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Veröffentlicht am 31.10.2021

Was der Glaube vermag...

Himmelfahrt mit Hyperspeed
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So verschroben wie der Name des kleinen Ortes – Schrobengrün! -, irgendwo in der deutschen Provinz, ist auch dessen protestantischer Pfarrer, dessen Tätigkeit sich weitgehend auf die Durchführung von Beerdigungen ...

So verschroben wie der Name des kleinen Ortes – Schrobengrün! -, irgendwo in der deutschen Provinz, ist auch dessen protestantischer Pfarrer, dessen Tätigkeit sich weitgehend auf die Durchführung von Beerdigungen beschränkt und der ansonsten eine ruhige Kugel schiebt. Seine einzigen Sorgen richten sich auf gelegentliches Sodbrennen, das ihm seiner Meinung nach der Kartoffelsalat beschert, der anlässlich der für den kleinen Ort recht häufigen Leichenschmausfeiern serviert und ihm von seinen angejahrten Schäfchen regelrecht aufgezwungen wird. Eine weitere Prüfung ist Konfirmand Ronny, der einzige Jugendliche im Ort übrigens, der sich das kirchliche Fest antun möchte, nicht aus Frömmigkeit freilich, sondern weil er erwartet, von der Verwandtschaft zu seinem Ehrentage reichlich beschenkt zu werden. Ronny ist eine rechte Nervensäge, wie das Pubertierende nun mal sein können, und der Konfirmandenunterricht ist eine Tortur für Pfarrer Gregor Dümpel – ein Name, der duchaus passend ist für den schwächlichen jungen Mann, der mit der Hektik eines normalen Lebens so gar nicht klar kommt. Dass er sehr bald in ein wildes Abenteuer hineingezogen werden würde, das ihn in so mancher Hinsicht bis in die Grundfesten seines blassen, doch von profunder Gläubigkeit geprägten Seins erschüttern sollte, kann er an jenem besonderen Nachmittag, als er sich mit Unlust auf den Unterricht mit dem gelangweilten Ronny vorbereitet, nicht ahnen! Und hätte er es gewusst, hätte er sich ganz gewiss von der riesigen alten Orgel ferngehalten, aus der ein seltsames, durchdringendes Piepsen kam. Dass die Orgel sich denn auch noch als Raumschiff enttarnen würde, von einem geheimnisvollen Volk aus den Tiefen des Alls auf der Erde geparkt, das sich anschickte, ihn mitsamt dem mit seinem Smartphone verwachsenen Konfirmanden in den Weltraum zu katapultieren – na, wer kann denn so etwas für möglich halten?
Einige Zeit bevor Dümpel und Ronny auf das Piepsen in der Kirche aufmerksam wurden, hatte bereits die leidenschaftliche Archäologin Chloe mitten im peruanischen Dschungel, sie ihrerseits auf der Suche nach Spuren der sagenhaften Menda, einer sehr alten, völlig unerforschten Kultur, ein sehr ähnliches Erlebnis. In einer Tempelruine, die sich dann doch tatsächlich ebenfalls als Raumschiff herausstellte! Jedoch ist sie aus ganz anderem Holze geschnitzt als der sensible Pfarrer, dem schon der eigene Schatten Unbehagen einzuflößen scheint. Keine Herausforderung ist zu groß für sie, ihre Wissbegierde ist stärker als alle Furcht. Doch was da draußen im All auf sie zukommen würde, hätte auch sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen können! Ansonsten hätte sie womöglich – aber sicher ist das nicht, wie man bei genauerem Kennenlernen der flotten, die Handlung ungemein bereichernden Chloe mutmaßen mag – die Finger gelassen von den Krügen, die sie gefunden hatte und die offensichtlich nicht leer waren!
Um die Sache abzukürzen – während Dümpel und Teenager Ronny mit der alten Orgel 'mit Hyperspeed', wie es der Buchtitel bereits verrät, ins All unterwegs sind, ist Chloes Raumschiff, der alte Tempel aus dem dichtesten Urwald des südamerikanischen Kontinents, längst unsanft vor Ort gelandet und in die Fänge des Bösewichts Rogol N'Ansan vom Volk der tumben, aber fürchterlich brutalen und gnadenlosen Andur, die die gesamte ferne Galaxie, in der sich die Geschiche abspielt, tyrannisieren, geraten. Sehr bald treffen die drei Raum- und in gewissem Sinne auch Zeitreisenden wider Willen unter ernsten und gefährlichen, aber nichtsdestotrotz den Leser erheiternden Umständen aufeinander und versuchen, von nun an gemeinsam, dahinterzukommen, was ihnen da eigentlich widerfahren ist und was der Sinn hinter dem Unglaublichen ist, das sie zu sehen und zu hören bekommen. Denn einen Sinn muss das Ganze haben, irgendjemand oder irgendetwas muss zwei ganz gewöhnliche, wenn auch nicht gerade alltäglichen Gegenstände zu Raumschiffen umfunktioniert haben und gewollt haben, dass sie ihrer Bestimmung, was immer diese auch sein mag, zugeführt werden!
Nun denn, das Abenteuer kann seinen Lauf nehmen, für die draufgängerische Chloe, den zögerlichen Pfarrer und den aufmüpfigen, stets schrecklich hungrigen Konfirmanden, der sehr bald seine – schmerzhaften – blauen Wunder erleben wird ob seiner Gefräßigkeit! Und was für eine Geschichte entfaltet sich da vor den Augen des Lesers! Voller origineller Einfälle, voll spannender wie gefährlicher Situationen, bestückt mit den merkwürdigsten Gestalten, skurrilen Lebensformen, witzigen Dialogen, irrer Technik, so ausgefeilt und im wahrsten Sinne des Wortes außerirdisch, dass ich als Leser ohne technisches Vorwissen oder gar Verständnis und sowieso, gelinde gesagt, ungeübt in Sachen Science Fiction, Mühe hatte, einigermaßen mitzukommen, zu verstehen, was sich da eigentlich zutrug und was die Hightech-Apparate überhaupt bewirken sollten. Das aber störte meinen Spaß an der turbulenten, geistreichen, geradezu genialen Geschichte, der ich darüberhinaus viel Tiefe und Weisheit attribuieren möchte, in keiner Weise. Die drei Hauptfiguren sind so grundverschieden, wie sie mit all ihren Eigenheiten einnehmend und überzeugend sind. Die Wandlung des zimperlich-zögerlichen und zu Beginn blassen und konturlosen Pastors ist überraschend, aber sehr glaubwürdig und befriedigend. Sein tiefer Glaube gerät zwar gewaltig ins Wanken während seiner halsbrecherischen Himmelfahrt duch das erstaunlich vielseitige, kunterbunte und phantasiereiche Universum des Autors Mikael Lundt, aber er ist so ehrlich, so tief und gefestigt, dass er nicht nur allen Stürmen trotzt, sondern sogar noch fester wird.
Und wenn der verschrobene Pfarrer aus Schrobengrün, in dem am Ende nichts mehr so sein wird wie am Anfang des fröhlich-nachdenklichen Science-Fiction-Romans, schließlich sogar zum Helden und Retter des Universums oder der Galaxie – so recht habe ich das nicht mitbekommen und es ist auch gar nicht so wichtig – wird, dann erfreut das nicht nur die Leser sondern auch seine Mitstreiter, zu denen sich gleich bei ihrer Ankunft auf einer heruntergekommenen Raumstation, auf der sich allerhand übles Gelichter tummelt, auch noch der hilfsbereite und teamfähige Formenwandler, Händler und Profiteur Kheel hinzugesellt hat!
Summa summarum: mein erstes Science-Fiction-Abenteuer (tatsächlich, denn dieses Genre habe ich zuvor noch nie zu meinem Lesestoff gemacht!) war ein durchschlagender Erfolg! Ich habe mich ohne Abstriche durchweg aufs Beste unterhalten gefühlt, konnte es, einmal – und mit einigen Vorbehalten – begonnen, nicht mehr aus der Hand legen und fand es bei allem Humor, der immer im Hintergrund lauerte, spannend von Anfang bis Ende und so voller sprühender Einfälle, dass ich ganz gewiss künftighin genauer hinsehen werde, sollte mir mal wieder ein Roman dieses Genres über den Weg laufen. Zumal, wenn er aus der Feder des Mikael Lundt stammt!

Veröffentlicht am 31.10.2021

Entzaubertes Urlaubsparadies

Stürmische Algarve
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Sowohl die Protagonistin, die in dem hier zu besprechenden Kriminalroman bereits in ihrem vierten Fall ermittelt, besser gesagt, an offiziellen Ermittlungen beteiligt ist, als auch der Handlungsort waren ...

Sowohl die Protagonistin, die in dem hier zu besprechenden Kriminalroman bereits in ihrem vierten Fall ermittelt, besser gesagt, an offiziellen Ermittlungen beteiligt ist, als auch der Handlungsort waren mir zu Beginn der Lektüre unbekannt. Weder war ich je im westlichsten Land Europas noch verspürte ich das Verlangen, dort meinen Urlaub zu verbringen, was sich im Übrigen auch nach beendeter Lektüre nicht entscheidend geändert hat.
In eine Serie erst spät einzusteigen, ist erfahrungsgemäß nicht immer einfach und selten eine gute Idee, also ging ich mit einer gewissen Skepsis zu Werke – unbegründet, wie sich bald herausstellte, denn weder braucht man Vorwissen zu den handelnden Personen, noch baut der Roman handlungsmäßig auf den Vorgängerbänden auf. Nicht in dem Maße jedenfalls, dass man das Gefühl hat, etwas verpasst zu haben, dass wichtige Versatzstücke fehlen! Recht schnell kann man sich ein Bild machen von Anabela Silva, die weite Teile der Geschichte auch aus der eigenen Perspektive erzählt, nämlich immer dann, wenn sie selbst direkt am Geschehen beteiligt ist.
Als Tochter portugiesischer Gastarbeiter in Hannover aufgewachsen und eigentlich Journalistin, verdient sie sich im Land ihrer Väter ihren Lebensunterhalt als Dolmetscherin, häufiger noch als Übersetzerin, kümmert sich gemeinsam mit der überforderten Mutter um den demenzkranken Vater, was während der gesamten Handlung ein nicht unwichtiges Thema ist, und ist ansonsten mit dem attraktiven Kommissar Joao verbandelt, wobei diese Beziehung vorerst hintanstehen muss. Gelegentlich, wie auch in „Stürmische Algarve“, werden Anabelas Dienste von der Polizei in Anspruch genommen, denn sie hat den unschätzbaren Vorteil so vieler Gastarbeiterkinder, sie beherrscht nämlich zwei Muttersprachen. Damit kommt sie an der vom Tourismus geprägten und von eben diesem Tourismus lebenden Algarve ganz gut über die Runden, was man von vielen ihrer Landsleute nicht behaupten kann, die in der Regel mehreren Jobs nachgehen, um ihre Familien versorgen zu können.
Die Autorin erspart sie uns nicht, die Schattenseiten des Urlaubsparadieses am Atlantik, der krasse Gegensatz zu den Reichen und – mit viel Nachhelfen! - Schönen aus dem wohlhabenderen Europa, selbstredend auch aus China und Russland, die sich in Luxusresorts tummeln und die grenzenlose freie Zeit, über die sie verfügen, mit kostspieligen Beschäftigungen totschlagen müssen, wenn sie nicht gerade danach trachten, ihren Reichtum zu vermehren. Ein Miteinander der Einheimischen und der Touristen gibt es nicht, erstere sind ausschließlich dazu da, letzteren ihr Luxusleben noch behaglicher zu machen!
So meine erste Begegnung mit der gepriesenen, ob ihrer Schönheit sicher zu Recht bewunderten Algarve! Es gefällt mir, dass die Autorin es nicht bei der bezaubernden Kulisse belässt und sich ansonsten weitgehend auf den Kriminalfall, besser gesagt, die Fälle, wie sich zeigen wird, konzentriert, sondern immer wieder Einblicke gibt in die harten Realitäten der Einheimischen, die die reichen Müßiggänger genauso wenig sehen, wie die allermeisten Pauschalurlauber, wahrscheinlich auch nicht sehen wollen oder sich schlicht und einfach nicht dafür interessieren. Lokalkolorit soll sich doch bitteschön nur auf die farbenfrohen Fassaden allenthalben beziehen, ein tieferer Blick könnte ja die Urlaubsfreude trüben!
Jenen tieferen Blick gewährt lobenswerterweise die Autorin Carolina Conrad in ihrem Portugalkrimi, und noch dazu wartet sie mit einer mysteriösen, spannenden, überraschenden Geschichte auf, die, hätte Anabela Silva nicht von Anfang an, also bereits nachdem sie die Leiche einer österreichischen Camper-Touristin auffindet – ihrerseits nicht (mehr) zu den reichen Tagedieben gehörend, aber nichtsdestoweniger von der eigenen Geldgier zu Fall gebracht -, ein ungutes Gefühl gehabt, das sie nicht ignoriert sondern dem sie nachgeht, vielleicht niemals aufgedeckt oder gar aufgeklärt worden wäre. Und was da allmählich zu Tage tritt, ist wirklich haarsträubend, zeugt von einem Zynismus, der seinesgleichen sucht, um an dieser Stelle nur so viel über die Handlung zu verraten...
Auch die Art und Weise, wie die Ermittler zu Werke gehen, wie sie Hand in Hand arbeiten, gemeinsam mit der sich angenehm zurückhaltenden und der Polizei zu keinem Zeitpunkt überschlau ins Handwerk pfuschenden Amateurin Anabela, wie jeder seinen Teil, sein Wissen, seine Informationen beiträgt, um Licht in die rätselhaften Todesfälle zu bringen und um schließlich Schlimmeres zu verhüten, sprach mich überaus an. Engagiert und dennoch unaufgeregt, stets professionell packten sie ihre Nachforschungen an, auch wenn zwischen ihnen nicht immer Eintracht herrscht, auch wenn sie Verdächtige verhören müssen, denen sie am liebsten an die Kehle gegangen wären. Sogar dann, wenn ihnen der unfähige, irrationale und nicht sehr helle Staaatsanwalt, genannt 'der Mönch' und ganz gewiss keine Zierde seines Berufsstandes, vielmehr eine wahre Plage, unsinnige Anordnungen erteilt oder seine Mitarbeit verweigert.
Und da spreche einer von dem unbezähmbaren, impulsiven, bei jeder Gelegenheit übersprudelnden südländischen Temperament! Nun, die Mitwirkenden im Algarve-Krimi haben sich sehr wohl unter Kontrolle, vielleicht aber sind sie auch gelassen genug, um hinzunehmen, was sie nicht ändern können, um zu wissen, wann sich die Aufregung lohnt und wann es vernünftiger und nervenschonender ist, die Ohren auf Durchzug zu stellen....
Fazit: „Stürmische Algarve“ ist ein Krimi, den ich gerne gelesen habe, der alles hat, was zu einem guten Kriminalroman gehört: eine plausible, spannend erzählte Geschichte, die sich durchaus genauso auch im wahren Leben hätte zutragen können, sehr glaubhafte Charaktere, deren Interaktionen für die nötige Ablenkung, gleichzeitig auch Vielfalt sorgen, eine ansprechende, ja spektakuläre Kulisse, die zum Glück keine bloße Staffage ist, sondern durch die Einblicke in die mannigfachen Probleme, die sie verbirgt, dem Roman eine besondere, eine realistische Note verleiht, Authentizität also – für mich immer ein Kriterium für einen guten Roman, gleich welchen Genres. Dieser vierte Band der Algarve-Reihe war somit gewiss nicht mein letzter!

Veröffentlicht am 30.10.2021

Schwierige Ermittlungen mit Überraschungen

Unbezähmbare Gezeiten
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Von Zeit zu Zeit, freilich nicht oft, stoße ich auf ein Buch, das mich innehalten lässt, von dem ich schon nach wenigen Seiten weiß, dass es des Lesens wert ist, dass es auch über die Lektüre hinaus bei ...

Von Zeit zu Zeit, freilich nicht oft, stoße ich auf ein Buch, das mich innehalten lässt, von dem ich schon nach wenigen Seiten weiß, dass es des Lesens wert ist, dass es auch über die Lektüre hinaus bei mir bleibt. Das ich deshalb langsam und mit Bedacht lese, weil es kein schnelles Durchlesen und dann Abgehaktwerden verdient. „Unbezähmbare Gezeiten“ ist so ein Roman, ein kluger, ein langsamer, ein im besten Sinne altmodischer Krimi, mit einem Ermittler, der ganz allmählich ein Gesicht bekommt, dessen nachdenkliche und ganz und gar unspektakuläre Herangehensweise an einen Fall, der zu Anfang überhaupt keiner zu sein scheint, ich mag.
Er ist ein unauffälliger Mann, dieser Jörgensen aus Kiel, der bereits seiner Verrentung entgegen geht, niemand, der sich durch waghalsige Aktionen auszeichnet oder seine eingebildeten Supermannqualitäten, mit denen ihn der Autor dankenswerterweise auch nicht ausgestattet hat, beweisen muss, niemand, bei dem die Gedankenblitze Funken sprühen. Dafür überzeugt er mich durch seine Menschlichkeit, seine Höflichkeit im Zusammenspiel mit den Personen – allesamt gut gelungen in ihrer Unterschiedlichkeit, ihrer Individualität, ob sympathisch oder nicht -, mit denen er es im Laufe seiner bedächtigen Ermittlungen zu tun bekommt, und nicht zuletzt durch seinen liebevollen Umgang mit seiner Frau Sabrina, die man am Rande ein wenig kennenlernt, denn ein Blick ins Privatleben des ruhigen Polizisten wird dem Leser auch gewährt. Gerade genug, um den Protagonisten auch abseits seiner beruflichen Arbeit wahrzunehmen. Und da gibt es, so darf man feststellen, keinen Bruch zwischen dem Kommissar und dem Privatmann Jörgensen, der Mann ist einfach authentisch – hier wie dort!
Eine ganz wunderbare Figur hat der Autor mit diesem seinem Kieler Kommissar geschaffen - durchaus dem soliden, stets auf dem Boden bleibenden Inspektor Battle der Meisterin Agatha Christie vergleichbar -, von dem man sich wünscht, ihm wiederzubegegnen. An einen wie ihn kommt keiner der heldenhaften und draufgängerischen, in der Regel auch noch spektakulär gut aussehenden Inspektoren, Kommissare, Privatermittler, oder wie auch immer sie sich nennen, mit ihrem hyperaktiven Gerenne und Gehaste heran, die mich in viel zu vielen der Krimis, die heutzutage ersonnen oder vielmehr zusammengeschustert werden, langweilen oder sogar richtig ärgern!
Bei aller Unaufgeregtheit, die nicht nur dem Kommissar sondern der gesamten Geschichte eigen ist, ist der Krimi doch spannend und rätselhaft, von Anfang an, genauer gesagt, nachdem klar ist, dass der vermeintliche Drogentod des Studenten und Sohn eines stadtbekannten, hochgeachteten Wohltäters und einer beherrschten und immer verständnisvollen Pastorin, Johannes Gilmer, in Wirklichkeit Mord war, spürt man eine unterschwellige Gefahr, von der man lange nicht mit Gewissheit sagen kann, von wem sie ausgeht und wem sie gilt. Die Nebel beginnen sich erst dann langsam zu lichten, als eine zweite Leiche gefunden wird, mit der weder Jörgensen noch der Leser rechnen konnte. Die schließliche Auflösung kam für mich überraschend, obwohl sie, hätte ich genauer hingeschaut, zu vermuten gewesen wäre! Doch auch der Kommissar hat die Hinweise, auf die er in der Wohnung des getöteten jungen Mannes gestoßen ist, nicht als solche deuten können, nicht einmal, nachdem ihm seine gebildete Ehefrau eines der beiden Bücher, mit denen sich Gilmer junior allem Anschein nach intensiv beschäftigt hatte, Platons 'Politeia', genauer erklärt hatte.... Damit nicht genug, hätte das zweite Buch, T.S.Eliots 'Murder in the Cathedral', den entscheidenden Hinweis liefern können, hätten denn ich als Leser und Jörgensen selbst die richtigen Schlüsse gezogen – und in Zusammenhang gebracht mit dem, was man zu diesem Zeitpunkt bereits über Johannes Gilmer wusste. Was freilich wenig genug war und bis zum Ende, das nicht recht befriedigend, aber realistisch ist und somit haargenau zu dem Rest des Krimis passt, auch nicht viel mehr wird. Der unglückselige junge Mensch, auf der Suche nach sich selbst, dessen kurzes Leben so abrupt beendet wurde, der keine nachdrücklichen Spuren hinterlassen hat und dem niemand wirklich nachzutrauern scheint, bleibt ein Unbekannter. Und das, sehen wir es positiv, lässt viel Spielraum für eigene Interpretationen! Letzteres tut, so möchte ich behaupten, im Übrigen der gesamte Krimi mit dem kryptischen Titel, den der Leser allerdings, hat er denn die Geschichte aufmerksam gelesen und darüber hinaus mitgedacht, durchaus in Beziehung zur Handlung setzen kann.
D.H.Ambronn traut, das muss man schon sagen, dem Leser einiges zu, serviert ihm nichts auf dem silbernen Tablett, führt ihn nicht am Gängelband durch seinen Roman und scheint vielmehr davon auszugehen, dass er seinen eigenen Weg findet, dabei den gelegentlichen Wegweisern folgt oder sich seine eigenen zimmert. Nichts ist plakativ an der Geschichte, das offensichtlich Erscheinende kann täuschen und man muss schon sehr genau hinschauen auf seiner Reise durch diesen nicht umfangreichen, aber dennoch sehr komplexen und gescheiten Kriminalroman, der in seiner auf den ersten Blick einfachen und gemächlichen Art tiefgründiger ist als die immer gleiche Krimikost mit ihren Blendeffekten, hinter denen sich gähnende Leere verbirgt, die man heutzutage – oft aufs Geschickteste vermarktet - vorgesetzt bekommt. Und so wünsche ich den „Unbezähmbare(n) Gezeiten“ eine geneigte Leserschar, einer solchen, die der plumpen und atemlosen Action überdrüssig und eher dem feinen, subtilen Kammerspiel zugeneigt ist!

Veröffentlicht am 07.10.2021

Zur falschen Zeit am falschen Ort

Sieh dich nicht um
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Ende Januar des letzten Jahres ist sie in Florida verstorben, die zu Recht so genannte 'Queen of Suspense', Mary Higgins Clark, gebürtige New Yorkerin mit irischen Wurzeln, auf die sie ihr Talent als Schriftstellerin ...

Ende Januar des letzten Jahres ist sie in Florida verstorben, die zu Recht so genannte 'Queen of Suspense', Mary Higgins Clark, gebürtige New Yorkerin mit irischen Wurzeln, auf die sie ihr Talent als Schriftstellerin gerne zurückgeführt hat ('The Irish are born story tellers'). 56 Bücher hat sie hinterlassen, die allermeisten von ihnen fein ausgetüftelte Psychothriller, alle von ihnen Bestseller. Grund genug für mich, ihre Romane, die mich in den 45 Jahren ihres Schaffens begleitet haben, noch einmal zu lesen. Und tatsächlich haben sie nach all den Jahren keine Patina angesetzt, sind spannend wie beim Erstlesen, immer unter Beachtung des jeweiligen Jahres ihrer Entstehung, als, und das gilt für gut die Hälfte ihrer Krimis, noch nicht absehbar war, welchen Fortschritt die Technik machen würde, die wir heute als so selbstverständlich betrachten, dass gerade die jüngeren Leser sich kaum eine Zeit ohne Smartphone und Internet vorstellen können, und somit Mary Higgins Clarks Thriller aus den beiden letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts vielfach als hoffnungslos altmodisch, mühsam konstruiert und nicht rasant und grausam-blutig genug einstufen. Nun, Gewaltszenen sucht man bei der New Yorkerin vergebens, was auch für mehr oder minder ausufernde Sex-Szenen gilt und für unfeine Ausdrücke, derer sich so mancher zeitgenössische Autor mit Wonne, so scheint es, bedient. Diesem Zeitgeist hat sich Mary Higgins Clark niemals unterworfen, ist bis zum Schluss sich selbst treu geblieben, hat weiterhin ihre eleganten Thriller geschrieben - dabei jeder neuen Entwicklung, auch und vor allem der technischen, gegenüber außerordentlich aufgeschlossen, ihnen gerade in ihren Romanen, die im neuen Jahrtausend erschienen, viel Raum gebend -, mit viel Liebe für Details, mit geschickter Zeichnung ihrer Charaktere, die ihr mit nur wenigen Strichen aufs Vortrefflichste gelangen und mit stets genial ersonnenen Handlungen, deren Hintergrundfakten aufs Sorgfältigste recherchiert waren. Die Autorin überließ eben nichts dem Zufall!
In 'Sieh dich nicht um' (englischer Originaltitel: 'Pretend you don't see her') findet man alle Zutaten des Erfolgsrezepts der Amerikanerin – und in der Tat handelt es sich hier um einen ihrer besten Thriller, einem wahren 'Page Turner', der so spannend ist, dass man ihn kaum aus der Hand legen mag. Den Originaltitel hat sie, das sei am Rande erwähnt und ist eine Eigentümlichkeit von ihr, die auch auf einige andere ihrer Bücher zutrifft, einem Liedtitel entliehen, der ihr im Übrigen auch die grundsätzliche Idee für den hier zu besprechenden Roman gegeben hat, wie sie in ihrem, dem Thriller vorausgestellten, Dankeswort selbst schreibt.
Was nämlich geschieht mit jemandem, in vorliegender Geschichte der New Yorker Immobilienmaklerin Lacey Farrell, die Zeugin des Mordes an ihrer Klientin Isabelle Waring geworden ist und als einzige den Mörder identifizieren kann, und der ihr, eiskalter und völlig gewissenloser Killer, der er ist, erbarmungslos nach dem Leben trachtet? Nun, man steckt Lacey in das staatliche Zeugenschutzprogramm, gibt ihr eine neue Identität, verlangt von ihr, dass sie die alte abstreift, so also, als würde sie nicht mehr existieren, und transferiert sie an einen Ort, der nur der Bundespolizei bekannt ist, und setzt natürlich strikt voraus, dass sie sich, zu ihrer eigenen Sicherheit, an die strengen Vorgaben hält, durch die gewährleistet werden soll, dass der Killer sie nicht etwa doch aufspürt.
Die Situation, in die die Protagonistin mit engen Familienbanden da ohne eigenes Zutun und eben nur, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort war, geraten ist, ist für sie, was nachvollziehbar ist, kaum zu ertragen. Zudem lässt sie der Mord an Isabelle Waring nicht ruhen, die ihr, bereits sterbend, das Tagebuch ihrer bei einem Autounfall ums Leben gekommenen Tochter Heather anvertraut hatte, um es deren Vater, Isabelles Ex-Mann Jimmy Landi, und nur ihm, auszuhändigen. Zu Recht vermutet Lacey, dass darin Beweise dafür zu finden sind, dass Heathers vermeintlicher Unfalltod ein Mord war, wie Isabelle von Anfang an vermutet hatte.
Besagtes Tagebuch und sein seltsames Schicksal sind Dreh- und Angelpunkt der atemberaubend spannenden Geschichte, deren Ausgang überraschen dürfte, auch wegen der vielen Fußangeln, die die Autorin legt, und der geschickt eingestreuten Hinweise, die mal auf den einen, mal auf den anderen der zahlreichen Mitspieler des Thrillers zu deuten scheinen – als den Drahtzieher hinter den Morden. Denn der bösartige und gerissene Killer, ein wahres Raubtier, ist, das weiß man längst, nur ein willfähriges Instrument jenes großen Unbekannten, der alles zu verlieren hat, wenn die wahren Umstände von Heathers Tod ans Tageslicht kommen...
Hauptkritikpunkt vieler Rezensionen ist die Protagonistin selber, eine eigentlich kluge und sympathische junge Frau, deren Eigensinn und ja, auch Selbstherrlichkeit und Widerwille, mit den ermittelnden Institutionen zu kollaborieren, sie zu unklugen Handlungen hinreißen und mehr als nur einmal in akute Lebensgefahr bringen. Es stimmt, man kann sich schon ärgern über Lacey Farrell! Versetzt man sich aber in ihre Lage, überwiegt doch das Mitgefühl, in jedem Falle aber das Verständnis für ihre Handlungsweise. Und gerade weil die junge Frau, der es ganz sicher nicht an Mut mangelt, so imperfekt geschildert ist, voller Zweifel und Schwächen, ist sie glaubwürdig, wirkt im wahrsten Sinne des Wortes authentisch. Und wer von uns Leserinnen – denn die überwiegende Mehrheit derjenigen, die Mary Higgins Clarks Thriller mögen, sind nun einmal weiblich – könnte behaupten, in einer Ausnahmesituation durchgehend überlegen und überlegt zu handeln und stets das Richtige zu tun? Bleibt zu hoffen, dass wir das nie unter Beweis stellen müssen!

Veröffentlicht am 06.10.2021

Tragfähige Flügel aus Liebe, Toleranz und Vorurteilslosigkeit

Flug mit dem Wind
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Noch ist die Kashmir-Saga nicht zu Ende erzählt, doch weht über dem hier zu besprechenden vorletzten Band bereits der Hauch des Abschieds von den beiden Familien, die ich in den letzten Jahren begleiten ...

Noch ist die Kashmir-Saga nicht zu Ende erzählt, doch weht über dem hier zu besprechenden vorletzten Band bereits der Hauch des Abschieds von den beiden Familien, die ich in den letzten Jahren begleiten durfte – den Sandeeps aus Kashmir und den Sharmas aus dem indischen Shivapur – und deren Schicksal mich ungemein bewegt hat, mit denen ich geliebt, gelitten, getrauert, deren glückliche, aber auch schwere und dunkle Stunden, nicht selten voll abgrundtiefer Verzweiflung, ich geteilt habe. Schon bald werde ich sie ziehen lassen müssen, den alten Löwen Vikram mit den sprichwörtlichen neun Leben, von denen er die meisten schon verbraucht hat, seine Frau, die aus Irland stammende Ärztin und Traumatherapeutin mit indischen Wurzeln, Sameera, und ihren treuen Freund Raja, der am Ende dieser Geschichte ebenfalls nach Kashmir gezogen ist, den Vikram Bruder nennt und der sich oft genug als Fels in der Brandung, als Leuchtturm inmitten der tosenden Stürme erwiesen hat, die immer wieder nicht nur über die längst liebgewonnenen Protagonisten und ihre Familien, sondern auch über das märchenhaft schöne Tal im Himalaya, das als Spielball der Mächtigen viel zu viel Leid gesehen hat, hereinbrechen.
Leben bedeutet Veränderung, und es bedeutet auch, Abschied nehmen zu müssen, immer wieder aufs Neue und immer öfter, je länger man auf dieser Welt wandert. Man gewöhnt sich nie daran, immer lässt man einen Teil von sich zurück – doch diese Teile knüpfen ein Band der Erinnerung, das das Gestern mit dem Heute und dem Morgen verbindet, dessen leuchtende Spuren die Jahre überdauern, vielleicht sogar das eigene Erdenleben.
Vikram und die ihm Zugehörigen haben ein solches Band geknüpft, ein Band aus Stahl, um mich eines Buchtitels der Kashmir-Saga zu bedienen. Sie haben durch ihr segensreiches, altruistisches Tun, durch ihr Leben und ihren Einsatz für Frieden, Toleranz und Vorurteilslosigkeit riesige Fußstapfen hinterlassen, unübersehbare Spuren ausgestreut, weithin sichtbar, beileibe nicht von allen mit Wohlwollen betrachtet, sich Feinde geschaffen, die ihnen das Leben schwermachen, die vor nichts Bösem und Perfidem, geradezu Teuflischem zurückschrecken, wie wir auch in 'Flug mit dem Wind' erneut erfahren müssen.
Die beiden Autorinnen, grandiose Märchenspinnerinnen, Märchenweberinnen und Märchenerzählerinnen, wie ich nie müde werde zu betonen, haben ihren Helden nichts geschenkt, nichts erspart, sie immer wieder durch die Hölle gehen lassen, ihnen Narben an Leib und Seele zugefügt, die ihnen für den Rest ihres Lebens bleiben werden. Darüber zu lesen war oft kaum zu ertragen, verband aber den empathischen Leser noch stärker mit den Geschundenen, die das Gute verkörpern, das das Böse besiegt, oft nach langen Kämpfen und geradezu übermenschlicher Leidensfähigkeit - wiewohl auch sie Menschen mit Ecken und Kanten, und, wie man erfahren darf, auch mit Abgründen sind. Noch mal davongekommen, mag man denken, erleichtert, wenn wieder einmal eine Prüfung bestanden war, gleichzeitig aber der nächsten entgegenbangend.
Das ist in Band 6 nicht anders! Auch hier wartet allerlei Ungemach auf Vikram und Sameera, während Raja, dem viel zu oft Geprüften, dem Leiderfahrenen, eine Ruhepause gegönnt wird, wobei er selbstredend nicht nur einmal als Retter in der Not fungiert – eine Rolle, die ihm wie auf den Leib geschneidert ist, die er beherrscht wie kein anderer. An spannenden und überaus emotionalen Szenen steht 'Flug mit dem Wind' seinen Vorgängern in nichts nach! Schwerpunkte verlagern sich zwar – logischerweise, denn die Handlung entwickelt sich wie im Zeitraffer über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren -, Vikram, Sameera und Raja rücken ein wenig aus dem Fokus und machen der jüngeren Generation Platz, den Kindern, viele davon schwer traumatisiert, die im Dar-as-Salam, dem Haus des Friedens, aufwachsen durften, für die die Sandeeps Mutter und Vater sind und Raja als geliebter Onkel verehrt wird.
Aus kleinen Kindern werden große Kinder, und dann ist der Weg ins Erwachsenenleben nicht mehr weit. Eines nach dem anderen verlassen sie das Nest aus Liebe, Fürsorge und großer Menschlichkeit – und nun muss sich zeigen, wie tragfähig die Flügel sind, die ihnen in diesem Paradies mitten in Gewalt und Willkür und ständig lauernden Gefahren gewachsen sind! Ihre Schicksale sind so unterschiedlich, wie die Kinder selbst; die einen gleiten sanft, werden vom Wind getragen, finden ihr Glück – oder glauben, es gefunden zu haben, denn noch ist nicht aller Tage Abend -, die anderen haben Startschwierigkeiten, werden von Schicksalsschlägen heimgesucht, stolpern und fallen, bis sie doch noch, zögerlich zunächst, abheben und ihren Platz finden. Doch alle wissen, dass sie, was immer geschehen mag, aufgefangen werden, dass das Fundament, das ihnen ihre Pflegeeltern geschaffen haben, ein solides ist.
Die Geschichten der Kinder, gleichsam als kleine Porträts eingestreut, die Handlung verbindend, von einem Handlungsstrang zum nächsten weisend, sind wunderschön geschildert, berührend zu lesen – und sie schenken Hoffnung. Denn es braucht Menschen wie diese, denen ganz unverhofft ein neues Leben geschenkt wurde mit ihrem Einzug ins Dar-as-Salam, wo sie erleben durften, dass sie wichtig sind und ihr Leben von Bedeutung ist, dass man sich um sie und dass man für sie sorgt und dass gegenseitige Hilfe und Unterstützung selbstverständlich sind, die eine friedlichere Welt aufbauen können, die aus Krisengebieten wie Kashmir wieder machen könnten, was sie einst waren, Paradiese von gewaltiger Schönheit, in denen Muslime, Christen und Hindus ohne Hass miteinander leben. Man hat ihnen schließlich im Haus des Friedens vorgelebt, wie das geht!
Auf solche Gedanken kann man kommen während der Lektüre dieses mitreißenden, bildgewaltigen Romans, der mit spürbarer Freude, gar Leidenschaft geschrieben ist, mich ganz und gar in seinen Bann gezogen und geradezu verzaubert hat. Er ist, wie die gesamte Kashmir-Saga, nicht nur eine wunderbare Erzählung mit unvergesslichen Charakteren und ein berauschendes Epos, sondern ein einziges und einzigartiges Plädoyer für Freundschaft und für wahre, niemals wankende Menschlichkeit inmitten einer unheilen Welt. Möge seine Botschaft auf fruchtbaren Boden fallen!