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Veröffentlicht am 17.12.2021

Was kann "Freundschaft" aushalten?

Was wir verschweigen
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Ein „typisch finnisches“ Saufgelage, welches schon Tage andauert. Unvermittelt steht ein Mann auf, holt sich in der Küche ein Messer und ersticht einen der anderen Gäste. Der Fall scheint klar, der Täter, ...

Ein „typisch finnisches“ Saufgelage, welches schon Tage andauert. Unvermittelt steht ein Mann auf, holt sich in der Küche ein Messer und ersticht einen der anderen Gäste. Der Fall scheint klar, der Täter, Antti Mielonen, wird blutüberströmt im Wald gefunden. Der Fall kann schnell abgeschlossen, der Täter seiner gerechten Strafe zugeführt werden. Eigentlich.

In der Tatnacht herrschen apokalyptische Verhältnisse, was die Spurensuche und -sicherung erheblich erschwert. Des Weiteren ist der Tatort kontaminiert durch die anwesenden Mitfeiernden, deren Aussagen im Alkoholnebel wenig detailliert erfolgen.

Jari Pavoliita, Interimsleiter der Abteilung, beauftragt seine Kollegen Henrik Oksman und Linda Toivonen den Tatort aufzusuchen und vor Ort die Ermittlungsarbeiten zu koordinieren.

„Was wir verschweigen“ ist ein „anderer“ Kriminalroman. Selbstverständlich gibt es auch klassische Ermittlungsarbeit, aber der Fokus liegt primär auf der gemeinsamen Vergangenheit von Antti und Jari, welche von Kindesbeinen an beste Freunde sind, die sich jedoch aufgrund unterschiedlicher sozialer Schichten und Lebensläufen über die Jahre aus den Augen verloren haben. In dem Moment, wo Jari gewahr wird, wer da inhaftiert wurde, beginnt eine Veränderung. Jari verschweigt nicht nur seine Befangenheit, sondern zweifelt die scheinbar eindeutigen Indizien an und fordert überdies weitere, neutrale, ergebnisoffene Ermittlungen, zumal die Tatwaffe nicht gefunden wurde. Ungeachtet daraus entstehender großer Irritation stellt Oksman im Hintergrund eigene Nachforschungen an, welche einen neuen Blick auf das Ganze eröffnen.

Das Buch öffnet sich mir nicht leicht, die ersten Kapitel erscheinen mir sperrig. Je tiefer das Buch in die gemeinsame Vergangenheit von Jari und Antti eindringt, desto interessanter wird die Handlung, wobei die eigentliche kriminalistische Arbeit in den Hintergrund rückt, um zum Ende hin wieder an Bedeutung zu gewinnen.
„Was wir verschweigen“ erhält in diesem Roman mehrfache Bedeutung. Zum einen haben die Protagonisten allesamt Geheimnisse, deren Ursprung sich höchstens erahnen lässt, zum anderen hält Jari die Jugendfreundschaft so lange wie möglich geheim.
Das Cover passt sehr gut zum Inhalt, bildet es doch die düstere, unwirtliche Stimmung ab, welche in der Tatnacht und im inneren der Protagonisten herrscht. Der blaue Schnitt veredelt das „einfache“ Taschenbuch.

Nach dem für mich etwas holprigen Einstieg hat mich dieser Kriminalroman gut unterhalten. Der Handlung liegt ein ausgefeilter Plot zugrunde, welcher sich erst nach und nach zögernd zu erkennen gibt. So fesselt mich der Fortgang der Entwicklungen und auch die Ermittlungsarbeit erhält letztlich noch eine Spannung erzeugende Tiefe.

Dieser Kriminalroman bewirbt sich als Auftakt einer insgesamt sechsteiligen Serie. Es gibt einige Cliffhanger, deren Fortgang mich interessieren würde, der Hauptdarsteller ist für mich jedoch „verbrannt“, so dass es spannend sein dürfte zu erfahren, wie der Autor die Reihe fortsetzt.


Arttu Tuominen, Was wir verschweigen, Kriminalroman, flexibler Einband, Lübbe Verlag, 16,00 €, 416 Seiten, Erscheinungstermin 26.11.2021

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Veröffentlicht am 01.11.2021

Das Fremde - in Person und an sich

Der Verrückte
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Bertil hat „immer schon“ in Stockholm gelebt. Als er in der Zeitung von einem kleinen Marktflecken liest, dessen Sägewerk immer wieder Personal benötigt, macht er sich auf den Weg. Wir befinden uns in ...

Bertil hat „immer schon“ in Stockholm gelebt. Als er in der Zeitung von einem kleinen Marktflecken liest, dessen Sägewerk immer wieder Personal benötigt, macht er sich auf den Weg. Wir befinden uns in der Nachkriegszeit, einer Zeit des Umbruchs und des doch Gleichbleibens. Bertil geht mit gewisser Konsequenz seinen eigenen Weg, ist und bleibt jedoch ein Fremder.

Und wie es jedem „Fremden“ damals und heute „gerne“ ergeht, wird er zum Dreh- und Angelpunkt von Unzufriedenheit / Unverständnis / Schuld. Als dann noch das Sägewerk und damit der größte Arbeitgeber in der Region einer Brandstiftung zum Opfer fällt, wird Bertil Ziel des Verdachts, welcher zukünftig immer schwelen und aufflammen wird.

Die Elite des Dorfes – und damit die Arbeitgeber, Rechtsprecher, Fahnder, Versorger – hat sich aus den Mächtigen / Verantwortlichen zu Zeiten des Krieges gebildet, deren oberstes Interesse darin besteht, ihre begangenen Gräueltaten und unveränderte Gesinnung „unter der Decke zu halten“. Da kommt eine Person wie Bertil zur Ablenkung sehr gelegen, so dass er auch von „oben“ instrumentalisiert wird; teils durch Streuen von Gerüchten, teils durch öffentliche Verleumdung.

„Der Verrückte“ ist Mankells Erstlingswerk, welches posthum ins Deutsche übersetzt wurde. Es ist bemerkenswert, aber auch verstörend, mit welcher Aktualität dieses Zeitzeugnis eines Ortes im Schweden der Nachkriegszeit in die Gegenwart hineinstrahlt.
Dieses Buch beginnt für mich etwas sperrig, verlangt mir im ersten Fünftel ein gewisses Durchhaltevermögen ab, welches sich jedoch auszahlt und mit einer unterschwellig spannenden, teilweise bedrohlichen, bis verstörenden Erzählung belohnt wird. Meine Erwartungen hinsichtlich des Finales werden nicht erfüllt; ich bleibe zunächst etwas ratlos zurück, finde in der Reflexion des Gelesenen einen für mich gelungenen Abschluss.

Mankell erzeugt durch seinen Erzählstil Bilder, welche mich mitnehmen in seine Geschichten. So auch hier. Ich bin Bertil verbunden und an seinem Wohl interessiert, möchte, dass es ihm gut geht. Aber wie im richtigen Leben hält das – vom Autor geschaffene – Universum Umwege und andere Pläne bereit…

Für mich ein lesenswerter Roman als Zeugnis eines Stücks Geschichte und „unseres“ Umgangs mit dem Fremden in Person und / oder an sich.


Henning Mankell, Der Verrückte, Roman, gebundene Ausgabe, Zsolnay Verlag, 26,00 €, 512 Seiten, Erscheinungstermin 27.09.2021

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Veröffentlicht am 22.10.2021

Sieben Geschichten, ein Thema

Eifersucht
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Eifersucht ist nicht gut. Egal ob sie begründet oder unbegründet daherkommt. Sie ist m. E. eines der „niederen Gefühle“, welches sich von besorgter Beobachtung schnell in Hass, Wut und Gewalt, letztlich ...

Eifersucht ist nicht gut. Egal ob sie begründet oder unbegründet daherkommt. Sie ist m. E. eines der „niederen Gefühle“, welches sich von besorgter Beobachtung schnell in Hass, Wut und Gewalt, letztlich auch in tätliche Handlung verwandeln kann, indem sie die innere Gedankenwelt verlässt. Insofern scheint es naheliegend, dass ein Thriller-Autor sich auch dieses Themas annimmt.

„Eifersucht“ ist jedoch ein anderer Nesbø, als der Erzähler, den ich z. B. von den Harry Hole-Kriminalromanen kenne. In diesem Buch werden mehrere Kurzgeschichten von unterschiedlicher Länge erzählt. Jede Geschichte ist in sich abgeschlossen. Nur das Thema Eifersucht haben sie allesamt gemein. Der Umgang mit dem Thema variiert jedoch genau so wie der jeweilige Lösungsweg.

Wiederholt werde ich überrascht vom Ausgang eines Kapitels. Besonders gefällt mir die Geschichte zum Titel, „Eifersucht“ (auch die längste Geschichte in diesem Buch), weil sie den Ausdruckt des Autors, wie ich ihn mag, am nächsten kommt, zumal sie eine schöne Spannungskurve entwickelt. Die anderen Plots sind auch gut, in sich stimmig, in besonderer Art geschrieben und interessant, bieten jedoch für mich keine Spannung, wie ich sie im Grunde erwartet habe. Dies bereitet meinem Lesegenuss jedoch keinen Abbruch.

Praktisch an dieser Sammlung von Erzählungen ist natürlich, dass ich das Buch hin und wieder zur Hand nehmen kann, um eine dieser Geschichten zu lesen.

Das Cover ist schlicht und die verlaufende Tinte könnte ein Hinweis auf die vergossenen Tränen aus Eifersucht sein. Oder eben eine Assoziation zum Blut, welches infolge der Eifersucht vergossen werden könnte…


Jo Nesbø, Eifersucht, Thriller, eBook, Ullstein Buchverlage, 18,99 €, 272 Seiten in der Printausgabe, Erscheinungstermin 01.11.2021

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Veröffentlicht am 07.10.2021

Kleiner Einblick in eine fremde Welt

Der Sohn des Schamanen
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Über indigene Völker weiß ich wenig. Insofern hat mich dieses Buch angesprochen. Meine Erwartung war geprägt von der mehr oder minder wildromantischen Lage der Eingeborenen zu Zeiten der Missionare, wie ...

Über indigene Völker weiß ich wenig. Insofern hat mich dieses Buch angesprochen. Meine Erwartung war geprägt von der mehr oder minder wildromantischen Lage der Eingeborenen zu Zeiten der Missionare, wie sie in Spielfilmen transportiert wird und die nicht von Frieden geprägt war. Davon musste ich mich zunächst entfernen, denn wir haben 2021 und die Missionierung von indigenen Völkern liegt schon sehr lange zurück. Stattdessen gibt es eine neue Bedrohung durch industrielle Abholzung der Regenwälder. Was wiederum eine weitere Anpassung der Menschen fordert.

Dzuliferi Huhuteni ist heute 60 Jahre alt. Er ist mit den guten und schlechten Seiten der Zivilisation aufgewachsen und verfügt insofern über einen sehr großen Wissensschatz, auch als Wanderer zwischen den Welten.

Huhuteni erzählt seine Geschichte nicht uneigennützig. Er strebt an, ein guter Häuptling werden zu können, der durch schamanische Fähigkeiten für seine Familie Schutz und Heilung bieten kann. Darüber hinaus möchte er die Geschichten, Weisheiten und Fähigkeiten seiner Vorfahren zusammentragen, aufschreiben, als Buch veröffentlichen und dieses dann als Lehrmittel in den Schulen der Stämme genutzt wissen, damit das alte Wissen nicht verloren gehen möge.

Thomas Fischermann hat auf vielen Expeditionen unter zum Teil abenteuerlichen Bedingungen Land und Leute kennengelernt und darf in Begleitung von Dzuliferi auch abgelegene, weniger zivilisierte Stämme und entfernte Verwandte kennenlernen. Dzuliferi fungiert hier als Wegbereiter, zäher Verhandler und Übersetzer, wenn die Eingeborenen ihre Geschichten und Erfahrungen erzählen.

„Der Sohn des Schamanen“ habe ich gerne gelesen. Manchmal war es für mich etwas mühsam, mich in den Erzählungen über Erfahrungen / Ereignisse im Zusammenhang mit Bewusstseinsreisen und traditionellem Glauben zurechtzufinden. Die Bedrohung durch Schatzsucher, Landvermesser, Militär und die Holzindustrie war mir in diesem Umfang nicht bewusst. Der Klimawandel trägt sein Eigenes mit bei.

Ich habe die Männer gerne in diese Fremde begleitet und einen kleinen Einblick in das doch entbehrungsreiche, teilweise sehr schwere Leben indigener Völker und den Spagat zwischen Tradition und Moderne erhaschen können.

Dieses eBook habe ich im Rahmen des Angebots von PenguinRandomhouse-Testleser vorab lesen dürfen.


Thomas Fischermann / Dzuliferi Huhuteni, Der Sohn des Schamanen, Sachbuch, eBook, Heyne Verlag, 17,99 €, 304 Seiten in der Print-Ausgabe, Erscheinungstermin 13.09.2021

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Veröffentlicht am 18.09.2021

Verlockung des Wassers

In die Arme der Flut
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Stell Dir vor, Du erlebst einen Augenblick des absoluten Friedens. Du bist ganz bei Dir, es ist ruhig, Du bist frei von negativen Gefühlen, Du fühlst Dich wohl. Der Haken: Du bist gerade dabei zu ertrinken; ...

Stell Dir vor, Du erlebst einen Augenblick des absoluten Friedens. Du bist ganz bei Dir, es ist ruhig, Du bist frei von negativen Gefühlen, Du fühlst Dich wohl. Der Haken: Du bist gerade dabei zu ertrinken; Du wirst im letzten Augenblick gerettet.

Luke Roy hat diesen Augenblick in seiner Jugend erlebt. Inzwischen ist Luke ein erwachsener Mann. Heute will er dem jahrelangen, verführerischen Lockruf des Wassers folgen. Er steht auf der Brücke über dem heimtückischen Fluss. Plötzlich hört er Schreie. Ein Ausflugsboot ist auf dem See gekentert, etwas Rotes treibt zielstrebig dem tödlichen Strudel entgegen. Luke springt und rettet so dem 15jährigen Paul das Leben.

Die Geschichte „In die Arme der Flut“ passt genau in die heutige Zeit. Der ständige Kontakt mit (sozialen) Medien, die kurzen Wege, welche dramatische Ereignisse nur noch beschreiten müssen, um an die Öffentlichkeit zu treten. Bildmaterial von Hinz & Kunz taucht auf, Menschen nutzen positive Nachrichten schamlos für sich, „alles“ will nur den eigenen Vorteil sichern. Die Geilheit der Masse, der Voyeurismus, die Wankelmütigkeit. Dazwischen ein Mensch, der den Zug, welcher losgerast ist, nicht mehr stoppen kann; der von der Macht einer Flutwelle mitgerissen wird.

Jedes Ereignis hat mehrere Seiten, mehrere Interpretationsmöglichkeiten und auch Bilder können unterschiedlich gedeutet werden. So durchlebt Luke eine Achterbahn ihm entgegengebrachter Emotionen. Es ist insgesamt unter dem Strich ein schmutziges Spiel, dem er sich nicht zu erwehren mag.

Gerard Donovan hat ein Buch verfasst, welches sehr wendungsreich und berührend ist, bis zu seinem überraschenden Ende. Ein guter Plot, geschickt in Szene gesetzt und ausformuliert mit einem „Typen“ als Hauptdarsteller.
Das Cover ist eher schlicht gehalten, skizziert einen reißenden Fluss, der über Felsen dem Meer entgegenstrebt. Genau wie die Geschichte in diesem Buch, welches mich sehr gut unterhalten hat.

Dieses eBook habe ich im Rahmen des Angebots von PenguinRandomhouse-Testleser vorab lesen dürfen.


Gerard Donovan, In die Arme der Flut, Thriller, eBook, Luchterhand Literaturverlag, 15,99 €, 320 Seiten in der Print-Ausgabe, Erscheinungstermin 04.10.2021

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