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Veröffentlicht am 13.07.2021

"Die Kinder aus Bullerbü" - ohne romantische Verklärung

Vom Ende eines Sommers
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„Einsamkeit war etwas, das alte Leute befiel, aber ich war jung und hatte meine Familie um mich, und so konnte es sie für mich nicht geben.“ (Pos. 159)

Die vierzehnjährige Edie, Farmerstochter im Suffolk ...

„Einsamkeit war etwas, das alte Leute befiel, aber ich war jung und hatte meine Familie um mich, und so konnte es sie für mich nicht geben.“ (Pos. 159)

Die vierzehnjährige Edie, Farmerstochter im Suffolk der 1930er Jahre, blickt einem typischen Sommer entgegen, einem Sommer, der in erster Linie bestimmt ist von Feldarbeit und körperlicher Anstrengung, vom Wetter und dem diesjährigen Getreidepreis – und von ihren Träumen. Eigentlich ist ihr weiterer Lebensweg vorgezeichnet, es ist der Weg aller Mädchen des ländlichen Milieus: heiraten, Kinder kriegen, auf der Farm ihres zukünftigen Mannes ein Leben führen wie ihre Mutter auf dem elterlichen Hof, ein ewiger Kreislauf von Aussaat und Ernte, Gedeih und Verderb. Doch Edie ist anders als die anderen Mädchen ihres Alters. Die Avancen, um nicht zu sagen Zudringlichkeiten des Nachbarsjungen sind ihr äußerst unangenehm, die Interessen ihrer Altersgenossinnen sind nicht die ihren, und überhaupt zieht sie die Gesellschaft von Büchern jederzeit der anderer Menschen vor.

Als unvermutet die Londoner Journalistin Constance FitzAllen in ihrem Dorf auftaucht, um über das Landleben zu schreiben, ist Edie sofort von der weltläufigen, eleganten jungen Frau, die so ganz anders ist als alle Frauen ihres Umfelds, angetan. Sie sieht in Constance ein Vorbild, dem sie nacheifern kann, einen Ersatz für ihre große Schwester, die sie seit deren Hochzeit kaum noch sieht, eine Freundin. Nach und nach gewinnt Constance nicht nur Edies Vertrauen, sondern auch das (fast) aller anderen Bewohner des Hofes, ja, des gesamten Dorfes. Sie mag vielleicht eine etwas zu romantische, realitätsverzerrte Vorstellung vom Leben auf dem Land haben, aber das ist ja nicht weiter schlimm – oder? Tatsächlich liegt Constance nicht nur die Dokumentation des Landlebens am Herzen, die Bewahrung althergebrachter Traditionen, der Schutz und die Lobpreisung regionaler Erzeugnisse. Vielmehr hat sie fatale politische Ideen im Gepäck, die sie um jeden Preis unters Volk bringen will – und die bei der von Weltwirtschaftskrise und Erstem Weltkrieg gebeutelten Landbevölkerung auf einen fruchtbaren Boden fallen.

„Vom Ende eines Sommers“ (aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence) ist ein inhaltlich und sprachlich fesselndes Porträt einer gesellschaftsumwälzenden Epoche und gleichzeitig eine zarte, sensible Zeichnung des Erwachsenwerdens. Es ist geradezu betörend, wie es Melissa Harrison gelingt, das atmosphärische Bild einer vergangenen, aus heutiger Sicht vielleicht sogar seraphischen Zeit heraufzubeschwören und sie mit dem Alltag und dem Seelenleben eines heranwachsenden Mädchens zu verquicken. Als hätte jemand bei den „Kindern von Bullerbü“ den romantisch-verklärten Schleier beiseite gezogen, präsentiert sich ein ebenso ungeschönter wie liebevoller Blick auf das entbehrungsreiche, harte Farmerleben und die sommerstrotzende, üppige Natur, eingebettet in eine spannungsreiche Zeit. Sehr, sehr lesenswert!

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Veröffentlicht am 16.02.2021

Ein perfekter Schmöker

Was der Fluss erzählt
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Es wird etwas passieren.
Diese Ahnung, nein, diese Erkenntnis beschlich sie schon einen Tag vor dem rätselhaften Ereignis, das sie für ein ganzes Jahr in Atem halten sollte. „Sie“ – das sind beispielsweise ...

Es wird etwas passieren.
Diese Ahnung, nein, diese Erkenntnis beschlich sie schon einen Tag vor dem rätselhaften Ereignis, das sie für ein ganzes Jahr in Atem halten sollte. „Sie“ – das sind beispielsweise Joe, der lungenschwache Wirt aus dem Swan, oder Robert Armstrong, der sich große Sorgen um seinen Ältesten macht, desgleichen die von vielen Ängsten geplagte, etwas schrullige Lily White sowie die um ihre verschwundene Tochter trauernde Helena Vaughn. Sie alle – und noch viele Personen mehr – werden von einem mysteriösen Besuch im Swan erschüttert: Da steht doch eines Winternachts Ende des 19. Jahrhunderts ein fremder Mann auf der Schwelle des Gasthauses, blutüberströmt und ein lebloses Kind in den Armen. Die eilig herbeigerufene patente Krankenschwester kann zwar seine Wunden versorgen, für das kleine Mädchen scheint indes jede Hilfe zu spät zu kommen. Kein Puls. Kein Atem. Das Kind ist tot … zumindest denken das alle Anwesenden, bis – ja, bis die Kleine sich plötzlich zu regen beginnt. Sie ist scheu, sie spricht nicht, aber sie ist zweifellos lebendig! Doch wer ist das mysteriöse Mädchen? Robert Armstrong ist sich sicher: seine ihm bis dato unbekannte Enkelin, die kurz zuvor am Fluss zum letzten Mal gesehen wurde. Helena Vaughn ist sich sicher: ihre vor zwei Jahren verschwundene Tochter, die aus ihrem herrschaftlichen Haus am Fluss entführt worden ist. Lily White ist sich sicher: ihre kleine Schwester, die vor fast vierzig Jahren ebenfalls am Fluss verschwand … wer auch immer die Kleine ist, eines scheint festzustehen: „Der Fluss holte wieder Luft und beim nächsten Mal atmete er ein Kind aus.“ (S. 129)

Eine zugleich betörende und beängstigende Flusslandschaft, ein rätselhaftes Kind, viele teils undurchsichtige Interessen und noch mehr Gefühle: „Was der Fluss erzählt“ (aus dem Englischen von Anke und Eberhard Kreutzer) ist ein rundum gelungener Schmöker – ja, ich bemühe ganz bewusst dieses etwas angestaubte Wort für eine fesselnde, unterhaltsame, lebendige Lektüre, die ihren Leserinnen nicht zu viel abverlangt und sie gleichzeitig gekonnt in eine andere Welt, eine andere Wirklichkeit entführt. Die Erzählung fließt dahin wie der titelgebende Fluss, windet sich in Biegungen, hält kleine, tückische Strudel bereit und trägt ihre Leserinnen sanft schaukelnd mit sich, einer ungewissen Mündung entgegen.

Wer der derzeit vielfach doch recht deprimierenden Realität für eine Romanlänge entfliehen will, ist mit diesem Buch bestens bedient – es ist der perfekte Begleiter für ein Wochenende, an dem man den Alltag vergessen will und sich mit Wolldecke und Tee wohlig auf der Couch einmummelt!

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Veröffentlicht am 17.12.2020

eine gruselig realitätsnahe Dystopie

Die F*ck-it-Liste
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Nein, bei Frank Brill läuft es alles andere als gut: Der Ruhestand bekommt dem ehemaligen Zeitungsredakteur nicht im Geringsten. Von zwei seiner Ehefrauen ist er geschieden, die dritte ist tot, und seine ...

Nein, bei Frank Brill läuft es alles andere als gut: Der Ruhestand bekommt dem ehemaligen Zeitungsredakteur nicht im Geringsten. Von zwei seiner Ehefrauen ist er geschieden, die dritte ist tot, und seine beiden Kinder hat er auch verloren. Überdies erhält er die niederschmetternde Diagnose, er habe Krebs im Endstadium. Was nun? Nach jedem Strohhalm greifen, alle medizinischen Möglichkeiten ausnutzen, um sein Leben so lange wie möglich zu verlängern? Verzweifeln, resignieren und gar nichts tun? Frank entscheidet sich für eine dritte Option: Er erstellt eine „Fck-it-Liste“ mit alle jenen, die er direkt oder indirekt für sein desaströses Leben verantwortlich macht. Und diese fünf Personen wird er nun aufsuchen, eine nach der anderen, und Rache üben.
Frank macht sich auf zu einem todbringenden Roadtrip quer durch die USA – und die Schilderungen dieser Nation sind es, die aus meiner Sicht den größten, eigentlichen Reiz dieses Romans ausmachen. Wir befinden uns nämlich in sehr naher Zukunft; Donald Trump hat zwei Amtszeiten hinter sich gebracht (und blickt dankt seiner vierten Gattin, der achtundzwanzigjährigen Chrystal neuen Vaterfreuden entgegen), nun regiert Ivanka als neue Präsidentin, die von ihrem Vater bereits rechtzeitig als Madam Vice President installiert wurde, um dann nahtlos die Regentschaft zu übernehmen. Fast unnötig zu erwähnen, dass eine ihrer ersten Amtshandlungen in einer Generalamnestie für ihren Dad bestand. Jetzt ist sie nicht nur Präsidentin, sondern auch eine geschäftstüchtige Modedesignerin, deren Entwürfe problemlos über die Website des Weißen Hauses bezogen werden können. Die Polizeigewalt kennt kaum noch Grenzen, der Rassismus grassiert noch arger und die NRA sorgt für ihre Bürger
innen, indem Waffen noch leichter zu besorgen sind als jemals zuvor. Dabei wird er unwissentlich von dem stiernackigen Polizisten Chops verfolgt, der zwar ein ausgemachter Hinterwäldler ist, aber einer mit Prinzipien. Und dazu gehört, Frank zu fassen. Um jeden Preis.

Laut Klappentext ist der Roman „einerseits politische Satire, andererseits ein gnadenloser Thriller“, beide Genres sind zweifellos nicht von der Hand zu weisen. Und doch greifen sie für mich zu kurz, denn „Die F*ck-it-Liste“ ist weit mehr als das. Das Buch schildert gleichzeitig eine Art Dystopie, der allerdings das „Puh, wie gut, dass es in Wirklichkeit anders ist“-Erleichterungsmoment fehlt. John Niven schildert sprachlich gewohnt spitz, klug und süffisant (aus dem Englischen von Stephan Glietsch) ein Amerika, das zwar in einer dystopischen Zukunft liegt, das andererseits aber nur allzu nah an dem ist, was alles hätte kommen können (und was noch längst nicht überwunden ist). Mich überlief während der Lektüre so manches Mal eine Gänsehaut und nur allzu oft blieb mir das ironische Lachen im Hals stecken. Trotzdem oder gerade deswegen eine sehr lohnenswerte Lektüre!

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Veröffentlicht am 19.11.2020

Spannende Unterhaltung

Ohne Schuld
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Wenn es um solide und spannende Unterhaltung geht, ist Charlotte Link für mich immer eine sichere Wahl. Ihr neuester Roman bildet da keine Ausnahme. „Ohne Schuld“ ist – nach „Die Betrogene“ und „Die Suche“ ...

Wenn es um solide und spannende Unterhaltung geht, ist Charlotte Link für mich immer eine sichere Wahl. Ihr neuester Roman bildet da keine Ausnahme. „Ohne Schuld“ ist – nach „Die Betrogene“ und „Die Suche“ – der nunmehr dritte Band mit der verschlossenen Detective Sergeant Kate Linville und dem zerrissenen DCI Caleb Hale.

Kate hat Scotland Yard und London den Rücken gekehrt, um künftig mit Caleb als neuem Chef in Scarborough zu arbeiten. Doch ihr Start gestaltet sich gänzlich anders als geplant. Auf einer Zugfahrt wird Kate unvermittelt Zeugin eines Anschlags auf eine Mitreisende: Ein junger Mann schießt auf die unscheinbare Frau – gezielt und ohne jeden Zweifel mit der Absicht, sie zu töten. Kate kann die Frau retten, der Täter entkommt indes. Nur wenig später wird ein weiterer Anschlag auf eine äußerst beliebte junge Lehrerin verübt. Sie steht in keinerlei Verbindung zu der Frau aus dem Zug, doch die Waffe, mit der auf sie geschossen wird, ist dieselbe … der Täter auch? Kates nahezu untrüglicher Instinkt ist geweckt und sie beginnt zu ermitteln – wenngleich unter gänzlich anderen Umständen, als sie dachte.

Ein lange zurückliegendes Verbrechen, das plötzlich an die Oberfläche drängt: Charlotte Link versteht es auch in diesem Roman vortrefflich, zwei Zeitebenen miteinander zu verweben und langsam eine Tragödie zu entrollen, deren gesamtes Ausmaß sich erst zum Ende hin offenbart. „Ohne Schuld“ ist ein Kriminalroman, an dem nicht nur eingefleischte Charlotte-Link-Fans ihre Freude haben dürften.

Auch wenn es sich bereits um den dritten Band der Kate-Linville-Romane handelt, ist das Buch auch ohne Kenntnisse der vorherigen Ereignisse sehr gut lesbar. Es wird zwar gelegentlich Rekurs auf die Vergangenheit genommen, allerdings nur sehr punktuell und ohne jeden Spoiler.

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Veröffentlicht am 05.11.2020

Eindringlich erzählt und beklemmend, aber mit gelegentlichen Längen. Triggerwarung!

Meine dunkle Vanessa
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Vanessa ist gerade fünfzehn, als ihr Englischlehrer ein gesteigertes – um nicht zu sagen: ungesundes – Interesse an ihr entwickelt. Anfänglich ist das einsame Mädchen geschmeichelt, ja, geradezu betört ...

Vanessa ist gerade fünfzehn, als ihr Englischlehrer ein gesteigertes – um nicht zu sagen: ungesundes – Interesse an ihr entwickelt. Anfänglich ist das einsame Mädchen geschmeichelt, ja, geradezu betört von der Aufmerksamkeit, die Jacob Strane ihr entgegenbringt. Das hübsche Mädchen, das viel liest und Gedichte schreibt, hat als einzige Stipendiatin keinen leichten Stand an ihrer exklusiven Privatschule, und seit sie sich mit ihrer einzigen Freundin entzweit hat, ist sie noch einsamer. Jacob gibt ihr das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. „Liebeleien zwischen Lehrern und Schülerinnen“ kämen an der Browick School durchaus vor, beteuert er, er selbst sei aber – selbstverständlich – in dieser Hinsicht „ein unbeschriebenes Blatt“. Und ebenso selbstverständlich ist es nicht Vanessas Jugend, die ihn anzieht, bewahre! Auch zwanzig Jahre später ist Vanessa sich sicher: „Was er vor allem liebte, war mein Verstand.“ Ihre phänomenale „emotionale Intelligenz“. Sie sei seine „Seelenverwandte“ – was für ein Pech für ihn, dass sie erst fünfzehn ist!

Von der vermeintlichen Bewunderung und der Vanessa so wohltuenden Aufmerksamkeit ist es nur noch ein winziger Schritt bis zur ersten sexuellen Handlung. Ein Übergriff, eine Vergewaltigung, der noch weitere folgen sollen. Doch Vanessa kommt nicht von ihm los: Welche Folgen hätte es, wenn sie sein Verhalten anzeigte? Und ist es überhaupt eine Anzeige wert, wenn sie doch, wie sie nicht müde wird, sich einzureden, „freiwillig“ mitmacht? Wenn es doch eindeutig Liebe sein muss, die sie und Jacob verbindet?
Zwanzig Jahre später steht Vanessa noch immer mit ihrem Lehrer in Kontakt. Und auch wenn ihr gelegentlich der Gedanke kommt, dass das, was sich zwischen ihrem Lehrer und ihr abgespielt hat, Missbrauch war, kann sie dieser Tatsache nicht ins Gesicht blicken – und das nicht, wie ihr bewusstwird, um Strane zu schützen, sondern auch sich selbst:
„Denn obwohl ich mitunter den Begriff ‚Missbrauch‘ verwende, um gewisse Dinge zu beschreiben, die mit mir angestellt wurden, nimmt das Wort, wenn es ein anderer ausspricht, einen so hässlichen, absoluten Klang an. Es schluckt alles, was geschehen ist. Schluckt mich und die vielen Gelegenheiten, als ich es selbst wollte, darum gebettelt habe.“ (S. 67 f.)
Zwanzig Jahre später steckt sie noch immer fest in den teils verschwommenen Erinnerungen an ihre Zeit als Fünfzehnjährige, ist verhaftet in ihrem tiefen inneren Widerstand gegen die Vorstellung, vergewaltigt worden zu sein, denn:

„Ich bin kein Opfer, weil ich das nie sein wollte, und wenn ich es nicht sein will, dann bin ich es auch nicht. So einfach ist das. Was eine Vergewaltigung von Sex unterscheidet, ist der eigene Bewusstseinszustand. Wer es selbst will, kann nicht vergewaltigt werden, oder?“ (S. 325, Hervorhebung im Original)
Doch jetzt, zwanzig Jahre später, haben sich die äußeren Umstände geändert: Jacob Strane wurde von einer ehemaligen Schülerin angezeigt, ihr sexuelle Gewalt angetan zu haben. Die Story schlägt hohe Wellen, geht durch alle Medien. Und langsam, sehr langsam, beginnt Vanessa zu erkennen, dass sie sich diesem düsteren, ihr gesamtes weiteres Leben überschattenden Erlebnis zu stellen.

„Meine dunkle Vanessa“ von Kate Elizabeth Russell (aus dem Englischen von Ulrike Thiesmeyer) ist ein eindringlich erzählter Roman, dessen Protagonistin und Ich-Erzählerin ebenso plastisch wie drastisch ihre Geschichte erzählt. Es ist eine Geschichte sexueller Gewalt und psychischer Abhängigkeit – und gleichzeitig eine Geschichte innerer Widerstände und widersprüchlicher Gefühle, sich diesen erschütternden Erfahrungen zu stellen. Wie strategisch und perfide Jacob Strane vorgeht, um Vanessa gefügig zu machen und an sich zu binden, wie geschmeichelt das junge Mädchen anfänglich – und fatalerweise trotz ihres Unbehagens, Widerwillens und Ekels auch weiterhin – von seiner Aufmerksamkeit und dem eigenen vermeintlichen Sonderstatus ist, ist fulminant erzählt und erschütternd zu lesen.

Mein einziger Kritikpunkt ist, dass einige Aspekte etwas zu sehr ausgestaltet werden: dass Vanessa als Erwachsene ihr Leben nicht wirklich in den Griff bekommt, dass sie unfähig ist, längerfristige Bindungen einzugehen, dass sie ihr Talent vergeudet, dass sie zögert und hadert, ob auch sie ihre Erfahrungen öffentlich machen soll – all das hätte für meinen persönlichen Geschmack durchaus etwas straffer erzählt werden dürfen. Doch diese gelegentlichen Längen tun der Eindringlichkeit des Erzählten keinen Abbruch. Deshalb gibt es von mir eine klare Leseempfehlung, allerdings mit ausdrücklicher Triggerwarnung.

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