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Veröffentlicht am 15.08.2021

Der Trauer Raum geben

Niemehrzeit
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Beinahe ein Jahr nach dem Tod seiner Eltern, die im Abstand von nur wenigen Monaten gestorben sind, beginnt Christian Dittloff mit der Arbeit an dem hier zu besprechenden Buch. Er beschreibt sein Trauerjahr ...

Beinahe ein Jahr nach dem Tod seiner Eltern, die im Abstand von nur wenigen Monaten gestorben sind, beginnt Christian Dittloff mit der Arbeit an dem hier zu besprechenden Buch. Er beschreibt sein Trauerjahr also im Rückblick, wobei man aber stets den Eindruck hat, er schriebe unmittelbar, genau während jener Zeit, in der er mit dem Verlust seiner Eltern konfrontiert wird, in der sein Leben aus dem Gleichgewicht gerät und er darum bemüht ist, seiner vielfältigen, auf ihn einstürzenden, Gefühle Herr zu werden. Die zeitliche Distanz zwischen der Niederschrift und dem Erleben und Verarbeiten der beiden so gravierenden Ereignisse in seinem Leben ist kaum zu spüren – und doch ist sie da! Muss da sein, denn Worte dieser Art findet man im Aufruhr und der Konfusion all der starken, wenn auch zum Teil nicht greif- und benennbaren Gefühle nicht, die kommen einem erst später, wenn man wieder rationaler Gedanken fähig ist. Die Trauer hatte bereits ihre Zeit, sie konnte – und musste! - gelebt, überwunden und allmählich umgewandelt werden, ohne freilich ganz zu verschwinden. Noch nicht, vielleicht nie. Zeit heilt alle Wunden? Ich bezweifle das. Es gibt Wunden, die heilen nie, selbst wenn der Schmerz im Laufe der Zeit nachlässt und es schließlich ermöglicht, mit ihm umzugehen, ihn in den Alltag zu integrieren, der sich auch nach den tiefgreifendsten Einschnitten in unserem Leben so unweigerlich wie tröstlich wieder einstellt, vielleicht in veränderter Form, vielleicht bewusster erlebt, bereichert durch den durchlittenen Schmerz über den Verlust und das, dessen man sich während der Trauerarbeit klar geworden ist.
Und genau diese letztere, um auf „Niemehrzeit“ zurückzukommen, teilt der Autor in mich überraschender Offenheit und in jeweils sehr detaillierten Momentaufnahmen mit seinen Lesern! Von dem Moment an, als nach der Nachricht vom Tode seines Vaters sein bisheriges Leben aus den Fugen gerät, über den nicht erwarteten rasch folgenden Tod seiner Mutter bis hin zur Auflösung des elterlichen Haushaltes in Hamburg. Nach außen geht das Leben in gewohntem Tempo weiter, kaum Raum lassend, um sich innerlich zu sortieren, seine Trauer herauszuschreien, seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Da der Autor das einzige Kind seiner Eltern ist, ist es an ihm, die Beerdigungen zu organisieren und die ihm enorm lästigen, in unserer Gesellschaft aber unerlässlichen zahlreichen Anrufe mit Behörden zu tätigen, sich, was er erst einmal hinausschiebt, darüberhinaus um die persönlichen Besitztümer seiner Eltern zu kümmern. Gleichzeitig wird ihm zunehmend bewusst, wie wenig er im Grunde über seine Eltern und seine Wurzeln weiß, zumal gerade die Mutter, eine sehr eigene und eigenwillige Person, nur ungern über ihre eigene Kindheit und Familie gesprochen hatte. Dies war offensichtlich zu Lebzeiten der Eltern nie ein Problem für Christian Dittloff, wurde es aber mit ihrem Ableben, denn nun ist es unwiderruflich zu spät, ihnen Fragen zu stellen, so wie es zu spät ist, Zeit mit ihnen zu verbringen, Zeit, die man durchaus gehabt hätte – wenn man seine Prioritäten anders gesetzt hätte.
Vielen dürften Schuldgefühle dieser Art nicht unbekannt sein, der Autor aber spricht sie aus, stellvertreten sozusagen, ehrlich, ohne zu beschönigen. Und Szenen wie diese sind bezeichnend für das gesamte Buch; gerade denjenigen unter den Lesern, die bereits mit dem Tod eines nahen Angehörigen konfrontiert waren, werden sie sehr vertraut sein, genauso, wie sie das Auf und Ab der Gefühle, über die Dittloff schreibt, nur zu gut kennen werden.
Dennoch, und dies betont der Autor nicht nur einmal, jeder erlebt Trauer anders, geht anders damit um, ist letztend allein damit, mit seiner Untröstlichkeit – so empathisch ihm die Menschen aus seinem Umfeld auch begegnen mögen. Genauso wie der Betroffene den Weg aus der Trauer, so lange sie auch dauert – und da gibt es keine vorgeschriebene zeitliche Limitierung -, alleine gehen, seine eigenen Mechanismen finden muss. Der Autor fand Trost im Lesen und danach im Niederschreiben all dessen, was ihn bewegte in dem Jahr, das dem Tod seiner Eltern folgte, aber da er der schreibenden Zunft angehört, also ein Mann der Worte, sowieso ein Leser ist, war das sein persönlicher Weg, kann kein Allheilmittel sein. So wie „Niemehrzeit“ unverwechselbar und nicht übertragbar sein persönliches Buch ist - und es dabei auch um seine ganz persönliche Annäherung an seine Eltern geht, die er sozusagen posthum neu kennenlernt -, keineswegs ein allgemeingültiger Ratgeber und meiner Meinung nach auch kein Trostbuch für all diejenigen, die gerade den Tod eines ihnen Nahestehenden betrauern. Und da ich selbst zu dieser Gruppe gehöre, würde ich gerade für sie Christian Dittloffs unzweifelhaft hervorragend geschriebenes, berührendes, aufrichtiges und sehr intensives Buch erst nach einem gewissen zeitlichen Abstand empfehlen, nämlich erst dann, wenn die eigene, ganz und gar individuelle Trauerarbeit bereits weitgehend bewältigt wurde – so lange sie eben dauert!

Veröffentlicht am 08.08.2021

Angriff auf die Demokratie

Die letzte Wahl
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Was wäre wenn...? Wenn die Rechtspopulisten – die fiktiven im Buch und diejenigen, die sich allenthalben in immer größerer Zahl tummeln – tatsächlich die Macht im Staat übernähmen, könnte man ein völlig ...

Was wäre wenn...? Wenn die Rechtspopulisten – die fiktiven im Buch und diejenigen, die sich allenthalben in immer größerer Zahl tummeln – tatsächlich die Macht im Staat übernähmen, könnte man ein völlig verändertes Land vorfinden, über Nacht, eines, vor dem und in dem man Angst haben muss und das fatal an eine längst vergangen geglaubte Zeit erinnern könnte, der jeder demokratisch gesinnte Bürger ein 'nie wieder' entgegenschreien müsste! Zumal wenn, wie hier in dem nicht nur hervorragend geschriebenen (man spürt, dass der Autor sein Handwerk versteht!) sondern auch sehr spannenden, sehr realistischen Thriller, bereits Pläne vorliegen für die Zeit nach der Machtübernahme, Pläne, die unter anderem die Aushebelung des Grundgesetzes mit all ihren verhängnisvollen Folgen vorsehen und es zudem genügend gewissenlose Erfüllungsgehilfen gibt, die die angedachten, nein, in der Tat minutiös ausgearbeiteten, Vorhaben in die Tat umsetzen und deren Instrument die Gewalt ist.
Der Protagonist des an dieser Stelle zu besprechenden Thrillers, der Journalist Nicholas Moor, der nach einem verhängnisvollen, in seiner Branche einem beruflichen Selbstmord gleichkommenden Fehler wenige Jahre zuvor, für den er freilich nicht allein die volle Verantwortung trägt, um sein Überleben in der schreibenden Zunft kämpft, blickt durch Zufall hinter die vaterländisch-besorgte Fassade der fiktiven Volkspartei, deren Spitzenkandidat Hartwig sich gerade auf die Zeit nach dem sicher geglaubten Sieg bei den anstehenden Bundestagswahlen vorbereitet. Alarmiert macht sich der Reporter mit dem aus den Fugen geratenen Leben daran, die ungeheuerlichen Pläne der Rechtspopulisten an die Öffentlichkeit zu bringen, womit er allerdings gegen alle nur denkbaren Mauern rennt. Die VP hat ihre langen Krakenarme überall, ihre Sympathisanten finden sich bis hinein in die höchsten Entscheidungsebenen. Nicholas kämpft alleine, ein Einzelgänger sowieso; nach dem im Roman näher geschilderten Debakel haben ihn auch die wenigen Freunde verlassen – alle bis auf den liebenswerten (und es gibt hier eine verschwindend geringe Zahl von integren und sympathischen Figuren) Computerexperten Lucas, mit dessen Hilfe und umfassendem technischen Wissen sich sein Verdacht nicht nur erhärtet, sondern gar weitere Erkenntnisse aus dem Verborgenen geholt werden, die selbst seine misstrauische Vorstellungskraft übertreffen. Nicholas kennt von nun an nur ein Ziel: die Volkspartei muss aufgehalten werden! Sofort und mit allen ihm zur Verfügung stehenden legalen, genauso wie weniger legalen Mitteln...
Zivilcourage! Die besitzt der, wie es den Anschein hat, gegen die ganze Welt kämpfende Nicholas ohne Frage. Dazu noch eine gehörige Portion Verzweiflung, denn zu verlieren hat er nichts mehr. So sehr sein Mut und seine Entschlossenheit, die Volkspartei zu entlarven und an der Übernahme der anvisierten Macht zu hindern, auch zu bewundern ist, so wenig glaubhaft escheinen seine Bemühungen, wird denn sein Agieren immer surrealer und verbissener, zumal er vom Autor als gebrochener Charakter angelegt wurde, der sich gerade so mit Mühe auf den Beinen hält infolge seines hohen Tabletten- und Alkoholkonsums. Dennoch schickt man ihn auf eine atemberaubende Jagd durch Berlin, lässt ihn auf der Flucht vor seinen Verfolgern und deren mörderischer Drohne rennen, stürzen, sich verletzen und doch immer weiterrennen. Das ist selbst für einen fitten Marathonläufer zu viel – und macht die Figur des zu allem entschlossenen Reporters unglaubwürdig.
Ich betrachte Nicholas, den Helden – oder am Ende, das viel zu schnell kam, so als wäre dem Autor die Puste ausgegangen, doch nicht? -, als Schwachpunkt in einer ansonsten, ich bekräftige es noch einmal, enorm fesselnden, mich durchweg in Atem haltenden Geschichte. Ein Thriller – und das alleine ist schon ungewöhnlich! -, der zum Nachdenken einlädt, nicht nur in einer Hinsicht. Beängstigend realistisch ist das, was ich gelesen habe! Wer Ohren hat zu hören, wer Augen hat zu sehen und ein Hirn zu denken – um den Evangelisten Markus ein wenig abzuwandeln -, dem müsste doch sonnenklar sein, was der Negativprotagonist und Kanzlerkandidat der Volkspartei, Hartwig, da im Sinne hat. Er steht für mich stellvertretend für all die so aggressiv-betroffen auftretenden Vertreter eines erträumten Nationalstaates. Ich weigere mich zu glauben, dass die große Masse einfach nur dumm ist. Aber die Alternative, dass man also schon wieder von der völkisch-braunen Gesinnung gepackt wurde, ist noch schlimmer. Und wird dennoch immer wieder vom Zeitgeschehen bestätigt.
Klar, der Thriller ist Fiktion, doch bleibt er an der Realität, denn das, was der Autor thematisiert, ist denkbar, vorstellbar, durchaus realisierbar mit jemand Charismatischem an der Spitze und hinter ihm eine Rotte skrupelloser Verbrecher, unter dem Deckmäntelchen des ehrlich besorgten Gerechtigkeitsbürger. Schön vernetzt und mit den dreckigen Händen in allen möglichen verbrecherischen Geschäften, dazu mit mächtigen Hintermännern (wie hier in der Geschichte) und mit dem notwendigen Schnickschnack ausgestattet und darin versiert. Auch eine nicht doofe Masse ist manipulierbar, kann irregeleitet, kann verhetzt werden, wenn man ihr nur lange und nachdrücklich genug suggeriert, was gut für sie ist und was im Lande nicht gut läuft, aber gut laufen könnte. Etcetera, etcetera... Die Mechanismen sind nicht neu, jeder Diktator bedient sich ihrer! Und heute dank der sozialen Medien und derem gedankenlosen Ge- und vielfachen Missbrauch leichter denn je. Auch das kommt zum Ausdruck in dem Roman, dem ich im Übrigen viele kritische, wache, reflektierende Leser wünsche. Wahlen werden künftighin über die sozialen Medien gewonnen, in deren Abhängigkeit sich so viele Menschen willentlich begeben, nicht bedenkend, nicht sehend oder auch nicht sehen wollend, dass diese Art von Abhängigkeit derjenigen gleich ist, die von Despoten und Diktatoren eingefordert wird!

Veröffentlicht am 29.07.2021

Menke ermittelt in Zweibrücken

Wenn nichts ist, wie es scheint
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Einen abscheulichen Fall soll Detlef Menke, Winzersohn, Porschefahrer und Privatdetektiv aus Bad Dürkheim, da aufklären: in Zweibrücken hat es jemand auf Hunde abgesehen, vergiftet Fleischbällchen oder ...

Einen abscheulichen Fall soll Detlef Menke, Winzersohn, Porschefahrer und Privatdetektiv aus Bad Dürkheim, da aufklären: in Zweibrücken hat es jemand auf Hunde abgesehen, vergiftet Fleischbällchen oder spickt sie mit Nägeln, Scherben und Rasierklingen und legt sie in den Grünflächen des Stadtzentrums aus, just der Gegend, die bei den Vierbeinern und ihren Herrchen beliebt ist! Welche fatalen Folgen das für die Tiere hat, kann man sich denken....
Im Mittelpunkt des Geschehens steht, wie man bald feststellen kann, die Tierärztin Hella, die nicht nur alle Hände voll damit zu tun hat, den Hunden, die einen solchen perfiden Köder gefressen haben, zu helfen – was ihr zumeist nicht gelingt -, sondern auch einen ihrer beiden eigenen Hunde nicht hatte retten können. Zufällig kennt sie Menke aus gemeinsamen Schulzeiten und fordert seine Hilfe an, die er ihr umgehend gewährt, zumal seine Freundin Tabea, ihres Zeichens Kommissarin bei der Bad Dürkheimer Polizei, sich soeben, genervt von Menkes Besitzansprüchen und seinem Drängen nach Heirat und Familie, eine Auszeit genommen hat. Ablenkung tut Not! Glücklicherweise hat Menkes Spürsinn unter der zunächst vorläufigen Trennung nicht merklich gelitten, denn bald schon nimmt er Witterung auf. Auf den üblichen Umwegen und mit einigen unangenehmen Zwischenfällen freilich, und diesmal nicht wie gewohnt mit der Hilfe seines Freundes, dem eigenwilligen Dackel Alli, der nur noch Augen für Hellas Wolfshund Elfi hat, sondern ziemlich auf sich allein gestellt – wiewohl beide Hunde trotz aller amüsanten Intermezzos, schließlich doch noch eine Rolle spielen sollen bei der letztendlichen Aufklärung eines höchst eigenartigen Falles, „bei dem nichts ist, wie es scheint“, wie schon der Titel des neuen Menke Abenteuers andeutet (den man allerdings auch noch auf eine andere Art interpretieren kann!), das sich auf eine unerwartete Weise entwickelt und am Ende durchaus die eine oder andere Frage, die sich während der Lektüre des Romans auftut, unbeantwortet lässt.
Viel geschieht in dem Krimi, an allen Ecken tut sich etwas, von dem man nicht sicher sein kann, ob es für den zu lösenden Fall relevant ist; die Ereignisse überrollen einander und den Leser, der die Geschichte aus mehreren Perspektiven serviert bekommt und so immer dem wackeren Privatdetektiv mit der so unglückseligen wie komischen Neigung zu den absurdesten Unfällen ein ganzes Stück voraus ist. Mal erzählt Menke auf seine unnachahmliche salopp-fatalistische Art, mal lässt die Autorin die Leser das Geschehen aus der Sicht des Unholdes verfolgen, dem, und das wird bereits frühzeitig klar, weiß Gott nicht nur eine Latte am Zaun fehlt, dann wiederum erhält man eine eher neutrale Berichterstattung über die Entwicklung des Geschehens an sich und den Fortgang der polizeilichen Ermittlung. Und zwischendurch menschelt es gewaltig!
Eine recht interessante Art der Erzählung, wie ich finde; sehr abwechslungsreich, nie auf der Stelle tretend, unterhaltsam, mit Humor gewürzt – und das trotz des ernsten Themas, das dem Krimi zugrunde liegt, aber auf eine Art und Weise gehandhabt wird, die ich als angenehm dezent bezeichnen möchte, nimmt sie doch Abstand von zu detaillierten und daher für jeden Tierfreund schwer zu ertragenden Schilderungen des Leides, das die Opfer des schlimmen Menschen mit dem Dachschaden durchmachen müssen. Dessen Identität wird erst ganz am Ende klar – dem Leser genauso wie derjenigen, wegen der er seine Scheußlichkeiten, die sich beileibe nicht auf die Herstellung der tödlichen Köder beschränken, begangen hat. Und das Ende hat es in sich! Wiewohl die Geschichte für mein Empfinden dann doch zu abrupt endet – aber womöglich musste das so sein, denn das, was in dem Geistesgestörten vor sich geht und was ihm gänzlich den Verstand geraubt hat, würde sicherlich ein weiteres Buch füllen....
Darüberhinaus gibt es die gewohnten Einblicke in die Charaktere und die Entwicklung ihrer Beziehungen miteinander, wobei einzig Hella, die Tierärztin und diejenige, gegen die sich des Täters geballte Aggressionen richten, ein wenig farblos erscheint. Doch vielleicht wird man ihr ja wiederbegegnen, wenn die Veränderungen, die sich in Menkes Leben abzeichnen, realisiert werden? Ja, Menkes Leben erfährt, so viel darf verraten werden, eine überraschende Wendung, die der Leser, der ihn in den Vorgängerbänden kennenlernen und begleiten durfte, nicht unbedingt hat erwarten noch erhoffen können, die ihn aber gewiss befriedigen wird, denn trotz all seiner zahlreichen Eigentümlichkeiten ist „Deti“ ein rundum liebenswerter Bursche, von Grund auf gutherzig und ohne jeden Arg. So sehr man ihm wünscht, dass sein Leben in geordneten Bahnen verläuft – ein Deti ohne die üblichen Malheure, die das Salz in der Suppe der Krimis ist, als dessen Hauptakteur er fungiert, wäre zu viel des Guten! Man darf auf jeden Fall gespannt sein, was die Autorin wohl noch für ihn und alle die inzwischen liebgewonnenen Nebencharaktere, die sich um ihn herum tummeln, in petto hat....

Veröffentlicht am 23.07.2021

Rätselhafte Begegnungen auf Island

Nordlicht, Band 01
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Womit assoziiert man Island wohl als erstes? Eisiges Land im nördlichen Atlantik? Insel aus Feuer und Eis, mit vielen aktiven Vulkanen, Geysiren, heißen Quellen und überwältigenden Nordlichtern? Mit den ...

Womit assoziiert man Island wohl als erstes? Eisiges Land im nördlichen Atlantik? Insel aus Feuer und Eis, mit vielen aktiven Vulkanen, Geysiren, heißen Quellen und überwältigenden Nordlichtern? Mit den Islandponys, die man besser Islandpferde nennen sollte? Oder mit seinen zahlreichen Mythen, in denen Elfen, Trolle und Feen eine große Rolle spielen – so lebendig, wie eh und je? Die Autorin entführt ihre jungen Leserinnen (man darf davon ausgehen, dass vorwiegend Mädchen diese Art von Büchern lesen) ebenso wie diejenigen, die sich von Island und von Pferden angezogen fühlen, in ihrer „Nordlicht“ Trilogie, zu deren erstem Band ich mir hier ein paar Gedanken machen möchte, auf eben jene Insel ganz in der Nähe des Polarkreises – und an was auch immer man bei ihrer Erwähnung denkt, man findet es in diesem Roman!
Auch wenn man wenig weiß über Island kann man sich schon nach wenigen Seiten ein erstes Bild machen, zu dem immer weitere Facetten hinzukommen, je weiter man sich in der Geschichte fortbewegt. Dies dank gelungener Schilderungen, die manches Mal bloße Erwähnungen, gar nur Andeutungen sind, die aber ein Gefühl vermitteln für das, was Island ausmacht. Obschon man nur einen Bruchteil der kalten Insel kennenlernt, denn die Geschichte spielt eigentlich nur in und um Hafnarfjördur, nicht weit weg von der Hauptstadt Reykjavik, im „Nichts“, wie die Protagonistin Elin zu Anfang der Reise wider Willen überzeugt ist.
Sowieso ist sie überhaupt nicht begeistert von der Reise nach Island, die ihre Mutter gebucht hat – und das auch noch im Winter! Aber es war ein Schnäppchen und wie das bei solchen nun einmal nicht ausbleibt, ein Schnäppchen mit Haken, also mit einigen leeren Versprechungen. Zudem scheint Elins Mutter eine Vorliebe für die sagenumwobene Insel aus Feuer und Eis zu haben, hat sie doch ihrer einzigen Tochter einen isländischen Namen gegeben. Elin jedenfalls teilt die Begeisterung ihrer Mutter keineswegs; sie ist übler Laune und entschlossen, alles hier schlecht zu finden. Sie will shoppen, lange schlafen in ihren Ferien und mit ihren Freundinnen chatten. Stattdessen Sightseeing im Winter? All das tun, was Touristen so machen? Und dann noch dieses ständige Gerede über Elfen und Trolle! Da kann Elin ja nur lachen!
Und richtig bockig wird der anstrengende Teenager mit der schon arg strapazierten Jugendsprache, als ihr klar wird, dass die Mutter einen Plan hat, mit dem sie, Elin, gar nicht einverstanden ist! Sie hat nämlich hinter dem Rücken ihrer Tochter einen Reitausflug gebucht, wo sie doch genau weiß, dass Elin sich nach dem Tod ihres Pferdes Sahara nie wieder auf einen Pferderücken setzen wird....
Ja, Elin strapaziert mit ihrer schnoddrigen Zickigkeit nicht nur die Nerven der Mutter, sondern auch die meinen. Ein wenig sympathisches Mädchen, dachte ich mir, und nur allmählich habe ich meine Ansichten geändert. In Wirklichkeit ist diese meine Geduld auf die Probe stellende Elin nämlich ein Mädchen mit einer verwundeten Seele, tieftraurig, was sie hinter aufgesetzter Coolness zu verbergen sucht. Und sie ist jemand mit einer ganz eigentümlichen Beziehung zu Pferden; sie kann sich in sie hineinfühlen. Dieses besondere Band, dass nach dem Tod des eigenen Pferdes abgerissen war, weil sie selbst es durchschnitten hat, entdeckt sie nun langsam wieder auf Island – durch den rätselhaften Jungen Kari, der immer dann zur Stelle ist, wenn sie in Gefahr ist, und durch die Begegnung mit der kleinen Stute Ljosadis, der „Lichtfee“, deren Traurigkeit wegen ihres verlorenen Fohlens sie so spürt, als wäre es ihre eigene Trauer. Und instinktiv weiß Elin, dass nicht nur Ljosadis ihr helfen kann den Tod ihrer Sahara zu verarbeiten, sondern dass das Pferdchen seinerseits auch sie braucht, sie, Elin, und niemanden sonst. Das Pferd und das Mädchen gehören zusammen – und ihre Verbindung ist eine geheimnisvolle, ist etwas, das sie sich nicht erklären kann. Seitdem sie Ljosadis kennt, sieht sie immer wieder verstörende Bilder, hat beängstigende Träume, in denen Ljosadis und sie in Gefahr sind und in denen auch der Junge Kari eine Rolle spielt, von der der Leser auch am Ende des ersten Bandes der Trilogie nur ahnen kann, was es mit ihm auf sich hat. Und auch mit Jorunn, einer weisen alten Frau, einer Kräuterkundigen, die mehr zu wissen scheint, als sie preisgibt, und deren Rolle noch rätselhaft ist, von er man allerdings vermuten darf, dass sie im weiteren Verlauf der Geschichte von zentraler Bedeutung sein wird.
Noch aber hat man keine Antworten auf all die Fragen, die sich im Laufe der Geschichte auftun – und Elin genauso wenig! Für sie geht es nun vor allem darum, so schnell es geht zurückzufahren auf die unwirkliche Insel, Kari wiederzusehen und Ljosadis, dem Rätsel des verlorenen Fohlens auf die Spur zu kommen und dabei den Grund herauszufinden für die so ungeheuer starke Anziehung, die Island auf sie ausübt. Magie? Vorbestimmung? Zufall? Man wird sehen!

Veröffentlicht am 11.07.2021

Ein fürchterlicher Mitbewohner

Zottelkralle
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Kalli wünscht sich sehnsüchtig ein eigenes Haustier, was aber wegen der Tierhaarallergie des Vaters nicht möglich ist. Nicht recht einzusehen für den Jungen, denn sein Vater, von Beruf Reiseleiter, ist ...

Kalli wünscht sich sehnsüchtig ein eigenes Haustier, was aber wegen der Tierhaarallergie des Vaters nicht möglich ist. Nicht recht einzusehen für den Jungen, denn sein Vater, von Beruf Reiseleiter, ist sowieso nur selten zu Hause, Geschwister hat Kalli nicht, offensichtlich auch keine Freunde; da kann man schon verstehen, dass er gerne ein Tier hätte, am allerliebsten einen Hund, aber Kalli ist da nicht wählerisch – Hauptsache etwas Eigenes, zum Liebhaben und Getröstetwerden.
Und nur so ist zu erklären, warum er das stinkende, ungehobelte, mürrische und zerstörerische Erdmonster Zottelkralle, das er eines Morgens schnarchend neben sich im Bett vorfindet, nicht kurzerhand wieder dahin zurückschickt, woher es gekommen ist. Denn zum Liebhaben ist der Rüpel, der beschlossen hat, sich ein behaglicheres Zuhause zu suchen als seine Höhle unter Kallis Schuppen, nun wirklich nicht! Doch selbst wenn Kalli ernsthaft gewollt hätte, der haarige Zottelkralle mit seinen vier Armen ist einfach nicht loszuwerden! Bei Kalli gefällt es ihm, denn hier gibt es vor allem den Eisschrank für seinen unersättlichen Appetit, hier duftet es nach Seife, in die er ganz vernarrt ist und vor allem ist da die „Klimpermusik“, die ihn in Verzücken versetzt und die Kallis Mutter, eine Klavierlehrerin, produziert. Nein, er bleibt bei Kalli und basta! Zumal der Junge genau nach seiner Pfeife tanzt – und dafür mit noch mehr frechen Rüpeleien belohnt wird. Auch vor Kallis Eigentum hat er keinen Respekt. Er frisst es auf oder knabbert es doch wenigstens an...
Jetzt könnte man denken, dass im Laufe der Geschichte das Erdmonster doch wenigstens versucht, sich sein schlechtes Benehmen abzugewöhnen, denn da gibt es schließlich noch Kallis Mutter, vor der es versteckt werden muss – vorerst! Aber nein! Zottelkralle verwüstet während der Abwesenheit von Mutter und Sohn rasch das Wohnzimmer, frisst den Kühlschrank leer und beschmiert zu guter Letzt auch noch das Klavier mit dem Inhalt eines Honigglases. Natürlich wird der Unhold entdeckt – und von der tobenden Mutter in die Flucht geschlagen. Tief beleidigt zieht sich Zottelkralle in seine alte Höhle zurück, entschlossen, Kalli und dessen Mutter nicht mehr mit seiner Anwesenheit zu beehren – doch Kalli hat sich inzwischen, nicht so ganz verständlich, so an das freche Wesen gewöhnt, dass er alles daransetzt, es zur Rückkehr zu bewegen. Und er hat auch schon eine Idee, wie er seinen Freund den Eltern schmackhaft machen kann....
Witzig ist „Zottelkralle“, geschrieben von der international erfolgreichen Kinder- und Jugendbuchautorin Cornelia Funke, zweifellos, obwohl der Erdmonster-Protagonist, gelinde gesagt, abstoßend ist, woran sich auch bis zum Ende der Geschichte nichts ändert. Dass Kinder im Grundschulalter dieses Wesen lustig finden und sich an seinen fürchterlichen Manieren und Kraftausdrücken weniger stören als vorlesende Erwachsene, ist klar. Drum sollte „Zottelkralle“ am besten von denen rezensiert werden, die der Zielgruppe angehören – und deren Urteil, da bin ich mir sicher, wird weitaus positiver ausfallen als das der Erwachsenen, die sich an dem würmerfressenden und grunzenden Erdmonster, so wie die Autorin es sich ausgedacht hat, von Anfang bis Ende nur stören.
Nun, dann sollten wir Erwachsenen uns vielleicht auf das Kind in uns besinnen, sofern wir ihm nicht längst den Garaus gemacht haben, denn das braucht man schon, wenn man Bücher wie „Zottelkralle“ liest. Tun wir das mit Kinderaugen, dann haben wir einfach nur Spaß, dann gibt es keinen Grund zur Kritik! Und dann kann man auch sehr gut verstehen, warum Kalli einfach nicht lassen kann von dem nörgelnden Schmutzfink. Selbst ein solcher, ziemlich egoistischer, Freund ist besser als gar keiner....
Vorliegende Geschichte ist übrigens ein frühes Buch von Cornelia Funke; es wurde 1994 erstmals veröffentlicht, also knappe zehn Jahre bevor die Schriftstellerin aus Hamburg mit „Herr der Diebe“ ihren Durchbruch hatte. Sie zeigt aber bereits die typische Handschrift der Autorin, deren Bücher schließlich in mehrere Sprachen übersetzt werden sollten, zeichnet sich durch eine angenehme Sprache und einen klaren Satzbau aus, was man heutzutage wirklich hervorheben muss. Ein weiterer Pluspunkt sind die an Karikaturen erinnernden Illustrationen der Autorin, gelernte Buchillustratorin, mit denen sie in „Zottelkralle“ nicht sparsam umgeht und die den Text perfekt ergänzen.
Summa summarum: Trotz oder vielleicht sogar wegen der oberunsympathischen Hauptfigur ist die hier zu besprechende Geschichte ganz gewiss eine vergnügliche, leicht zu lesende Lektüre – wie die meisten Bücher der Hamburger Autorin Cornelia Funke, die sich nach langen, außerordentlich produktiven Jahren auf einer Avocadofarm in Kalifornien inzwischen in Italien eingerichtet hat, wo sie nun, so bleibt zu hoffen, weiterhin ihre phantastischen Romane verfassen wird.