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Veröffentlicht am 04.10.2021

In Geschichten verstrickt wie in einem Labyrinth

Mord im Lesesaal
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Als 'die Agatha Christie von Zürich' wird die Protagonistin Cressida Kandel im Klappentext des hier zu besprechenden Romans angekündigt. Genaugenommen ist sie eine der sechs Protagonisten, die allesamt ...

Als 'die Agatha Christie von Zürich' wird die Protagonistin Cressida Kandel im Klappentext des hier zu besprechenden Romans angekündigt. Genaugenommen ist sie eine der sechs Protagonisten, die allesamt als Mörder des verwahrlosten, reichlich unsympathischen Erpressers Josef Gruber in Frage kommen, der ausgerechnet im Lesesaal der Zürcher Museumsgesellschaft sein vorzeitiges, doch wohlverdientes Ende gefunden hat.
Cressida Kandel ist, so wissen wir, Krimi-Autorin, ihre Werke jedoch kennen wir nicht. Doch halt! Wir können durchaus auf die Art und Weise schließen, auf die die Dame mit den blauen Haaren (eine Perücke, wie man gegen Ende erfährt, ohne jedoch jemals dahinter zu kommen, warum sie beschlossen hat, blauhaarig durchs Leben zu gehen!) ihre Geschichten verfasst, denn jedem einzelnen der vielen, unterschiedlich langen Kapitel werden jeweils Zitate eines gewissen Wilhelm Schapp vorangestellt, offensichtlich alle aus dem Buch 'In Geschichten verstrickt' stammend. Und besagter Wilhelm Schapp ist, wie man beiläufig irgendwann erfährt, der Detektiv in den von Cressida geschriebenen Kriminalromanen. Nur – was der Mann so von sich gibt erscheint mir wirr und unverständlich, eben genau so, wie der gesamte Roman, der sich ohne rechte Spannung und reichlich sperrig dahinschleppt. 'In Geschichten verstrickt' eben, in solchen freilich, die bis zum Ende weitgehend rätselhaft, unerhellt bleiben! Ein Anklang an Agatha Christie? Beileibe nicht! Die 'Lady of Crime' verstand zu schreiben, Spannung aufzubauen, Charaktere zu entwickeln und in ihre Tiefen, oft genug Untiefen, blicken zu lassen, wie kein anderer. Unnachahmlich, wie jeder weiß, der auch nur die Hälfte ihrer über siebzig 'Whodunnits' gelesen hat.
Sowohl die in 'Mord im Lesesaal' niedergeschriebene Geschichte als auch die sich darin bewegenden Figuren sind weit von allem entfernt, was die englische Lady jemals zu Papier gebracht hat. Die Mördersuche, auf die sich die sechs Verdächtigen holpernd und stolpernd und ohne System begeben und die eigentlich der Polizei obliegt, wenn diese sich denn nach Meldung des Mordes zum Tatort bequemt hätte (Morde scheinen in Zürich keine Priorität zu haben), bringt zwar einige Seltsamkeiten zutage, ist aber in keiner Weise aufregend und schon gar nicht mitreißend geschrieben. Wirklich mehr erfährt man während der Lektüre von den Hobby-Detektiven ohne Begabung für dieses Metier nicht. Sie bleiben flach, konturenlos und an der Oberfläche. Bis zum Ende, das ich weder als überraschend noch als erhellend, der Geschichte eine interessante, schon überhaupt keine verblüffende Wendung gebend, bezeichnen kann.
Dennoch, einen gewissen Witz, eine gelegentliche Situationskomik kann ich dem Roman nicht absprechen. Dafür sorgen vor allem zwei Figuren am Rande: die eine nennt sich Frau Alkippe, unterhält am Limmatquai einen Stand, an dem sie für ihre Schule oder was auch immer wirbt, an der sie Frauen in der Kunst der Selbstverteidigung unterrichtet und von der sie eine Kostprobe – ohne zwingenden Grund – direkt an Ort und Stelle gibt, ohne freilich einen einzigen Treffer bei der unglückseligen Zielperson zu landen. Der andere ist Herr Ambesser, Anarchist vom Dienst, wie er sich selbst bezeichnet, ein Bewohner des Nicht-nur-Altenheims Felix und Regula – auch hier weiß man nicht, warum er sich dieses Domizil, das eine Brutstätte des Verbrechens zu sein scheint, ausgesucht hat. Er wirft mit Räuchermännchen um sich, ist vielleicht nicht ganz richtig im Kopf, vielleicht aber auch der Klügste von allen, der, der den wahren Durchblick hat, und er sorgt auf jeden Fall für den einen oder anderen weiteren unterhaltsamen, gar liebenswürdigen Moment. Ein einziger Sympathieträger? Zu wenig! Man hätte sich ihn als Hauptfigur gewünscht....
Fazit: 'Mord im Lesesaal' hat sicher seine Leser, diejenigen, die mit einem derartigen Krimi etwas anzufangen wissen. Ich hingegen bin dazu nicht in der Lage. Oder, wie die Autorin Cressidas Detektiv Wilhelm Schapp in der Einleitung zu einem der letzten Kapitel sagen lässt: 'Man kann nicht jede Geschichte jedem einträufeln wie eine Medizin. Die Geschichte kann nur eingebaut werden in vorhandene Horizonte.' Mit Betrübnis und beschämt muss ich mir demzufolge eingestehen, dass mein eigener Horizont wohl nicht vorhanden ist....

Veröffentlicht am 14.06.2021

Wer ist Marlene Torvett?

Marlene Torvett und das falsche Geld
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Ort der Handlung ist das Land der tausend Seen, genauer gesagt die Gegend um Neustrelitz. Und es geht um Falschgeld, das seit einiger Zeit von einem oder mehreren Unbekannten unter die Leute gebracht wird. ...

Ort der Handlung ist das Land der tausend Seen, genauer gesagt die Gegend um Neustrelitz. Und es geht um Falschgeld, das seit einiger Zeit von einem oder mehreren Unbekannten unter die Leute gebracht wird. Die Spurensuche erweist sich als schwierig, zumal der ermittelnde Kommissar, Tony Babuske, nicht in bester Form ist und nicht nur von seinen privaten Problemen abgelenkt wird, sondern sich überdies auch noch mit voreilig und daher unklug handelnden Vorgesetzten herumschlagen muss – was mehr oder weniger den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen mag, hier aber überzeichnet wird. Nur träge laufen die Nachforschungen an, sind weitgehend unkoordiniert und werden, so mein Eindruck, erst dann ernst genommen und entsprechend forciert, als ein Kind verschwindet, dessen Leiche bald darauf gefunden wird.
Nicht unrealistisch erscheint mir das zunächst! Und in der Tat ist die Handlung nicht schlecht ausgedacht und verspricht Spannung – wenn sie denn folgerichtig, konsequent und ohne Brüche umgesetzt worden wäre, was leider nicht der Fall ist! Und wenn der zerrissen wirkende, sehr menschliche Hauptkommissar mit dem desolaten Eheleben und seinen geheimen Sehnsüchten – übrigens der einzige nicht flache Charakter der Geschichte – im Mittelpunkt gestanden hätte und nicht die Marlene Torvett aus dem Titel und also Hauptperson, aus der ich mir bis zum sehr unbefriedigenden, weil nichts wirklich erklärenden Ende des Kriminalromans keinen rechten Reim machen konnte. Sie ist keine Polizistin und weiß dennoch über Polizeiinterna bestens Bescheid (ein Unding in der Realität!); sie wird in die Ermittlungsarbeiten nicht nur einbezogen sondern man gewinnt sogar den Eindruck, sie würde diese leiten. Eine einflussreiche Person ist sie – was auch immer sie dazu machen mag -, kommt überheblich und sich der eigenen Wichtigkeit bewusst daher, dirigiert, delegiert, bestimmt, befiehlt, ihr Wort ist Gesetz. Eine wahrhaft unsympathische Nervensäge, dennoch allseits bewundert. Warum das so ist, entzieht sich meinem Verständnis, wurde vielleicht im Vorgängerband erklärt – und wenn das so ist, hätte ich unbedingt eine kurze Vorstellung der Dame erwartet.
Gegen Rätselraten habe ich überhaupt nichts, aber ein solches sollte in einem Kriminalroman schon aufgeklärt werden! Und zwischen den Zeilen zu lesen ist ebenfalls in Ordnung, wenn es denn etwas zu lesen gibt. Für diese Art des Lesens braucht man ein wenig mehr Ansatzpunkte als man sie hier bekommt, mehr, als am Ende das über die seltsame Frau Torvett zu wissen, was man schon am Anfang erfährt: offensichtlich schreibt sie ein Buch, ob es ihr Erstling ist, weiß man nicht, ist auch egal, sie liebt Tango und strebt nach der Erfüllung ihrer Sehnsüchte (die scheinbar eine Art Leitmotiv des Romans sind). Welcher? Man bekommt es nicht mitgeteilt, man kennt sie zu wenig, um es sich denken zu können – und das, was man vielleicht denkt, ist denn doch zu banal.
Und zu guter Letzt sind da die viel zu vielen Rechtschreib- und Grammatikfehler! So etwas kann mir auch ein wesentlich schlüssigeres Buch als dieses hier verleiden! Ganz schade! Und an meiner am Ende gar nicht positiven Meinung zu dem Kriminalroman kann auch eine einnehmende Figur wie besagter Babuske sowie die Betroffenheit über den sinnlosen Tod eines Kindes, des falschen Kindes, wenn man Schlüsse zieht aus dem, was man gelesen hat, und das Entsetzen über einen brutalen und gewissenlosen Täter, dessen Persönlichkeit insgesamt im Dunkeln geblieben ist, wenig ändern.

Veröffentlicht am 18.02.2020

Genre-Krimi, nicht für jeden Geschmack

Zwei Millionen in kleinen Scheinen
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Mit welchen Erwartungen sucht man sich als Leser eine Lektüre aus? Diese Frage möchte ich der Besprechung des als „Kriminalkomödie“ bezeichneten Buches vorausstellen. „Verdammt lässig und verdammt viel ...

Mit welchen Erwartungen sucht man sich als Leser eine Lektüre aus? Diese Frage möchte ich der Besprechung des als „Kriminalkomödie“ bezeichneten Buches vorausstellen. „Verdammt lässig und verdammt viel schwarzer Humor – hier tun sich Abgründe auf“apostrophiert zudem der Klappentext die irrwitzige Geschichte, die den gespannten Leser erwartet und auf deren Zusammenfassung ich mit Verweis auf besagten Klappentext verzichte. Klar, da kann man schon neugierig werden, wenn man Krimis mag und zudem glaubt, selbst auch mit einer tüchtigen Portion Humor gesegnet zu sein. Doch der Krimikomödien gibt es viele, genauso, wie es die unterschiedlichsten Ausprägungen schwarzen Humors gibt. Beides gefällt in ihrer jeweiligen Ausprägung nicht immer, kommt nicht bei jedem Leser gleich gut an.
Wie aber findet man heraus, ob man auch zur von Patrick Lorenz anvisierten Zielgruppe gehört? Indem man sich darauf einlässt und schaut, was er in petto hält. Und das trifft dann entweder den persönlichen Geschmack – oder eben nicht!
Aufgrund der Inhaltsbeschreibung konnte man entschieden nicht vorbereitet sein auf das, was man da zu lesen bekommt und was, das wird schnell klar, natürlich unmöglich ernst gemeint sein kann, das von Anfang bis Ende eine Parodie ist und als solche völlig legitim stark überzeichnet und bevölkert ist mit an Comics gemahnende Figuren, die allesamt nicht dazu angetan sind, ihnen Sympathie oder wenigstens einen Funken Empathie entgegenzubringen, und die von einer aberwitzigen, von Gier, Eifersucht, krassem Egoismus und grenzenloser Blödheit provozierten, Panne in die nächste geraten. Das liest sich durchaus komisch – aber wenn man schon zum Lachen ansetzen möchte, bleibt einem dieses nahezu sofort im Halse stecken, denn die Slapstick-Szenen geraten samt und sonders außer Kontrolle und werden zu blutigem Ernst, dies freilich inflationär und im wahrsten Sinne des Wortes! Ja, es geht überaus blutig zu – und um vorauszusehen, dass der eskalierende Unfug, den sich die handelnden Charaktere da leisten, nicht gut ausgehen kann, muss man beileibe kein Hellseher sein!
Aber was ist denn nun mit dem nicht zur Zielgruppe gehörenden Leser, also demjenigen, der sich nicht auskennt in dem Genre, das der Autor bedient, dem Leser, der mit Trash und Schund und Tarantino-Szenarien, die er in seinem Werk auf die Schippe nimmt, nicht vertraut ist beziehungsweise diesen so gar nichts abgewinnen kann? Dieser kann unmöglich die Anspielungen, Zitate und Reminiszenzen, mit denen Patrick Lorenz seinen Roman angefüllt hat, erkennen und schon gar nicht einordnen, womit ihm logischerweise sowohl die Ironie als auch eventuelles Augenzwinkern entgeht, auf dem der Autor beharrt! Und nicht verstehen bedeutet im Grunde auch, die Geschichte, so wie sie gedacht ist, nicht würdigen zu können; sie wird ihm zu einem einzigen, langen Ärgernis, zu einer Provokation, die vom Autor zwar beabsichtigt sein mag, aber sicher nicht in der von ihm gewünschten Form. Wobei andererseits davon ausgegangen werden kann, dass die Kenner, die Eingeweihten, die Fans des Genres, dem Lorenz mit seinem Roman huldigt, geradezu in helles Entzücken geraten. Nun, alles ist eben eine Frage des Geschmacks!
Wie dem auch sei, ich, die ich den Krimi gelesen habe – und besser stutzig geworden wäre bei den auf dem Cover erwähnten „Abgründen“ - und besprechen soll, gehöre der Fraktion an, die mit dieser speziellen Art des schwarzen Humors nichts anfangen kann, die sich von dem hier angeblich eingeflossenen Wortwitz nicht angesprochen fühlt, ja ihn nicht einmal als solchen erkennt, für die der gelegentlich auftauchende Ausdruck „pulp fiction“ inhaltlich gesehen ein Fremdwort ist, und die sich darüber hinaus entschieden hat, kein Freund von Quentin Tarantino und Co. zu werden. Und somit trennen mich natürlich Meilen von den Lesern, für die Herr Lorenz sein Buch geschrieben hat. Das wurde sehr bald offensichtlich, doch ich habe mich dennoch darauf eingelassen – warum auch sollte es der Nicht-Zielgruppe verwehrt sein, Neues auszuprobieren? -, war gleichermaßen fasziniert wie abgestoßen, erheitert wie verärgert. Ich bin mir recht sicher, dass ich durchaus auch Gefallen an dem Krimi hätte finden können, wenn die Protagonisten nicht zu widerwärtig gewesen wären, wobei ich nicht einmal diejenigen meine, denen Gott vergessen hat, Hirn mitzugeben, sondern diejenigen Figuren, die mit jenem einigermaßen bis reichlich ausgestattet sind, deren Handlungsweise – überzeichnet, ich weiß... - so selbstherrlich-verachtend und von Selbstliebe und Selbstsucht geprägt ist. Diese Typen kann ich nicht mit dem vom Autor erwünschten Amüsement zur Kenntnis nehmen.
Was aber weitaus schwerer ins Gewicht fällt, ist die Sprache, die der Autor seine Schießbudenfiguren sprechen lässt – und zwar, das wäre ja verzeihlich, nicht nur die geistig und charakterlich Minderbemittelten, sondern eben auch alle Übrigen – und diese Sprache, die leider wacker den Roman durchzieht, reicht von dem stark überstrapazierten Gossenjargon, über obszön-beleidigende Ausdrucksweisen bis hin zu einer Art Sprachenunsinn, den man wohl als „hipp“ bezeichnet, der also durchsetzt ist von Anglizismen, welche ich grundsätzlich als nicht nur überflüssig, sondern nervig ohne Ende empfinde.
Und wenn dann zu guter Letzt der Autor in seiner Danksagung am Schluss erwähnt, dass seine Frau ihm einen „Einblick in die weibliche Psyche gewährt“ hat, - worauf er, mit diesem Wissen ausgestattet, seine weiblichen Akteure ihrerseits ausstattete und agieren ließ?! - möchte ich am liebsten in lautes Protestgeschrei ausbrechen! So sind wir also, wir Frauen – ja? So ticken wir – wirklich? So wie die verschlagene Melisa, die den gesamten Wirrwarr doch erst angezettelt hat und Menschen rücksichtslos für die eigenen Zecke ausnutzt? So wie ihre Freundin Luzia, die eine Parodie ihrer selbst und eine Beleidigung für jede Frau mit Verstand ist? So wie jene unbeherrschte Hilde, bei der „Kacke“ das Lebensmotto zu sein scheint? Dagegen möchte ich mich freundlichst, mit Entschiedenheit und mit allem gebotenen Respekt vor Ihrem Werk verwehren – und, lieber Autor, diesen Zynismus kann und will ich Ihnen denn doch nicht verzeihen!

Veröffentlicht am 16.10.2022

Freunde, die keine sind

Am Ende des Schweigens
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Obwohl die Autorin Charlotte Link als derzeit kommerziell erfolgreichste deutsche Schriftstellerin gilt, überdies in Interviews außerordentlich sympathisch erscheint und ich ihr Engagement für notleidende ...

Obwohl die Autorin Charlotte Link als derzeit kommerziell erfolgreichste deutsche Schriftstellerin gilt, überdies in Interviews außerordentlich sympathisch erscheint und ich ihr Engagement für notleidende Geschöpfe, ob Mensch oder Tier, nur als beispielhaft bezeichnen kann, habe ich bis zu diesem Sommer nie ein Buch von ihr lesen wollen. Sogenannte Bestseller haben mich im Laufe meines Leserlebens in der Mehrzahl enttäuscht und sogenannten Erfolgsautoren, die gewöhnlich jene zweifelhaften Bestseller verfassen, stehe ich gleichermaßen skeptisch gegenüber. Kurzum – ich mag mir nicht von Bestsellerlisten meinen Lesegeschmack diktieren lassen.
Dass ich dennoch vor wenigen Monaten einen der psychologischen Spannungsromane der Frankfurter Autorin – denn was ich da las, kann ich weder als Krimi noch als Thriller bezeichnen – aufschlug, war reiner Zufall, eigentlich unbeabsichtigt. Jedenfalls hielt ich ihn auf einem Bücherbazar, auf denen ich immer gerne stöbere, plötzlich in der Hand – und nahm ihn mit! Es handelte sich dabei um den ersten Band der Kate Linville Reihe, „Die Betrogene“ - und ich hatte ihn im Nu gelesen, durchaus angetan davon, wiewohl das beharrliche Graue-Maus-Gehabe der Protagonistin schon anstrengend zu lesen war. Die nächsten beiden Bände dieser Reihe folgten und ich fühlte mich, obwohl sie schwächer waren als Band Eins, spannend unterhalten. Also würde ich Charlotte Link aufnehmen in meine Leselisten, ein Entschluss, der jedoch mit dem hier zu besprechenden Roman, nämlich mit eben jenem „Ende des Schweigens“, dem achten Buch, das ich inzwischen von Frau Link gelesen habe, ein abruptes Ende finden wird!
Dabei ist es nicht einmal ihr, nach meinem Geschmack, schlechtestes und unglaubwürdigstes Werk, gewiss aber das ärgerlichste. Und daran können auch die, wenn man die vielen Leerläufe überspringt, durchaus vorhandene Spannung und das unbestreitbare schreib-handwerkliche Können der Schriftstellerin nichts ändern! Nicht einmal die berückende und gleichzeitig bedrückende Landschaft, in der sie ihren Roman angesiedelt hat und die wie geschaffen ist für Krimis oder Thriller oder eben psychologische Spannungsromane, vermag etwas an meinem Gesamteindruck zu ändern. Große englische Autoren, allen voran sicherlich die Bronte-Schwestern, die einstmals dort, im Westen Yorkshires, beheimatet waren, haben das auf äußerst eindrucksvolle Weise unter Beweis gestellt, genau die Stimmung ihrer Heimat einfangend, was vielleicht nur dann wirklich möglich ist, wenn man dort geboren ist... Charlotte Links Yorkshire hätte auch irgendwo in Deutschland sein können, etwa in der Lüneburger Heide, durchaus auch im Allgäu.
Die hanebüchene Geschichte, die sich langatmig über sage und schreibe 671 Seiten erstreckte, konnte mich zu keinem Zeitpunkt auch nur ansatzweise überzeugen. Das Gleiche gilt für die recht zahlreichen handelnden Personen, die die Autorin als kollektiv unsympathischen Haufen angelegt hat, mit allen Klischees und psychischen Defekten behaftet, die man sich nur ausmalen kann. Durchgeknallt! Allesamt! Gemeingefährlich, bösartig, gehässig, zerstörerisch, die Luft um sich herum vergiftend. Größenwahn kommt auch vor, ein mir unbegreiflicher Masochismus der grenzdebilen Freundin des großen Unbekannten, dem gewiss nicht nur eine Latte am Zaun fehlt und den eine fixe Idee durch die Wiesen und Wälder streifen lässt, die das Anwesen umgeben, in dem drei Ehepaare alle, wirklich alle ihre Ferien gemeinsam verbringen – obwohl sie einander nicht ausstehen können, was keineswegs als Überraschung im Laufe der sich im Schneckentempo entwickelnden Handlung kommt, sondern von Anfang an sonnenklar ist. Nun, die meisten von ihnen überleben den neuerlichen Aufenthalt auch nicht – und die drei, die nur rein zufällig mit dem Leben davonkommen und von denen einer logischerweise der Mörder sein muss, verhalten sich reichlich seltsam, so unnatürlich, wie nur möglich.
Nein, ich habe keine Lust, in die unendlichen Tiefen ihrer Abgründe zu blicken. Mir reichen die brüchigen Fassaden, die in jahrelanger Kleinarbeit, von Schuldgefühlen zerfleischt und in Schuld verstrickt, um die Freundesclique aufgebaut wurden, und in deren immer größer werdende Risse die Autorin ihre Leser sich zu vertiefen zwingt, Voyeuren gleich, zu denen ich mich nicht hinzugesellen möchte. In der Tat möchte ich niemals mehr die Bekanntschaft von Leuten wie denjenigen machen, die Charlotte Link aus der Retorte gezogen und in Buchform verewigt hat! Inklusive der blutleeren Jessica, die, frisch verheiratet mit einem der sich als Freunde bezeichnenden Psychopathen und Neurotiker, seelische Krüppel allesamt, sich nicht einfügen mag in die Clique, in der man alles, aber auch wirklich alles gemeinsam macht, in der ein Ausscheren nicht geduldet wird, in der Übergriffigkeiten an der Tagesordnung sind und stillschweigend hingenommen werden. Wer nicht schon irre ist, wird es in diesem kranken Zwangskorsett unwiderruflich werden. Die brave Jessica ist eine der drei, eigentlich vier, Überlebenden, wenn man ihre sie leidenschaftlich hassende aufmüpfige Stieftochter hinzuzählt, die in ihrer Frühreife und ihren von den Erziehungsberechtigten geduldeten Alleingängen und eigenmächtigen Entscheidungen so unnatürlich wie nur möglich daherkommt. Und Jessica, die Tierärztin, die sich während dieses letzten Urlaubs zunehmend abseilt von der sie vereinnahmenden Gruppe, ist es auch, die die frisch – und so brutal wie nur möglich – Ermordeten findet – und am Schluss natürlich selbst in Lebensgefahr gerät... Ganz schön voraussehbar!
Aber dieses stets Voraussehbare ist es nicht, was ich dem Roman vorwerfe, schließlich haben wir es hier nicht mit einem Krimi zu tun, bei dem das Mitraten im Mittelpunkt steht und die große Überraschung gewöhnlich als Paukenschlag am Schluss kommt. Es sind die unsäglichen Charaktere mit ihren so widernatürlichen und überzogenen Verhaltensweisen, die mich von Anfang bis Ende nur abstoßen konnten. Es sind ihre so bösartigen, wie hirnlosen und unnötigen Dialoge, in die sie sich verstricken, beziehungsweise in die die Autorin sie verstrickt – was schon mal ein gutes Drittel des Romans ausmacht. Und da man bei der so erfolgreichen deutschen Autorin mit beidem immer rechnen muss, wie mir die Kenntnis der Bücher von ihr, die ich bereits gelesen habe, klargemacht hat, werde ich ihr zwar weiterhin gerne in Interviews zuhören, mit Gewissheit aber von nun an, und da wiederhole ich mich, Abstand nehmen von den gefeierten, angeblich so tiefschürfenden psychologischen Romanen aus ihrer Feder, ob mit oder ohne Spannung, die offensichtlich einem breiten Publikum immer wieder aufs Neue Freude machen. Ich kann mich jedenfalls nicht dazu zählen!

Veröffentlicht am 07.11.2021

Fehlende Spannung, langweilige Handlung, misslungene Charaktere

Klippentod
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Eine jüngere Frau, wahrscheinlich irgendwo zwischen 30 und 40 – Genaueres erfährt man nicht in diesem reichlich langen und langatmigen Roman - , sucht Hilfe bei dem Protagonisten der Geschichte, einem ...

Eine jüngere Frau, wahrscheinlich irgendwo zwischen 30 und 40 – Genaueres erfährt man nicht in diesem reichlich langen und langatmigen Roman - , sucht Hilfe bei dem Protagonisten der Geschichte, einem ehemaligen Polizeibeamten aus London, der sich in das Dorf Cadgwith an der Cornischen Küste zurückgezogen hat und sich jetzt als Maler versucht. Obwohl sie verzweifelt klingt am Telefon, gewährt der frühpensionierte Cop ihr diese Hilfe nicht. Vielleicht, weil er sie nicht ernst nimmt, vielleicht, weil er einfach seine Ruhe haben möchte, denn dem alten Beruf hat er endgültig Adieu gesagt. Hätte er sie doch nur angehört, denn am nächsten Tag wird Victoria, besagte jüngere Frau, tot am Fuße der Klippen gefunden. Alle, vorneweg die hier als unfähig, borniert und alles andere als arbeitsam geschilderte Polizei, gehen von einem tragischen Unfall aus, gar von einem Selbstmord, zumal die Tote zeitlebens seelisch nicht recht ausbalanciert war, wie man sich in dem tratschsüchtigen Dorf erzählt.
Nicht so ihre Freundin Mary, die in Cadgwith den Dorfladen und eine kleine Pension führt. Victoria, so ist sie überzeugt, wäre nie und nimmer auf die Klippen gestiegen, wäre der Kante niemals nahe gekommen, denn sie hatte Angst vor dem Meer, das hier mit stürmischer Wucht gegen das felszerklüftete Ufer schlägt. Mary wendet sich nun ihrerseits hilfesuchend an Simon Jenkins, den aus dem Dienst ausgeschiedenen Ermittler, der sich ohnehin Vorwürfe macht, weil er Victoria abgewimmelt hat, anstatt sie anzuhören, und dieser verspricht ihr widerstrebend und halbherzig, Nachforschungen anzustellen, denn auch er glaubt nicht daran dass der Tod der, so wird gemunkelt, moralisch fragwürdigen Victoria, auf die man im Ort geringschätzig herabblickte, weil sie angeblich den braven Männern den Kopf verdrehte, etwas anderes als ein Unfall war. Als dann aber die Antiquitätenhändlerin Barbara aus dem Nachbarort zu Tode kommt, was auch die Polizei diesmal keinem Unfall zuschreiben kann, gerät er ins Zweifeln...
So weit, so gut. Und man kann sich auf eine spannende Tätersuche mit unverhofften Wendungen und einer möglichst überraschenden Auflösung freuen – möchte man meinen! Doch nichts da! In epischer Breite wird der Leser mit nicht endenwollenden Beschreibungen einmal der entfesselnden oder, je nach dem, trügerisch ruhigen See, zum anderen des Himmels, der Farben, des Ortes, der Landschaft, ohne dass diese bei mir ankommen, ohne dass sie Bilder vor meinen Augen auferstehen lassen. Zuviel des Guten, viel zu viel, die Geschichte, die einfach nicht recht beginnen, nicht in Gang kommen möchte und vielleicht auch nicht soll, immer wieder ausbremsend.
Leider blickt man auch immer tiefer in das zerrissene und – wie die Küste vor Cadgwith – zerklüftete Seelenleben der Hauptfigur, erfährt von seinen Schuldgefühlen, weil er bei einem Polizeieinsatz seine Freundin und Kollegin Moira nicht hatte retten können, zusehen musste, wie sie bei dem von ihm verursachten Autounfall, den er mit schweren Verletzungen und bleibender Schädigung der Wirbelsäule gerade so überlebte, vor seinen Augen im Flammenmeer umkam. Ja, ich möchte die handelnden Personen in einem Krimi, überhaupt in jedem guten Roman, gerne kennenlernen, möchte mir ein Bild von ihnen machen, sie verstehen können, egal, ob sie als Sympathieträger angelegt sind oder als deren Gegenteil. Doch was zu viel ist, ist zu viel! Immer und immer wieder muss der Leser mit Jenkins dessen Traumata durchleben, immer wieder in seinen Selbstzweifeln und seiner immer nerviger werdenden Wankelmütigkeit und Unentschlossenheit baden. Obendrein hat der Autor ihn mit einer Gehbehinderung ausgestattet, die einhergeht mit stärksten Schmerzen. Und so liegt er mal bewegungsunfähig und halb ohnmächtig auf dem Sofa, mal hüpft und klettert er in den Felsen herum. Auto fahren kann er nicht mehr, dafür hat er sich aber ein Boot zugelegt. Ein wahres Chamäleon also? Ganz und gar unglaubwürdig ist er, eine Kunstfigur ohne Saft und Kraft, die unnatürlich handelt und spricht; die Dialoge, die er mit den wenigen Menschen, mit denen er es zu tun hat, führt, allen voran mit Mary, die er gegen seinen Willen zu mögen begonnen hat, sind ein Graus, so gestelzt wie abgehakt, so nichtssagend wie langweilig.
Mary auf der anderen Seite ist auch nicht viel besser! Aus Cadgwith stammend hat sie viele Jahre in Deutschland gelebt, das sie dann fluchtartig verlassen hat, um ihrem psychopathischen Freund zu entgehen, muss nun aber feststellen, dass man seiner Vergangenheit nicht entrinnen kann. Wie ein Deus ex machina taucht nämlich, ausgerechnet, als ihr Leben wieder eine Zukunft zu haben beginnt und sie im Begriff ist, sich neu zu verlieben – eben in jenen zaudernden, zögernden, zerrissenen, alles andere als zupackenden Ex-Polizisten -, der Kontrollfreak aus Köln auf, stalkt sie und bedroht sie. Eine gefährliche Situation also, und Mary hätte allen Grund Angst zu haben, sich auf jeden Fall in acht zu nehmen. Doch verhält sich die junge Frau – obwohl, so jung kann sie nicht mehr sein, aber auch in Bezug auf sie erfährt man nichts Genaues -, so unverständlich, unlogisch, in keiner Weise nachvollziehbar, wie der dauerleidende Künstler. Sie weigert sich, ihr Haus abzuschließen, denn das tut man nicht in Cadgwith, will davon, die Polizei einzuschalten, nichts wissen – und setzt sich auf die Bank vors Haus und genießt die Sonne, völlig im Reinen mit sich selbst. So große Angst hat sie, erfährt man – und wundert sich dann, dass sie diese Angst so mir nichts, dir nichts, einfach ausblenden, beiseite schieben, gar komplett vergessen kann....
Neben den ausufernden, nicht enden wollenden Naturbeschreibungen, die mutmaßlich darauf zielen, Authentizität und Atmosphäre zu schaffen, bei mir aber nicht ankommen, mich ungehaltener machen, je weiter der Roman voranschreitet, sind vor allem die Figuren, die die Handlung besiedeln, der große Schwachpunkt dieses Romans, den ich beim besten Willen nicht als Krimi bezeichnen kann, eher als eine Art zusammengewürfeltes, inkonsequentes Crossover. Von liebenswert sind sie weit entfernt, sowohl die Dörfler als auch die Zugezogenen und ich musste mich dauerhaft wundern über die immer wieder auftauchende Bezeichnung 'Krüppel' für Jenkins, die ständigen Beleidigungen des Mannes, der einen Stock braucht, um sich vorwärts zu bewegen. Mit Vorurteilsfreiheit ist es offensichtlich nicht weit her in und um Cadgwith...
Ich brauche keine Action und auch keine brutalen, dezidiert beschriebenen Grausamkeiten, wenn ich mir einen Krimi als Lektüre aussuche. Aber Spannung, Logik, einen roten Faden, überzeugende, unbedingt nachvollziehbare Charaktere brauche ich sehr wohl. Nichts davon finde ich in 'Klippentod' – selbst wenn sich gegen Ende der über 500 Seiten langen Geschichte der Autor zu erinnern scheint, dass er hier einen Krimi schreiben wollte. Aber selbst diese spannenderen Seiten sind viel zu sehr in die Länge gezogen und ich muss mich ein ums andere Mal wundern über die komplette Unfähigkeit, Unschlüssigkeit, ja geradezu Verpeiltsein des vormaligen Polizisten einer Spezialeinheit! Als er schließlich mühsamst in die Gänge kommt wie ein eingerosteter Motor, hätte er mit seiner Langsamkeit – und diese ist keineswegs seiner Behinderung, die im Übrigen genauso wenig überzeugt wie er selber, geschuldet – um ein Haar alles vergeigt, was zu vergeigen war!
Nein, ihm möchte ich in keinem weiteren Roman, sofern dieses Buch zwischen allen Genren der Beginn einer Reihe sein sollte, wiederbegegnen, ihm nicht und auch den anderen Bewohnern oder ungebetenen Besuchern des Ortes Cadgwith nicht, mit denen ich, bis auf eine einzige Ausnahme, nicht das Geringste anfangen konnte. Dass der Autor seinem schlappen Helden, der bis zum Ende ohne Gesicht geblieben ist, jenen optimistisch-gelassenen ehemaligen oder auch immer noch gelegentlich aktiven Fischer Luke zur Seite stellte, war seine, leider einzige, Sternstunde – und viel zu wenig, um dem Roman schließlich doch noch etwas abgewinnen zu können!