Irrfahrt ohne Zug
Underground RailroadCora ist Sklavin der dritten Generation und lebt unter schrecklichen Bedingungen Mitte des 19. Jahrhunderts auf einer Baumwollplantage in Georgia, den Repressalien der eigenen Leute ebenso ausgesetzt wie ...
Cora ist Sklavin der dritten Generation und lebt unter schrecklichen Bedingungen Mitte des 19. Jahrhunderts auf einer Baumwollplantage in Georgia, den Repressalien der eigenen Leute ebenso ausgesetzt wie den Grausamkeiten der weißen Besitzer. Ihrer Mutter gelang einst die Flucht, ohne die kleine Cora; dies hat das Mädchen nie verwunden und doch ist sie stolz auf die Mutter, die nie gefasst wurde. Daher stimmt sie schließlich dem Plan des cleveren Caesar zu, mit ihm gemeinsam ebenfalls die Flucht zu wagen. Caesar verfügt über eine seltene Fähigkeit unter den Sklaven, er kann lesen und er kennt die Underground Railroad, die den Weg in die Freiheit des Nordens bedeutet.
Ich habe ein bisschen gebraucht, bis ich in die Geschichte hineingefunden hatte. Whitehead schreibt anschaulich und atmosphärisch, läßt aber auch Leerstellen. Nicht nur die Sklavin Cora kommt zu Wort, sondern ebenso auch andere Figuren, die in dieser exemplarischen und grausamen Fluchtgeschichte wichtig sind, z.B. der Kopfgeldjäger Ridgeway und verschiedene Fluchthelfer. Sie alle lassen die Lesenden an ihren Gedanken und Meinungen teilhaben, die einen großen Teil des Romans ausmachen und den Lesefluss auch gelegentlich hemmen. Gedanken über die Sklaverei, das Land Amerika, Gerechtigkeit und Freiheit. Die Kapitelüberschriften nennen jeweils abwechselnd eine Person und einen Bundesstaat, anhand dessen die Geschichte (der Sklaverei in verschiedenen Staaten Amerikas) und die Flucht erzählt werden. Der Autor springt häufig in der Handlung vor und zurück. Eine Lücke im Erzählen wird oft durch ein späteres Kapitel gefüllt. Dies erfordert die volle Aufmerksamkeit der Lesenden, ebenso wie der dichte Schreibstil.
Die Underground Railroad hatte ich mir als ein Netzwerk vorgestellt, nicht als eine tatsächliche unterirdische Eisenbahnstrecke. Als die erste Station im Roman beschrieben wurde, habe ich mich gefragt, ob denn niemand die fahrenden Züge hört und wer denn eigentlich diese Tunnel gegraben haben soll? Das fand ich recht unwahrscheinlich und tatsächlich hat diese unterirdischen Bahnhöfe und Gleise nie gegeben. Als Underground Railroad wurde das Netzwerk der Fluchthelfer bezeichnet, die Stationsvorsteher waren Fluchthelfer und die Stationen waren die Unterkünfte, in denen die geflohenen Sklaven versteckt wurden.
Mit diesem Wissen hat die Geschichte noch einen zusätzlichen Kniff. Für mich steht dieses (unglaubliche) fiktive Schienennetzwerk in seiner Absurdität für den unglaublich couragierten und todesmutigen, ja kaltblütigen Einsatz der Flüchtenden und der Fluchthelfer. Die Bestrafung der Gefassten als Abschreckung für andere war entsetzlich und wird im Roman hinreichend beschrieben. Daher ist dieser auch eher nichts für zartbesaitete Rezipienten. Diese Vermischung von Realität und Fiktion macht das Besondere an diesem Roman aus, der 2017 mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet wurde.
Die Fluchtgeschichte von Cora, die an kaum einer Stelle wirklich hoffnungsvoll ist, erhält vier Sterne.