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Veröffentlicht am 04.09.2021

DDR Nachwehen – eine Aufarbeitung

Die Verlassenen -
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Dieser schmale Band bring mich ins Schwärmen, denn Matthias Jügler hat einen richtig guten Roman geschrieben. „Die Verlassenen“ ist zwar kein sonderlich einladender Titel und das Sujet der DDR-Aufarbeitung ...

Dieser schmale Band bring mich ins Schwärmen, denn Matthias Jügler hat einen richtig guten Roman geschrieben. „Die Verlassenen“ ist zwar kein sonderlich einladender Titel und das Sujet der DDR-Aufarbeitung auch nicht innovativ, aber es ist sehr gut umgesetzt und das auf knapp 170 Seiten.
Ein Mosaik, dass sich so nach und nach zusammensetzt zu einem großen Bild. Der Protagonist des Romans ist Johannes, der zu DDR Zeiten groß wird in Halle an der Saale, ungefähr 1994 mit 13 Jahren wird er bei seiner Oma vom Vater zurückgelassen, wo er doch wohl schon mit 5 Jahren seine Mutter verlor. Als Erwachsener fängt er erst an sich Gedanken zu machen und stößt auf Unerhörtes! Natürlich hatte die Stasi ihre Finger im Spiel.
Dies ist eine literarisierte wahre Geschichte, aber nicht die des Autors, sondern einer anderen Familie, die zu DDR-Zeiten von der Stasi überwacht wurden. Matthias Jügler dürfte sie für seinen Roman verwenden und hat es toll umgesetzt. Dieser wahre Hintergrund macht diesen Roman noch erschütternder. Wobei auch noch mal gesagt werden muss, dass die Stasi-Dokumente im Buch auch reine Fiktion sind.
Großartig ist wie der Ich-Erzähler Johannes modellierte. Zunächst ein zurückhaltendes Kind, was wenig hinterfragt und still ist. Dann die Entwicklungskurve mit der Neugier über die eigene Vergangenheit. Sprachlich wird auch viel vom Autor zwischen den Zeilen transportiert. Vieles bleibt ungesagt und dieses großes Schweigen der Beteiligten wird deutlich. Matthias Jügler hat diese erdrückende Stimmung, die wie eine Glocke über dem Text hängt aus meiner Sicht sehr gut beschrieben.
Eine absolute Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 02.09.2021

Aus Mathilde wird Mariam

Das Land der Anderen
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Die französisch-marokkanische Autorin Leïla Slimani kann man nur feiern. Wieder ein Buch, dass es zu lesen lohnt! Sie packt viele Themen in ihren neuen Roman ‚ Das Land der Anderen‘ und erzählt eine Geschichte ...

Die französisch-marokkanische Autorin Leïla Slimani kann man nur feiern. Wieder ein Buch, dass es zu lesen lohnt! Sie packt viele Themen in ihren neuen Roman ‚ Das Land der Anderen‘ und erzählt eine Geschichte aus dem letzten Jahrhundert, aber trifft uns in der Gegenwart. Es ist der erste Teil einer Familiensaga, die sich der Geschichte Marokkos widmet.
Mathilde ist die Protagonistin dieses Romans. Nach dem Ende des 2. Weltkrieges verliebt sie sich als junge Frau in einen marokkanischen Offizier, der für die Franzosen kämpfte - Amine. Sie wagt es mit ihm nach Marokko zu gehen um ein eigenes Leben zu führen fernab der eigenen Familie. Dort leben sie dörflich bei Meknes auf dem geerbten Hof von Amine. Hier möchte er in trockener Eben als Bauer leben und den Traum seines Vaters verwirklichen hier ernten zu können. Angekommen ist Mathilde, aber findet zum einen patriarchalische Strukturen vor mit sehr traditionellen Lebensweisen in der sie als Frau eine bestimmte Rolle einzunehmen hat. Sie kümmert sich vorrangig um die beiden Kinder, hat aber als „Andere“ Privilegien, darf sich dafür aber auch nicht einmischen.
On top kommt die Sicht auf Marokko als Land, dass die Franzosen kolonialisiert haben und spürt den lokalen Rassismus, die immer die „Anderen“ trifft – egal auf welcher Seite. Eine französische Perspektive, aber von unten auf diesen Kolonialmacht und Wehr gegen die Besatzungsmacht. Ein spannender Ansatz. Dieser erste Band endet mit dem Jahr 1955. Turbulente Zeiten in Marokko -aber ich möchte nicht zu viel vorwegnehmen, lest selbst.
Ich war bisher recht unbewandert in marokkanischer Geschichte und wie Frankreich als Kolonialmacht dort herrschte und wie die Unabhängigkeitsbewegung ihren Lauf nahm. Ich fand diesen Aspekt des Romans äußerst bereichernd.
Außerdem war der Themenkomplex der „Mischehe“ besonders spannend geschrieben, die beiden im Verhältnis zueinander, das Verhältnis zu den Lokalen inklusive der Familie und wie die Franzosen es aufnahmen.
Diese ganze Geschichte wird nüchtern erzählt von Leïla Slimani, aber so durchdringlich, dass es einen fasziniert. Wie immer reibt sie sich an den Themen und es knirscht auch mal und rüttelt den Leser auf ihre ganz eigene Weise auf. Lesenswert!

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Veröffentlicht am 22.08.2021

Drei Männer, eine Insel, eine Idee mit Risiken

Der längste Tag im Leben des Pedro Fernández García
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„Der längste Tag im Leben des Pedro Fernández García“ ist der zweite Roman aus der Feder von Moritz Rinke, der teilweise auch in Spanien lebt. Im Mittelpunkt steht Pedro, der seinen Job an das Internet ...

„Der längste Tag im Leben des Pedro Fernández García“ ist der zweite Roman aus der Feder von Moritz Rinke, der teilweise auch in Spanien lebt. Im Mittelpunkt steht Pedro, der seinen Job an das Internet peu á peu verliert, denn er ist Postbote auf Lanzarote. Er hängt sehr an seinem geliebten Job mit der Honda über die Insel zu düsen und die Post zu verteilen und er ist gut darin zu verschleiern, dass er kaum noch zu tun hat fährt dann gelegentlich die Nobelpreisträgerroute, die Café-con-Leche-Route und noch einige mehr. Nun ist er nicht nur seinen Job so gut wie los, auch seine Frau verlässt ihn und mit ihm sein geliebter Sohn Miguel.
Das gilt es zu verhindern und hier kommen zwei weitere Spezialisten der Insel auf die Bühne des Romans: Tenaro, dessen Vater ein bekannter Fischer war, aber er selbst mit halbseidenen Geschäften versucht einen Jackpot zu knacken und im Endeffekt ein arbeitsloser Fischer ist. Und dann ist da noch Amado, ein Gestrandeter, ohne Perspektive die Insel zu verlassen. Er ist in Freiheit und in Gefangenschaft zugleich. Und dieses Trio infernale will nun mit einem ungeheuren Plan den Pedros Sohn zu ihm holen.
Der Roman ist toll geschrieben, liest sich wunderbar. Es sind unzählige Referenzen und Themen, die angeschnitten werden. Für belesene Leser:innen und Menschen mit großem Wissensschatz eine wahre Freude, ich kann mir aber auch vorstellen, dass man bei weniger Hintergrund auch an mancher Stelle Informationen vermisst. Es kommt beispielsweise der spanische Bürgerkrieg vor, Saramango, Hemingway, die Flüchtlingswelle. Ich fand es toll wie das alles hier eingeflossen ist und hat mir besondere Freude beim Lesen bereitet.
DIE perfekte Urlaubslektüre, wenn man nach Lanzarote fliegen sollte, aber das ist sicherlich schon allen klar. Aber auch sonst ein sehr sehr lesenswerter Roman, kennt man die Insel schon oder auch nicht, denn sie wird ausführlich beschrieben.
Taucht ein und lasst euch von Wind und Sonne von den drei Chaoten nach Lanzarote in Gedanken mitreißen!

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Veröffentlicht am 20.08.2021

Wenn eine Tür zugeht, öffnet sich eine andere

Wir für uns
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Mich hat dieser Roman überzeugt, weil ich sicherlich genau in die Altersschublade der beiden Protagonistinnen passe. Gefühlt hat Barbara Kunrath MIR einen Roman geschrieben, denn ich sehr sehr mochte. ...

Mich hat dieser Roman überzeugt, weil ich sicherlich genau in die Altersschublade der beiden Protagonistinnen passe. Gefühlt hat Barbara Kunrath MIR einen Roman geschrieben, denn ich sehr sehr mochte. Ach und wenn ihr jetzt grübelt wo ihr den Autorinnennamen schon gehört habt, sie schrieb schon „Schwestern bleiben wir immer“ und „Töchter wie wir“ mit großem Erfolg. Nun kommt: „Wir für uns“.
Es geht in „Wir für uns“ um die schwangere Josie. Soweit erscheint es wenig spektakulär, aber leider ist das Kind von einem verheirateten Mann und der will es nicht und Josie ist Anfang 40 und das vielleicht die letzte Chance auf ein Kind. Die Protagonistin ist Kathi, die wiederum schockierend unerwartet Witwe geworden ist. Insgeheim ärgert sie sich über den Verstorbenen, der sie alleine gelassen hat und dann bringt auch noch ihr einziger Sohn Unruhe in ihr Leben, denn Max trennt sich von seiner Lebensgefährtin und ist tatsächlich schwul. So hat Kathi sich das nicht vorgestellt und muss ihr traditionelles Familienbild neu sortieren.
In dieser Situation treffen die beiden Frauen aufeinander und sind sich gegenseitig eine Stütze, ein Spiegel und zugleich eine Reibungsfläche, die beide so dringend brauchen.
Ach, einfach mal wieder ein Buch, dass ich gerne gelesen habe und mir richtig gut gefallen hat. Lockere leichte Lektüre, aber mit Tiefe, die mich ansprach. Es war aber keinesfalls gefühlsduselig, eher emotional betont auf eine positive Art, aber nicht überborden.

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Veröffentlicht am 13.08.2021

Harlem – ein Kosmos für sich!

Harlem Shuffle
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New York ist im ewigen Wandel, eine Stadt die nie schläft, nie zur Ruhe kommt, sich immer wieder neu erfindet, sich selbst in Frage stellt und stets die innovative und kreative Speerspitze der USA ist. ...

New York ist im ewigen Wandel, eine Stadt die nie schläft, nie zur Ruhe kommt, sich immer wieder neu erfindet, sich selbst in Frage stellt und stets die innovative und kreative Speerspitze der USA ist. Aber wie sieht es aus, wenn es um rassistische Fragen geht? Um Viertel, die schon immer das „Hinterzimmer“ der Stadt waren? Ist New York da auch allen anderen einen Schritt voraus, wenn es um Rassismus geht? Ich hoffe schon, aber leider vielleicht nur einen und nicht einige viele Schritte!
Und nun richten wir den Blick nach innen und in die Vergangenheit und wir halten mit Colson Whitehead innen und begeben uns in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts nach Harlem. Dort ist Ray Carney als Antiquitätenhändler tätig. Ein Mann, der versucht für seine Familie den Lebensstandard zu ermöglicht, der ihnen gebührt, aber leider wird er ungewollt in familiäre Ausrutscher hineingezogen. Der ewige Zwiespalt lockt, denn das Geld ist zu knapp, aber auf legale Weise scheint Ray es nicht auftreiben zu können und dann noch die nötigen Schutzgelder. Ein negativer Kreislauf aus dem er kaum eine Chance hat eigenständig auszubrechen.
Harlem Shuffle ist ein gesellschaftliches Zeitportrait, dass Harlem als Kosmos in sich selbst darstellt und Probleme fiktional beleuchtet und uns vor Augen führt wie wenig sich die strukturelle Schieflage verändert hat. Gebettet ist die Geschichte um Ray in die Präsidentschaft von J.F. Kennedy, denn die Zeitspanne oder besser gesagt die Zeitpunkte um die es geht sind: 1959-1961-1964 und finden dort auch ihren Höhepunkt mit den Harlem Riots (’64). Trotz aller rassistischer Probleme hat Colson Whitehead Harlem mit diesem Roman auch ein Denkmal gesetzt und eine Liebeserklärung geschrieben. Ein Viertel wie kein anderes mit Jazz im Blut und viel Liebe im Herzen!
Colson Whitehead macht was er kann: Aufrütteln & ins Grübeln bringen und uns trotz allem gut unterhalten und das mit großartiger Prosa! Natürlich ist der Roman auch wunderbar übersetzt von Nikolaus Stingl. Der eigenwillige Sound vom Autor bleibt aus meiner Sicht erhalten.

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