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Veröffentlicht am 16.10.2021

Oder stirbt sie doch

Barbara stirbt nicht
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Barbara und Walter Schmidt sind schon lange verheiratet. Eigentlich war Barbara nicht die erste Wahl, aber ein Kind war unterwegs. Der Alltag schien genau durchgeplant, Barbara versorgte den Haushalt und ...

Barbara und Walter Schmidt sind schon lange verheiratet. Eigentlich war Barbara nicht die erste Wahl, aber ein Kind war unterwegs. Der Alltag schien genau durchgeplant, Barbara versorgte den Haushalt und Walter machte, was er meinte. Doch eines Morgens stürzte Barbara im Bad und war danach nicht mehr in der Lage aufzustehen. Und nun erledigt Herr Schmidt alles und Barbara schläft und isst nicht. Die Kinder sind aus dem Haus und Herr Schmidt will auch nicht, dass sie zu häufig kommen. Dafür lernt er, sich mit dem Computer zu befassen. Schließlich muss er irgendwo erfahren, wie er Barbara etwas Leckeres zubereiten kann.

Die Schmidts sind schon ein seltsames altes Ehepaar, wobei Barbara in sich zu ruhen scheint und Walter vor sich hingrantelt und schnappt, wenn sich mal jemand nach seinem Befinden erkundigt. Obwohl Barbara offensichtlich krank ist, will Walter davon nichts wissen. Barbara stirbt nicht, sie isst nur nicht, aber Walter wird schon dafür sorgen, dass alles wieder in die Reihe kommt. Dass seine ganze Umgebung das anders sieht, ficht Walter nicht an. Doch bei aller Brummigkeit, öffnet sich Walter doch ein wenig und wagt einen großen Schritt, der Barbara gefallen soll.

Mit humorvollen Worten und teilweise beißendem Witz schildert die Autorin das Eheleben von Walter und Barbara, dass wohl auf seinen letzten Abschnitt zugeht. Walter, der immer wollte, dass sie in Deutschland nicht schon wegen ihres Akzents auffallen, hat seine Frau wohl erzogen. Seiner Meinung nach hat er sich in die Ehe gefügt und sein Bestes gegeben. Und er hat die zarte Barbara den ganzen Haushalt erledigen lassen. Über seine Gefühle spricht Walter nicht, da nutzen auch alle gut gemeinten Worte nichts. Gerade wenn sich alles in ihm zusammenzieht, wird er besonders bärbeißig, auch seinen Kindern gegenüber. Bei Beginn der Lektüre dieses witzigen Romans, der einem manchmal auch das Lächeln auf den Lippen gefrieren lässt, wird man direkt in die Handlung gezogen. Zwar fehlen einige Hintergrundinformationen, aber man ist gleich mitten drin im Leben von Walter und Barbara. Und so bewirkt die Handlung, dass man reagiert und reflektiert. Wie haben die eigenen Eltern gelebt? Wie hätte man selbst es gemacht? Mit leichten Worten geschrieben, widmet sich die Autorin durchaus ernsten Themen und ihre teils eigenwillige Herangehensweise macht den Roman sehr lesenswert.

Veröffentlicht am 11.10.2021

Zwei neben ihr

Judith und Hamnet
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Der Vater des jungen William Shakespeare hat Schulden und sein guter Ruf ist dahin. William muss deshalb, um einen Teil der Schulden abzutragen, Latein unterrichten. Eine sehr öde Aufgabe, hätte er nicht ...

Der Vater des jungen William Shakespeare hat Schulden und sein guter Ruf ist dahin. William muss deshalb, um einen Teil der Schulden abzutragen, Latein unterrichten. Eine sehr öde Aufgabe, hätte er nicht einen Blick auf das Mädchen mit dem Falken geworfen. Es handelt sich um Agnes, die älteste Tochter des Hauses. Kurz darauf heiraten sie und William. Im folgenden Sommer wird die erste gemeinsame Tochter Susanna geboren und nicht viel später die Zwillinge Hamnet und Judith. Die beiden sind ein Herz und eine Seele. Als die Zwillinge elf Jahre alt sind, fühlt sich Judith plötzlich unwohl. Hamnet ist in großer Sorge, der er ertastet die verdächtigen Beulen am Hals seiner Schwester.

Über das Leben William Shakespeares und seiner Familie sind nur wenige Fakten bekannt. So stimmt es, dass seine Frau einige Jahre älter war als er und sie drei Kinder hatten. Auch ist belegt, dass Hamnet mit elf Jahren verstarb. Um diese wenigen Daten entwickelt die Autorin ein fesselndes Familiendrama. Erzählt wird von den letzten Lebenstagen des aufgeweckten Hamnet. Er entdeckt die Krankheit seiner Schwester und versucht vergeblich Hilfe zu holen. Erst später als Agnes aus dem Wald nach Hause kommt, kann sie sich um Judith kümmern. In Rückblenden wird die Geschichte von William und Agnes erzählt. Die Gesamtkomposition bildet eine anrührende Ausschmückung der wenigen gesicherten Lebensdaten.

Shakespeare mal nicht in erster Linie als Dichter, sondern als junger Mann, Geliebter und Vater. Die Erzählweise ist etwas verwickelt, doch nachdem man sich eingelesen hat, bietet sie eine besondere Facette. Im Mittelpunkt der Geschichte steht jedoch Agnes, die sehende Frau, die sich sofort sicher ist, dass William der Richtige ist, dass mehr in ihm steckt. Sie ist sich auch sicher, dass zwei Kinder an ihrem Sterbebett stehen. Auf welch tragische Weise sie Recht behalten wird, kann sie nicht ahnen. Agnes ist eine eigenwillige und starke Frau, die zum Besten anderer in der Lage ist, Verzicht zu üben. Diese Familiengeschichte wirft einen anderen Blickwinkel auf Shakespeare und fesselt damit ungemein.

Veröffentlicht am 10.10.2021

Die Patentochter

Eine Art Familie
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Almas Eltern versterben früh. Über verschiedene Stationen kommt sie Anfang der 1920er nach Frankfurt zu ihrem Patenonkel, der eigentlich nicht ihr Patenonkel ist. Ludwig Lendle ist kaum älter als sie. ...

Almas Eltern versterben früh. Über verschiedene Stationen kommt sie Anfang der 1920er nach Frankfurt zu ihrem Patenonkel, der eigentlich nicht ihr Patenonkel ist. Ludwig Lendle ist kaum älter als sie. Pate war eigentlich sein Vater, der nicht mehr am Leben ist. Ludwig hat Alma gewissermaßen geerbt. In Frankfurt lebt er wegen des Studiums. Im Haus der Familie Mensch hat er eine Wohnung, die er sich mit Fräulein Gerner teilt. Und Alma vervollständigt die ungewöhnliche Wohngemeinschaft. In diesen ersten Jahren ist die Zeit relativ leicht, der erste Weltkrieg, in dem auch Ludwig diente, ist vorbei und es hat den Anschein, als genieße die Gesellschaft die Freiheit.

Der Autor zeichnet, wie im Umschlagtext erläutert, die Geschichte seines Onkels nach. Wohl aus Erzählungen von Alma und aus Tagebüchern, die Ludwig hinterlassen hat. Nicht nur um die ungewöhnliche Wohngemeinschaft von Ludwig und den zwei Frauen geht es, auch um Ludwigs Bruder Wilhelm, dem die Eltern verbundener scheinen. Die Ursprungsfamilie wirkt wie ein Gegenpol zu Ludwigs Lebenswirklichkeit. Und doch mag sich Ludwig nicht fügen. Lieber studiert er, forscht und bleibt distanziert. Alma dagegen wirkt neugierig und nimmt die Dinge des Lebens in die Hand. Einen richtigen Beruf zu ergreifen, ist ihr nicht vergönnt.

Diese Lebensbeschreibung verläuft trotz der turbulenten und auch grausamen Zeit, in der sie sich abgespielt hat, eher ruhig. Ludwig lässt Leidenschaft nur erahnen und Alma findet sich mit der Vergeblichkeit ab. Das Fräulein Gerner scheint den Rahmen der Sicherheit für ihr Wohlbefinden zu wünschen. Findet man sich mit der Beschreibung ab, die Höhen und Tiefen glättet, hat man eine interessante Familiengeschichte, die sehr authentisch wirkt. Zwei Arten von Familien, die sich durchs Nazi-Regime lavieren und irgendwie durchkommen. Wobei gerade Ludwigs Dreierfamilie für die Zeit wohl bemerkenswert ist. Das mag etwas fade klingen, die Geschichte sticht aber gerade deshalb hervor, weil sie so ungewöhnlich normal oder normal ungewöhnlich ist. So wird es häufig gewesen sein, man war dabei oder schwamm mit und hat die Augen verschlossen. Die Lebensbeschreibung des Ludwig Lendle bleibt zwar etwas distanziert gefällt aber durch ihre Ehrlichkeit.

Veröffentlicht am 04.10.2021

Die neue Einheit

Blutrote Tulpen
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Es ist der Albtraum eines jeden Lokführers, dass sie jemand auf den Schienen befindet. Nie ist es möglich, rechtzeitig zu bremsen. Und Santi aus dem baskischen Gernika passiert das Schlimmste, es ist seine ...

Es ist der Albtraum eines jeden Lokführers, dass sie jemand auf den Schienen befindet. Nie ist es möglich, rechtzeitig zu bremsen. Und Santi aus dem baskischen Gernika passiert das Schlimmste, es ist seine eigene Frau, die er überfährt. Es stellt sich heraus, dass es sich um einen besonders grausamen Mord gehandlet hat und eine neue überregional arbeitende Polizeieinheit soll den Fall lösen. Ane Cestero wird zur Leiterin des Teams erklärt, was den älteren Kollegen eher missfällt. Nicht so ihrer Kollegin Julia, die die Verbindung zur örtlichen Polizei herstellt. Sofort beginnt die Suche nach dem Motiv und dem Täter.

Das Team um Ane und Julia bekommt es gleich im ersten Fall mit einer komplizierten Sache zu tun. Logischerweise wird zunächst im Umfeld des Opfers gesucht. Doch als die Ermittler zu einem zweiten Opfer gerufen werden, verändert sich die gesamte Richtung, in die sich die Untersuchung entwickelt. Jede noch so kleine Spur muss ausgewertet werden. Es erscheint unmöglich auch nur eine Gemeinsamkeit zu finden, außer den roten Tulpen, die bei den Opfern gefunden wurden. Auch müssen die unterschiedlichen Ermittler aus unterschiedlichen Einheiten sich zusammenraufen bevor sie ihre Kräfte bündeln können.

Dieser Start einer neuen Reihe von Kriminalromanen mit einem baskischem Team bringt frischen Wind in die Krimilandschaft. Die baskische Stadt Gernika bildet ein interessantes Setting. Man meint nicht, dass es im sonnigen Spanien so viel schlechtes Wetter geben kann. Die unterschiedlichen Ermittler müssen sich zu Beginn erstmal kennenlernen und auch der Leser muss sich etwas in die Handlung hineinfinden. Doch ist das erstmal geschafft, gestaltet sich die Handlung überraschend und ausgesprochen spannend. Unrühmliche Taten führen zu gemeinen Tötungsdelikten. Wenn das Leserherz vor Anspannung schneller schlägt, muss der Autor etwas richtig gemacht haben. Ab einem gewissen Punkt möchte man einfach nur noch wissen, wie alles zusammenhängt und schließlich wer der Täter ist. Durch Verschiebungen in der Perspektive und eingesprenkelte Rückblenden bekommt der Roman zusätzlich ein gewisses Etwas.

Veröffentlicht am 02.10.2021

Das Hudson-Projekt

Das Rosie-Resultat
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Don Tillmans Sohn Hudson ist inzwischen elf Jahre alt. Grundsätzlich ist er ein aufgewecktes intelligentes Kind, doch in der Schule hat er es nicht ganz leicht. Hudson mag es lieber korrekt und so korrigiert ...

Don Tillmans Sohn Hudson ist inzwischen elf Jahre alt. Grundsätzlich ist er ein aufgewecktes intelligentes Kind, doch in der Schule hat er es nicht ganz leicht. Hudson mag es lieber korrekt und so korrigiert er auch Fehler, viele Schulfreunde hat er nicht und Sport ist nicht sein Lieblingsfach. Als Don und seine Frau Rosie zur Schuldirektorin zitiert werden, ahnt Don nichts Gutes. Das erinnert ihn doch sehr an seine eigene Kindheit und Jugend. Sein Sohn soll es besser haben, ihm muss also unbedingt geholfen werden. Dons eigene Probleme müssen erstmal hinten angestellt werden. Hudson soll eine schöne Schulzeit haben und Freunde.

Zum dritten Mal erfahren Leser und Hörer mehr von Don Tillman, der es trotz oder auch wegen des Asperger-Syndrom, mit dem er lebt, ein erfülltes Leben zu haben. Erfüllt heißt allerdings nicht einfach. Kommunikationsprobleme führen immer wieder zu Schwierigkeiten. Manchmal könnte der Eindruck entstehen, wie der Vater so der Sohn. Doch, um es positiv auszudrücken, sowohl Vater als auch Sohn erweisen sich als findige Problemlöser. Sie nehmen sich der Aufgaben an, die ihnen das Leben stellt. Rosie tut dabei ihr Übriges, um ihre Männer zu verteidigen aber auch zu erden.

In diesem Hörbuch versteht es Robert Stadlober hervorragend dem Leser Dons Gedanken und seinen Tonfall nahezubringen. In seinem Wunsch, seinem Sohn den Weg zu bereiten, hat Don mit etlichen Problemen zu kämpfen. Und mit seiner manchmal naiven, meist analytischen Direktheit wird er die meisten Leser und Hörer für sich einnehmen. Auch wenn sie Veränderungen nicht unbedingt mögen, so ist es doch klasse, wie Don und Hudson sich der Aufgaben annehmen, die ihnen das Leben stellt. In diesem positiven Roman mit seinen sympathischen Hauptpersonen entdeckt man vielleicht, dass die Welt besser wäre, hätte sie mehr Menschen wie die Tillmans. Auch sie haben Probleme und brauchen manchmal Hilfe, aber sie packen es an und machen sich selbst an eine Lösung, möglichst ohne dabei anderen zu Nahe zu treten. Ein Roman, der das Herz erwärmt.