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Veröffentlicht am 17.09.2021

Ziemlich überfrachtet

Der Kolibri
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Der Kolibri – Sandro Veronesi
Dieser Roman wurde mit dem italienischen Premo Strega 2020 ausgezeichnet. Und wie so oft bei preisgekrönten Werken war es mir irgendwie von allem zu viel.
Im Wesentlichen ...

Der Kolibri – Sandro Veronesi
Dieser Roman wurde mit dem italienischen Premo Strega 2020 ausgezeichnet. Und wie so oft bei preisgekrönten Werken war es mir irgendwie von allem zu viel.
Im Wesentlichen wird hier das Leben des Augenarztes Marco Carrera erzählt. Dieser ist ein ewiger Verlierer, ein typisches Opfer des Lebens, das sich von Schicksalsschlag zu Schicksalsschlag treiben lässt, ohne sich je davon zu erholen.
Das Raffinierte an der Erzählweise ist die Anordnung der einzelnen Fragmente als großes Puzzle. Willkürlich springt die Handlung zwischen Ereignissen in Marcos Leben vor und zurück – gekennzeichnet einzig durch die Angabe der jeweiligen Jahreszahl in der Kapitelüberschrift. Dieses Vorgehen ist spannend – fügen sich doch die einzelnen Teile nach und nach zu einem Gesamtbild zusammen. Allerdings wird man immer wieder aus dem Lesefluss herausgerissen und muss sich komplett neu orientieren.
Auch der Inhalt der verschiedenen Episoden ist besonders. Vieles erscheint märchenhaft, auf jeden Fall sehr kreativ. An Ideen scheint es Herrn Veronesi auf keinen Fall zu mangeln. An manchen Stellen fühlte ich mich an gewisse südamerikanische Autoren erinnert (wie nannte sich das noch… magischer Realismus?).
Das Nachwort am Ende des Buches bringt hier etwas Licht ins Dunkel. Scheinbar hat Veronesi etliche Ideen (bekannter?) italienischer Autoren aufgegriffen. Bei mir bleibt auch hier wieder eher ein Gefühl der Unzulänglichkeit zurück. Es gibt so einiges, was man nicht wirklich ernst nehmen kann. Zweifellos ist auch das beabsichtigt, nur erschließt sich mir das wahre Wesen dieses Werkes nicht. Es wirkt vieles sehr künstlich, zwanghaft zu einer Geschichte gepresst.
Inhaltlich ist die Psychoanalyse ein großes immer wiederkehrendes Thema. Beispielsweise der eingebildete Faden am Rücken der Tochter…. Allerdings ist Marco ein großer Kritiker ebendieser Psychoanalyse, scheinbar sieht er darin den Quell allen Übels. Hm, ich bin mir nicht sicher, was der Autor uns mit diesem Werk sagen will. So wie ich mir sicher bin, dass ich sehr vieles darin nicht verstanden habe. Die Familiengeschichte ist wohl nur vorgeschoben, aber worum geht es eigentlich? Ist dies eine Abrechnung mit allen möglichen Dingen, beispielsweise eben der Psychoanalyse? Es ist ein Werk, das furchtbar komplex ist. Offenkundig eine Familiengeschichte, die recht leicht zu greifen ist. Allerdings kann ich das was dahinter liegt, nicht fassen.
Dann auch noch eine Liebesgeschichte, die Jahrzehnte andauert und sich im Prinzip auf Briefkontakt beschränkt. Einige Briefe sind abgedruckt – furchtbar überzeichnet, irgendwie unpassend und unbegreiflich, warum diese beiden unglücklichen Figuren es partout nicht geschafft haben sollen, zusammen zu kommen. Auch hier: was will der Autor damit ausdrücken? Ich komm nicht dahinter.
Insgesamt also ein einigermaßen gut lesbarer Roman über eine Familiengeschichte, serviert als Puzzle. Zurück bleibt ein unbefriedigendes Gefühl, soviel nicht verstanden zu haben, nur an der Oberfläche gekratzt zu haben. Sprachlich und inhaltlich total überfrachtet – eine anstrengende Lektüre, für die ich auch recht lange gebraucht habe.
Auch wenn ich der Meinung bin, dass dies schriftstellerisch eine großartige Leistung ist, hat es mir trotzdem nicht wirklich gefallen. 3 Sterne!

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Veröffentlicht am 11.09.2021

Nichts spektakuläres

Kleine Freuden
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Kleine Freuden – Clare Chambers
Es ist eine leise, etwas altbacken daherkommende Geschichte, die Clare Chambers hier erzählt. Kein Wunder, schließlich spielt sie 1957 in London.
Jean Swinney geht gnadenlos ...

Kleine Freuden – Clare Chambers
Es ist eine leise, etwas altbacken daherkommende Geschichte, die Clare Chambers hier erzählt. Kein Wunder, schließlich spielt sie 1957 in London.
Jean Swinney geht gnadenlos auf die Vierzig zu. Lachen hat sie dabei nicht allzu viel in ihrem ziemlich langweiligen und eingeengten Leben. Tagaus tagein kümmert sie sich aufopferungsvoll um ihre Mutter. Eine Wende naht, als sie in ihrem Job als Redakteurin auf eine seltsame Geschichte stößt. Gretchen Tilbury behauptet steif und fest, ihre Tochter vor zehn Jahren jungfräulich empfangen zu haben. Tatsächlich scheinen die ersten medizinischen Tests diese Aussage zu stützen. Jean geht der Sache nach und es dauert nicht lange, bis sie sich nicht nur mehr beruflich mit den Tilburys beschäftigt.
Hatte sich Jean über so viele Jahre ganz in ihrem wenig aufregendem, beengtem Leben eingerichtet, sieht sie nun plötzlich die (vielleicht letzte) Chance auf ein bisschen Glück und eine eigenständige Zukunft.
Es dauerte ein bisschen, bis ich mich an den recht altmodischen Erzählstil gewöhnt hatte. Dann war das aber ganz gut und auch wirklich authentisch. Inhaltlich löst sich der Roman über weite Teile etwas von dem Thema der Jungfrauengeburt. Vielmehr steht die Entwicklung Jeans in Vordergrund – und eine ziemlich vorhersehbare Liebesgeschichte. Tatsächlich bietet dieses Werk wenig Überraschungen – einzig der Schluss rettet hier noch mindestens einen Stern.
Ein sehr ruhiger Roman, der wunderbar zu lesen ist, aber wenig überraschendes bereithält. Ich mochte ihn gern, ob sich davon etwas im Gedächtnis hält, wird sich zeigen. 3 Sterne.

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Veröffentlicht am 31.07.2021

Oberflächlich

Dich hab ich nicht kommen sehen
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Dies ist eine schöne Liebesgeschichte, die eher humorvoll denn gefühlvoll ist. Es sind einige wirklich witzige Situationen und Dialoge dabei, die mich zum Lachen gebracht haben. Auch die Lovestory um ...

Dies ist eine schöne Liebesgeschichte, die eher humorvoll denn gefühlvoll ist. Es sind einige wirklich witzige Situationen und Dialoge dabei, die mich zum Lachen gebracht haben. Auch die Lovestory um Mari und Leo konnte mich fesseln und war an vielen Stellen überzeugend.
Gestört hat mich die teilweise recht oberflächliche Figurenzeichnung. Einige der Figuren (eher die Nebenfiguren) sind für mich einfach nur drüber und deutlich überzeichnet. Manche der Entwicklungen dementsprechend unglaubwürdig, ins Slapstic abgleitend.
Sprachlich fand ich den Roman in Ordnung, locker-leicht, zur Geschichte passend!
Deshalb insgesamt ein locker-lustiges Lesevergnügen, wirklich überzeugen konnte es mich aber nicht.
3 Sterne!

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Veröffentlicht am 14.07.2021

Im Angesicht des Todes

Die Wütenden und die Schuldigen
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Die Wütenden und die Schuldigen – John von Düffel

Richard, ein ehemaliger protestantischer Pfarrer hat nicht mehr lange zu leben. Um ihn geht es hier in diesem Roman. Um seinen Rückblick auf das Leben, ...

Die Wütenden und die Schuldigen – John von Düffel

Richard, ein ehemaliger protestantischer Pfarrer hat nicht mehr lange zu leben. Um ihn geht es hier in diesem Roman. Um seinen Rückblick auf das Leben, auf seine Schuld und Versäumnisse. Aber auch die Angehörigen werden beleuchtet. Der Sohn in der Psychiatrie. Die Schwiegertochter, die ihre zweiwöchige Quarantäne mit einem Rabbi verbringt und neue Erkenntnisse erlangt. Die Enkelkinder Selma und Jakob, von denen jeder sein eigenes Päckchen zu tragen hat. Eigene Leben und doch eng miteinander verflochten.

Über Holger, den Sohn, der sich nach einem Suizidversuch in der Psychiatrie befindet, erfährt man konkret am Wenigsten. Er ist vielmehr der wunde Punkt, die Leerstelle, die sie alle verbindet.

Gerade die Situation des Lockdown verschärft etliche bereits vorhandenen Konflikte. Die Figuren machen sich Gedanken über die Vergangenheit und die Zukunft. Insbesondere der Rabbi hält zahlreiche weise Aussagen über das Leben bereit.

Hochinteressante Themen. Woran liegt es nur, dass ich mich dennoch immer mal wieder gelangweilt habe? Zu den Figuren konnte ich leider überhaupt kein Gefühl aufbauen. Der ständige Wechsel zwischen den Perspektiven hat mich zunehmend ermüdet. Die Geschichte konnte mich nicht berühren.

Immer mal wieder stachen Szenen hervor, die geradezu provokativ abstoßend (teils brutal, teils eklig) ausgeführt waren. Meiner Meinung nach unnötig.

Insgesamt ein spannendes Thema, das mich in der Ausführung leider nicht so ganz überzeugen konnte. 3 Sterne.

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Veröffentlicht am 10.07.2021

Sehr fossilienlastig

Zwei bemerkenswerte Frauen
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Zwei bemerkenswerte Frauen – Tracy Chevalier

Dieser Roman erweckt tatsächliche Figuren und Begebenheiten zum Leben.

Mary Anning verdient ihren Lebensunterhalt im englischen Lyme mit der Suche und dem ...

Zwei bemerkenswerte Frauen – Tracy Chevalier

Dieser Roman erweckt tatsächliche Figuren und Begebenheiten zum Leben.

Mary Anning verdient ihren Lebensunterhalt im englischen Lyme mit der Suche und dem Verkauf von Fossilien. Ihre Familie ist arm, eine Arbeiterfamilie. 1830 zieht die unverheiratete, aber aus besseren Londoner Kreisen stammende Elizabeth Philpot nach Lyme. Die beiden Frauen freunden sich an, auch Elizabeth entdeckt ihre Liebe zu den Fossilien. Marys Funde werden derweil immer spektakulärer und von öffentlichem Interesse.

Diese Geschichte ist tatsächlich sehr fossilienlastig. Darüber hinaus leider ein bisschen blutleer und langatmig.

Das damalige England und seine Gesellschaft, insbesondere auch die Klassenunterschiede, werden sehr detailliert beleuchtet. Vermutlich deshalb wirkt die Geschichte etwas altbacken.

Die Handlung dümpelt so vor sich hin, Spannungsmomente gibt es nicht. Die beiden Frauenfiguren erzählen abwechselnd. Trotzdem blieben sie mir beide recht fremd.

Ein eigentlich interessantes Thema, das mich hier aber nicht wirklich berühren konnte.

3 Sterne.

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