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Veröffentlicht am 03.07.2021

Fanny, Sisi und Marillenknödel...

Die Totenärztin: Wiener Blut
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...nein, Marillenknödel spielen in den ersten Band „Die Totenärztin – Wiener Blut“ von René Anour tatsächlich nur eine untergeordnete Rolle – für mich aber sind sie ein Synonym für all die österreichischen ...


...nein, Marillenknödel spielen in den ersten Band „Die Totenärztin – Wiener Blut“ von René Anour tatsächlich nur eine untergeordnete Rolle – für mich aber sind sie ein Synonym für all die österreichischen Köstlichkeiten, die in diesem Buch so nebenbei erwähnt wurden!
Fanny ist eine junge Ärztin (im Gegensatz zu Preußen „durften“ Frauen in Österreich schon damals studieren!), die 1908 als Prosekturgehilfin – Assistentin bei Obduktionen - in der Wiener Pathologie arbeitet. Obwohl ausgebildete Ärztin, hat ihr Chef, Professor Kundera, verboten, dass sie als Frau Obduktionen durchführt („Auch besitzt eine Frau, deren Naturell im Nährenden und Fürsorglichen begründet ist, weder die Fähigkeit noch den Willen zu einer strukturierten Arbeitsweise.“ S. 21). Überhaupt: dass sie überhaupt die Stelle bekommen hat, hat sie Kunderas Frau, Leontine, zu verdanken... Aber so waren eben damals die Zeiten...
Aber Fanny hat ihren eigenen Kopf und ihre eigenen Ideen: als ein toter Obdachloser eingeliefert wird, fallen Fanny Hinweise auf, die ihr Kollege Franz ignoriert – Fanny schleicht sich dann nachts in die Pathologie und obduziert heimlich die Leiche – und sticht damit in ein riesengroßes Wespennest!!!
Nur unterstützt von ihrer Freundin Tilde beginnt Fanny ihre „Recherchen“, die sie u.a. zu einem exklusiven Ball des Grafen Waidring ins Palais Coburg, aber auch in die „Unterwelt“ Wiens führen. Aber mehr sei hier über die Handlung nicht verraten...
Wir lernen sympathische Menschen kennen, wie z.B. Fannys Cousin Schlomo, der sich jetzt François nennt und zum Entsetzen seiner Eltern als Maskenbildner am Burgtheater arbeitet. Tante Agathe macht sich große Sorgen, dass Fanny mit ihren 25 Jahren immer noch nicht verheiratet ist: „Das ist schon nicht mehr Gold, sondern nur noch Silber und Bronze steht vor der Tür.“ (S. 42) Lange rätseln wir, ob „Blaumeise“ ein „Guter“ oder doch ein „Böser“ ist... Und ich habe einiges über Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn („Sisi“) erfahren, was ich noch nicht wusste.
Gut gefallen hat mir auch das Nachwort mit dem Stichwort „Was ist echt, was ist Fiktion?“. Dies finde ich gerade bei historischen Kriminalromanen ausgesprochen wichtig: ich nehme es einem Autor / einer Autorin keineswegs übel, wen er /sie z.B. mal eine Erfindung oder ein historisches Ereignis um ein paar Jahre verschiebt – aber wissen möchte ich es hinterher...Ein Glossar und ein Wiener Stadtplan aus 1908 haben meinen Wissensdurst perfekt erfüllt.
Der Autor hat es auch hervorragend geschafft, dass mir bei vielen Szenen mein Kopfkino die entsprechenden Bilder lieferte: in der Pathologie habe ich mir die Nase zugehalten und nur durch halbgeöffnete Augen „gelinst“, dafür bin ich gern mit Fanny durch den Volkspark spaziert und habe freudig Schlomo (oh, Pardon: François) im Burgtheater besucht.
Manchmal musste ich den Kopf schütteln über Fannys und Tildes Naivität und Leichtsinn, habe mich dann aber auch wieder mit ihnen gefreut, wenn sie sich aus „brenzligen“ Situationen befreit haben – na ja, manchmal mit Hilfe...Auch die Entwicklung von Fanny hat der Autor schön herausgearbeitet: sie gewinnt immer mehr an Selbstbewusstsein und ich bin mir sicher: sie wird ihren weiteren Weg mit hoch erhobenem Haupte gehen!
Insgesamt kann ich sagen: ein sehr empfehlenswertes Buch, dass mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt hat, es hat mir spannende und interessante Lesemomente beschert – und alles gewürzt mit einer feinen Prise Humor! Ich drücke dem Autor die Daumen, dass viele Leser*innen das Buch kaufen – dies aber nicht ganz uneigennützig: wenn Fanny bei vielen Menschen gut ankommt, werden weitere Bücher folgen – und das wünsche ich mir!

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Veröffentlicht am 15.06.2021

Wenn das die Realität wäre...

Strahlender Sieg
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Erich H. Franke hat mit seinem 7. Band um die amerikanische Geheimagentin Karen C. Mulladon wieder mal einen bemerkenswerten Coup gelandet. Ich habe bisher alle Bücher dieser Reihe gelesen, bin mir aber ...

Erich H. Franke hat mit seinem 7. Band um die amerikanische Geheimagentin Karen C. Mulladon wieder mal einen bemerkenswerten Coup gelandet. Ich habe bisher alle Bücher dieser Reihe gelesen, bin mir aber sicher, dass auch „Quereinsteiger“ die Handlung gut nachvollziehen können, weil die Fälle immer in sich abgeschlossen sind.
Der Einstieg besteht aus mehreren Handlungssträngen, aber wir erfahren schnell, dass der gemeinsame Nenner „radioaktives Material“ ist. Aber diesmal wird es besonders perfide: die verschiedenen Geheimdienste / Nachrichtendienste werden gegeneinander ausgespielt, wir hören ein Telefonat eines Unbekannten: Ich werde dafür sorgen, dass die Behörden, äh, miteinander beschäftigt sind. Wir dürfen nicht zulassen, dass irgendein übereifriger Beamter... Nun! Lassen wir das!“ (S. 46)
Erste Leidtragende ist Karen selbst, der vorgeworfen wird, zwei deutsche Agenten erschossen zu haben – und dadurch in erheblichen Erklärungsbedarf gerät. Sogar ihr deutscher Kollege, Martin Weilmann, zweifelt an ihr. Doch zum Glück kann Karen ihre Unschuld beweisen. Aber das Chaos ist perfekt, wie Martin einem Vorgesetzen von Karen erklärt: „Nach all diesem Mist redet unser Laden nicht mehr mit Euch, weil wir Euch misstrauen und denken, Ihr killt unsere Leute. Der Verfassungsschutz redet nicht mehr mit meinem Laden, weil die denken, wir klüngeln mit Euch und stecken in der Mordsache selbst mit drin. Jerusalem redet nicht mehr mit uns, weil sie denken, wir unterstützen irgendwelche verrückten Terroristen und haben die Sache fingiert. Und als Zugabe steckt bei Euch auch noch der Ku-Klux-Klan mit drin! All das zieht unsere und Eure Glaubwürdigkeit in den Gully.“ (S. 95/96). Tja, ein heilloses Durcheinander… Karen wird aus dem Verkehr gezogen, um nicht weiter angreifbar zu sein – aber es fällt ihr zunehmend schwer, nicht aktiv zu sein! Als nächstes werden falsche Informationen über Martin verbreitet, so dass er in höchste Gefahr gerät… Und die Zeitbombe tickt – im wahrsten Sinne des Wortes – aber mehr wird hier nicht verraten… Nur so viel: es bleibt spannend bis zur letzten Seite!
Ich liebe die Bücher von Erich H. Franke, obwohl Agententhriller eigentlich nicht zu meinem bevorzugten Genre gehören. Aber seine Bücher behandeln immer Themen, die so tatsächlich vorkommen könnten, die technischen Möglichkeiten sind real und vorhanden (und werden immer so gut erklärt, dass sogar ich sie als Technik-Muffel verstehen kann!), es gibt einen nachvollziehbaren politischen Hintergrund (ohne Zeigefinger!) und alles ist eingebettet in eine äußerst spannende und aufregende Rahmenhandlung mit sehr sympathischen Protagonisten, die mir als „Wiederholungstäterin“ zugegebenerweise schon ans Herz gewachsen sind!
Also wird es jetzt niemanden verwundern, dass ich dieses Buch nur allzu gern weiterempfehlen möchte!

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Veröffentlicht am 29.04.2021

Hauptkommissar Toni Sanftleben in Höchstform...

Finstere Havel
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Tim Pieper hat sich mit seinem 5. Havelkrimi „Finstere Havel“ erneut gesteigert. Es ist zwar eine Reihe, aber die Krimihandlungen sind jeweils abgeschlossen und man kann jederzeit einsteigen.
Diesmal ist ...

Tim Pieper hat sich mit seinem 5. Havelkrimi „Finstere Havel“ erneut gesteigert. Es ist zwar eine Reihe, aber die Krimihandlungen sind jeweils abgeschlossen und man kann jederzeit einsteigen.
Diesmal ist die Handlung besonders verzwickt: eine junge Frau wird tot am Steuer ihres Autos aus der Havel geborgen. Hauptkommissar Toni Sanftleben und sein Team müssen die Frage klären, ob es Suizid, Unfall oder gar Mord war…
Die Tote (Melanie Berndt, 34 Jahre jung) war Biologin und setzte sich sehr für den Naturschutz ein. Gleichzeitig gehörte sie zu den hochsensiblen Menschen und ertrug schlecht Licht und (laute) Geräusche. Deshalb erscheint es logisch, dass sie sich in die Einsamkeit zurückgezogen hatte und als Hobby nachts Sterne beobachtete. Aber Melanie war auch Mutter ihrer 5-jährigen Tochter Josefine, die beim Vater lebt. Um Josefine geht es auch in einem strittigen Sorgerechts- und Umgangsverfahren. Melanies Mann hat bisher nicht akzeptiert, dass Melanie sich von ihm trennen möchte und benutzt die gemeinsame Tochter gewissermaßen als „Faustpfand“, damit Melanie in den Familienhaushalt zurückkehrt.
Wir erfahren als Leser*innen viel über Melanie, da der Autor geschickt Kapitel einschiebt, in denen wir einiges aus der Sicht von Melanie erfahren - dadurch sind wir dem ermittelnden Team immer ein Stück voraus… So etwas liebe ich ja!
Toni und sein Team – wie immer - Gesa und Phong ermitteln offen in alle Richtungen – je tiefer sie einsteigen, desto mehr Verdächtige finden sie – und der Autor schafft es brillant, uns in die Ermittlungen einzubeziehen, so dass auch wir die Motive und Möglichkeiten der Verdächtigen von allen Seiten beleuchten…Es gibt immer wieder neue Wendungen und Überraschungen, ich gestehe, dass mich Herr Pieper geschickt auf eine falsche Spur gelenkt hatte… Bis unmittelbar vor dem Ende ist immer noch nicht geklärt: Suizid, Unfall oder Mord, wenn ja, durch wen? Aber dann: ein fulminantes Finale – und alle Puzzlestücke ploppen wie von selbst zusammen!
Aber ich war auch beeindruckt davon, dass Tim Pieper in einem Krimi Themen wie Hochsensibilität, Stalking, strittige Scheidungen und Umgangsrecht einfließen lässt – und das in einer sehr sensiblen und respektvollen Art und Weise. Wir erfahren „nebenbei“ auch viel über Naturschutz und Renaturierung der Havel, bzw. Gewässer im Allgemeinen.
Mir hat das Buch ausgesprochen gut gefallen, es war wirklich bis zum Schluss spannend und ich konnte gut mitraten (ok, zwar falsch gelegen – hat aber Spaß gemacht!) und das Ende war logisch und gut durchdacht, deshalb kann ich das Buch nur wärmstens weiterempfehlen.
Was ich bisher nicht wusste: der Autor hat auch zwei historische Krimis geschrieben, mit denen werde ich mir die Zeit bis zum nächsten Havel-Krimi vertreiben…

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Veröffentlicht am 19.03.2021

Leipzig 1920: Inspektor Stainer ermittelt...

Abels Auferstehung
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Mit dem Buch „Abels Auferstehung“ von Thomas Ziebula habe ich Paul Stainer kennengelernt, es ist der 2. Band einer Reihe (1. Band: „Der rote Judas“), aber ich kam ohne große Schwierigkeiten in die Geschichte, ...

Mit dem Buch „Abels Auferstehung“ von Thomas Ziebula habe ich Paul Stainer kennengelernt, es ist der 2. Band einer Reihe (1. Band: „Der rote Judas“), aber ich kam ohne große Schwierigkeiten in die Geschichte, der Autor hat es perfekt verstanden, vorhergehende Ereignisse für uns „Neulinge“ verständlich in die Handlung einzuführen.
Leipzig 1920: die Spuren des 2. Weltkrieges sind immer noch deutlich zu merken, noch sind nicht alle Männer aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt – bei vielen weiß man noch nicht, ob man noch hoffen darf...
Die Journalistin Marlene ist eine von ihnen, sie wünscht inständig, dass ein Toter, der bei Basel aus dem Rhein gezogen wird, NICHT ihr Bruder ist – obwohl ein edles Zigarettenetui auf eine Leipziger Vergangenheit deutet. Aber ihr Bruder hat nie geraucht und auch sonst deutet nichts auf die Identität ihres Bruders. Sie beschließt, über den unbekannten Soldaten einen Artikel zu schreiben und beginnt mit den Recherchen...
Paul Stainer ist selbst vor drei Wochen aus der Gefangenschaft zurückgekehrt, er hat Glück gehabt, dass seine Krankenakte nicht zur Polizeidirektion geschickt wurde, denn „einen von Zitteranfällen, Panikattacken und Gedächtnisstörungen geplagten Kriegsneurotiker“ (S. 67) wäre nicht wieder eingestellt worden. Außerdem trauert er um seine Frau Edith, die gerade erschossen wurde.
Da lenkt ihn ein Mordfall von seiner Trauer und seinen Problemen ab: in einem Hotel wurde ein Maler aus Heidelberg erstochen aufgefunden. Schnell stellt sich heraus, dass der junge Mann in Leipzig studiert hat – und außerdem war er offensichtlich am Tag vorher bei einer Mensur verwundet worden (sehr informativ fand ich die Beschreibungen über Mensuren als Tradition bei schlagenden Studentenverbindungen!). In seinem Gepäck hat er ein Bild mit dem Titel „Rhein bei Basel“ - besteht ein Zusammenhang zwischen dem Toten in Basel und diesem Mord? Paul Stainer, sein junger Kommissarsanwärter Siegfried Junghans (sehr sympathisch, ich hoffe, der Junge wird es noch weit bringen!) und sein neuer Kollege Joseph Nürnberger (kennt sich in Spurensicherung gut aus) stehen immer wieder vor neuen Rätseln... Paul erinnert sich häufiger an einen Spruch von einem Abreißkalender, den er in der Wohnung seiner toten Frau gefunden hat: „Man sieht nur, was man weiß“ (Goethe) – dies zieht sich wie eine Art Mantra durch die Ermittlungen.
Mir hat ausgezeichnet gefallen, wie der Autor uns Leser*innen in das Leben in Leipzig zur damaligen Zeit mitnimmt und eintauchen lässt: immer wieder zeichnet er präzise auf, was die Menschen damals bewegt hat: die schlechte Versorgungslage, die Schwierigkeiten von Frauen, die jetzt ihre mühsam erkämpften und zum Überleben notwendigen Arbeitsplätze nun plötzlich wieder an die heimgekehrten Männer abgeben müssen, die politisch instabile Situation (Kommunisten und konservative Kaisertreue bekämpfen sich, bemerken aber nicht, dass sich noch größeres politisches Unheil anbahnt), der aufkommende Antisemitismus, der Stolz der Frauen auf das erkämpfte Frauenwahlrecht. Eine junge Nachtklubbesitzerin und die schon erwähnte Journalistin sind gute Beispiele für damalige emanzipierte Frauen.
Das Buch hat m.E. meine beiden Ansprüche an historische Krimis perfekt miteinander vereint: historisch gute (und sorgfältig recherchierte) Beschreibungen über Sorge und Nöte der Bevölkerung und einen spannenden Kriminalfall, bei dem ich lange Zeit vollkommen im Dunklen getappt bin. Die Lösung war (für mich) überraschend, aber logisch und nachvollziehbar – insgesamt ein wunderbares Leseerlebnis, dass ich sehr gern weiterempfehle.
Ich kann die Wartezeit bis zum 3. Band sehr gut mit dem „roten Judas“ überbrücken, dass schon lesebereit in meinem Bücherregal steht – für die anderen heißt es leider: warten...!
Leipzig 1920

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Veröffentlicht am 18.03.2021

Die Gefühle des Adam Riese aus Platteoog...

Die Erfindung der Sprache
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Nein, in Anja Baumheiers Roman „Die Erfindung der Sprache“ geht es nicht um Adam Ries (deutscher Rechenmeister, 15./16. Jahrhundert, lt. Wikipedia), sondern um Adam Riese, ein echter Ostfriese, der in ...

Nein, in Anja Baumheiers Roman „Die Erfindung der Sprache“ geht es nicht um Adam Ries (deutscher Rechenmeister, 15./16. Jahrhundert, lt. Wikipedia), sondern um Adam Riese, ein echter Ostfriese, der in der Gegenwart des Buches Doktor der Sprachtheorie und angewandten Sprechwissenschaft ist.
Anja Baumheier konnte mich schon mit ihrem Roman „Kastanienjahre“ begeistern und auch dieses Buch hat mir außerordentlich gut gefallen – wobei ich gestehen muss: es ist ein Buch, dass mich durch die „Magie der Sprache“ in seinen Bann gezogen hat, Die Autorin hat es geschafft, mit Worten und Bildern meisterhaft zu jonglieren, ich sah förmlich die Worte wie kleine Bälle durch die Luft fliegen – und sie hat sie alle perfekt aufgefangen! Ich habe mittlerweile so viele farbige Post-Its bei den m.E. besten Formulierungen geklebt, dass es schon bunt wirkt...
Das Buch spielt lange Zeit in zwei Zeitebenen, zum einen: der 32-jährige Adam, der als Dozent für Sprachwissenschaften an einer Berliner Universität arbeitet und sehr autistische Züge hat - menschliche Beziehungen kann er kaum eingehen, dafür liebt er die Zahl sieben, er schreibt mit Begeisterung Listen, am liebsten mit sieben Punkten, er besitzt nur graue Kleidung (oh nein, nicht einfach nur grau, sondern: einsteingrau, „schiefergrau, seidengrau, telegrau, zementgrau, staubgrau, aschgrau“- S.22). Er stürzt in das Abenteuer seines Lebens - besser wohl: er wird gestürzt – um seinen Vater zu suchen, der von der Insel Platteoog spurlos verschwand, als Adam 13 Jahre alt war. Seine Mutter, eine Radiomoderatorin, hat seitdem kein Wort mehr gesprochen. Nicht gerade hilfreich bei diesem Beruf! Es tauchen neue Erkenntnisse auf, dass sein Vater noch leben könnte, deshalb muss unverzüglich gehandelt werden…
In der zweiten Zeitschiene erfahren wir die Vorgeschichte von Adam: wie sich seine Großeltern Ubbo und Leska kennengelernt haben, wie deren heißgeliebte Tochter Oda auf Adams Vater Hubert Riese trifft, Adams Geburt und sein Heranwachsen auf Platteoog mit seinen ca. 200 Einwohnern – einige lernen wir näher kennen (und lieben): Bonna, die Polizistin, Alfried, der Herausgeber des „Platteooger Diekwieser“ (ein Wochenblatt) und Helge, der Inselarzt – und Martha, Adams Freundin seit Kleinkindertagen. Zola aus Göttingen, die Ähnlichkeit mit „Lisbeth Salander aus der Verfilmung von Stieg Larsson“ hat, unterstützt Adam bei den ersten Abschnitten seines Abenteuers oder besser: ohne sie hätte es wohl gar nicht erst stattgefunden…
Die Menschen sind alle sehr lebendig beschrieben, auch ihre kleinen „Macken“ werden liebe- und respektvoll dargestellt. Eigentlich möchte man sofort mit ihnen befreundet sein…
Ein heißer Tipp noch von mir: man sollte dieses Buch auch keinen Fall hungrig lesen: Großmutter Leska ist eine begnadete Köchin und Bäckerin, kaum ein Ereignis dieses Buches findet ohne Leskas Koch- und Backkunstwerke statt, z.B. nach Adams Geburt hatte Leska „eine neue Gastronomiekühltruhe gekauft und buk und kochte und weckte und fror ein, als gelte es, bis zu Adams Volljährigkeit Essensvorräte bereitzustellen.“ (S. 129) Und immer und überall hat sie eine Plastikdose dabei, gefüllt mit Köstlichkeiten!
Verheimlichen möchte ich aber auch nicht, dass ich ca. im dritten Viertel etwas „geschwächelt“ habe, die z.T. ausufernden Landschafts-, Wolken- und Situationsbeschreibungen – so schön ich sie fand – ermüdeten mich auf Dauer etwas, aber das ist wirklich Jammern auf sehr hohem Niveau, hier wäre vielleicht etwas weniger mehr gewesen… Aber das war im letzten Viertel wieder vergessen, da war ich auf das Ende gespannt! Und ich wurde positiv überrascht, mit dem Schluss hatte ich nicht gerechnet… Aber es war alles stimmig und so konnte ich das Buch sehr zufrieden zuklappen.
Ein hervorragender Roman, für den ich eine absolute Leseempfehlung aussprechen kann – und unbedingt möchte!

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