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Veröffentlicht am 27.08.2022

Ein großes kleines Buch

Svendborg 1937
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Mit zarten, leisen Worten erzählt Tanja Jeschke in „Svendborg 1937“ die Geschichte der jüdischen Familie Dinkelspiel, die Anfang 1937 nach Dänemark flüchtete. Im Fokus der Erzählung steht Meret, damals ...

Mit zarten, leisen Worten erzählt Tanja Jeschke in „Svendborg 1937“ die Geschichte der jüdischen Familie Dinkelspiel, die Anfang 1937 nach Dänemark flüchtete. Im Fokus der Erzählung steht Meret, damals gerade siebzehn Jahre alt. Distanziert und vorsichtig schildert die Autorin zunächst aus einer auktorialen Perspektive Merets Misstrauen ob der vermeintlichen Sicherheit, die das Leben in Dänemark bieten soll, ihre Sorge um das Wohlergehen der Eltern und ihrer Schwester Ricarda besorgt – und ihre Rastlosigkeit. Trotz all der Freuden des Lebens, die sie wiederentdeckt – den Tivoli, die Strandbesuche, verliebte Blicke zu den jungen Männern in Kopenhagen –, bleibt aber doch immer eine gewisse Traurigkeit, die durch ihre immer weiter kreisenden Gedanken ob des Status der Juden in der Gesellschaft und dem Sinn des Lebens im Exil zum Ausdruck gebracht wird. Es ist wahrlich nicht einfach für sie, unter solchen Bedingungen aufzuwachsen und eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln.
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Mit dem Eintritt der Frauen Brechts in ihr Leben und dem ihr zugewandten Rücken des großen Autors, der für sie symbolisch für das Leben steht, das er – ebenso wie die Familie Dinkelspiel – in Deutschland hinter sich ließ, beginnt sie, ihre Erlebnisse und Gedanken aufzuschreiben; die Erzählperspektive wandelt sich, wird persönlicher, intimer, mein Herz zog sich ob der sich zuspitzenden Situation immer mehr zusammen, eine Eisenfaust in meiner Brust. Es sind die leisen Töne, in denen der Roman seine Stimme entfaltet, kleine Dinge, vermeintlich alltägliche Beschreibungen und Charakterisierungen, die im Kleinen wirken und betroffen machen: die Geschichte hinter dem Bild von Mitsch-Forch, Friedrichs Behinderung, die Salzschale der Tante. Eingebettet in das Kriegsgeschehen Ende der 1930er Jahre, wenn auch einer anderen Perspektive, als man sie aus dem Geschichtsunterricht kennt, erzeugt die Autorin durch die Einbindung und Nennung großer Literaten und Künstler eine besondere Art des Wiedererkennens und der Verbundenheit. Trotz der unendlich schmerzhaften und schweren Thematik erzeugt sie durch ihre liebevollen, empathischen Worte so viel Wärme, dass ich gerne noch viel länger, detaillierter Merets Leben gefolgt wäre. Eine große, kleine Geschichte, die im Herzen bleibt.

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  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 09.06.2022

Ein Jahreshighlight

Der Papierpalast
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"Der Gedanke, dass ich ihn nicht sehen werde, erfüllt mich mit dem schmerzlich scharfen Verlangen, ihn zu berühren, unter Wasser seine Hand zu streifen. Es ist ein Hunger. Eine Sucht. Er ist ...

"Der Gedanke, dass ich ihn nicht sehen werde, erfüllt mich mit dem schmerzlich scharfen Verlangen, ihn zu berühren, unter Wasser seine Hand zu streifen. Es ist ein Hunger. Eine Sucht. Er ist wie eine Sirene." (S. 66)

[TW: Vergewaltigung, körperlicher Missbrauch] Die Erinnerungen an die vergangene Nacht brennen wie ein Phantomschmerz an Elle, ihre Lippen pulsieren, sehnsuchtsvoll und drängend; ihr Herz schlägt, wenn sie an seine Hände denkt, seine Berührungen. Jonas. Seit mehr als dreißig Jahren hatte sie ihren Jugendfreund nicht mehr gesehen, den Jungen, mit dem sie als kleines Mädchen in Cape Cod durch die Wälder rannte und im See schwamm, gemeinsam das Segelboot-Fahren lernte - bis... Es sind Erinnerungen, die sie lange verdrängt hatte und sich nun Bahn brechen, an fremde Hände, sinkende Hände, liebende Hände. Lange hatte sie sich auf ihre Rückkehr nach Cape Cod gefreut, darauf, den Sommer gemeinsamen mit ihrem Ehemann und den Kindern im Papierpalast, dem Ferienhaus ihrer Eltern, zu verbringen. Da konnte sie noch nicht ahnen, dass sie ihn nach all den Jahren wiedersehen würde. Dass sie diese eine unvergessliche Nacht verbringen würden, während im Nebenzimmer ihre Familien feiern, reden, lachen. Ihre Gefühle übermannen sie, denn es ist immer Jonas, an den sie denkt, immer Jonas gewesen, den sie liebte - und das hat ihre auch diese Nacht bewiesen. Sie steht am Scheideweg: Bleibt sie bei ihrem Ehemann oder verlässt sie ihn, um mit Jonas das Glück zu finden?

"Was unter der Wasseroberfläche liegt, bleibt unseren Blicken verborgen." (S. 46)

Bereits nach wenigen Seiten war ich mir sicher: Das hier wird ein Jahreshighlight, ohne Frage. Und dieser erste Eindruck sollte sich bis zum Ende halten. Mitreißend und unglaublich intensiv erzählt Miranda Cowley Heller in ihrem Debütroman "Der Papierpalast" (OT: The Paper Palace, aus dem Englischen von Susanne Höbel) die Geschichte von Elle Bishop. Nach außen hin scheint sie glücklich zu sein: Seit mehr als zwanzig Jahren ist sie glücklich mit ihrem Ehemann Peter verheiratet, sie haben drei gemeinsame Kinder und sichere Jobs. Doch in der Vergangenheit sind Dinge passiert, die sie bis heute prägen, die Spuren hinterlassen haben - und die ihr zudem eine gemeinsame Zukunft mit Jonas, ihrem Jugendfreund verwehrten. Noch nie schien ihr Leben "einfach" zu sein: Schon als Säugling musste sie nach einer Notoperation um ihr Leben kämpfen, wuchs in einer dysfunktionalen Familie mit wechselnden Vätern und tyrannisierenden Stiefbrüdern auf, einzig ihre Schwester war eine bleibende Konstante. Und Jonas. Jeden Sommer, wenn sie wieder in den Papierpalast fuhren, tobte sie mit dem schüchternen Jungen herum und sie schworen sich ewige Freundschaft. Er war es, dem sie das anvertraute, was ihr angetan wurde und ihn so für immer an sich band - bis sie ihn verlor. Sie zog nach London, lernte Peter kennen und er gab ihr Geborgenheit und Liebe, kittete die Risse, ohne zu wissen, wer oder was sie verursacht hatten. Umso schwieriger ist es nun für Elle, sich zwischen einer Zukunft mit Peter, der ihr jahrelang Sicherheit und Vertrauen entgegenbrachte, oder mit Jonas zu entscheiden.

Was nun vielleicht wie eine abgedroschene Liebesgeschichte klingt, ist in Wahrheit so viel mehr als das: Cowley Heller erzäghlt nach und nach, wie sich für Elle "der Tag danach" gestaltet, das Tohuwabohu ihrer Gefühle, das Gedankenkarussell, das "was wäre, wenn...", jetzt und damals. Elle sind eine unnachahmliche emotionale Stärke und Strahlkraft zu eigen, ein für sie einnehmendes Wesen mit Ecken und Kanten, ungeahnten Tiefen. In all ihren Entscheidungen wirkt sie aber niemals berechnend, viel eher auf der Suche nach Ruhe, sich nicht mehr verstellen zu müssen. Immer wieder gewährt die Autorin einen Blick in die Zukunft, sodass sich das Gesamtbild der gegenwärtigen Beziehungsgeflechte allmählich erschließt und mit Fakten und prägenden Erinnerungen unterfüttert wird: Elles Kindheit, das Schicksal ihrer Schwester, das Kennenlernen mit Peter. Und: inzestuöse Übergriffe, Fehlgeburten, Gewalt und Nötigung. Bildgewaltig, hart, fühlbar. Es könnte auch das Transkript eines Netflix-Serie sein, so durchdacht und genial getimet bauen die einzelnen Szenen aufeinander auf, so lebendig ist ein jeder Charakter gezeichnet, Anspannung bis zur letzten Seite. Und das kommt nicht von Ungefähr, denn Miranda Cowley Heller war Head of Drama Series bei HBO und entwickelte zahlreiche Serien wie Die Sopranos oder Six Feet Under.

Um nicht noch weiter abzuschweifen: Das Buch hat mit von der ersten Seite an vollends für sich vereinnahmt und ich konnte es bis zuletzt nicht - oder nur ungern - zur Seite legen. Es ist kein Feel Good-Buch, keine leichte Lektüre für zwischendurch, es ist vielmehr die schmerzhaft-liebevolle Geschichte einer Frau, geprägt von sanften Abgründen, ihrer Sehnsucht nach bedingungsloser, ehrliche Liebe und Geborgenheit und ihrem Kampf, den Kopf über Wasser zu behalten und dabei das Ufer nicht aus dem Blick zu verlieren. Ein Jahreshighlight.

Veröffentlicht am 13.05.2022

Atemberaubend

Wo die Wölfe sind
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"Ich kenne dieses Dunkel. Darin habe ich mich schon früher verloren. Seine Hände sind meine, auch seine Lippen und und seine Zunge, und ich bin in ihm, werde tief hineingezogen, weit weg von ...

"Ich kenne dieses Dunkel. Darin habe ich mich schon früher verloren. Seine Hände sind meine, auch seine Lippen und und seine Zunge, und ich bin in ihm, werde tief hineingezogen, weit weg von aller Luft." (S. 102)

[TW: explizite (häusliche) Gewaltdarstellungen] Schon seit sie ein junges Mädchen war, ist Inti Flynn von Wölfen fasziniert, von ihrer Eleganz und ihrer Kraft, und nicht zuletzt auch von ihrer Fähigkeit, mit ihrer Umgebung zu verschmelzen, unsichtbar zu sein. Für sie gab es nichts Schöneres, als durch die Wälder zu streifen, von der Natur zu lernen, und so machte sie ihre Leidenschaft zum Beruf. Im Rahmen eines Projekts zur Rettung des Lebensraums in den Highlands kommt Inti nach Schottland und betreut die Wiederansiedlung einer Gruppe von Wölfen als leitende Biologin. Doch das ist nicht der einzige Grund für sie, ihre Heimat zu verlassen: Sie hofft auf einen Neuanfang, darauf, alles Gewesene, alle Erinnerungen hinter sich zu lassen, denn sie ist nicht mehr die, die sie einst war - seit dem Vorfall. Seit sie diese vernichtende Gewalt spüren musste. Doch nicht etwa am eigenen Leib: Inti hat die seltene Begabung, die Gefühle anderer Lebewesen körperlich nachzuempfinden. Als eines Tages ein Farmer tot aufgefunden wird, richtet sich alles gegen sie, gegen "ihre" Wölfe. Aber sie würden doch niemals einen Menschen angehen. Oder? Wer ist die wahre Bestie, Mensch oder Tier?

Es sind Bilder, die mich bis in meine Träume verfolgt haben, die Charlotte McConaghy in ihrem Roman "Wo die Wölfe sind" (OT: Once There Were Wolves, aus dem Englischen von Tanja Handels) zeichnet. Bilder von Gewalt und Schmerz, von Enttäuschung und Verzweiflung, von Zerstörung. Von Blut, so viel Blut an den Händen von Menschen, das niemals vergessen wird, dessen Spuren bleiben. Und Bilder atemberaubender Landschaften, rauer Wälder und tanngrüner Ausläufer. Unglaublich lebendig erzählt die Autorin die Geschichte einer jungen Frau, die, von ihrer Vergangenheit gezeichnet, versucht, gegen ihre Ängste anzukämpfen. Immer wieder wird sie mit Dingen konfrontiert, die alte Wunden reißen lässt, trotz dessen sie stets darauf bedacht ist, die Distanz zu wahren - zu Menschen wie zu ihren geliebten Wölfen. Sie scheut es, emotionale Bindungen einzugehen, das hat ihr ihre Erfahrung gelehrt. Der einzige ihr nahe stehende Mensch ist ihre Schwester Aggie, die gemeinsam mit ihr nach Schottland gekommen ist, um die Schottischen Highlands mithilfe der Wölfe vor der Verendung zu bewahren; sie sollen das natürliche Gleichgewicht der vom Klimawandel gezeichneten Landschaft wiederherstellen. Aggie spricht nicht, geht nicht aus dem Haus, das Leben hat das einst so mutige, wilde Mädchen kaputt gemacht - und Inti mit ihr. Durch ihre Mirror Touch-Synästhesie, bei der bestimmte Hirnareale stärker miteinander verknüpft sind und es in der Folge zu Hyperaktivität kommt, hat sie all das gefühlt, was ihr angetan wurde, und das hat sie vorsichtig gemacht. In Rückblicken wird immer deutlicher, wieso Inti und Aggie heute so sind, wie sie sind, woher ihre Liebe zur Natur kommt und was sie mit ihr verbinden, und wieso sie so misstrauisch im Umgang mit anderen Menschen sind. Ihre schwesterliche Verbindung überstrahlt alles, strahlt in hellen Farben und bereitete mir ein warmes Gefühl der Geborgenheit und Ruhe.

Aber dieser Ruhe sollte bald ein Ende gesetzt werden: Wie eingangs bereits beschrieben, sehen manche Menschen in der Gewalt den einzigen Weg, sich zu behaupten, wenn die Worte fehlen. Fast meinte ich, selbst eine Synästhetin zu sein, so schneidend, stechend, kratzend spürte ich die Übergriffe häuslicher Gewalt, die Ausdrücke männlicher Selbstbehauptung und Rache, das Blut, das auf den Boden tropfte, von den Lefzen der Wolfsschnauzen oder den Fäusten wutblinder Menschen. Die Gänsehaut bleibt, atemlos.

Doch es ist auch eine Atemlosigkeit der Überwältigung, wie viel die Autorin mit ihren Worten in mir ausgelöst hat. Nicht nur gibt sie gesellschaftsrelevanten Themen wie den Auswirkungen des sich immer weiter zuspitzenden Klimawandels eindringlich Raum zu wirken, endlich aufzuwachen, sie vermag es auch, Gefühlen ohne Worte eine Sprache zu geben, die im Ohr bleibt und emotional an einen Menschen zu binden, der einem bis vor wenigen Seiten noch völlig fremd war. Es war, als liefe ich selbst durch die feuchten Wälder, als spüre ich das warme Fell des Pferdes, dem Inti das Leben rettet, unter meiner Haut - als kämpfte ich selbst um mein Leben. Zu verfolgen, wie Inti sich immer mehr öffnet, Berührung zulässt, für sich und die Wölfe kämpft, hat mich mitgerissen, doch auf den letzten Seiten wollte die Autorin einfach zu viel. Die Ereignisse überschlugen sich, es wurde beinahe schon abstrus und irgendwo hinterlässt das bei all der Begeisterung - auch wenn vieles ziemlich hart, vielleicht grenzwertig war -, einen kleinen Dämpfer. Und doch, ich möchte es wirklich sehr.

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Veröffentlicht am 08.08.2021

Grandios

Viktor
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"Hat dich das als Mensch verändert? Ändert sich die Identität irgendwie, wenn man einen anderen Namen annimmt?" (S. 136)

Wien, 1914. Als Studienabbrecher und Frauenheld in Verruf geraten, hat Viktor mit ...

"Hat dich das als Mensch verändert? Ändert sich die Identität irgendwie, wenn man einen anderen Namen annimmt?" (S. 136)

Wien, 1914. Als Studienabbrecher und Frauenheld in Verruf geraten, hat Viktor mit seiner Begeisterungsfähigkeit und seinem sprunghaften Verhalten keinen guten Stand in seiner Familie. Besonders seinem Vater Anton macht der jüngste Spross zu schaffen, berief sogar ein psychologisches Konsil ein, um ihn zur Vernunft zu bringen. Doch gerade seine Gewitztheit und sein Mut sollen im Zuge der Machtergreifung der Nazis und dem Beginn der Judenverfolgung die entscheidende Rettung seiner Familie sein.

Nimwegen, 1994. Geertje wächst in einer Familie auf, die ihre Vergangenheit verdrängt, sie in Kisten auf dem Speicher versteckt. Sie weiß, dass sie Jüdin ist, doch erhält auf Nachfrage bei ihren Großeltern keine Antworten, denn sie schämen sich nach dem Holocaust noch immer für das Judentum. Kurzerhand beschließt sie, der Geschichte ihrer Familie auf die Spur zu gehen und ihren ganz eigenen Weg zu gehen, sich frei zu machen von alten Ängsten, dem Trauma des Kriegs und den staubigen Fesseln der Vergangenheit.

In ihrem fantastischen Debütroman „Viktor“ erzählt Judith Fanto (aus dem Niederländischen übertragen von Eva Schweikart), basierend auf der wahren Geschichte der Wiener Familie Fanto, dem dreizehnten Stamm; eine Geschichte nach den jüdischen Wurzeln, die von ihren Großeltern und deren Vorfahren tief vergraben wurden, und der jungen Geertje die Offenlegung durch Verleumdung und Angst nicht gerade erleichtert.

Das vorherrschende Thema, das Geertje und Viktor durch die Jahrzehnte hinweg miteinander verbindet, ist die Suche nach der Identität und der Bedeutung von Namen. Was macht unser Name mit uns, wie ändert er unser Auftreten in der Welt, gegenüber anderen Menschen? Wie wichtig ist es, etwas beim Namen nennen zu können, wie notwendig für die Identität, für die Selbstermächtigung?

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Veröffentlicht am 08.08.2021

Tränen ohne Ende

Betreff: Falls ich sterbe
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"Es geht darum, die Minuten und die Stunden eine nach der anderen zu nehmen, jede für sich. Die Zeit vergehen zu lassen und aus jedem Moment das Einfachste zu machen." (S. 462)

[TW: Tod, Trauer, Verlust]

Was ...

"Es geht darum, die Minuten und die Stunden eine nach der anderen zu nehmen, jede für sich. Die Zeit vergehen zu lassen und aus jedem Moment das Einfachste zu machen." (S. 462)

[TW: Tod, Trauer, Verlust]

Was würdest du tun, wenn die Person, mit der du dein Leben teilst, dir plötzlich eine Mail mit dem Betreff „Falls ich sterbe“ schickte; eine Auflistung aller Passwörter und nach dem Tod zu erledigenden Dinge? Carolina versteht die Welt nicht mehr, als sie ebendiese Mail von ihrem Lebensgefährten Aksel erhält – und ihn fünf Monate später plötzlich leblos auffindet. Für die junge Mutter bricht eine Welt zusammen, zumal er gerade Anfang dreißig war und nichts darauf hinwies, dass er sterben würde. Haltlos, kraftlos und überfordert bleibt sie mit ihrem wenige Monate alten Sohn Ivan zurück und nur die Unterstützung ihrer Familien und Freunde kann ihr den Boden unter den Füßen wiedergeben. Doch wie soll sie zurück in ein Leben finden, das ihr lebenswert erscheint, wo sie sich alle Schuld an Aksels Tod zuschreibt?

In ihrem autofiktionalen Romandebüt „Betreff: Falls ich sterbe“ (aus dem Schwedischen von Susanne Dahmann, OT: Låt oss hoppas på det bästa) erzählt Carolina Setterwall eindringlich und unglaublich emotional in zwei gegenläufigen Erzählsträngen von ihrem Leben vor und nach Aksel: von ihrem Kennen- und Liebenlernen, ihren Eigenheiten und Unstimmigkeiten, von den Dingen, die den jeweils anderen zu einem besseren Menschen machen – und den Spannungen, die nach der Geburt ihres gemeinsamen Sohnes zunahmen, die Abgespanntheit und Abwesenheit. Sie beschreibt all das mit klaren Worten, differenziert und reflektiert, und schafft so eine einnehmende, sensible Atmosphäre. Es fühlt sich unangenehm an, ständig lebt man in der Gefahr, in Tränen ausbrechen zu müssen, aber zugleich lebensnah, sodass man nicht darum herumkommt, sich selbst in dieser Situation vorzustellen. An diesen Punkt möchte man doch eigentlich nie kommen, alleine die Vorstellung treibt mir eine Gänsehaut über den Rücken, doch ich konnte auch nicht aufhören, immer weiter zu lesen, immer weiter auf dem blauen Fleck in meinem Herzen herumzudrücken, (...)

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