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SofieWalden

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 10.09.2021

Das Leben geht seine eigenen Wege und jeder Mensch hat genau eins davon

Das Glashotel
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Die junge Vincent hat schon früh Entwurzelung erfahren. Ihre Mutter ist beim Kanufahren verschwunden, als sie noch ein Kind war, ob aufgrund eines Unfalls und ob es ein ganz bewusstes 'die Familie verlassen' ...

Die junge Vincent hat schon früh Entwurzelung erfahren. Ihre Mutter ist beim Kanufahren verschwunden, als sie noch ein Kind war, ob aufgrund eines Unfalls und ob es ein ganz bewusstes 'die Familie verlassen' war, das bleibt ungeklärt. So wächst sie zusamnnen mit ihrem Halbbruder bei einer Tante auf. Ein Gefühl von Zuhause erfährt sie dort nicht. Nun arbeitet sie als Barkeeperin in einem sehr abgeschieden gelegenen Hotel, sozusagen am Ende der Welt. Und hier geschieht es, der Beginn ihres 'ersten' neuen Lebens. Der reiche Investor Jonathan Alkaitis schenkt ihr seine Aufmerksamkeit und den Eintritt in die High Society, in die Gesellschaft der Reichen und Schönen. Vincent schwimmt mit in diesem einst eigentlich unerreichbaren Traum. Doch das Glück, das, wenn sie ehrlich ist, nicht wirklich in ihrem Innerstes Einzug gehalten hat, ist schnell wieder vorbei, denn Jonathan stellt sich als Betrüger heraus, als ein Mann, der viele seiner Anleger um ihre Lebensexistenz gebracht hat und den Rest seines Lebens wohl im Gefängnis verbringen wird. Und so ist Vincent erneut abrupt 'aus ihrem Leben gefallen' und muss sich nun auf die Suche machen nach finanzieller Existenz, nach Sinn, nach dem Gefühl von Zugehörigkeit und einem Zuhause, wie immer das auch aussehen mag. Und dieser Weg ist beschwerlich und gleichzeitig sehr lebendig, gepflastert von Menschen, von deren Schicksalen, ob von vornherein verwoben mit Vincents eigenem Leben, den Trümmern, die Alkaitis zurückgelassen hat oder einfach aufgetaucht, von irgendwo her.
Das alles ist an sich gar nicht so besonders spektakulär, aber das wie, das macht diese Geschichte, dieses Schicksalsgebilde, zu etwas Einmaligem. Der Schreibstil ist präzise, fein geschliffen und immer sehr nah dran, ohne opulente Bilder, ohne überbordende Gefühlsbeschreibungen. Es ist einfach ein ruhiger Strom, dem wir folgen, und das, in meinem Fall, extrem begeistert bis zu seinem Ende. Und am Schluss ist, überaus kunstvoll, alles an seinem Platz und der Kreis hat sich geschlossen.

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Veröffentlicht am 03.09.2021

Eine Geschichte über Familie und über das Abschiednehmen, voller Magie

Wie man einen Tiger fängt
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Es war einmal, so fangen viele Geschichten an, ein paar Mal auch hier in diesem Buch. Aber eigentlich geht es um die junge Lilly und ihre koreanische Großmutter, ihre Halmoni. Als Lilly noch ganz klein ...

Es war einmal, so fangen viele Geschichten an, ein paar Mal auch hier in diesem Buch. Aber eigentlich geht es um die junge Lilly und ihre koreanische Großmutter, ihre Halmoni. Als Lilly noch ganz klein war, hat diese ihre Schwester Sam und sie oft besucht und ihnen dann wunderbare Geschichten, magische Geschichten erzählt, von einem Tigermädchen, das sowohl Mensch wie auch Tiger in sich trägt, davon dass zwei kleine Mädchen in den Himmel hinaufklettern und dann zu Mond und Sonne werden und von einem Gott, der etwas verspricht, es aber dann vergisst. Doch nun ist es umgekehrt und anders. Diesmal fahren ihre Mutter, Lilly und Sam zu ihrer Halmoni in ihr herrlich verwinkeltes gemütliches Haus nach Kalifornien, um zu bleiben. Warum, bleibt erstmal ein Geheimnis, aber bald merkt Lilly, dass ihre Großmutter sehr krank ist und ihre Mutter, also deren Tochter, will einfach für sie da sein. Lilly macht das große Angst und sie möchte alles tun, damit ihre geliebte Halmoni wieder gesund wird. Und dann passiert es, ihr erscheint ein Tiger bzw. eine Tigerin, die verspricht, das alles wieder gut wird, wenn Lilly ihr die einst von ihrer Großmutter in Flaschen 'eingesperrten Geschichten' zurückgibt, damit sie wieder an ihrem Platz als Himmelssterne leuchten können. Soll Lilly der Tigerdame glauben oder belügt sie sie nur. Lilly muss sich entscheiden. Fragen kann sie niemanden, denn nur sie sieht diese magischen Dinge. Anscheinend ist sie mit den selben 'Fähigkeiten wie ihre Halmoni beschenkt.
Dieses Buch ist wahrlich außergewöhnlich, mit einer Magie, getragen von der Fremdheit und der Mystik Koreas und durchströmt von den Menschenwesen ihrer, Lillys Familie, die sie über die Generationen hinweg, erst noch ergründen muss, genau wie die Autorin selbst dies getan hat. Und trotzdem befindet sich diese Geschichte vollkommen im hier und jetzt, mitten in diesem Leben, das sich verändert und man kann nichts dagegen tun. Und dazu gehört auch das Abschiednehmen, das einem so viel abverlangt, so viel Mut und zu so viel Erkenntnis führt, für all die, die noch auf dem Weg sind, es einfach zuzulassen, sie selbst zu sein.
Und ganz zum Schluß soll noch einmal die Autorin dieses 'Schatzes' ihr Wort an uns Leser richten dürfen, denn besser kann man das, als was dieses Buch bei einem ankommt nicht beschreiben.

„Dieses Buch hat einen weiten Weg hinter sich , und nun hat es zu euch gefunden. Danke, dass ihr ihm ein Zuhause gebt. Diese Geschichte ist jetzt eure.''

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Veröffentlicht am 01.09.2021

Ein nigerianisches Mädchen und seine große Sehnsucht nach Wissen und einer Chance

Das Mädchen mit der lauternen Stimme
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Die vierzehnjährige Adunni lebt in Nigeria. Als ihre Mutter noch lebte, wollte diese ihr die Möglichkeit geben, es einmal besser zu haben und sich nicht dem Schicksal nigerianischer Frauen ergeben zu müssen. ...

Die vierzehnjährige Adunni lebt in Nigeria. Als ihre Mutter noch lebte, wollte diese ihr die Möglichkeit geben, es einmal besser zu haben und sich nicht dem Schicksal nigerianischer Frauen ergeben zu müssen. Sie sollte zur Schule gehen, lernen und so einen anderen Weg gehen können. Das Versprechen, dass dies auch so geschieht, hatte sie ihrem Mann auf dem Sterbebett abgenommen, aber er entscheidet sich anders, vielleicht aus der eigenen Not heraus, vielleicht aber auch einfach, weil es in Nigeria für Frauen nun einmal so 'vorbestimmt' ist. Er verkauft seine Tochter als Drittfrau an einen Taxifahrer, der dafür seine Schulden begleicht. Und eigentlich wäre das schon das Ende der Geschichte, aber die junge Adunni gibt nicht auf. Sie kämpft darum, die Hoffnung nicht zu verlieren und nach einer Zeit voller Gewalt und Demütigung gelingt ihr die Flucht nach Lagos, in die große Stadt. Dort soll es anders werden, besser. Aber auch hier wird sie ausgenutzt und 'misshandelt'. Doch Adunni, das Mädchen mit dem starken Willen und dem Wunsch, Chancen und mehr Gerechtigkeit für den weiblichen Anteil der Bevölkerung in ihrem Land mit voranzutreiben, macht einfach weiter und es gibt auch gute Menschen auf ihrem Weg. Der Funke auf ein besseres Leben bleibt.
Dieser Roman ist die Geschichte einer bemerkenswerten jungen Frau und wir als Leser sind dabei ganz nah dran. Adunni erzählt, immer im gerade jetzt, so wie sie gerade in diesem Augenblick denkt und fühlt und ihre Sprache drückt das auch aus. Und Adunni verändert sich und ihr Sprechen wird erwachsener, erfahrener und irgendwann auch 'gebildeter'. Sie auf diese Weise so intensiv erleben zu dürfen, das hebt dieses Buch heraus. Und mit ihrer Geschichte erleben wir auch ihr Land Nigeria, das so noch nicht so wirklich in meinen Focus getreten ist, hier jetzt aber umso mehr.
Dieses Werk zu entdecken und es bekannt werden zu lassen, ist sicherlich nicht so einfach, aber ich hoffe, es bekommt die nötige Aufmerksamkeit, immer noch ein bisschen mehr. Und als kleiner Randeffekt, wie wertvoll Bildung ist und was manche Menschen bereit sind, dafür zu tun, dass sollte die Generation, die es betrifft, dazu bewegen, deren Selbstverständlichkeit in 'unserer Welt' etwas mehr wertzuschätzen.
Ein Buch, das man nicht so schnell vergisst.

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Veröffentlicht am 27.08.2021

Ein Mann, sein Leben und eine Familiengeschichte drumherum

Der Kolibri
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Man öffnet dieses Buch und stürzt mitten hinein in das Leben, das Leben des Augenarztes Marco Carrera. Gerade hat er erfahren, dass ihn seine Frau, eine Stewardess, verlassen wird und zwar nicht von dieser ...

Man öffnet dieses Buch und stürzt mitten hinein in das Leben, das Leben des Augenarztes Marco Carrera. Gerade hat er erfahren, dass ihn seine Frau, eine Stewardess, verlassen wird und zwar nicht von dieser selbst, sondern von ihrem Psychoanalytiker. Das ist schon eine doppelte Schmach und setzt eine Menge Emotionen bei diesem frei. Und dann geht das Leben einfach weiter. Da warten einige heftige Schicksalsschläge auf diesen Mann und auch die Mitglieder seiner Familie müssen harte Zeiten durchstehen. Die Geschichte blickt aber auch verstärkt zurück und erzählt von dem Weg des späteren Arztes, beginnend bei den Problemen in seiner Kindheit. Und der Name des Kolibris als Symbol eines unendlich zartknochigen aber trotzdem geradezu vibrierenden Geschöpfs hat ihn schon damals begleitet.
Irgendwie ist bei dieser Geschichte alles im Fluss, obwohl man sie nicht in chronologischem Ablauf erzählt bekommt. Ständig wird zwischen den Zeiten gewechselt und was man erfährt, wird teilweise aus Briefen bestückt und durch sehr kunstvolle aber manchmal auch aberwitzig konstruierte Dialoge befüllt. Dies so anzunehmen und es als absoluten Gewinn für diesen Roman zu sehen, dafür braucht es 'Eingewöhnung', aber dann wird 'dieser Kolibri' einfach zu einem ganz wunderbaren Leseerlebnis.
Und die Auszeichnung "Premio Strega 2020" steht, absolut verdient, genau dafür.

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Veröffentlicht am 23.08.2021

Ein Junge glaubt an das Schöne im Leben, er muss nur weiterkämpfen

Shuggie Bain
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Glasgow, die Arbeiterstadt, das fällt einem bei deren Erwähnung als erstes ein. Hier verbringt Shuggie Bain seine Kindheit, ein zarter Junge, sehr sensibel und geprägt von dem Willen, alles richtig zu ...

Glasgow, die Arbeiterstadt, das fällt einem bei deren Erwähnung als erstes ein. Hier verbringt Shuggie Bain seine Kindheit, ein zarter Junge, sehr sensibel und geprägt von dem Willen, alles richtig zu machen, nicht aufzufallen und seiner über alles geliebter Mutter über das hinwegzuhelfen, was nun mal ihr Leben ist. Agnes, so heißt sie, hat ihren ersten Mann verlassen, um mit seinem Vater, einem Taxifahrer, zusammenzuleben. Dieser trinkt, hat Frauengeschichten und verlässt die Familie schließlich. Seine Mutter versucht aus den prekären Verhältnissen, in denen sie leben müssen, das Beste zu machen und ihren intelligenten fantasievollen Sohn zumindest glückliche Momente erleben zu lassen. Doch die Dinge werden nicht besser, die Stärke und mit ihr das ganze Wesen der Mutter verglüht und wandelt sich in Depression und der Ausflucht in den Alkohol.
Shuggie Bain, das ist der Titel dieses autobiographisch geprägten Romans und Shuggie Bain ist auch der Held dieser Geschichte, zumindest mein Held. Deine Tapferkeit, das Beharren auf dem Versuch, Schönes zu empfinden und trotz der tiefen Hoffnungslosigkeit, dass sich etwas an den desaströsen Verhältnissen der kleinen Gemeinschaft ändert, der Junge gibt nicht auf, nicht für sich und vor allem auch nicht für seine Mutter, denn die tiefe Liebe zu ihr macht ihn innerlich stark.
Dies ist ein absolut wunderbares Buch, auch wenn dieser Begriff vielleicht nicht so richtig zu den Gegebenheiten passt oder dann eben doch. Denn diese Geschichte, seine literarische Umsetzung, das reißt einen als Leser einfach mit, Seite für Seite, so trostlos und tieftraurig, aber auch unendlich berührend, dieses Werk auch ist.
Dieser Roman ist ein absolutes Leseerlebnis und hallt in den Gedanken noch lange nach. Und für den Booker Prize 2020 ausgewählt worden zu sein, niemand hätte es mehr verdient.

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