt sie auch ihn in kurzen Abschnitten aus dem Jenseits das Geschehen zu Wort kommen. Vivek war ein Junge, der unter der Gesellschaft leidet, der sich in sich selbst zurück zieht und nur durch die Hilfe seiner Freunde wieder ins Leben zurückkehren konnte. Emezis Geschichte ist voller Liebe und Zuneigung, es geht um erste sexuelle Erfahrungen, um die Liebe zur Familie und zu seinen Freunden, es geht um Geschlechterrollen und den Wunsch sich daraus zu befreien. Es geht um verbohrte Traditionen um Scham und Angst zu seiner Liebe und sich selbst zu stehen aber auch um den Mut, Grenzen zu überwinden.

Vivek Oji ist schon jetzt ein Jahreshighlight!

Veröffentlicht am 06.05.2021

Vergangenheit

Die Geschichte von Kat und Easy
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Kat und Easy sind unzertrennlich, sie erleben alles gemeinsam und haben den Sommer ihres Lebens. Sie machen ihre ersten Erfahrungen mit Sex, Drogen und Alkohol und auch mit der Liebe. Sie werden für immer ...

Kat und Easy sind unzertrennlich, sie erleben alles gemeinsam und haben den Sommer ihres Lebens. Sie machen ihre ersten Erfahrungen mit Sex, Drogen und Alkohol und auch mit der Liebe. Sie werden für immer Freundinnen bleiben, davon sind sie überzeugt. Aber es kommt anders als geplant und aus einem ganzen Leben wird lediglich ein Jahr. Bis sie sich viele Jahre später wieder treffen.

Abwechselnd erzählt Susann Pásztor die Geschichte von Kat und Easy in der Gegenwart und der Vergangenheit. Als Leser springt man hin und her zwischen dem Laustedt der 70er und dem Kreta der Gegenwart und deckt so nach und nach die Geschichte eines Sommers auf. Kat und Easy sind sehr unterschiedlich und vielleicht verbindet sie gerade das. Easy, die Dorfschönheit, die zunächst schüchtern und etwas naiv daher kommt und Kat, die Brillenschlange, die mutig ist und Bescheid weiß vom Leben. Aber es zeigt sich nach und nach, dass die Rollenverteilung gar nicht so festgefahren ist wie sie zunächst scheint, vielmehr ist auch Kat verletzlich und gar nicht so abgebrüht, wie sie auf andere wirkt. Und dann ist da natürlich noch Fripp, der gutaussehende junge Mann, der ihnen den Kopf verdreht und der die Freundschaft der beiden auf die Probe stellt.

Den Wechsel aus Gegenwart und Vergangenheit ist Pásztor gut gelungen, wie ich finde. Oftmals kann ein ständiger Wechsel irgendwann nerven, weil man das Gefühl hat, nicht weiter zu kommen oder zu oft aus dem Geschehen gerissen zu werden. Pásztor jedoch verknüpft die beiden Erzählstränge gut, sie verwebt sie durch die Gedanken und lässt sie ineinander übergreifen was das ganze zu einem funktionierenden Gesamtbild verknüpft. Die Vergangenheit wird zwar nur stückchenweise offenbart und man muss sich viel selbst zusammenreimen, doch das hat mich nicht weiter gestört. Viel mehr hat es mich dazu gebracht, weiter zu lesen, da man irgendwann auch wissen möchte, ob die eigenen Vermutungen zutreffen. In die beiden Hauptpersonen Kat und Easy konnte ich mich sehr gut hineinversetzen, lediglich die Nebenfiguren blieben bis zum Schluss etwas blass.

"Die Geschichte von Kat und Easy" ist ein ganz wunderbarer Roman über Freundschaft, über die Dorfjugend in den 70ern, über erste Erfahrungen und Enttäuschungen und auch über die Liebe und die Diskrepanz zwischen dem jugendlichen Ich und der erwachsenen Frau, die man irgendwann wird. Die Grundidee des Buches ist sicherlich keine neue und das große Geheimnis auch etwas unspektakulär und vorhersehbar. Dennoch habe ich Pásztors Roman wirklich sehr gerne gelesen, da sie auf einfühlsame Weise das Wesen von Kat und Easy einfängt und den Leser mitnimmt in eine Geschichte, die zwar nicht nur positives bereit hält, die mich jedoch mit einem wohligen Gefühl zurück lässt. "Die Geschichte von Kat und Easy" war für mich ein Erlebnis, das mich mitnimmt in eine Zeit, die mir unbekannt ist und gleichzeitig auf die Reise schickt, in die wundervolle Natur Kretas. Pásztor hat einen sehr flüssigen und leichten Schreibstil, der perfekt ist um abzutauchen und den eigenen Alltag für eine Weile zu vergessen. Dieses Buch ist genau richtig, wenn man etwas braucht, was einen nicht mit tiefschürfenden Gedankengängen herausfordert und das dennoch so viel mehr ist als ein leichter Roman.

Veröffentlicht am 14.03.2021

über den Kampf mit dem Verschwinden

Genug
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Eine junge Frau, sie hat gerade ihren Schulabschluss hinter sich, erzählt hier ihre sehr persönliche Geschichte. Sie wog etwas über 70 Kilo als sie beschloss, von jetzt an 'gesünder' zu leben, Sport zu ...

Eine junge Frau, sie hat gerade ihren Schulabschluss hinter sich, erzählt hier ihre sehr persönliche Geschichte. Sie wog etwas über 70 Kilo als sie beschloss, von jetzt an 'gesünder' zu leben, Sport zu treiben, etc. Doch daraus wurde sehr schnell eine Obsession, der Wunsch weniger zu werden, zu verschwinden.

Louise Juhl Dalsgaard schildert den Weg ihrer jungen Protagonistin auf sehr poetische und eindringliche Weise. In wenigsten Worten bringt sie Abgründe in ihrer Psyche hervor und zeigt eindrücklich die innere Leere und Zerissenheit. Unterbrochen werden diese fast schon lyrischen Abschnitte durch nüchterne Arztberichte und Krankenakten. Gerade diese Diskrepanz aus schöner Sprache und nüchternem Bericht ist es, was dieses Buch ausmacht. Es trifft den Leser im Herzen und im Geist, macht betroffen, man fühlt mit der jungen Frau, will ihr helfen und ist doch genau so machtlos wie ihre Familie oder ihre Ärzte.

Schon früh fühlte sich die Erzählerin anders als andere. Als ein KLassenkamerad seine Mutter verliert, spricht die Lehrerin von einem leeren Raum in inneren, in dem vorher die Mutter gewohnt hat. Auch die Erzählerin fühlt diesen leeren Raum in sich, obwohl sie niemanden verloren hat. Wenn sie jedoch mit ihren intimsten Gefühlen zu den Erwachsenen spricht, wird sie nicht verstanden, schlimmer noch, einfach weggeschickt.

Immer wieder hat sie das Gefühl, nicht genug zu sein und so wird sie schließlich immer weniger. Auch das spiegelt sich in den sehr kurzen Absätzen und kapitelartigen Episoden wieder. Der Leser folgt ihr in ihren Erinnerungen, die nicht immer chronologisch erscheinen, die aber doch zusammen gehören und zusammen passen und die ein sehr berührendes und authentisches Bild einer jungen Frau zeigen, die mit ihrer Krankheit kämpft. Immer schwebt die Gefahr zu verlieren über ihr, doch nie ergibt sie sich dieser Sehnsucht ganz.

"Genug" hat mich von der ersten Seite an gefesselt und erinnert stark an "Tage Ohne Hunger" von Delphine de Vigan ist es doch genauso eindringlich und innerlich verletztend wie dieses. Wer sich für das Thema interessiert und es aushalten kann, dem sei das Buch von Louise Juhl Dalsgaard wärmstens empfohlen.