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Veröffentlicht am 22.10.2021

Warum sich niemand über graue Haare ärgern sollte

Was bleibt, wenn wir sterben
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Die Autorin Louise Brown litt nach dem Tod ihrer Eltern sehr. Sie hinterfragte ihr bisheriges Leben und kam zu dem Schluss, dass etwas fehlte. Wollte sie in dem Hamsterrad bleiben? Fühlte sie sich in ihrem ...

Die Autorin Louise Brown litt nach dem Tod ihrer Eltern sehr. Sie hinterfragte ihr bisheriges Leben und kam zu dem Schluss, dass etwas fehlte. Wollte sie in dem Hamsterrad bleiben? Fühlte sie sich in ihrem Berufsleben rundherum zufrieden. Rasch erkannte sie, dass beide Fragen mit nein beantwortet werden mussten. Nach einigen unruhigen Tagen und vielen Überlegungen entschloss sie sich, dass sie beruflich einen Neuanfang gehen will.

Was bleibt, wenn wir sterben beginnt mit dem Werdegang der Autorin zum außergewöhnlichen Beruf der Trauerrednerin. Wie sie zur Berufswahl kam und wie sich ihre Einstellung zum Leben dadurch änderte. Sie schreibt, welche Gedanken sie bei der Formulierung einer Trauerrede bewegen. Sie sollte nicht nur aus dem Lebenslauf des Verstorbenen bestehen. Viel mehr sind es die kleinen Dinge, welche einen Menschen tatsächlich ausmachen. Denn, Trauer besteht nicht zwangsläufig nur aus Traurigkeit. Dieser lapidare Spruch: „Herzliche Teilnahme“ klingt doch viel besser, wenn gesagt wird: „I am sorry for your less“. Also: „Ich bedaure deinen Verlust.“ Und noch ein Gedanke, der mir ausgesprochen gut gefiel: Als gesunder Mensch sollte sich niemand über ein einzelnes graues Haar aufregen. Ist es nicht viel aufbauender, froh zu sein, dass man das Ergrauen der Haare überhaupt erlebt?

Bei Büchern über Tod und Trauerbewältigung bin ich stets sehr skeptisch. Aber dieses Werk hat mich vollkommen überzeugt. Es werden keine klugen Reden niedergeschrieben und Floskeln wiederholt. Luise Brown spricht aus ihren Erfahrungen und das so, dass ich diese auch wirklich nachvollziehen konnte. Zudem zitierte sie etliche Sätze aus ihren Reden, die mir ebenfalls sehr gut gefielen. Zum Schluss gibt es noch einen Zitatnachweis und ein Interview mit Frau Brown. Ja, es ist ein lesenswertes und gar nicht trauriges Buch. Volle Empfehlung dafür.

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Veröffentlicht am 07.10.2021

Er hat viel mehr Beachtung verdient

Helmholtz
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Neben seinen Forschungen war ihm die Familie stets am wichtigsten. Das begann im Kindesalter, als er wohlbehütet und umsorgt aufwuchs und endete mit seinem Tod, bei dem er von seinen Lieben begleitet wurde. ...

Neben seinen Forschungen war ihm die Familie stets am wichtigsten. Das begann im Kindesalter, als er wohlbehütet und umsorgt aufwuchs und endete mit seinem Tod, bei dem er von seinen Lieben begleitet wurde. Die Rede ist von Hermann von Helmholtz. Am 31. August jährte sich sein Geburtstag zum 200. mal und das ist auch der Grund für die Veröffentlichung dieser Biographie. Er gilt als einer der ganz Großen in der Wissenschaft und ist doch nur wenigen bekannt. Das betrifft in besonderer Weise seine Forschungen und Entdeckungen. Dazu zählt zum Beispiel die Dreifarbenlehre, welche nur durch seine Entschlossenheit zum Erfolg wurde. Aber auch der Augenspiegel gehört zu seinen herausragenden Entdeckungen, die bis heute in der Praxis Anwendung finden.

Das recht dicke Buch beginnt mit einer wie ich finde, recht persönlichen Einleitung. Dieses Geleitwort verfasste seine Ururenkelin Nathalie von Siemens. Helmholtz galt als angepasst und führte das aus, was von ihm erwartet wurde. Widerstand war ihm fremd. Nur ein einziges Mal in seinem Leben widersetzte er sich einer Aufgabe. Als sein Klavierlehrer ihn derart nervte, warf er ihm kurzerhand die Noten vor dessen Füße und verließ aufgebracht das Muskizimmer.

Herr von Helmholtz wuchs in Armut auf und war auch später genügsam. Er rauchte nicht und über den Alkohol äußerte er sich skeptisch. Meinte er doch, dass dieser bereist in geringster Dosis seinen Geist vernebelt und alle guten Ideen aus seinem Gehirn vertreibe. Aber nicht nur das Leben der Familie von Helmholtz wird beleuchtet. Der Autor Cahan schreibt über die Rivalität zwischen französischen und deutschen Wissenschaftlern damaliger Zeit. In den Jahren etwa von 1860 bis 1914 herrschte der „Kalte Krieg“ unter den „Gelehrten“. Dabei gab es gerade da Erfindungen, wie etwa den Dynamo, das Telefon oder die Glühbirne.

Am 06.10.2021 wurde bekannt, dass ein deutscher Wissenschaftler den Nobelpreis für Physik erhalten sollte. Wenn ich bedenke, dass gerade mal 200 Jahre vergingen, als es diese Wissenschaft noch gar nicht gab? Dass es erst Männern wie Helmholtz bedurfte, damit die Physik diesen Stellenwert erhielt? Der Autor David Cahan arbeitete 30 Jahre an dieser Biographie und sie ist ihm ausgezeichnet gelungen.

Die Sprache ist gehoben aber nicht so, dass ein Studium zum Verständnis erforderlich ist. Das liegt auch an der hervorragenden Arbeit der Übersetzer Marlene Fleißig, Antoinette Gittinger, Ursula Held, und Sigrid Schmid. Nach der eigentlichen Biographie folgen der Epilog, eine Danksagung sowie die Erläuterungen zu den Abkürzungen. Die Anmerkungen zu den einzelnen Verweisen folgen und sie umfassen mehr als 100 Seiten. Eine erwähnenswerte und sehr gelungene Zugabe sind die Fotos im Text. Auf ihnen wird die vergangene Zeit wieder lebendig. Es ist kein Schmöker, sondern ein Werk gehobener Literatur.

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Veröffentlicht am 25.09.2021

Auch der finale Band konnte mich überzeugen

Deluxe Nights
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Der finale Band einer Trilogie um Geld, Macht und Liebe hat mich überzeugt. Deluxe Nights dreht sich dieses Mal um den Fiesling Pascal. Als Sohn eines Dumont - Inhabers, der wohl zudem auch am Mord seines ...

Der finale Band einer Trilogie um Geld, Macht und Liebe hat mich überzeugt. Deluxe Nights dreht sich dieses Mal um den Fiesling Pascal. Als Sohn eines Dumont - Inhabers, der wohl zudem auch am Mord seines Bruders beteiligt war, hat auch Pascal keinen guten Ruf. Er gilt als arrogant und nimmt sich die Frauen so, wie es ihm beliebt. Sein unvorstellbarer Reichtum zieht sie an wie die Motten das Licht. Ein Playboy, wie er im Buche steht. Jetzt kommt Gabrielle, die Tochter der Hausangestellten zurück. Schon die erste Begegnung mit ihr fasziniert Pascal so sehr, dass er sie als Mädchen für alles einstellen möchte. Sie sträubt sich zunächst und der junge Mann fühlt sich in seiner Ehre gekränkt.

Ja, jetzt ist es leider vorbei mit dem Auf und Ab bei den Dumonts. Alle drei Bände las ich mit Neugier und auch dieser Band Deluxe Nights gefiel mir gut. Bei diesem ging es um Pascal, dem Sprössling des Fieslings und dem angeblichen Mörder seines Bruders. Und um Gabrielle, die im Hause Dumont nicht nur schöne Stunden erlebte. Direkt am Anfang schrieb die Autorin eine Triggerwarnung und das war gut so. Wer von sexuellem Missbrauch und Gewalt betroffen ist oder war, der sollte das Buch nur mit Vorsicht genießen.

Spannend war es und es gab einige Wendungen, mit denen ich nicht unbedingt rechnete. Den Schluss fand ich gut durchdacht und ereignisreich. Wie in den Krimis halt üblich. Ja, es war auch vorhersehbar aber das störte mich bei diesem Buch absolut nicht. Es ist ein Schmöker für zwischendurch, der vorzüglich zum Ablenken von den Sorgen des Alltags taugt.

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Veröffentlicht am 12.09.2021

Zwei Persönlichkeiten, die wohl kaum jemand kennt

Flucht nach Patagonien
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Eugenia Errázuriz liebte die Kunst und junge Künstler liebten diese spendable Frau. Sie griff den jungen Schöpfern mit finanziellen Mitteln unter die Arme. Nicht nur Coco Chanel konnte durch sie ihre Erfolge ...

Eugenia Errázuriz liebte die Kunst und junge Künstler liebten diese spendable Frau. Sie griff den jungen Schöpfern mit finanziellen Mitteln unter die Arme. Nicht nur Coco Chanel konnte durch sie ihre Erfolge feiern. Als sie den Architekten Jean-Michel Frank kennenlernte war für sie klar, dass sie auch ihm helfen wollte. Allerdings nicht in Frankreich. Zu gefährlich war es damals für Juden in Europa. Sie wurden zunehmend verfolgt und Gerüchte über schlimme Todeslager mehrten sich. Kurz entschlossen überredete Eugenia ihren Freund Jean-Michael zu einer Reise nach Patagonien. Sie wollte dort das erste Grandhotel der Anden erbauen lassen.

Das Buch spielt in der Gegenwart, also während der Passage nach Patagonien und schwenkt immer wieder in die Vergangenheit der beiden Hauptpersonen. Eugenia war wesentlich älter als
Jean-Michel und ihre Freundschaft war nicht auf Sex fokussiert. Beide interessierten sich für Kunst und hatten noch etliche weitere gemeinsame Interessen. Wie Anne Frank und ihre Familie von
Jean-Michael beschrieben wird, das gefiel mit gut. Er kannte die Franks, war er doch mit ihnen verwandt.

Die Autorin schreibt anders als viele ihrer Kollegen und ich musste mich zunächst an diesen Stil gewöhnen. Er ist ernst und sehr sachlich. Also so, wie es meiner Meinung nach gut in die Romane dieser schlimmen Zeit passt. Einfühlsam berichtet Jana Revedin, wie sich der Hass gegen Juden auch in Frankreich zunächst schleichend, später dann gewaltig, in die Köpfe der Franzosen einnistete.

Von Jean-Michel Frank wusste ich vor dem Lesen des Romans nichts. Dabei war er ein bekannter Innenarchitekt. Er galt als einflussreichster Designer der 30er Jahre in Paris. Er schaffte Kunstwerke aus einfachsten Materialien und bis heute gibt es Designer, die Möbel exakt nach seinen Vorlagen herstellen. Ein wirklich lehrreicher Roman über zwei Menschen, die zu ihrer Zeit viel bewegten.

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Veröffentlicht am 11.09.2021

Welch ein beeindruckendes Buch

Arab
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Der Autor Tim Mackintosh-Smith lebt im Jemen. Er wickelt das arabische Leben so akribisch auf, dass auch jene dem Werk gut folgen können, die sich bis dato nicht so intensiv für die „Araber“ interessierte. ...

Der Autor Tim Mackintosh-Smith lebt im Jemen. Er wickelt das arabische Leben so akribisch auf, dass auch jene dem Werk gut folgen können, die sich bis dato nicht so intensiv für die „Araber“ interessierte. Ein wenig Kenntnis der Materie sollte man allerdings mitbringen. Herr Mackintosh-Smith beginnt seine Erzählung im 9. Jahrhundert vor Christi und endet beim Bestreben der jungen Leute, einen „arabischen Frühling“ ins Leben zu rufen. Es endet also im Jetzt. War es anfangs die Sprache und somit auch der Koran, welcher die unterschiedlichen Ansichten der arabischen Herrscher einte, so ließt diese Einheit sehr bald nach. Kaum ein Volk war derart zerstritten, wie dieses.

Ja, es ist ein dickes Buch mit immerhin 686 Seiten und zu wertvoll, als dass es „überflogen“ wird. Daher nahm ich mir viel Zeit zum Lesen und es lohnte sich. Niemals zuvor wurde mir so präzise vermittelt, was die „Araber“ ausmacht. Aber auch viele Gemeinsamkeiten mit Juden und Christen lernte ich kennen. Eigentlich unvorstellbar, dass jüdische und palästinensische Bewohner sich derart bekriegen. Der biblische Sam ist der Urvater von Semiten und Arabern. Ob die Kontrahenten das nicht wissen?

Mohammed schrieb den Koran und hoffte darauf, dass seine Glaubensbrüder mit einer Stimme sprechen. Dabei gibt es immerhin 50 Dialekte. Spannend fand ich auch dies:
Allein für die Vokabel Kamel gibt es 1000 Synonyme. Wenn ich mir diese Zahl vergegenwärtige bin ich beeindruckt. Wie lebendig und bildhaft muss diese Sprache doch sein. Und nicht nur das war erstaunlich. Ich wusste nicht, dass es bereits im 4. Jahrtausend vor Christus bereits Bewässerungsanlagen gab. Also, die Araber waren ihrer Zeit weit voraus.

Das, was für viele von uns heute TV und Social Media ist, das war für die Araber ihre Dichtkunst. Auch das zeugt von bildhafter Sprache und Phantasie. Sehr schön fand ich die Erklärung der „Schöpfung von Pferden“. Gott nahm es selbst in die Hand, diese edlen Geschöpfe zu formen. Bis heute gibt es viele Besitzer, die ihre Tiere als Partner ansehen.

Ich hoffe sehr, dass ich nicht zu viel verriet, Ihnen aber das Lesen dieses wertvollen Buches schmackhaft machen konnte. Es ist so wertvoll und hilft, die Araber (noch) besser zu verstehen. Viele von ihnen sind doch auch nur die Spielbälle ihrer Herrscher.

Im Nachwort schreibt der Autor noch einmal seine Überlegungen zu den Arabern der heutigen Zeit und welche Gedanken ihm beim Schreiben kamen. Im Anhang gibt es eine ausführliche Zeittafel mit sämtlichen relevanten Ereignissen in der arabischen Welt. Darauf folgen etliche Seiten mit Anmerkungen zu Fußnoten. In der Bibliographie kann der Leser schnell bestimmte Begriffe finden und sie dann rasch im Buch finden und ihre Bedeutung nachlesen.

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