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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.10.2022

Gut, aber nicht ganz überzeugend

Das Leuchten der Rentiere
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Nördlich des Polarkreises, im klirrend kalten und tiefverschneiten Winter Schwedens, wo hier und dort Rentiere die Straßen kreuzen, wächst Elsa auf. Ihre Familie gehört den Samen an, einer indigenen Bevölkerungsgruppe ...

Nördlich des Polarkreises, im klirrend kalten und tiefverschneiten Winter Schwedens, wo hier und dort Rentiere die Straßen kreuzen, wächst Elsa auf. Ihre Familie gehört den Samen an, einer indigenen Bevölkerungsgruppe Skandinaviens, in welcher die Rentierzucht bis heute die Lebensgrundlage vieler Familien bildet - so auch der Elsas. Im zarten Alter von 9 Jahren sieht Elsa am Rentiergehege ihrer Eltern, wie ihr eigenes Rentierkalb von einem Mann ermordet wird. Ein Ereignis, das sich noch über viele Jahrzehnte fest in ihrem Gedächtnis hält. Elsa hat den Täter erkannt, doch fühlt sich durch Drohgebärden zum Stillschweigen verpflichtet. Über die Jahre hinweg muss sie jedoch zusehen, wie mehr und mehr Rentiere durch Tierquälerei leiden und durch Wilderei sterben müssen. Die Polizei zeigt sich machtlos und wenig interessiert an den "Haustieren" und Problemen der Samen, und alle Anzeigen verlaufen ins Leere. Doch mit steigendem Alter beginnt Elsa Gerechtigkeit einzufordern, für ihre Familie, ihr Volk, und ihr ermodetes Rentier.

Obwohl das Cover allein schon ein Highlight in meinem Bücherregal ist, war der Einstieg ins Buch für mich ziemlich schwierig. Mehrfach konnte ich den Zeitsprüngen nicht richtig holperfrei folgen und habe immer wieder den Faden verloren. Hinzu bin ich leider auch mehrfach über den etwas unsauberen Schreibstil bzw. die Übersetzung gestolpert, und leider war meine Lesebegeisterung daher vor allem zu Beginn noch sehr zurückhaltend. Ab der Mitte wurde es aber viel besser! Mit der Sprache wuchs auch die Protagonistin zu einer starken Figur heran - vom stillen Kind zur lautstarken Erwachsenen, die Gerechtigkeit einfordert und für ihre Interessen kämpft. Die Sprache ist ruhig, jedoch nicht allzu ausgeschmückt, was aber auch nicht weiter tragisch ist; die Szenerie konnte ich mir trotzdem sehr gut vorstellen.

Der Eindruck, welchen die Autorin in die Lebenswelt der Samen gibt, ist interessant, aber auch erschreckend, denn auch sie spüren die Gefahren des Klimawandels und erleben Rassismus.

Trotz des schwerfälligen Einstiegs konnte mich das Buch letztendlich doch noch gut unterhalten, und hat einen sowie erschütternden als auch spannenden Eindruck in den Alltag und die Traditionen der Samen gegeben - doch ganz überzeugen konnte es mich nicht.

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Veröffentlicht am 11.09.2022

Gut, aber recht trocken

Die Tochter
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Die Protagonistin in Kim Hye-Jins Roman „Die Tochter“ ist eine Frau, die ihren Arbeitsalltag als Pflegerin in einem Seniorenheim bestreitet und pötzlich aufgrund finanzieller Probleme ihrer erwachsenen ...

Die Protagonistin in Kim Hye-Jins Roman „Die Tochter“ ist eine Frau, die ihren Arbeitsalltag als Pflegerin in einem Seniorenheim bestreitet und pötzlich aufgrund finanzieller Probleme ihrer erwachsenen Tochter mit der Situation konfrontiert wird, diese wieder bei sich einziehen zu lassen. Doch nicht nur die eigene Tochter kehrt in den recht bescheidenen Einpersonenhaushalt ein - was schon herausfordernd genug wäre, da zwischen dreißigjähriger Tochter und Mutter seit Jahren viel Ungesagtes im Raum steht. Hinzu kommt nämlich, dass die Tochter eine homosexuelle Beziehung führt und ihre Partnerin im Schlepptau gleich mitbringt. Konflikte sind vorprogrammiert, die Gesellschaft sowie auch die Mutter sind streng konservativ, denn als überlegene Norm der Familienführung gilt schließlich immer noch das Gespann von Mutter, Vater, Kind - was sich auch die Mutter im Roman für ihre Tochter mehr als alles andere wünscht. Doch bald merkt die Mutter, dass sie ihre Augen nicht weiter vor den konservativen Grenzen der Gesellschaft verschließen kann, und ganz langsam bewegen sich Mutter und Tochter aufeinander zu.

Der Roman vereint dabei wichtige Themen wie Mutterschaft, Sexualität und gesellschaftliche Erwartungen, aber auch Altersfeindlichkeit spielt eine tragende Rolle in der charakterlichen Entwicklung der Mutter. Und das schöne dabei ist: die Gedankengänge der Mutter wirken realistisch und man kann sie nachvollziehen. Sie ist nicht das gewissenlose Biest, sondern die Emotionen sind begründet und die Charakterentwicklung ist dabei wirklich schön mitanzusehen. Beide Frauen wollen ein Leben in Würde, doch stehen an der Schwelle gesellschaftlicher Grenzen, die sich nicht einfach aushebeln lassen.

Dennoch ist der Roman meiner Meinung nach doch leider etwas oberflächlich geraten und zu klischeebesetzt. Er behandelt eben doch einen nur allzu typischen Generationenkonflikt, dessen Handlung sich jedoch nicht nur auf den südkoreanischen Schauplatz im Buch begrenzt, sondern sich global übertragen und lesen lässt. Er greift viele wichtige Themen auf, war mir aber letztlich zu eindimensional und trocken.

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Veröffentlicht am 11.09.2022

Dümpelt still vor sich hin

Beinahe Alaska
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Alaska ist mein absoluter Sehnsuchtsort. Durch Zufall bin ich dann irgendwie auf Arezu Weitholz Roman gestoßen, der mich auf eine Expeditions-Seereise durch die Nordostpassage von Grönland bis (der Titel ...

Alaska ist mein absoluter Sehnsuchtsort. Durch Zufall bin ich dann irgendwie auf Arezu Weitholz Roman gestoßen, der mich auf eine Expeditions-Seereise durch die Nordostpassage von Grönland bis (der Titel verräts - beinahe) Alaska geführt hat. Die Protagonistin ist Mittvierzigerin, beruflich Fotografin und trifft an Bord auf so einige kantige Mitreisende. Das Buch ist dabei voller Melancholie, aber leider irgendwie ziellos, was mich zwischendurch doch vermehrt gestört hat. Die Protagonistin bleibt Gesichtslos, lässt sich dahintreiben und ist ein eher passiver, introvertierter Charakter, der sich an Bord der MS Svalbard durch arktische Gewässer schippern lässt. Ab und zu unternimmt sie Landgänge, besucht an Bord wissenschaftliche Vorträge, starrt oft gedankenverloren in das weite Eismeer hinaus und kommt ab und zu auch um Gespräche mit den Mitreisenden nicht herum. Eine sprachlich angenehme, leichte und atmosphärische Lektüre, aber leider handlungsmäßig nicht ganz so der Knaller, da tatsächlich mehr oder weniger gar nichts passiert und es eher öde vor sich hin dümpelt.

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Veröffentlicht am 24.10.2021

Schwammig

Power
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Power ist verschwunden, der Hund der alten Hitschke. Niemanden scheint es wirklich zu kümmern im Dorf, außer dem äußerst ungewöhnlichem Mädchen mit dem sich selbst gegebenen Namen Kerze. Kerze ist überzeugt, ...

Power ist verschwunden, der Hund der alten Hitschke. Niemanden scheint es wirklich zu kümmern im Dorf, außer dem äußerst ungewöhnlichem Mädchen mit dem sich selbst gegebenen Namen Kerze. Kerze ist überzeugt, Power zu seiner Besitzerin zurückzubringen, koste es was es wolle. Sie verspricht es, und Kerzes hält ihre Versprechen. Immer.
Also überlegt sie sich einen Plan, beginnt akribrisch, Schritt für Schritt ihr neues Projekt in ihrem Schulblock festzuhalten. Und dann übt sie zu bellen, sich wie ein Hund fortzubewegen, lernt wie ein Hund zu denken - und beginnt schließlich, sich ihr eigenes Rudel aufzubauen. Schnell wird Kerze zum Alphatier eines Rudels aus Menschenkindern, eine radikale Anführerin, welche die Kinder des Dorfes in den Wald führt, denn dort wird Powers Verbleiben vermutet. Kerze ist zwar nicht gerade das, was man sympathisch nennen würde, doch in rasantem Tempo werden alle Dorfkinder durch ihr charismatisches Wesen angezogen und das Rudel wächst, wächst, wächst - bis bald alle minderjährigen Dorfbewohner im Wald verschwunden sind. Während die Eltern verzweifeln und sich doch niemand von ihnen in den Wald hinein traut, merkt die Hitschke, dass es vielleicht längst nicht mehr nur darum geht, den Hund zu finden. Und das zuerst scheinbar harmlose Rollenspiel unter Kindern artet langsam, aber besorgniserregend, aus den Fugen.

Die Geschichte um die Suche nach Power ist ein Radikalisierungsprozess unter Kindern, der einerseits einen starken Sog auf mich hatte, stellenweise aber wirklich beinahe krank war. Kerze bricht die Kinder, die unter ihrer Aufsicht regelrecht verwildern und verwahrlosen, sich gegenseitig am Anus schnüffeln (wie die Hunde), und denen bei falschem Verhalten rigorose Strafen durch Kerze drohen (beliebt ist insbesondere das Essen von Tannenzapfen). Irgendwie hats mich total interessiert, sowas absurdes zu lesen - der Klappentext hat mich echt angesprochen und ich finde die Grundidee nach wie vor sehr spannend, aber ich kann leider nichts daraus mitnehmen. Ist es vielleicht eine Gesellschaftskritik, die mir nur etwas zu schwammig dahergeschrieben ist? Ich weiß es nicht, irgendwie bin ich mit dem Buch nicht richtig warm geworden, obwohl mich die Geschichte um Kerze und ihr Rudel phasenweise auch fasziniert hat. Ich bin etwas zwiegespalten, doch warum das Buch 2020 zum Preis der Leipziger Buchmesse nominiert war, kann ich leider nicht wirklich nachvollziehen.

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Veröffentlicht am 11.10.2021

Gut, aber zu bemüht

Identitti
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Nivedita, Tochter einer polnischen Mutter und eines indischen Vaters, schreibt auf ihrem Blog namens "Identitti" über - nunja - Identität. Seit einem Besuch bei ihrer Cousine Priti in der indischen Community ...

Nivedita, Tochter einer polnischen Mutter und eines indischen Vaters, schreibt auf ihrem Blog namens "Identitti" über - nunja - Identität. Seit einem Besuch bei ihrer Cousine Priti in der indischen Community Birminghams macht Nivedita sich zunehmend Gedanken über ihre eigene Identität und Zugehörigkeit - wurde sie dort schließlich von den anderen Kindern als 'Coconut' (außen braun, innen weiß) verspottet. Mittlerweile ist sie in ihren Mittzwanzigern, studiert in Düsseldorf Postcolonial Studies und hat in ihrer angesehenen Professorin Saraswati endlich ein selbstbewusstes Vorbild gefunden, welches ihr den Weg zur Selbstbekenntnis ebnet. Doch dann wird Saraswatis wahre Identität durch alte Fotos enttarnt - denn Niveditas Lieblingsprofessorin ist eigentlich weiß und heißt in Wirklichkeit Sarah Vera! Ein gefundenes Fressen für die Presse, Schlagzeilen wie "weiße Frau gibt sich als PoC aus" fluten nicht nur die deutsche Boulevardpresse, sondern erregen auch International die Gemüter. In rasantem Tempo bricht die Credebility der Starprofessorin zusammen und für Nivedita als Lieblingsstudentin von Saraswati gilt wohl - mitgehangen, mitgefangen. Nun steht ihr Weltbild auf dem Kopf, und wütend begibt sie sich zu Saraswatis Wohnung, fordert Antworten und Erklärungen ein und tritt eine hitzige Diskussion los, die sich um Identität und Race als soziales und wandelbares Konstrukt dreht.

Ja, und nicht nur das. "Identitti" umfasst ein weitgefächertes und brandaktuelles Debattenspektrum der heutigen Gesellschaft, verhandelt Themen wie Rassismus, White Privilege, Cultural Appropriation und Gender, lässt dazu auf erster Ebene Niveditas akademisches Umfeld zu Wort kommen, gibt aber auch dem allzu realistischen und erwartbaren Shitstorm der Onlinemedien sowie dem nie allzufernen Twittermob eine Stimme. Der wirklich vielstimmige Roman regt zweifelsfrei zum nachdenken an, ob Identität tatsächlich ein soziales Konstrukt, sprich modellierbar ist - und ich kann verstehen, dass Identitti auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises steht. Mir war es jedoch insgesamt etwas zu überladen. Der Schreibstil war erfrischend, aber meiner Meinung nach sehr bemüht darum 'hip' zu sein; die Protagonisten fand ich leider allesamt recht blass und unsympathisch - wenngleich sie auch Wiedererkennungswert besitzen. Klipp und klar ein ganz unterhaltsames Schreibexperiment, dem man das Herzblut Sanyals anmerkt (es ist gut - keine Frage), aber für mich nicht so ganz überragend wie erwartet.

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