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Veröffentlicht am 26.10.2021

Die Rechtlosigkeit von Mädchen und Frauen in Afrika

Das Mädchen mit der lauternen Stimme
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Dieser Roman gibt einen sehr schönen Einblick in die nigerianische Gesellschaft und zugleich wohl auch in diejenige vieler anderer afrikanischer Länder. Nigeria ist einerseits eines der reichsten und fortschrittlichsten ...

Dieser Roman gibt einen sehr schönen Einblick in die nigerianische Gesellschaft und zugleich wohl auch in diejenige vieler anderer afrikanischer Länder. Nigeria ist einerseits eines der reichsten und fortschrittlichsten Länder Afrikas mit einer wohlhabenden Oberschicht. Doch die armen, bildungsfernen Mädchen und Frauen werden nach wie vor gnadenlos mit den Füßen getreten und rechtlos gestellt. Die archaische und patriarchalische Gesellschaft lebt auf den Dörfern weiter. Das wird anhand der vierzehnjährigen Protagonistin Adunni dargestellt. Weil der Familie die Geldmittel fehlen, kann sie die so sehr ersehnte Schulausbildung nicht beenden. Wie leider immer noch weit verbreitet, wird sie von ihrem Vater als Drittfrau für einen Appel und ein Ei an einen sehr viel älteren Mann verkauft, dem sie sexuell zu Diensten sein muss. Sie flüchtet nach Lagos, wo sie vom Regen in die Traufe kommt, denn sie wird als Hausmädchen von einer reichen Familie wie eine Leibeigene gehalten, von dem Ehemann sexuell belästigt. Adunni weiß, dass nur eine gute Schulbildung ihr die Möglichkeit auf ein besseres Leben bietet, in dem sie erhört wird. Zum Glück findet sie in einer Nachbarsfrau eine Gönnerin, die ihr hilft, ihren Traum zu verwirklichen.
Schon thematisch ist das Buch mit seinem Einblick in eine uns fremde Gesellschaft interessant. Wir, denen alles so selbstverständlich erscheint, werden aufgerüttelt. Sehr gelungen ist der eigentümliche Schreibstil aus Adunnis Perspektive. Ihre bildungsferne Sprache wird verwendet, so dass etwa vom „Außenland“ statt „Ausland“ die Rede ist, von „Fernseh“ statt „Fernseher“, von „Aeloplane“ statt „Flugzeug“. Dadurch wirkt alles sehr authentisch.
Sehr lesenswert.

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Veröffentlicht am 23.10.2021

Meisterhafte Literatur

Die Enkelin
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Mit seinem neuen Roman beweist Schlink wie schon bei seinen mir bekannten Romanen „Der Vorleser“ und „Olga“, dass er ein begnadeter zeitgenössischer Autor ist. Thematisch ähneln sich die vorgenannten Bücher ...

Mit seinem neuen Roman beweist Schlink wie schon bei seinen mir bekannten Romanen „Der Vorleser“ und „Olga“, dass er ein begnadeter zeitgenössischer Autor ist. Thematisch ähneln sich die vorgenannten Bücher in gewisser Weise. Auch vorliegend nehmen Rechtsradikalismus bzw. völkischer Nationalismus Raum ein. Hinzu kommen der Sozialismus in der ehemaligen DDR und das Leben in ihr in der Nachwendezeit, also alles gesellschaftspolitisch bedeutsame Aspekte, die entsprechend interessierte Leser ansprechen.
Doch worum geht es? In den 1960er Jahren verlieben sich der Student Konrad aus West-Berlin und die Studentin Birgit aus Ost-Berlin bei einem Pfingsttreffen. Sie ist schwanger von einem Parteimitglied, ohne dass Konrad davon weiß. Er verhilft ihr zur Flucht in den Westen. Das Kind hat sie von einer Freundin vermeintlich aussetzen lassen, tatsächlich wurde es dem leiblichen Vater überlassen. Jahrzehnte später schreibt Birgit ein Buch über ihr Leben und will sich auf die Suche nach ihrer Tochter machen. Beide Vorhaben bleiben unvollendet, weil sie stirbt. Konrad erfährt aus den Aufzeichnungen von der Tochter. Nunmehr sucht er nach ihr und findet sie in einer völkischen Siedlung in einem ostdeutschen Dorf. Listig stellt er Kontakte zu deren Tochter Sigrun her und bringt dieser ein Leben jenseits rechten Denkens nahe. Sigrun wendet sich tatsächlich gegen ihre Eltern, schließt sich aber der autonomen rechten Szene in Berlin an, wo die Situation eskaliert.
All das und noch viel mehr erzählt Schlink in seiner gewohnt bedächtigen, gleichwohl kraftvollen Schreibweise. Verschiedene weltanschauliche Ansätze, die zu verfolgen äußerst interessant ist, führt er durch die verschiedenen Romanfiguren ein. Konrad mit seinen liberalen Ansichten steht in krassem Gegensatz zu den rechten Parolen und Denkweisen, die sich Sigrun und ihre Familie zueigen machen. Ohne sie belehren zu wollen, will Konrad sie geduldig auf den rechten Weg bringen.
Volle Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 25.09.2021

Wunderbare Erzählung über eine osteuropäische Pflegekraft

Wenn ich wiederkomme
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Bei uns in Deutschland werden osteuropäische Pflegekräfte in Privathaushalten schon seit geraumer Zeit beschäftigt, um Senioren im Alter einen Verbleib in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen. In diesem ...

Bei uns in Deutschland werden osteuropäische Pflegekräfte in Privathaushalten schon seit geraumer Zeit beschäftigt, um Senioren im Alter einen Verbleib in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang ist dann aber meistens nur von den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen und der Erleichterung für die Angehörigen die Rede. In diesem Roman nun widmet sich der Autor einmal der anderen Seite, nämlich der Pflegekraft und deren eigener Familie. Am Beispiel der Rumänin Daniela und ihrer beiden Kinder Angelica und Manuel schildert er, wie allein und verlassen sich die zurückgelassene Familie ohne die Mutter fühlt, die die überwiegende Zeit im Jahr im Ausland (hier: Italien) tätig ist, um die Familie mit dem hart, zumeist schwarz verdienten Geld zu Hause über die Runden kriegen und ihr vor allem ein besseres Leben ermöglichen zu können. Dabei teilt er die Geschichte in drei Teile und lässt in jedem einen der drei Beteiligten seine Situation und Sicht der Dinge schildern. Die Probleme und Belastungen der Frauen und ihrer Familie werden gut herausgearbeitet. Sie waren mir in dieser Tragweite gar nicht bewusst. Vor allem kannte ich das sog. „Italiensyndrom“ bislang nicht, also die depressive Erkrankung der Pflegerinnen. Der Autor hat gute Recherche geleistet. Mich als Zugehörige zu einer Wohlstandsgesellschaft hat sie betroffen zurückgelassen.
Sehr lesenswert.

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Veröffentlicht am 21.09.2021

Eine faszinierende Familiengeschichte

Wenn wir heimkehren
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Ein wirklich imposantes Buch, sowohl dem Äußeren nach mit seinen immerhin knapp 600 Seiten als auch dem Inhalt nach. Schon wieder eine Familiengeschichte, die zurzeit üppig auf dem Buchmarkt zu finden ...

Ein wirklich imposantes Buch, sowohl dem Äußeren nach mit seinen immerhin knapp 600 Seiten als auch dem Inhalt nach. Schon wieder eine Familiengeschichte, die zurzeit üppig auf dem Buchmarkt zu finden sind, mag manch einer denken, zumal auch noch autofiktional, wie es ebenfalls derzeit sehr beliebt ist. Aber es ist eine Familiengeschichte, die von anderen positiven hervorsticht und die es wirklich verdient, gelesen zu werden.
Der Einstieg beginnt im Nachkriegs-Köln, als sich der Maurer Willi und die Luxemburgerin Margot mit ihrem Sohn Fred bei der Durchführung eines Auftrags kennenlernen, was der Auftakt für eine jahrzehntelange Liebe ist, die jedoch zunächst mit Hindernissen belegt ist. In Rückblenden und gedanklichen Betrachtungen in der jeweiligen Gegenwart auf verschiedenen Zeitebenen zwischen den 1930er und 1990er Jahren aus Margots, Willis und Freds Perspektive wird die Geschichte ihrer Familie, auch der weiteren, ausgebreitet. Der Casus knactus, der Margots ganzes Leben geprägt und den sie nie verwunden hat, liegt darin, dass sie in ihrer Heimat Luxemburg während des Zweiten Weltkriegs von einem deutschen Soldaten geschwängert und deshalb von ihren wohlhabenden Eltern verstoßen wurde, die es als Schande empfanden, eine Kollaborateurin zur Tochter zu haben. Ebenfalls auf elterlichen Druck zur Legitimierung ihres Kindes ehelichte Margot einen deutschen Soldaten niederen Ranges, der sich nach dem Krieg als gewalttätiger Ehemann und vor allem Vater gegenüber dem Kuckuckskind Fred entpuppte, den sie deshalb heimlich verließ. Ein holländischer Geschäftsmann half ihr auf die Beine, dem sie meinte, Dankbarkeit zu schulden. Willi wiederum war kriegstraumatisiert und hat ein unbekümmertes Gemüt nie verloren.
Damit ist die Geschichte nur kurz angerissen. Die Details muss jeder selbst lesen. Erst einmal drin in ihr, liest sie sich flugs. Sehr gefallen hat mir, wie die Autorin es versteht, Abwechslung in ihre Abhandlung zu bringen, z.B. durch das häufige Einstreuen von Liedfragmenten, luxemburgischer Sprechart und französischen Wendungen und die Verwendung von Metaphern, z.B. dem Licht, das immer wieder eine Rolle spielt.


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Veröffentlicht am 16.09.2021

Kindheitstraumata

Liebe / Liebe
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Die Autorin lässt die Ich-Erzählerin Sascha in Fragmenten aus ihrer Kindheit erzählen, die von Vernachlässigung sowie Wegschauen durch die Mutter und Missbrauch durch den Vater geprägt ist. Erst nach und ...

Die Autorin lässt die Ich-Erzählerin Sascha in Fragmenten aus ihrer Kindheit erzählen, die von Vernachlässigung sowie Wegschauen durch die Mutter und Missbrauch durch den Vater geprägt ist. Erst nach und nach lässt sich in Gänze ermessen, was das Mädchen tatsächlich durchlitten hat. Manches muss sich der Leser einfach hinzudenken. Erst als Sascha als Jugendliche zum Großvater gegeben wird, erfährt sie, was wirkliche familiäre Liebe und Geborgenheit bedeuten. Sie blüht auf, vor allem mit Hilfe eines treuen Hundes und einer Freundin fürs Leben, die allerdings selbst gezeichnet ist, und erhält die Möglichkeit der Genugtuung gegenüber ihren Eltern.
Die Geschichte besticht durch einen lebendigen Schreibstil. Was sie thematisch anspricht, ist einfach unfassbar und ein wichtiges aktuelles gesellschaftliches Thema. Schön wäre es, wenn dieses Buch dazu beiträgt, die schutzlosen Kinder mehr zu erhören als es bislang geschieht. Bleibt noch zu erwähnen, dass das Buch aus Rücksicht auf Menschen mit traumatischen Erfahrungen eine Triggerwarnung enthält.

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